Tokyo Mirage Sessions #FE - Test, Rollenspiel, Switch, Wii_U
Schon mit dem ersten Blick auf das knallbunte Design, das sich nicht nur durch die Menüs, sondern auch u.a. durch die Gesprächsbildschirme zieht, wird klar, dass Atlus bei Tokyo Mirage Sessions #FE die Nähe zur eigenen Persona-Serie sucht, die in Amerika noch dieses Jahr mit Teil 5 starten möchte. Und das setzt sich bei Ähnlichkeiten der Story bzw. Hauptfiguren fort. Beide setzen auf Jugendliche bzw. junge Erwachsene als Protagonisten. Elemente, die sich um Verantwortung, Loyalität oder das Erwachsenwerden drehen, findet man ebenfalls hier wie da. Sowohl in Persona als auch in Tokyo Mirage kämpfen die Hauptfiguren gegen eine geheimnisvolle Macht, die sich in ihrer Welt breit macht. Doch wo die Persona-Serie auf düstere Mystery setzt, in der die High-School-Schüler mitunter auch noch in einer Art „Lebensimulation light“ ihren Tagesablauf bzw. ihr Schulleben planen, konzentriert man sich hier auf die Kernelemente des japanischen Rollenspiels: Dialog, Level- bzw. Dungeonerforschung, Kämpfe und Charakteraufstieg – in dieser Schleife als Dauerberieselung.
Persona macht auf Personenkult
FE-Mirage statt Persona
Dennoch werden sich Fire-Emblem-Fans vermutlich wünschen, dass „ihre“ Inhalte besser und häufiger zur Geltung kommen würden. Denn im Kern ist Tokyo Mirage ein hinsichtlich der Komplexität und damit der Zugänglichkeit heruntergeregeltes Shin Megami Tensei, bei dem die Figuren mit Ausnahme von Tiki, die hier als Vocaloid auftaucht, nur einen gelungenen Cameo-Auftritt hinlegen. Der wertet das Rollenspiel zwar auch hinsichtlich des Artdesign auf, hätte aber auch problemlos mit x-beliebigen anderen Figuren erledigt werden können. Immerhin kommt auch beim rundenbasierten Kampfsystem die Vermengung beider Serien zum Tragen. Während man aus Fire Emblem das Schere-Stein-Papier-Prinzip hinsichtlich der Effektivität bestimmter Waffen kennt, wurden aus Shin Megami Tensei die Anfälligkeiten für bestimmte Elemente übernommen.
Obwohl man mit Musik oder Performance Arts als erzählerischem Hintergrund als Entwickler leicht in Versuchung kommen könnte, irgendwelche rhythmischen Elemente in den Kampf einzubauen, geht man hier einen konservativen Weg: Am oberen Bildschirmrand ist eine Aktionsleiste, die die Reihenfolge der nächsten Züge anzeigt, so dass man seine Angriffe entsprechend planen kann. Natürlich kann man nicht nur physisch attackieren, sondern auch per Magie. Man kann alternativ Gegenstände verwenden, um Statistik- und damit Kampfwerte temporär zu modifizieren oder Lebensenergie bzw. Mana heilen. Und mit Ausnahme von Itsuki kann man sein Kampftrio verändern, wenn man an der Reihe ist und Reserve in petto hat und so seine „Elementarzusammenstellung“ ändern, wenn man feststellt, dass man in der gegenwärtigen Gruppierung kaum eine Chance hat. Denn im Zusammenhang mit den Spezialfähigkeiten jeder Figur sowie den wechselbaren Waffen, von denen jede für ein bestimmtes Element steht, bekommen die klassisch geführten Auseinandersetzungen eine frische Note.
