Fallout 4: Far Harbor - Test, Rollenspiel, PlayStation4, PC, XboxOne

Fallout 4: Far Harbor
26.05.2016, Jörg Luibl

Test: Fallout 4: Far Harbor

Im Nebel der Grauens

Fallout 4 hat immer noch etwas zu bieten. Und nach "Automatron" sowie "Wasteland Workshop" bekommen Rollenspieler jetzt deutlich gehaltvolleren Nachschlag. Bethesda verspricht in "Far Harbor" nicht weniger als die größte Landmasse, die man je für eine Erweiterung erschaffen hat, dazu frische Quests und Charaktere. Lohnt sich der Trip auf die Nebelinsel?

Kaum startet man Fallout 4 mit der installierten Erweiterung, klingelt es auch schon im Pip-Boy: Die Detektei Valentine hat einen neuen Klienten - und es ist ihm sehr wichtig. Kein Wunder, dass es Herr Nakano verdammt eilig hat, denn seine Tochter wurde scheinbar entführt. Das klingt vertraut schmerzhaft und so macht man sich erst auf den Weg nach Diamond City, danach in den Norden zur Ostküste Maines, um mehr Informationen bei der Familie zu recherchieren. Ihr könnt natürlich einen Begleiter eurer Wahl mitnehmen - egal ob Schäferhund, Roboter oder Supermutant.

Detektei Valentine is calling

Kaum erreicht man mit seinem Kutter die Insel, geht der Ärger los...
Schon in den Gesprächen mit Vater und Mutter macht die Story neugierig, denn die beiden sind sich nicht ganz einig: Wollte die Tochter vielleicht weg von Zuhause? Warum folgte sie diesem mysteriösen Signal auf die verstrahlte Insel im Atlantik? Dachte sie tatsächlich, sie wäre ein Synth? Voller Fragen besteigt man ein Boot und erreicht Far Harbor, das einen verfluchten Ruf genießt. Die Begrüßung ist nicht nur schroff, man muss auch gleich einen Überfall gegen grauenhafte Kreaturen abwehren, die wie mutierte Gespenster durch den Nebel angreifen - John Carpenters' "The Fog" lässt grüßen.

Schaut man sich zum ersten Mal in Far Harbor um, bemerkt man zwar wie klein es ist

Statt frisch gekochtem Hummer gibt es in Far Harbor eben Mirelurk in XXL. Aber in der Wildnis lauern weit größere Kreaturen.
und dass gerade Mimik und Gestik nach Uncharted 4 mittelalterlich anmuten; hinzu kommen die bekannten Glitches und Grafikbugs, wenn Figuren plötzlich zittern, sich falsch abwenden oder halb im Boden versinken. 

Kleine Hafenstadt, große Probleme

Aber dafür hat nahezu jeder Bewohner etwas zu sagen, es gibt reichlich maritimes Flair von der Harpunenwaffe bis zum frisch gekochten Mirelurk und außerhalb entdeckt man auch die idyllischen Seiten der schroffen Küste mit ihren Wracks und Walskeletten. Das ist schon sehr stimmungsvoll, wenn man von der Brandung begleitet durch den Dunst tigert. Bethesda inszeniert den Einstieg gut, weil er nicht nur detektivisch lockt, sondern auch die dramatische Lage der Bewohner sowie das Fremdartige und Verheerte dieser Region darstellt.

Was sind das für Bestien, die wie mutierte

Zu den neuen Waffen gehören auch Harpunen.
Anglerfische aussehen? Wozu brauchen die Leute diese Nebelkondensatoren? Und was lauert noch da draußen? Wenn man alleine zwischen den radiokativen Schwaden unterwegs ist, gibt es auch situatives Gruselflair, wenn plötzlich etwas im Wald tiefkehlig brüllt. Vor allem die trügerische Ruhe vor diesen Schockmomenten gelingt der Regie gut. Mitunter fühlt man sich im vernebelten Wald an Alan Wake erinnert. Aber keine Bange: Mit einem Charakter ab Level 30 und einigermaßen schussgewaltiger Ausrüstung sind zumindest die normalen Erkundungen und Kämpfe kein Problem - zur Not kauft man sich einige der exklusiven Totmacher. Das Leitmotiv dieses Abenteuers ist jedenfalls nicht Survival-Horror in der Wildnis, sondern die allgegenwärtige Bedrohung der kompletten Insel.

Und damit gehen drei Fraktionen ganz unterschiedlich um: die paranoiden Menschen im Hafen, die rätselhaften Synths in ihrer abgeschotteten Kolonie "Arcadia" sowie die fanatischen "Kinder des Atoms" in ihrem heiligen U-Boot. Es gibt Prediger, Überläufer, Spione, Hardliner und selbst innerhalb der Lager sehr viel Misstrauen. Man hat das böse Gefühl, dass die Lage hier eskalieren kann, was in einigen Zwischenfällen auch sehr schön inszeniert wird. Man muss sich auf die Situation sowie die Motive frisch einlassen, die hier etwas vertrackter sind, zumal man sich in vielen Gesprächen entscheiden kann. Und es ist schön, dass man das große Ganze nicht auf Anhieb durchschaut, dass Gut und Böse in Grauzonen verschwimmen.

