This Is the Police - Test, Adventure, Switch, Linux, XboxOne, Mac, PlayStation4, PC

This Is the Police
27.07.2016, Jörg Luibl

Test: This Is the Police

Zwischen den Fronten

Wie arbeitet eigentlich ein Polizeichef, der mit 60 Jahren kurz vor der Pension steht? Wie geht er mit politischer Korruption oder der Mafia um? Diese Frage will ausgerechnet ein Independent-Studio aus Weißrussland beantworten - ein Staat, der oftmals als "letzte Diktatur Europas" bezeichnet und seit 1994 autoritär regiert wird. Aber das kann uns egal sein, denn die wichtige Frage lautet: Kann das Spiel in einer fiktiven amerikanischen Stadt unterhalten?

Alles beginnt an einem 15. Juli mit ein paar Zeitungen auf dem Tisch. In der amerikanischen Stadt Freeport fragt man sich, ob der Bürgermeister ein Sexpsycho ist und der Polizeichef Jack Boyd tatsächlich zurücktritt - jener Mr. Boyd, den man selber spielt. Man schnappt hier lediglich die Schlagzeilen auf, bevor es zur Arbeit geht. Das beginnt jeden Tag mit derselben Animation: Man schmeißt seine alte Karre an, die natürlich nicht sofort anspringt, sondern vor sich hin röchelt, bevor der Motor endlich läuft - eine passende Metapher für den Protagonisten, der übrigens angenehm charismatisch von Jon St. John gesprochen wird, den manche sicher noch aus Duke Nukem kennen. Auch wenn die Wiederholung des ewig Gleichen hier System hat, weil es den Alltag beschreibt: nach gefühlten hundert Malen und spätestens beim zweiten Durchlauf nervt diese Autosequenz gewaltig.

Der eigene Abschied als Schlagzeile

This Is the Police (ab 7,42€ bei kaufen) ist digital für PC erschienen. In der Rolle des Polizeichefs Jack Boyd kann man seine letzten 180 Tage prägen.
Trotzdem versprüht das Drehbuch einen eigenwilligen Charme. Wer Fernsehserien wie Polizeirevier Hill Street aus den 80er Jahren kennt oder etwas modernere wie Blue Bloods mit Tom Selleck schaut, wird vielleicht einige Parallelen entdecken. Auch hier spielt man einen alternden Polizeichef, der sich in städtischer Machtpolitik aufreibt - zur Entspannung gibt es lediglich mal einen Blues. Oder einen Blick auf das Rentenkonto, das man mit illegalen Geschäften füllen könnte, bis man das finale, aber utopisch klingende Ziel von 500.000 Dollar erreicht. Aber warum soll ich mich dafür anstrengen, wo Jack doch keine Familie, keine Beziehung, keine Enkel hat? Wie korrupt muss er dafür bloß spielen? Dabei treffen die weißrussischen Entwickler sehr gut den zynischen Ton der Schachfiguren in einem machtpolitischen Alltag, in dem das Verbrechen nicht nur auf der Straße, sondern vor allem in den Büros stattindet.

Schön ist, dass man schon in der ersten Pressekonferenz das rhetorische Ruder in die Hand nehmen kann: Die gesichtslosen Journalisten wollen wissen, ob der gestern

Was sagt man bei der Pressekonferenz, in der es um den eigenen Abschied geht? Bisher ist das Spiel nur auf Englisch verfügbar; deutsche Untertitel sind zum Release angekündigt.
vom Bürgermeister verkündete eigene Rücktritt mit ihm besprochen war oder ob man überrascht wurde. Vier Antworten stehen im komplett englischen Spiel zur Auswahl: 1) Überraschung. 2) Der Bürgermeister hat es mit mir abgesprochen. 3) Ich haben diesen Scheiß vom Bürgermeister erwartet. 4) Was macht das für einen Unterschied?

Wie führt man seine letzten 180 Tage?

