Edge of Nowhere - Test, Action-Adventure, PC, OculusRift, VirtualReality

Edge of Nowhere
11.07.2016, Mathias Oertel

Test: Edge of Nowhere

Alter Horror, neues Erlebnis

Braucht man zwangsläufig neue Konzepte, um Spiele innerhalb der virtuellen Realität interessant zu machen? Nicht, wenn es nach Insomniac Games geht: Die Macher von Ratchet & Clank oder Sunset Overdrive widmen sich für ihre VR-Premiere auf Oculus Riftdem klassischen Survival-Horror. Wir schauen im Test, ob sich mit dem Headset eine neue Form der Spannung einstellt.

Clever, Insomniac, clever: Ihr lenkt mich mit einem Geräusch ab, setzt darauf, dass ich der angeborenen Neugier folgend der akustischen Karotte mit einem Blick nachgehe, baut dann Spannung auf und erschreckt mich, sobald ich mich wieder umdrehe. Und das schon im Einstieg. Hinter dem Anfang der 1930er Jahre sowie hauptsächlich in der Antarktis spielenden Abenteuer steckt ganz klassischer Survival-Horror. Thematisch irgendwo zwischen "Das Ding aus einer anderen Welt" sowie Lovecrafts Cthulhu-Mythos angesiedelt, ist man in der Rolle des Wissenschaftlers Victor Howard unterwegs, um seine Verlobte Ava Thorne zu suchen. Sie ist ebenfalls Wissenschaftlerin und war Teil einer Expedition, die sich seit Wochen nicht mehr gemeldet hat.

Schrecksekunde

Die Gefechte gegen die skurrilen Gegner wirken in der virtuellen Realität intensiv.
Man steuert Victor aus der Schulterperspektive, wobei Insomniac die Kameraposition vorgibt, man aber durch Kopfbewegung die Ausrichtung manipulieren kann, so dass man jederzeit einen kompletten Rundumblick auf die ansehnliche, wenngleich naturgemäß eher karge Kulisse hat . Und dies nutzt Edge of Nowhere nicht nur, um anfänglich leichte Bewegungskrankheit zu induzieren, an die ich mich aber nach wenigen Minuten gewöhnt hatte oder um billige, aber sehr effektive Schreckmomente („Jumpscares“) zu erzeugen. Man nutzt die feste Kameraposition auch, um den Spieler in der kalten VR-Welt immer wieder mit Elementen wie Höhenangst, einschnürender Enge, Dunkelheit (in der nur die durch die Kopfbewegung gesteuerte Taschenlampe einen Hoffnungsschimmer abgibt) oder den Wahnvorstellungen Victors zu konfrontieren, wenn die virtuelle Spielwelt mit den zunehmenden Halluzinationen verschwimmt. Und man kann sich dem nicht entziehen, indem man wie am normalen TV einfach mal den Blick zur Seite wendet. Hier gibt es hinter dem Headset kein Entkommen.

Insomniac gelingt es, den konventiollen Survival-Horror-Mechaniken mit VR eine neue Immersion zu verleihen.
Auch Kletterpartien an schroffen und nicht enden wollenden Eiswänden à la Tomb Raider, brachiale Kämpfe, die man entweder mit dem Eispickel oder den zwei nur knapp munitionierten Schusswaffen bestreitet (deren Fadenkreuz man intuitiv und genau mit dem Kopf lenkt), gehören zu diesem Abenteuer. Verfolgungsjagden, bei denen der entschleunigte Horror unerbittlich Fahrt aufnimmt, ohne dass es zu Problemen mit „Motion Sickness“ kommt, muss man ebenso überleben wie Schleichsequenzen, in denen man die innerhalb einer breit gestreuten Feindauswahl nur auf Geräusche reagierenden Gegner überlisten muss. Es ist erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln Edge of Nowhere für Spannung unter dem VR-Helm sorgt. Wäre dies ein Spiel, das nur auf dem Monitor oder dem Fernseher gespielt würde, dürften die meisten Situationen bei Horror-Fans, deren Nerven durch Titel wie Outlast, Slender und ähnlichen Ego-Schrecken gestählt wurden, trotz der lupenreinen Inszenierung vermutlich nur für ein müdes Lächeln sorgen.

Mittendrin statt nur dabei

Doch hier nutzt Insomniac die virtuelle Realität und die damit verbundene „Eingeschlossenheit“ des Spielers sowie den 3D-Effekt, um effektive Schrecksekunden zu inszenieren. Das Zusammenspiel aus Akustik sowie visuellen Elementen sorgt dafür, dass ich mich immer wieder panisch umschaue, weil mir die Soundkulisse suggeriert, dass sich über, hinter oder neben mir etwas bewegt – oder war es doch nur abermals Victors Verstand der ihm bzw. mir einen Streich spielt? In diesen Momenten beweist Edge of Nowhere eindrucksvoll, dass VR auch klassisches Spieldesign aufwerten kann. Es gibt hier keinerlei neue Konzepte. Nichts, was nicht auch in anderen Horror-Spielen zu sehen wäre. Doch durch die Nähe und die Immersion, die selbst in der Schulterperspektive entsteht, öffnet Insomniac die Tür zu einer neuen Survival-Erfahrung. Und nach diesem Antarktis-Abenteuer bin ich zuversichtlich, dass es Capcom mit Resident Evil 7 gelingen könnte, diese Tür nicht nur einen Spalt zu öffnen, sondern auch den Schritt hindurch zu machen.

