Edge of Nowhere - Test, Action-Adventure, PC, OculusRift, VirtualReality
Clever, Insomniac, clever: Ihr lenkt mich mit einem Geräusch ab, setzt darauf, dass ich der angeborenen Neugier folgend der akustischen Karotte mit einem Blick nachgehe, baut dann Spannung auf und erschreckt mich, sobald ich mich wieder umdrehe. Und das schon im Einstieg. Hinter dem Anfang der 1930er Jahre sowie hauptsächlich in der Antarktis spielenden Abenteuer steckt ganz klassischer Survival-Horror. Thematisch irgendwo zwischen "Das Ding aus einer anderen Welt" sowie Lovecrafts Cthulhu-Mythos angesiedelt, ist man in der Rolle des Wissenschaftlers Victor Howard unterwegs, um seine Verlobte Ava Thorne zu suchen. Sie ist ebenfalls Wissenschaftlerin und war Teil einer Expedition, die sich seit Wochen nicht mehr gemeldet hat.
Schrecksekunde
Mittendrin statt nur dabei
Doch hier nutzt Insomniac die virtuelle Realität und die damit verbundene „Eingeschlossenheit“ des Spielers sowie den 3D-Effekt, um effektive Schrecksekunden zu inszenieren. Das Zusammenspiel aus Akustik sowie visuellen Elementen sorgt dafür, dass ich mich immer wieder panisch umschaue, weil mir die Soundkulisse suggeriert, dass sich über, hinter oder neben mir etwas bewegt – oder war es doch nur abermals Victors Verstand der ihm bzw. mir einen Streich spielt? In diesen Momenten beweist Edge of Nowhere eindrucksvoll, dass VR auch klassisches Spieldesign aufwerten kann. Es gibt hier keinerlei neue Konzepte. Nichts, was nicht auch in anderen Horror-Spielen zu sehen wäre. Doch durch die Nähe und die Immersion, die selbst in der Schulterperspektive entsteht, öffnet Insomniac die Tür zu einer neuen Survival-Erfahrung. Und nach diesem Antarktis-Abenteuer bin ich zuversichtlich, dass es Capcom mit Resident Evil 7 gelingen könnte, diese Tür nicht nur einen Spalt zu öffnen, sondern auch den Schritt hindurch zu machen.
Verpasste Chancen
Doch dies bleibt den Wahnvorstellungen Victors vorbehalten, bei denen unvermutet das komplette Thema der Kulisse
wechselt und man nicht mehr weiß, was gespielte Erinnerungen und was Halluzinationen sind. Spektakulär wirken z.B. die weißen Panoramen, in denen man sich durch ein Schneegestöber vorwärts tastet, während ein spinnenartiges Albtraummonster in der Größe eines mittleren Mehrfamilienhauses einen jagt und man versucht, den riesigen Beinstümpfen auszuweichen, während die Eisschollen unter einem auseinanderbrechen. Der Atmosphäre abträglich sind jedoch die in der Gegend verstreuten Tagebucheinträge. Damit meine ich nicht die inhaltliche Komponente – die Nachrichten und Gedanken erweitern die Spielwelt und starten in den meisten Fällen ein Kopfkino. Allerdings werden sie durch einen radikalen Kameraschnitt eingeleitet, in dem Victor gezeigt wird, wie er das Journal studiert. Und die dann folgende Position hat auf mich zu häufig desorientierend gewirkt und mich dadurch aus der Spielwelt gezogen.Fazit
Machen wir uns nichts vor: Die Kernelemente von Edge of Nowhere sind jedes für sich betrachtet weder neu noch ungewöhnlich. Ohne VR-Einsatz wäre der Antarktis-Ausflug der Resistance-Macher nur ein relativ biederes, aber ansehnliches Survival-Abenteuer, das es über weite Teile nicht mit Outlast & Co aufnehmen könnte. Doch hinter der Brille entsteht mehr Kopfkino: Insomniac nutzt die durch die 360-Grad-Umgebung entstehende Immersion, um die bekannten Mechaniken mit Hilfe der virtuellen Realität aufzuwerten und zu einem über große Strecken spannenden Kampf ums Überleben zu machen. Sie setzen Akustik und Kulisse in geschicktem Zusammenspiel nicht nur ein, um effektive Schreckmomente zu inszenieren, sondern auch, um den schleichenden Wahnsinn der Hauptfigur spürbar zu machen. Dabei fällt allerdings das überstrapazierte Schleichen negativ auf, das mit seiner Trial&Error-Funktionalität deutlich an Intensität verliert. Auch die sprunghaften sowie desorientierenden Wechsel der Kamera in bestimmten Erzählsequenzen dämpfen die Atmosphäre. Dennoch zeigt Insomniac, dass es nicht immer neue Konzepte braucht, um die Vorzüge der virtuellen Realität zu demonstrieren.
Pro
- Erweiterung eines klassischen Konzeptes durch VR-Immersion
- ansehnliche Kulisse mit schicken 3D-Effekten
- gelungene Vermischung aus realer Spielwelt und surrealen Wahnvorstellungen
- gute Integration der Bewegungs-/Kamerasteuerung per Kopf
- geschicktes Zusammenspiel aus Akustik und Kulisse sorgt hinter der Brille für eine erweiterte Spielerfahrung
- Mischung zahlreicher Elemente (Klettern, Kampf, Schleichen, Erforschung, Verfolgung) sorgt für interessante Tempowechsel
Kontra
- Schleichen bleibt oberflächlich und wird überstrapaziert
- ohne VR-Erfahrung nur eine "simple" Sammlung bekannter Mechaniken
- Spannungsbogen wird nicht bei allen Elementen aufrecht gehalten