The Banner Saga 2 - Test, Taktik & Strategie, Switch, iPad, iPhone, Mac, Android, PC, XboxOne, PlayStation4
Rook sieht aus wie ein alter Wolf, vergrämt und gezeichnet. Der sympathische Jäger, der im ersten Teil von The Banner Saga eher unfreiwillig zum Anführer avancierte, hat seine Tochter Alette verloren. Das war scheinbar der Preis dafür, dass man dem Rest der Karawane etwas Zeit verschaffen konnte. Aber der heroische Sieg der Menschen über die Dredge und ihren dämonischen Anführer Sundr hat scheinbar nichts gebracht außer Verlust und mehr Gefahr: Ein gigantischer Lindwurm lässt die Erde beben, noch mehr Feinde fluten die Wälder und die Reste der Menschen und Varl werden wieder einmal zu Flüchtlingen. Welchen Sinn hat dieser Kampf noch? Rook stürzt sich verzweifelt in eine übermächtige Horde...
Die Fratze des Krieges
Varl? Skalden? Karawane? Ihr versteht nur Bahnhof? Dann empfehle ich euch dringend, den ersten Teil zu spielen.
Schon alleine aufgrund der vielen Charaktere, fremden Völker sowie Menschen und Konflikte, die man alle kennen sollte, weil sie hier wieder auftauchen. Immerhin beginnt man dieses The Banner Saga 2 (ab 39,95€ beiMoment, ich versteh nur...
Ich habe weiter mit Rook gespielt, der bald eine Flotte anführt. Als die bunten Langschiffe westwärts über den Fluss Ormsa segeln, sorgen der
englische Sprecher mit seinem nordischen Akzent, dazu die dezente, aber druckvoll einsetzende Musik von Austin Wintory, teilweise von Chören unterstützt, und die Kulise mit ihrem edlen Zeichenstrickstil, für ein sehr stimmungsvolles Ambiente - vor allem wenn die monumentalen Göttersteine langsam ins Bild ragen. Auch wenn man nur durch eine 2D-Landschaft marschiert, hinterlassen die scharf konturierten Ebenen, Wälder und Fjorde ein erhabenes Gefühl – die Karawane wirkt wie ein Wurm, der sich durch verschneite Gebirge oder grüne Fjordlandschaften schlängelt. Dieses Artdesign überzeugt fernab von Kitsch mit einer markanten, angenehm reifen Ästhetik. Auch wenn es sich hier um Fantasy handelt, wird das Edle und Erhabene der altnordischen Mythologie spürbar, ohne dass einen die Regie im überhöhten Pathos voll Pauken und Trompeten versinken ließe. Und das, obwohl es auch in diesem The Banner Saga 2 nicht nur um menschliche Konflikte, um Gemeinschaft und Vorurteile geht, sondern auch um das Schicksal der Welt.Fantasy mit altnordischer Ätshetik
All diese Multiple-Choice-Momente erinnern angenehm an Abenteuer-Spielbücher wie Sorcery!. Zwar führen sie nicht immer in komplett andere Situationen, aber sie haben immer Konsequenzen. In der Karawane befinden sich zu Beginn 597 Clansmen, die mit ihren Familien Vorräte beschaffen können, 286 Fighter, die genauso wie die 211 Varl kämpfen können - ihre Anzahl kann in manchen Konflikten entscheidend sein. Größere Schlachten werden allerdings weiter über ein Auswahlmenü simuliert: Trifft man z.B. auf eine Armee, hat man einige taktische Optionen, die nicht im Feld, sondern lediglich als Texte abgehandelt werden. Man kann vorwärts stürmen, sich offensiv formieren, den Feind defensiv aufhalten, sich zurückziehen oder erstmal die Lage sondieren.
Vorräte, Ruf und Moral
Zum einen gibt es jetzt häufiger Kommentare der Gefährten, sowohl auf der Reise als auch mitten im Kampf - das wirkt lebendiger und verleiht den Charakteren mehr Persönlichkeit. Zum anderen hat man die Rundengefechte nicht nur um wabernden Nebel sowie mehr überraschende oder magische Ereignisse, sondern auch um neue Feindtypen, Monster sowie zerstörbare Hindernisse auf dem Schlachtfeld bereichert, die man erstmal beseitigen oder umgehen muss; so können sich Bogenschützen oder Magier etwas länger halten. Es gibt kleine krabbelnde Kreaturen namens "Skulker", die einen aufhalten oder Dredge heilen, hinzu kommen neue Angriffsarten auf beiden Seiten. Und ganz wichtig: Man muss nicht immer bis zum letzten Mann kämpfen, sondern kann frühzeitig siegen, indem man Schlüsselfiguren ausschaltet oder eine bestimmte Rundenzahl ausharrt - eine gute Entscheidung.
