Song of the Deep - Test, Action-Adventure, PC, PlayStation4, XboxOne
Die kleine Marryn ist verzweifelt, denn ihr Vater ist im Meer verschollen. Aber die Zwölfjährige gibt ihn nicht auf, bastelt sich ein U-Boot namens "Nautilocerus" und macht sich voller Mut auf die Suche. Schon bald versinkt sie in einem riesigen Labyrinth voller alter Mythen und gefährlicher Monster...
Mädchen auf Odyssee
Klingt märchenhaft? Ist es auch. Man sollte sich aber nicht vom Einstieg täuschen lassen, der mit seinen Kinderbuchskizzen vielleicht etwas naiv anmutet. Song of the Deep ist ein Abenteuer, das sich viel Zeit lässt und im besten Sinne episch angelegt ist. Das ist kein Snack für schnelle Schatzsucher, sondern eine angenehm fordernde Reise, mit der man an die zwölf Stunden verbringen kann.
Metroid Prime unter Wasser
Ach, so etwas habt ihr schon häufig gespielt? Ja, aber diesmal präsentiert kein unerfahrenes Studio seine Variante eines Klassikers, sondern Insomniac Games. Daran konnte bis vor ein paar Tagen allerdings noch zweifeln, denn das Spiel ruckelte unverschämt - aber Patch 1.03 sorgt für saubere Tauchgänge. Und die Qualität dieses Entwicklers spürt man inhaltlich mit jeder Stunde, die man mit Marryn tiefer taucht, wenn man in angenem offenen und verzweigten Arealen gegen Strömungen, Quallen und Anglerfische ankämhpft. Man zwängt sich hier nicht durch ein enges Korsett aus Grotten und Höhlen, sondern darf frei navigieren. Dabei entdeckt man früher oder später auch eines der vielen kleinen Geheimnisse, die dieses Spiel so charmant machen.
Subtile Spielmechaniken
Manchmal hilft es auch, andere leuchtende Wesen zu begleiten, damit man in ihrem Schatten bestimmte Zonen überhaupt erreichen kann, oder einem über Algen illuminierten Pfad zu folgen, der bei jeder korrekten Berührung heller erstrahlt. Man wird ein wenig an den "Sense of Wonder" in Flower oder Journey erinnert, wenn man in einem Schwung über den Boden düsen muss, damit alle kleinen Bewohner den Kopf einziehen - das sind tolle Momente, wenn man tatsächlich belohnt wird, weil man einfach intuitiv experimentiert hat!
Steampunk und Mythologie
Viel wichtiger als der erzählerische Hintergrund ist in diesem Fall aber die wunderschöne Kulisse: Das kleine U-Boot sieht aus wie ein goldener Pinsel, der sich je nach Schub mal sanft, mal wuchtig durch ein Unterwasser-Gemälde malt. Überall blubbert, leuchtet oder schwimmt etwas. Während man im Vordergrund mit seiner Kralle vielleicht einen Hebel aktiviert, gleiten im Hintergrund majestätisch ein paar Wale vorbei - die Tiefenwirkung ist toll und Insomniac bildet das Meer in seiner vollen Pracht ab.
Und das Beste ist: Erst nach drei Stunden und einem spannenden Bosskampf, in dem man das Dach einer Riesenspinne zum Einstürzen bringen muss, nimmt dieses Abenteuer erst richtig Fahrt auf. Warum? Weil sich erst jetzt nicht nur die Größe der Karte andeutet, wenn man herauszoomt und staunt, dass man tatsächlich ein Zwerg in einem Labyrinth ist, sondern weil Marryn das U-Boot erstmals tauchend verlassen kann. Schon vorher konnte man viele geheime Wege finden, aber jetzt ergeben sich nochmal deutlich mehr Möglichkeiten - auch was die Spielmechanik betrifft.
Nach drei Stunden geht es richtig los
Aber nicht nur die Trennung oder Kooperation von Schiff und Kapitän erweitert in dieser Phase die Möglichkeiten: Erst jetzt kann Marryn neben ihren Blitz-, vielleicht auch Feuer- oder Eis-Torpedos abfeuern, um damit enstprechende Barrieren zu zerstören. Diese Geschosse helfen natürlich auch gegen Monster, denn so muss man nicht in den Krallen-Nahkampf gehen.
