Californium - Test, Adventure, PC

Californium
16.02.2016, Jörg Luibl

Test: Californium

Wenn Spielrealität nervt

Die meisten Filmliebhaber werden Philip K. Dick mit Total Recall, Minority Report und natürlich Blade Runner in Verbindung bringen. Der 1982 verstorbene Schriftsteller war ein Meister der surrealen Science-Fiction, aber beschäftigte sich auch kritisch mit unserer Gesellschaft sowie der Frage der eigenen Wirklichkeit. Der TV-Sender ARTE widmet ihm in diesen Tagen einen Programmschwerpunkt - und ein Spiel, das für zehn Euro in vier Episoden bis Mitte März erscheint.  Das nennt sich „Californium (ab 5,39€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)“ und lockt wie der Meister in alternative Realitäten. Wir haben den ersten Teil betreten...

Was ist das für ein Mist?  Ich befinde mich gerade im blauen faschistoiden Kalifornien und hätte nur noch ein Rätsel lösen müssen, um ins rote futuristische Kalifornien zu gelangen, da stürze ich in eine Sackgasse. Nein, kein klassischer Absturz auf den Desktop, sondern ein Fall durch das komplette Levelgerüst von Californium. Das ist manchmal so durchlässig wie ein Schweizer Käse. Es stinkt nur viel schlimmer, wenn man darin auch noch wie blöde umherirrt und keinen Weg mehr herausfindet.

Eine Hommage mit Absturzgefahr

Californium versetzt euch in die Rolle des erfolglosen Autoren Elvin Green.
Der Ärger ist folgendermaßen entstanden: Als ich mich in einem Büro zum x-ten Mal in die richtige Position bringen wollte, damit endlich ein Aufflackern von Licht dafür sorgt, dass dieses grelle H-Zeichen sicht- und damit klickbar wird, bin ich zu weit nach hinten gegangen und durch die Wand gefallen. Die sollte eigentlich solide sein, selbst wenn man dieses Abenteuer in der Rolle des drogenabhängigen Schriftstellers Elvin Green erlebt, der sich mit Halluzinationen und Abstürzen bestens auskennt. Ab und zu deuten auch Verzerrungen in der Kulisse auf LSD & Co...

Was will die Alte vor dem Apartment? Das komplett statische Figurendesign wirkt wie ein Fremdkörper in der psychedelischen Kulisse. Es gibt keine Dialoge, man hört nur zu.
Ist auch kein Wunder, denn aus seiner Egosicht ist das Jahr 1965 geprägt von beruflichem und privatem Versagen – er kann kaum eine Zeile schreiben, die Rechnungen stapeln sich neben Flaschen und die Frau ist verschwunden. Es ist also ein Scheißjahr für Elvin. Dass man sich da schon mal in eine andere Realität wünscht, ist verständlich. Umso verführerischer und zynischer klingt die Stimme des Erzählers, der genau diese Lösung anbietet, wenn sich der im Leben so oft gescheiterte Protagonist endlich mal beweisen kann. Hört sich gut an!

Rätsel öffnen alternative Realitäten

Aber was für Elvin ein Scheißjahr ist, wird für den Spieler leider auch ein Scheißspiel. Denn um in eine andere Realität zu wechseln, muss er immer dieselbe monotone Wimmelbildsuche starten: In einem Fernseher flimmert eine Zahl. Die gibt an, wie oft er irgendwo in der Nähe ein leuchtendes Symbol finden und anklicken muss. Mal ist das offensichtlich, mal verrät ein Flackern oder Ton die Position, mal muss man seinen Standpunkt im Raum oder der Höhe ändern, um es zu erkennen. Und manchmal zickt dieses System so zweideutig herum, dass man sich ständig hin und her bewegt: Ist das Flackern jetzt ein Bug oder ein Feature?

Hat man endlich den erlösenden Klick auf das Symbol gemacht, wabert an dieser Position eine andere Wirklichkeit wie eine Blase auf. Das macht man so in seinem Apartment, auf der Straße, im Diner, im Büro etc. Findet Elvin alle Fernseher und Symbole, wechselt die bis dahin spoardisch wabernde Kulisse komplett – z.B. vom freien Hippie-Kalifornien des Einstiegs ins blaue Überwachungskalifornien, wo gegen Linke, Homos und Schwarze gehetzt wird. Und ja, hier wechseln

Die Fernseher zeigen an, wie viele Symbole man suchen muss...
Kleidung, Werbung sowie Atmosphäre. Der Kulissenwechsel macht zwei Minuten neugierig, bis man wieder von der Statik ernüchtert wird. Jetzt hätte man das durch eine erweiterte Spielmechanik kompensieren können. Doch hier sucht man ebenfalls Fernseher und Symbole vom Apartment bis zum Diner.