Dieses Beispiel deutet an, wie scheinbar frei man mit der Situation als scheidender Polizeichef umgehen kann - scheinbar deshalb, weil das Ziel nicht der Friedensnobelpreis, sondern eine halbe Million ist. Man kann sich dennoch ahnunglos, loyal, angepisst oder gleichgültig geben. Entscheidet man sich für die Trotzreaktion, lautet die Antwort z.B.: "Bürgermeister Rogers ist ein unehrenhafter korrupter Politiker, der mich loswerden wollte." Daraufhin gibt es ein Blitzgewitter, bevor es weitere Fragen zum Nachfolger sowie der Mafia gibt, in denen man sich ähnlich schwammig oder direkt positionieren kann. Diese Adventure-Elemente machen sehr neugierig, aber die Konsequenzen lassen manchmal zu wünschen übrig und mit der Zeit verfliegt der Reiz der Entscheidungen.

Schon im ersten Gespräch mit dem Bürgermeister vermisst man eine Reaktion, wenn man ihn hart attackiert hat - egal was man den Journalisten erzählt, verlangt er immer nur, dass man bitte die letzten 180 Tage als Polizeichef die Füße still halten und all seine Sonderwünsche erfüllen soll. Es ist nicht so, dass alles Illusion wäre, im Gegenteil: Später gibt es sehr klare Konsequenzen, wenn es etwa darum geht, dem alten Kumpel zu helfen, der das alles schon hinter sich hat, aber von der Mafia verfolgt wird. Neben diesen erzählerischen Situationen, die wie Comic-Strips inszeniert werden und immer wieder neugierig machen, steht das taktische Personal-Management im Vordergrund: Zwei Schichten von Cops und Detectives gilt es abwechslend vor spartanischer Kulisse zu koordinieren, während die Uhr tickt. Und genau hier beginnen die spielmechanischen Defizite.

Man blickt von schräg oben auf eine statische Stadt aus grauen Bauklötzchen, kann weder drehen noch zoomen - diese Kulisse ist eher zweckmäßig als ansehnlich. Immerhin kann man sich so auf die farbigen Marker konzentrieren, die überall auftauchen und Vorfälle symbolisieren: Neben Ehekrach, Lärmbelästigung, Raub, Brandstiftung, Vergewaltigung oder Amoklauf gibt es auch dubiose Anfragen vom Bürgermeister, Firmen oder der Mafia, die andere Farben aufweisen. Klickt man diese an, schickt man per Drag&Drop so viele Cops oder gar ein Sondereinsatzkommando hin wie erforderlich scheinen; dabei deutet die Anzahl der möglichen Plätze auf die Brisanz hin. Wer selbst investiert oder bei der Mafia schnorrt, kann später auch einen Einsatzwagen losschicken - aber die Entwicklung der eigenen Abteilung hält sich in engen Grenzen.

Falscher Alarm oder ein Ernstfall?

Sobald ein Team losdüst, erkennt man eine farbige Spur, die sich vom Polizeiquartier zum Tatort bewegt, während weitere Verbrechen gemeldet werden, für die man in der Schicht hoffentlich noch genug Cops hat: Für was lohnt sich also welches Personal? Als dann auch noch ein Mafia-Krieg entbrennt, bei dem man eine Seite unterstützen soll, kann man der Spirale der Verbrechen kaum entkommen. Oder doch? Ist es möglich eine halbe Million zu scheffeln, ohne dass einem alle an den Hals wollen? Man denkt sich: Jeden Tag derselbe Scheiß! Und dann wird einem auch noch der Lohn gekürzt, wenn die Aufklärungsquote sinkt...