Spätestens wenn sich die Karawane aufteilt und man neben Rook, dem Jäger, auch mit dem kleinen Trupp von Bolwerk
unterwegs ist, nimmt dieses Abenteuer richtig Fahrt auf. Der Perspektivwechsel zu diesem scheinbar unberechenbaren Varl, seiner knallharten Schildmaid und seinen scheinbar skrupellosen Söldnern, den Raben, ist einerseits erzählerisch interessant. Schließlich führt man jetzt in der Rolle dieses cholerischen Hünen die Gespräche, muss sich in seine Sichtweise hineinversetzen und kann - "guten" Gewissens? - auch mal die Sau lassen. Oder täuscht das Bild und man entdeckt in der Biografie dieses Varls ganz andere Züge? Findet es heraus. Sehr schön ist, dass man auch seine Entscheidungen treffen kann, ohne in ein moralisches Korsett gezwungen zu sein. Man kann seine toughen Krieger also auch mit Milde entsetzen...Unter dem schwarzen Banner der Raben
Und nicht zu vergessen: Bolwerk erfährt auf seiner Reise auch Dinge, von denen der andere Trupp nichts weiß - es ist
klasse, wie diese Zweigleisigkeit auch dramaturgisch genutzt wird. Zumal der Wechsel von Bolwerk zu Rook meist genau dann stattfindet, wenn die Neugier mit dem letzten Dialog oder einer Enthüllung nochmal verstärkt wurde. Stoic ködert einen mit seiner Erzählweise so geschickt, dass man kaum aufhören kann zu spielen.Andererseits ist seine Karawane auch spielerisch interessant: Der Trupp aus Menschen und wenigen gehörnten Riesen bzw. Varl trifft auf ganz andere Probleme und Charaktere als Rook und seine Gefährten. Zwar kämpfen auch sie rundentaktisch mit bis zu sechs ausgewählten Kriegern gegen Feind, aber da Bolwerk ein Berserker ist, muss man etwas anders in die Gefechte gehen - schließlich trifft er bei seinen wilden Hieben auch umstehende Freunde. Auch seine Schildmaid und sein Skalde haben spezielle Fähigkeiten wie den besonderen Schutz aller Umstehenden oder etwa Schmähverse, die den Verspotteten in seiner Inititaive nach hinten werfen, so dass er quasi schmollend aussetzen muss.
Schade bleibt, dass Höhen oder Untergründe weiter kaum eine Rolle im Kampf spielen; genauso wenig wie deutlich sichtbare Hindernisse, durch die man trotzdem Pfeile jagen kann. Die Gefechte finden auch weiterhin in einem flachen, relativ kleinen Raster statt. Sehr schön ist, dass man die kampfmechanischen Neuerungen im Lager trainieren kann. Und
zwar nicht einfach so, sondern inklusive Herausforderungen, die einem wichtige Belohnungen bringen. So kann man die richtige Taktik für jede Klasse finden. Aber ansonsten beruht das Kampfsystem weiter auf dem guten Fundament des Vorgängers: Man kämpft nicht wie so häufig eindimensional gegen Lebenspunkte der Gegner, sondern kann entweder ihre Rüstung oder ihre Angriffsstärke schwächen, die gleichzeitig ihre Gesundheit repräsentiert. Einen stark gepanzerten Feind muss man also erstmal weich klopfen, bevor man überhaupt durchschlagenden Schaden erzielen kann.Solides Kampfsystem
Hinzu kommen viele klassische Parameter, die für Vielfalt sorgen: Es gibt Nah- und Fernkämpfer sowie eine Art Magier; man kann Fallen auslegen, Öle per Pfeil entzünden, Blutungen auslösen oder Feinde per Rammattacke ein paar Felder wegschleudern. Man kann Gegner markieren, damit alle Verbündeten ihren Bogen auf sie richten. Man kann provozieren, um Schaden zu leiten; man kann seine Rüstung stärken oder die mehrerer Feinde über durchschlagende