Das Spiel mit Licht und Dunkelheit sorgt hinter der Brille für Spannungsmomente.
Dass Insomniac trotz ansehnlicher Kulisse und teils verstörender Akustik (mit ordentlicher deutscher Lokalisierung) nur verhalten anklopft, liegt vor allem an der unharmonischen Vermengung all dieser Elemente. Das ohnehin nicht hohe Tempo wird immer wieder unnötig verschleppt. Vor allem das simple sowie überstrapazierte Schleichen ist für mich immer wieder ein Bremsblock. Bedingt durch die sehr vorhersehbare KI und die eingeschränkten Möglichkeiten bei Entdeckung mutieren diese Sequenzen zu häufig zu Trial&Error. Wenn man hier ebenso viel Sorgfalt an den Tag gelegt hätte wie beim allgemeinen, durch die Kameraposition entstehenden Spannungsaufbau, hätten die Stealth-Elemente zu einem Höhepunkt werden können.

Verpasste Chancen

Doch dies bleibt den Wahnvorstellungen Victors vorbehalten, bei denen unvermutet das komplette Thema der Kulisse

Virtuelle Spielwelt und Halluzination der Hauptfigur verschwimmen zunehmend.
wechselt und man nicht mehr weiß, was gespielte Erinnerungen und was Halluzinationen sind. Spektakulär wirken z.B. die weißen Panoramen, in denen man sich durch ein Schneegestöber vorwärts tastet, während ein spinnenartiges  Albtraummonster in der Größe eines mittleren Mehrfamilienhauses einen jagt und man versucht, den riesigen Beinstümpfen auszuweichen, während die Eisschollen unter einem auseinanderbrechen.  Der Atmosphäre abträglich sind jedoch die in der Gegend verstreuten Tagebucheinträge. Damit meine ich nicht die inhaltliche Komponente – die Nachrichten und  Gedanken erweitern die Spielwelt und starten in den meisten Fällen ein Kopfkino. Allerdings werden sie durch einen radikalen Kameraschnitt eingeleitet, in dem Victor gezeigt wird, wie er das Journal studiert. Und die dann folgende Position hat auf mich zu häufig desorientierend gewirkt und mich dadurch aus der Spielwelt gezogen.

Fazit

Machen wir uns nichts vor: Die Kernelemente von Edge of Nowhere sind jedes für sich betrachtet weder neu noch ungewöhnlich. Ohne VR-Einsatz wäre der Antarktis-Ausflug der Resistance-Macher nur ein relativ biederes, aber ansehnliches Survival-Abenteuer, das es über weite Teile nicht mit Outlast & Co aufnehmen könnte. Doch hinter der Brille entsteht mehr Kopfkino: Insomniac nutzt die durch die 360-Grad-Umgebung entstehende Immersion, um die bekannten Mechaniken mit Hilfe der virtuellen Realität aufzuwerten und zu einem über große Strecken spannenden Kampf ums Überleben zu machen. Sie setzen Akustik und Kulisse in geschicktem Zusammenspiel nicht nur ein, um effektive Schreckmomente zu inszenieren, sondern auch, um den schleichenden Wahnsinn der Hauptfigur spürbar zu machen. Dabei fällt allerdings das überstrapazierte Schleichen negativ auf, das mit seiner Trial&Error-Funktionalität deutlich an Intensität verliert. Auch die sprunghaften sowie desorientierenden Wechsel der Kamera in bestimmten Erzählsequenzen dämpfen die Atmosphäre. Dennoch zeigt Insomniac, dass es nicht immer neue Konzepte braucht, um die Vorzüge der virtuellen Realität zu demonstrieren.

Pro

  • Erweiterung eines klassischen Konzeptes durch VR-Immersion
  • ansehnliche Kulisse mit schicken 3D-Effekten
  • gelungene Vermischung aus realer Spielwelt und surrealen Wahnvorstellungen
  • gute Integration der Bewegungs-/Kamerasteuerung per Kopf
  • geschicktes Zusammenspiel aus Akustik und Kulisse sorgt hinter der Brille für eine erweiterte Spielerfahrung
  • Mischung zahlreicher Elemente (Klettern, Kampf, Schleichen, Erforschung, Verfolgung) sorgt für interessante Tempowechsel

Kontra

  • Schleichen bleibt oberflächlich und wird überstrapaziert
  • ohne VR-Erfahrung nur eine "simple" Sammlung bekannter Mechaniken
  • Spannungsbogen wird nicht bei allen Elementen aufrecht gehalten

Wertung

OculusRift

Die klassischen Survival-Elemente gewinnen durch VR eine neue Immersionsstufe. Insomniac zeigt, dass man nicht immer neue Konzepte benötigt, um interessante VR-Spiele abzuliefern.

VirtualReality

Die klassischen Survival-Elemente gewinnen durch VR eine neue Immersionsstufe. Insomniac zeigt, dass man nicht immer neue Konzepte benötigt, um interessante VR-Spiele abzuliefern.

Kommentare
Tas Mania

Fazit: 5 Jahre später mit einer Hp Reverb G2 ein Optischer, Leckerbissen und verdammt gutes Spiel. Ich würde dem game locker ne 80 geben.

vor 3 Jahren