An Tatorten kann es passieren, dass das voll besetzte Kommando nur einen Fehlarm meldet, dass der Fall komplett gelöst wird oder dass es zivile

Wie viele Cops schickt man zum Einsatz?
Opfer oder gar Verluste in den eigenen Reihen gibt - das ärgert den Bürgermeister, der beim nächsten Meeting vielleicht das Personal kürzt, so dass man statt sieben nur noch sechs Leute zur Verfügung hat. Krankheit und Kündigungen sorgen für weitere Ausfälle, manchmal wirken diese Vorfälle auch sehr willkürlich. Der permanente Verlust ist besonders bitter, wenn es sich um erfahrene Leute handelt, was durch einen steigenden Zahlenwert dargestellt wird, der von 5 bis 1000 reicht. Erst ab 250 gelten die Polizisten als einigermaßen zuverlässig, was ihre Erfolgsaussichten bei einem Einsatz steigern soll. Aber auch das ist nicht immer plausibel erkennbar, zumal z.B. Teambildungen aus starken und schwachen Cops nicht statistisch oder visuell erfasst werden. Was wirkt sich wie aus? Zwar kann man über die Jobbörse frisches Personal buchen, aber auch das ist nicht immer gut qualifiziert...

Schön ist, dass die Einsätze meist kurz beschrieben werden und dann mehrstufig ablaufen, ebenfalls inklusive Text-Entscheidungen: Soll man mit dem Messerattentäter sprechen, ihn ablenken oder einfach schießen? Spricht man per Lautsprecher zu den

Man beobachtet das kriminelle Treiben aus der immer gleichen Perspektive. Mit der Zeit öffnen sich lediglich weitere Gebäude wie jenes der Mafia.
Geiselnehmern oder schleicht man sich von hinten rein? Drängt man den Fluchtwagen ab oder schießt man auf die Reifen? Knüppelt man Demos nieder oder lässt man es bleiben? Es gibt einige Situationen, in denen nicht die Gewalt, sondern das subtile Vorgehen eher das Mittel der Wahl ist. Hinzu kommen allerdings bizarre Anfragen, die selbst in einer fiktiven Stadt unrealistisch wirken: Da soll man plötzlich alle Schwarzen oder alle Frauen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aus seinem Revier rausschmeißen, weil der Bürgermeister bzw. die öffentliche Meinung das angeblich verlangt.

Entscheidungen am Tatort

Man kann ihn natürlich ignorieren. Wer das tun will, hat nur zwei Möglichkeiten, denn man braucht Gründe, um jemanden zu feuern: Entweder ist er zu alt, hat bei zu vielen Fälle versagt oder man engagiert die Mafia, die die eigenen Leute auch töten kann. Dafür braucht man allerdings erstmal deren Vertrauen und genug Geld. Das kann man beiseite schaffen, indem man nach erfolgreichen Hausdurchsuchungen z.B. die Drogen und Waffen nicht abliefert, sondern an die Mafia verscherbelt. Den Gewinn kann man mit seinen Leuten teilen, was sie zufriedener macht, oder ganz allein einsacken. Aber Vorsicht: Wer zu offensichtlich kriminell agiert, wird von der Aufsichtsbehörde untersucht und befragt, wobei auch eigene Mitarbeiter zu Wort kommen. Je unzufriedener die sind, desto größer ist die Chance, dass sie einen anschwärzen...diese Spirale wird schon druckvoll gedreht, aber man kann einfach selbst nicht tief genug spielen, sondern nur an der Oberfläche verwalten. Viele interessante Mechaniken wie z.B. die Ermüdung oder Schichtwechsel sind auf Dauer nahezu nutzlos, weil sie nicht wirkungsvoll in die nötige Strategie und Planung eingreifen. Dazu gehört auch die Beförderung: Wann hat man wie viele Streifen zur Verfügung? Warum kann man seine Leute so nicht besser binden? Sie kündigen wie jeder andere.

In welcher Reihenfolge ist die Tat passiert?
Während man seine Cops auf Streife losschickt, sendet man seine Detectives an Tatorte, wo sie nach kurzer Analyse samt diverser Zeugenaussagen spezielle Bildbeweise sammeln, die man in korrekter Reihenfolge platzieren muss, um den Fall zu lösen - wie in einem Legepuzzle. Das ist auch eine nette Idee, zumal man Geduld beweisen und auf die richtigen Motive warten muss, aber letztlich sind diese Rätsel viel zu einfach über Trial&Error statt Investigation zu lösen. Dazu gehören auch die verdeckten Ermittlungen bei Kartellen und Gangs, in die man Spitzel einschleusen kann: auch hier läuft die Enttarnung fast von selbst und man fragt sich, was genau wer jetzt geleistet hat.