Kein Rhythmus-Prügler, sondern klassische Runde
Zwischen Kunst und Kitsch
Denn die sehen in der Tat weder besonders schön noch besonders homogen integriert aus. Allerdings habe ich meine eigene Theorie und sehe sie stellvertretend für die weitgehend anonyme Masse, die ihren Idolen auf der Bühne zujubelt sowie als Metapher für die Einsamkeit des Helden. Dadurch werden diese NPCs zwar nicht hübscher, aber sie passen sich so wunderbar in die Thematik ein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich Atlus bzw. Nintendo mit einer Designentscheidung neuer Fans berauben. Ich persönlich störe mich zwar nicht an der rein japanischen Sprachausgabe, die auch hierzulande nur mit englischen Untertiteln versehen wurde. Doch wer nur über das schicke Cover oder pure Neugier auf Tokyo Mirage Sessions stößt und dann feststellt, dass er akustisch gar nichts und ggf. textuell nur wenig versteht, wird trotz aller inhaltlicher Vorzüge nur wenig Spaß haben.
Zeitfresser
Schade ist allerdings, dass die Anzahl der erlaubten Spezialoptionen limitiert ist. So muss man irgendwann bei jeder hinzukommenden Fähigkeit entscheiden, ob man sie ignoriert (und sie dann verfällt) oder sie "anlegt" und dafür eine andere permanent verliert. Da man hier u.U. zu Gunsten einer neuen Option auf eine Elementarkraft verzichtet, man aber kurz darauf feststellt, dass man genau diese noch brauchen könnte, kommt ab und an leichter Frust auf. Da man aber beinahe überall speichern kann, lässt sich dieser Trial&Error-Prozess auf ein erträgliches Maß an Zeitaufwand reduzieren.
Fazit
Während mit Square ein alter Haudegen des klassischen japanischen Rollenspiels mit seinen Traditionen und der Moderne kämpft, geht Atlus unbeirrt seinen Weg und zementiert seinen Ruf als JRPG-Spezialist erster Güteklasse. Ja: Das als Shin Megami Tensei X Fire Emblem gestartete und mittlerweile als Tokyo Mirage Sessions #FE veröffentliche Abenteuer ist hinsichtlich der Mechanik und der Präsentationsschleifen (Gespräch, Levelerforschung, Kampf usw.) so konservativ wie das Artdesign knallbunt und poppig. Hinsichtlich der Geschichte kann das nur auf Japanisch mit englischen Untertiteln erhältliche Abenteuer ebenfalls bestenfalls Durchschnittswerte erreichen. Doch was man in diesem "Persona light" mit seinem Popkultur- und Idol-Fokus aus dem klassischen Rundenkampf herausholt, ist großes Kino. Die aufwändig inszenierten Auseinandersetzungen bieten zusammen mit der umfangreichen Personalisierung sowie den leider numerisch zu limitierten erlernbaren Fähigkeiten eine enorme taktische Tiefe, die über kleine erzählerische Unzulänglichkeiten hinweg trösten kann. Eine unter dem Strich für Wii-U-Verhältnisse sehr ansehnliche Kulisse sorgt zusammen mit den absolut gelungenen J-Pop-Kompositionen sowie dem Instrumental-Soundtrack für einen sehr stimmungsvollen Abstecher in die Welt von Stars, Sternchen, Vocaloids und Möchtegerns. Schade ist allerdings, dass die Fire-Emblem-Einflüsse sich außerhalb des Kampfes auf wenig mehr als Cameo-Auftritte der Fantasy-Helden von Intelligent Systems beschränken. Dennoch: Zum vermeintlichen Ende der Wii-U-Ära bekommt die Konsole ein gelungenes J-RPG, auf das die Fans anderer Systeme zumindest bis zum Start von Persona 5 neidvoll schauen.
Pro
- starker J-Pop-Soundtrack
- schicke Anime-Zwischensequenzen
- Rundenkämpfe mit Elementar-Schere-Stein-Papier-Prinzip
- gelungenes farbenfrohes Artdesign
- umfangreiche Personalisierungsmöglichkeiten in mehreren Ebenen
- skurriles Gegnerdesign
- sowohl per Wii-U-Gamepad als auch mit Pro Controller spielbar
- nur wenig Grind
Kontra
- Fire Emblem nur für Cameo-Auftritte genutzt
- plakative Story
- unnötige Beschränkung bei erlernbaren Fähigkeiten
- keine deutschen Untertitel
- kleine Hub-Welten