Fallout 4: Far Harbor - Test, Rollenspiel, PlayStation4, PC, XboxOne
Kaum startet man Fallout 4 mit der installierten Erweiterung, klingelt es auch schon im Pip-Boy: Die Detektei Valentine hat einen neuen Klienten - und es ist ihm sehr wichtig. Kein Wunder, dass es Herr Nakano verdammt eilig hat, denn seine Tochter wurde scheinbar entführt. Das klingt vertraut schmerzhaft und so macht man sich erst auf den Weg nach Diamond City, danach in den Norden zur Ostküste Maines, um mehr Informationen bei der Familie zu recherchieren. Ihr könnt natürlich einen Begleiter eurer Wahl mitnehmen - egal ob Schäferhund, Roboter oder Supermutant.
Detektei Valentine is calling
Schaut man sich zum ersten Mal in Far Harbor um, bemerkt man zwar wie klein es ist
und dass gerade Mimik und Gestik nach Uncharted 4 mittelalterlich anmuten; hinzu kommen die bekannten Glitches und Grafikbugs, wenn Figuren plötzlich zittern, sich falsch abwenden oder halb im Boden versinken.Kleine Hafenstadt, große Probleme
Aber dafür hat nahezu jeder Bewohner etwas zu sagen, es gibt reichlich maritimes Flair von der Harpunenwaffe bis zum frisch gekochten Mirelurk und außerhalb entdeckt man auch die idyllischen Seiten der schroffen Küste mit ihren Wracks und Walskeletten. Das ist schon sehr stimmungsvoll, wenn man von der Brandung begleitet durch den Dunst tigert. Bethesda inszeniert den Einstieg gut, weil er nicht nur detektivisch lockt, sondern auch die dramatische Lage der Bewohner sowie das Fremdartige und Verheerte dieser Region darstellt.
Was sind das für Bestien, die wie mutierte
Anglerfische aussehen? Wozu brauchen die Leute diese Nebelkondensatoren? Und was lauert noch da draußen? Wenn man alleine zwischen den radiokativen Schwaden unterwegs ist, gibt es auch situatives Gruselflair, wenn plötzlich etwas im Wald tiefkehlig brüllt. Vor allem die trügerische Ruhe vor diesen Schockmomenten gelingt der Regie gut. Mitunter fühlt man sich im vernebelten Wald an Alan Wake erinnert. Aber keine Bange: Mit einem Charakter ab Level 30 und einigermaßen schussgewaltiger Ausrüstung sind zumindest die normalen Erkundungen und Kämpfe kein Problem - zur Not kauft man sich einige der exklusiven Totmacher. Das Leitmotiv dieses Abenteuers ist jedenfalls nicht Survival-Horror in der Wildnis, sondern die allgegenwärtige Bedrohung der kompletten Insel.Und damit gehen drei Fraktionen ganz unterschiedlich um: die paranoiden Menschen im Hafen, die rätselhaften Synths in ihrer abgeschotteten Kolonie "Arcadia" sowie die fanatischen "Kinder des Atoms" in ihrem heiligen U-Boot. Es gibt Prediger, Überläufer, Spione, Hardliner und selbst innerhalb der Lager sehr viel Misstrauen. Man hat das böse Gefühl, dass die Lage hier eskalieren kann, was in einigen Zwischenfällen auch sehr schön inszeniert wird. Man muss sich auf die Situation sowie die Motive frisch einlassen, die hier etwas vertrackter sind, zumal man sich in vielen Gesprächen entscheiden kann. Und es ist schön, dass man das große Ganze nicht auf Anhieb durchschaut, dass Gut und Böse in Grauzonen verschwimmen.
Drei Fraktionen, ein Inselschicksal
Die Suche nach der Tochter ist lediglich der erzählerische Köder und schnell erledigt.
Erst danach öffnet sich die sehr interessante Geschichte, die einen immer weiter in den machtpolitischen Konflikt hineinzieht, der von sehr charismatischen Anführern getragen wird - vor allem der Synth DiMA sticht als markante Persönlichkeit heraus, aber auch die durchgeknallten Riten der Atomsekte bleiben in Erinnerung. Wem hilft man? Wem vertraut man? Wer ohne Recherche lediglich der Hauptquest folgt, kann sie recht fix in ein paar Stunden abschließen. Wer sich die Zeit nimmt, alle Motive sowie Nebenschauplätze kennen zu lernen kommt auf fünfzehn bis zwanzig Stunden. Und man sollte ruhig vorghehen: Schließlich kann man das Schicksal der Insel mit seinen Handlungen beeinflussen.Charismatische Figuren, viele Nebenquests
Natürlich kann man auch nebenbei viel erledigen, schließlich wollen die Hafenbewohner ihren Wall befestigen und brauchen Material, sowohl Menschen als auch Synths werden vermisst, eine alte Frau will Rache für ihre Familie, es gibt Schiffswracks und Industriebrachen, finseter Tunnel und gespenstische Dörfer. Kaum hat man ein paar Gespräche geführt, gibt es viele Nebenquests, die mehr als Suche und Zerstöre zu bieten haben. In einem Hotel gilt es z.B. einen Mordfall unter Robotern inklusive Recherche aufzuklären - mit tollen Gesprächen sowie Überraschungen.
Fazit
Von allen bisherigen Erweiterungen zu Fallout 4 ist Far Harbor die gehaltvollste. Bethesda entführt Veteranen auf eine verfluchte Insel, die inkl. der Nebenquests über mehr als fünfzehn Stunden nicht nur maritimes Flair und ein paar neue Monster oder Waffen für Spieler ab etwa Level 30 anbietet. Abseits brachialer Kämpfe kommen einige tolle Gruselmomente hinzu, die Stimmung in den vernebelten Wäldern erinnert mitunter an Alan Wake und es gibt viel zu entdecken, was Story, Figuren und Orte betrifft - vor allem die detektivischen Untersuchungen, einige eskalierende Situationen sowie die charismatischen Charaktere stechen heraus. Das Abenteuer beginnt als einfache Vermisstensuche, bevor es den Spieler in die lokale Machtpolitik zwischen drei Fraktionen verstrickt, die so manche Überraschung parat hat und knifflige Entscheidungen verlangt. Wer Lust auf Endzeitnachschlag mit offenem Ende hat, wird hier sehr gut unterhalten.
Einschätzung: sehr gut
[Bei Tests von Erweiterungen geben wir keine Prozentwertung, sondern lediglich eine Schulnote. Außerdem fallen Pros und Kontras weg. Anm.d.Red.]