Bilder-Puzzle mit Detectives

Trotzdem fließen gerade im ersten Durchlauf die interessanten Ereignisse mit ihren Entscheidungen sowie die Puzzles nahtlos in die drögen Management-Elemente. Warum sind Letztere  langweilig? Weil es keine Spieltefe beim Studieren und Verwalten des Personals gibt. Zwar gibt es individuelle Gesichter, aber lediglich Kurzbiografien, in denen bis auf Alkoholprobleme oder politische Ansichten kaum etwas nachzuvollziehen ist. Nur in der Theorie klingt es interessant, dass man einen Spitzel beauftragen kann, denn praktisch bringen einem diese zu wenig Einsichten. Und wenn man mal jemanden befördern will, darf man gerade in dieser Situation nicht auf das wichtigste Kriterium schauen: wie viele Fälle hat der Mann oder die Frau erfolgreich gelöst? Das nervt genauso wie die Willkür, mit der sich verdiente Leute plötzlich verabschieden, weil sie den Türsteherjob so toll fanden, oder das Fehlen einer Rangliste, um nach einem Game Over zumindest eine grundsätzliche Motivation für erneutes Spielen aufzubringen. Denn beim zweiten Durchlauf finden selbst kleine Ereignisse wie Überfälle exakt so statt wie bisher - man weiß also genau, wann was passiert und wie man welchen Fall lösen kann. Hier hätte eine prozedurale Erstellung geholfen, den Spielspaß langfristig zu garantieren.

Fazit

Ich mag das Thema, ich mag den Erzählstil und ich finde den Ansatz lobenswert, Storytelling und Management zu verbinden. This Is the Police ist für einen verregneten Nachmittag unterhaltsam, denn es inszeniert recht gekonnt eine Zwickmühle aus Forderungen innerhalb städtischer Machtpolitik. Als alternder Polizeichef sitzt man zwischen allen Stühlen, muss sein Personal suchen und entwickeln, den eigenen Bürgermeister sowie die Mafia irgendwie zufrieden stellen und schon für seine Rente vorsorgen. Wie soll man das alles unter einen Hut bringen? Oder pfeift man auf alles? Wer sich stur stellt, wird irgendwann vielleicht erschossen. Obwohl die Mischung aus taktischem Personal-Management sowie Adventure mit Entscheidungen aufgeht, zumal die Regie den Ton eines alten zynischen Haudegen trifft, vermisst man recht früh mehr Interaktion, Abwechslung, Entwicklung sowie Statistiken - es gibt nicht mal eine Rangliste für die eigene Highscore. Vieles wirkt wie eine Fingerübung, die man für ein wirklich gutes Spiel nur zuende denken müsste. Und spätestens im zweiten Durchgang wird man extrem gelangweilt, wenn sich nahezu alle Ereignisse in dieser fiktiven Stadt wiederholen. Warum hat man das nicht prozedural umschifft? Unterm Strich eine stilistisch und erzählerisch interessante Genre-Mischung, der auf lange Sicht leider die Spieltiefe fehlt. Wer Storytelling-Experimente à la Papers, please oder The Westport Independent mag, sollte dem alternden Polizeichef dennoch eine Chance geben.

Pro

  • interessantes Thema
  • gute Regie, gelungene Charakterstudie
  • Mischung aus Personal-Managemenet & Adventure
  • Entscheidungen wirken sich aus, offene Spielweise
  • stimmungsvolle Jazz-, Blues- & Klassik-Platten

Kontra

  • zu wenig Spieltiefe
  • zweiter Durchlauf mit identischen Ereignissen
  • Fähigkeiten bei Beförderung nicht einsehbar
  • viel zu leichte Detektiv-Aufgaben
  • keine Rangliste oder Highscore

Wertung

PC

Obwohl die Mischung aus taktischem Personal-Management sowie Adventure mit Entscheidungen interessant ist, vermisst man mehr Spieltiefe und vor allem Langzeitmotivation.