Hiebe zerbröseln. Man kann die Initiative ändern und damit die wichtige Reihenfolge der Attacken beeinflussen. Es gibt Rundumschläge und Schusstechniken, die mehrere Feinde entweder im Uhrzeigersinn oder in einer ganzen Reihe treffen.Die letzte Würze kommt durch das Sternesystem hinzu: Man kann sowohl seine Bewegungsreichweite als auch seine Angriffe mit Sternen aufwerten, um weiter laufen oder schwerer zuschlagen zu können. Hinzu kommt eine universelle Anzahl für alle Beteiligten, wenn man Feinde tötet. Der Einsatz dieser Sterne kann über den Sieg entscheiden. Man muss also taktisch ein wenig umdenken, was sich auch auf die Charakterentwicklung mit ihren sechs Fähigkeiten auswirkt, denn mindestens genauso wichtig wie Strength sind z.B. Exertion und Break: Ersteres beeinflusst die Anzahl an Sternen, die man zusätzlich in Bewegung und Attacke investieren kann. Letzteres beeinflusst die Menge an Schaden, den man der Rüstung zufügt.Fazit
Ich habe The Banner Saga damals verschlungen, weil es die herkömmliche Rundentaktik um eine angenehm offene Erzählweise sowie eine markante Fanatsy-Spielwelt bereicherte, die altnordische Mythologie auf eigene Art interpretierte. Angesichts der langen Wartezeit von zwei Jahren war ich allerdings skeptisch. Kaum hatte ich ein paar Gespräche geführt und Gefechte ausgetragen, ließ mich das Schicksal von Rook, Bolwerk & Co nicht mehr los. Stoic präsentiert einen Nachfolger, der spielmechanisch leicht aufgewertet wurde und dramaturgisch zur Höchstform aufläuft. Die Kämpfe sind etwas abwechslungsreicher und flotter und die Gefährten wirken dank ihrer Kommentare lebendiger. Man hat neue Trainingsoptionen, trifft frische Charaktere, sieht mehr der toll animierten Zwischensequenzen. Die größte Stärke ist aber erneut die Regie. Es ist unheimlich befriedigend, in diese gut geschriebene Geschichte mit all ihren kleinen und großen Konsequenzen sowie Wendungen abzutauchen. Weil sich der Ruf sowie Moral direkt auf die Entwicklung der Charaktere und den Kauf sowie die verfügbare Willenskraft in den folgenden Rundenkämpfe auswirken, grübelt man länger, bevor man antwortet - eine tolle Verzahnung von erstklassigem Storytelling und strategischer Spielmechanik. Hier wird angenehm reif erzählt, ohne emotionalen Kitsch oder zu dick aufgetragenes Pathos. Es entwickelt sich ein Drama, das das Menschliche mit subtilen Untertönen und das Sagenhafte mit heroischen Momenten vereint. Schade nur, dass das Gelände in den Kämpfen immer noch flach bleibt und dass das "Finale" etwas enttäuscht - aber es gibt ja einen abschließenden dritten Teil.
Pro
- eleganter Zeichentrickstil
- Rook oder Alette sorgen für andere Erlebnisse
- interessante altnordische Fantasywelt
- mehr animierte Zwischensequenzen
- taktisch vielfältige Rundengefechte
- innovatives Kampf- und Entwicklungssystem
- neue Spezialisierungen wie Lucky Shot & Co
- Hindernisse im Gelände, mehr Kampfziele
- neue Charaktere, Klassen, Feindtypen
- gute erzählerische Dramaturgie mit zwei Perspektiven
- Charaktere mit persönlichen Kommentaren
- innovatives Reise- & Karawanen-System
- ständiges Grübeln über Einsatz von Ruhmpunkten
- viele Entscheidungen mit fatalen Konsequenzen
- man wird für Kämpfe und Entscheidungen belohnt
- Verletzte übernehmen Schaden
- sehr gut geschriebene offene Dialoge
- sieben Klassen mit Spezialmanövern
- einige sehr gute KI-Manöver
- eindringlicher Soundtrack
- drei Schwierigkeitsgrade
- Spielstand aus Teil 1 importierbar
Kontra
- schwache finale Kämpfe
- keine freie Routenwahl (bis auf wenige Entscheidungen)
- kein Blick auf Fähigkeiten in Heldenauswahl
- Feinde lassen sich nicht in Abgründe schubsen
- Höhe & Gelände spielen keine Rolle in Kämpfen
- nur englische Texte
- kein freies Speichern, nur automatisches
- kein Tagebuch, keine erzählerische Übersicht