Wimmelbildsuche ohne Abenteuer

Willkommen im faschistoiden Kalifornien! Cooler Szenenwechsel, aber der Schauplatz ist schrecklich klein, die Suche nach Symbolen mechanisch nervig und fast immer gleich.
Nochmal zurück zu meinem Absturz, also dahin, wo ich durch die Wand im ersten Stock gefallen bin. Unten angekommen wollte ich den Fahrstuhl nach oben nehmen, aber der war ja schon oben. Arghs!  Also blickte ich in einen Schacht von Grafikfehlern. Und das schon zum zweiten oder dritten Mal. Ich startete das unfertige Spiel neu und hätte jetzt alle Symbole nochmal suchen müssen. Darauf hatte ich auch deshalb keine Lust mehr, weil ich vielleicht zu viele kreative Rätsel in The Talos Principle oder The Witness gelöst hatte, um mich hier für ein paar Zitate  des Meisters abzuquälen, die auch in meinem Regal schlummern.

Außerdem hatte ich keine Lust mehr, weil ich als Freund von Philip K. Dick viel lieber wie in den Romanen in diese Realitäten abgetaucht wäre, anstatt sie nur oberflächlich zu durchklicken. Auch wenn der Erzähler zumindest mit seinen zynischen Kommentaren sowie Zitaten aus dem Fundus der Literatur einen Hauch von surrealer Science-Fiction versprüht, entsteht viel zu schnell ein Graben zwischen der Erzählebene und dem Spielerlebnis. Sprich: Man latscht durch eine sehr kleine und sehr sterile Welt, in der einem hässliche Pappfiguren Monologe halten, sobald man in ihre Nähe kommt – es gibt keinerlei Dialog mit ihnen, keinerlei Entscheidungen, keinerlei emotionale Anbindung.

Fazit

Tolles Thema, schlechtes Spiel. Californium hat mich als Freund von Storytelling-Experimenten und Philip K. Dick nur in der ersten halben Stunde zumindest neugierig gemacht. Was danach folgte war zunächst schleichende, dann die totale Ernüchterung. Ich kann nicht abtauchen in diese „Hommage“, sondern erlebe einen Bruch zwischen primitiver Symbolsuche in Egosicht sowie eingestreuten Zitaten und Kommentaren aus dem Fundus des Science-Fiction-Meisters. Die mögen zwar in einem Buch zum Nachdenken anregen, aber hier wirken sie wie Fremdkörper in einem weitgehend sterilen und technisch unfertigen Spiel, das irgendwann nur noch nervt. Das liegt nicht am inkonsequenten Artdesign, das seine ansehnlichen Kulissen mit statischen Pappfiguren verschandelt, sondern an der monotonen Wimmelbild-Mechanik in einem sehr kleinen Areal und üblen Grafikfehlern, die einen schon mal durch Wände stürzen und neustarten lassen, damit man die fast vollendete Suche nochmal beginnen darf. Kann sein, dass diese Fehler in der ersten Episode in den folgenden nicht mehr auftauchen und sie vielschichtiger unterhalten. Aber bei aller Liebe zu Romanen wie  „Eine andere Welt“ & Co: Auf so eine Spielrealität kann ich verzichten.

Pro

  • Zitate von Philip K. Dick
  • ansehnliche Kulissen und Verzerrungseffkte
  • gut gesprochener Erzähler
  • interessantes Thema um Realitätswahrnehmung
  • deutsche Sprachausgabe und Texte

Kontra

  • monotone und teilweise frickelige Symbolsuche
  • kaum Erkundungsreize abseits der Wimmelbildjagd
  • großer Bruch zwischen Interaktion und Erzählung
  • extrem kleine, schnell durchschaute Spielwelt
  • sehr statische, unansehnlich designte Figuren
  • keinerlei aktiven Dialoge, nur zuhören
  • diverse Grafikfehler und Soundaussetzer
  • schwere Bugs zwingen zum Neustart

Wertung

PC

Bei aller Liebe zu Philip K. Dick: Auf so eine Spielrealität kann ich verzichten.