Zwischen Blitz, Eis und Feuer
Dass man es nicht zu leicht hat, liegt wiederum an einigen fiesen Fallen und Fesselzonen, die man meiden sollte. Stirbt man, ist das aufgrund der fair verteilten Speicherpunkte, die auch die Gesundheit voll aufladen, kein Problem. Man kann seine Lebensdauer übrigens erhöhen, indem man weitere Rumpfteile findet - Zeldas Herzen lassen grüßen. Außerdem kann man all die Schätze, die es in niedriger Zahl als Monsterbeute und richtig wertvoll in geheimen Arealen als Diamanten oder Seepferdchen gibt, in seine Ausrüstung investieren, um Kralle, Schub & Co weiter zu entwicklen. Sehr cool: Irgendwann kann man das selbst verschossene Feuertorpedo schnell mit der Kralle einfangen, um sich einen Rundumschutz zu erschaffen, der einen wie ein Meteor umkreist.
Welche Tür braucht welchen Schlüssel?
Aber gehört das nicht zu einer Odyssey? Eben. Und ich finde es gut, dass Insomniac zwar auch Kinder mit diesem Abenteuer anspricht, aber diese nicht mit zig Hinweisen und Tipps unterfordern will. Wer seine Augen aufmacht und die Gegend beobachtet, wird auch einen Weg finden. Dabei geht es auch um physikalische Kleinigkeiten: Das schwere Fass sollte man auf die Druckplatte rollen, damit sich das Gatter öffnet; den schweren Stalagniten sollte man abschießen, damit der die eisenbewehrte Kiste unter sich zermalmt. Neben diesen vielen offensichtlichen Interaktionen gibt es tolle Wechselweirkungen, wenn man etwa Bomben durch Strömungen lotst oder andere Meeresfrüchte mit Tempo durch kleine Kanäle jagt, um an einen Schalter oder Schatz zu kommen. Trotzdem rätselt man selbst nach Stunden noch an anderer, scheinbar einfacher Stelle: Wie zur Hölle komme ich an dem Kugelfisch vorbei, der sich stachlig aufbläht?
Fazit
Diese Labyrintherkundung wird Stunde um Stunde besser und entwickelt eine ganz eigene Anziehungskraft. Song of the Deep ist eine ebenso märchenhafte wie malerische und angenehm fordernde Reise. Man fühlt sich in dem U-Boot wie in einem goldenen Pinsel, der je nach Schub mal sanft, mal wuchtig durch die Unterwasserwelt malt. Dabei bekämpft man Monster, nutzt Strömungen oder Gewichte, sondern experimentiert mit subtilen Spielmechaniken hinsichtlich Bewegung sowie Licht - in diesen magischen Momenten erinnert das Abenteuer ein wenig an Flower und Journey. Allerdings muss man einige Routen wiederholen, weil die Karte nicht optimal informiert, man vermisst etwas mehr Anspruch in den Kämpfen und es kann auch mal ein Sackgassengefühl entstehen. Aber Insomniac Games demonstrieren ihre Klasse nicht in einer kurzen Fingerübung für schnellen digitalen Umsatz. Sie inszenieren eine epische Odyssee über knapp ein dutzend Stunden, in der sich erzählerisch keltische Mythen und das moderne Abenteuerflair von Jules Verne treffen, während spielerisch mit jeder geöffneten Pforte und jeder neuen Fähigkeit ein Urahn namens Metroid winkt. Ein tolles Spiel für Kinder und Erwachsene!
(Zum Verkaufsstart hätten wir aufgrund der technischen Probleme deutlich abgewertet. Wir haben allerdings die Version 1.03 getestet, die z.B. auf PlayStation 4 keine Probleme mehr mit der Bildwiederholrate hat. Anm.d.Red.)
Pro
- komplexe Labyrintherkundung
- angenehm offene und große Areale
- Story verknüpft keltische Mythen & Steampunk
- wunderschöne, abwechslungsreiche Kulissen
- tolle subtile Spielmechaniken (Bewegung, Licht etc.)
- viele Geheimnisse und kreative Rätsel
- U-Boot aufwerten (Rumpf, Schub, Kralle, Torpedos...)
- coole Kombos: Torpedo Haken = Schutzmeteor
- Bosskämpfe verlangen Timing und gutes Auge
- sehr stimmungsvolle, an Areale angepasste Musik
- sehr faire Speicherpunkte
- drei Schwierigkeitsgrade
- stimmungsvolle englische Sprecherin
- deutsche Untertitel
Kontra
- stilistisch karger, naiv anmutender Einstieg
- normale Kämpfe auf Dauer etwas zu einfach
- Karte zeigt nicht Art der Türen/Blockaden
- einige Wegwiederholungen, ab und zu Sackgassengefühl
- nur englische Sprachausgabe