Drei Fraktionen, ein Inselschicksal

Der alte Longfellow ist ein hilfreicher Begleiter. Und er kann singen.
Da muss man sich erstmal Unterstützung mit lokalem Know-how suchen. Ihr sucht vielleicht Ersatz für den charismatischen Nick Valentine als Begleiter? Versucht es mit dem bärbeißigen Mitt-Level-30er-Longfellow: Der rüstige Graubart wartet in der Taverne, kennt den Weg nach Arcadia, hat immer einen guten Ratschlag parat - selbst wenn es nur Whiskey oder Socken betrifft - und er singt sogar. Je nachdem wie ihr euch in Quests verhaltet, könnt ihr wie im Hauptspiel natürlich die Beziehung zu ihm verbessern.

Die Suche nach der Tochter ist lediglich der erzählerische Köder und schnell erledigt.

Was führt DiMA, der Anführer der Synth-Kolonie, im Schilde? Je nachdem wie ihr mit den Fraktionen umgeht, verändert sich das Schicksal der Insel.
Erst danach öffnet sich die sehr interessante Geschichte, die einen immer weiter in den machtpolitischen Konflikt hineinzieht, der von sehr charismatischen Anführern getragen wird - vor allem der Synth DiMA sticht als markante Persönlichkeit heraus, aber auch die durchgeknallten Riten der Atomsekte bleiben in Erinnerung. Wem hilft man? Wem vertraut man? Wer ohne Recherche lediglich der Hauptquest folgt, kann sie recht fix in ein paar Stunden abschließen. Wer sich die Zeit nimmt, alle Motive sowie Nebenschauplätze kennen zu lernen kommt auf fünfzehn bis zwanzig Stunden. Und man sollte ruhig vorghehen: Schließlich kann man das Schicksal der Insel mit seinen Handlungen beeinflussen.

Charismatische Figuren, viele Nebenquests

Natürlich kann man auch nebenbei viel erledigen, schließlich wollen die Hafenbewohner ihren Wall befestigen und brauchen Material, sowohl Menschen als auch Synths werden vermisst, eine alte Frau will Rache für ihre Familie, es gibt Schiffswracks und Industriebrachen, finseter Tunnel und gespenstische Dörfer. Kaum hat man ein paar Gespräche geführt, gibt es viele Nebenquests, die mehr als Suche und Zerstöre zu bieten haben. In einem Hotel gilt es z.B. einen Mordfall unter Robotern inklusive Recherche aufzuklären - mit tollen Gesprächen sowie Überraschungen.

Fazit

Von allen bisherigen Erweiterungen zu Fallout 4 ist Far Harbor die gehaltvollste. Bethesda entführt Veteranen auf eine verfluchte Insel, die inkl. der Nebenquests über mehr als fünfzehn Stunden nicht nur maritimes Flair und ein paar neue Monster oder Waffen für Spieler ab etwa Level 30 anbietet. Abseits brachialer Kämpfe kommen einige tolle Gruselmomente hinzu, die Stimmung in den vernebelten Wäldern erinnert mitunter an Alan Wake und es gibt viel zu entdecken, was Story, Figuren und Orte betrifft - vor allem die detektivischen Untersuchungen, einige eskalierende Situationen sowie die charismatischen Charaktere stechen heraus. Das Abenteuer beginnt als einfache Vermisstensuche, bevor es den Spieler in die lokale Machtpolitik zwischen drei Fraktionen verstrickt, die so manche Überraschung parat hat und knifflige Entscheidungen verlangt. Wer Lust auf Endzeitnachschlag mit offenem Ende hat, wird hier sehr gut unterhalten.

Einschätzung: sehr gut

[Bei Tests von Erweiterungen geben wir keine Prozentwertung, sondern lediglich eine Schulnote. Außerdem fallen Pros und Kontras weg. Anm.d.Red.]

Wertung

PlayStation4

Etwas Gruselflair, heikle Machtpolitik: Wer noch Lust auf Endzeitnachschlag mit offenem Ende hat, wird hier sehr gut unterhalten.

PC

Etwas Gruselflair, heikle Machtpolitik: Wer noch Lust auf Endzeitnachschlag mit offenem Ende hat, wird hier sehr gut unterhalten.

XboxOne

Etwas Gruselflair, heikle Machtpolitik: Wer noch Lust auf Endzeitnachschlag mit offenem Ende hat, wird hier sehr gut unterhalten.