Abzu - Test, Adventure, XboxOne, PC, PlayStation4, Switch

Abzu
02.08.2016, Jörg Luibl

Test: Abzu

Ozean der Weisheit?

Journey war unser Spiel des Jahres 2012. ThatGameCompany inszenierten auf PlayStation 3 ein außergewöhnliches Action-Adventure, das wie eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht verzauberte. Was hat das mit Abzû zu tun, das von GiantSquid kommt? Sehr viel: Lead Designer, Art Director und Komponist haben damals an Journey gearbeitet. Und sie setzen die Tradition ihres Spieldesigns unter Wasser fort. Gelingt ihnen auch auf PC und PS4 eine magische Reise?

Was ist das für ein Wesen, das so elegant durch das Wasser gleitet? Das sich wie selbstverständlich an all die Fische heftet, um auf ihnen zu reiten? Auf den ersten Blick sieht es in seinem schwarzgelben Tauchanzug menschlich aus, aber es trägt auch leicht katzenhafte Züge und blickt aus ungewöhnlich großen Augen. Sobald man sich in die Tiefe begibt, wird man nicht nur von sanften, fast schon sakralen Klängen und bunten Schwärmen von Fischen begleitet, sondern auch von vielen Fragen. Das passt zum Namen Abzû, der aus dem Mesopotamischen stammt und so viel bedeutet wie „Ozean der Weisheit“.

Eine verborgene Welt

Abzû beginnt in karibisch anmutenden Gewässern voller Licht. Die Steuerung ist ganz einfach: Man kann auf Knopfdruck tauchen, etwas Tempo machen oder interagieren.
Ohne Intro, Dialoge oder Erzähler gelingt es der Regie in wenigen Minuten, eine mysteriöse Unterwasserwelt zu inszenieren, in der man neben zig Arten von Muscheln, Fischen und Pflanzen auch archäologische Monumente und Science-Fiction-Elemente entdeckt. Man taucht zunächst in strahlend heller karibischer See, gleitet durch Licht durchflutete grüne Wälder aus Seetang und entdeckt dann irgendwo eine erste verwitterte Statue oder buddelt einen kleinen Tauchroboter aus, der einen wie eine Drone begleitet. Er kann übrigens auf Knopfdruck mit seinem Laser verschlossene Bereiche aufschneiden.

Der Einstieg ist noch überaus gelungen, zumal die orchestrale Begleitung von Austin Wintory für tolle Stimmungswechsel sorgt, wenn man z.B. paradiesisch anmutende Regionen verlässt

Was hat es mit diesen Apparaten auf sich? Verwitterte archäologische Monumente und Science-Fiction-Gebilde sorgen für Neugier.
und dunklere Areale erreicht. Aus dem Gefühl der Erhabenheit wird dann angespannte, unheimliche Erwartung, weil die Pflanzen und Fische fehlen und alles kalt wirkt. Inmitten dieser Einöde lockt ein Brunnen, an dessen Ende man ein pulsierendes Artefakt findet. Berührt man es, verwandelt man die tote Region wieder in eine blühende Landschaft. Eine tolle Szene, wenn Licht und Leben wieder sprießen!

Tolle Stimmungswechsel

Erst danach kann man in der befreiten Region die ersten azurblauen Bildtafeln erkunden, auf denen ikonographische Abbilder des eigenen Selbst scheinbar Rituale vollziehen. Also geht es doch um eine Reise in die eigene Vergangenheit? Hat das eigene Volk unter Wasser gelebt? Kaum entdeckt man in der Ferne ein riesiges rotes Dreieck, das wie ein Auge aus der Ferne glimmt, fragt man sich: Gab es Besucher einer anderen Welt? Wurde die Idylle gestört? Schließlich entpuppt sich das Auge als metallischer Schacht, der sich wie ein Raumschiffhangar öffnet.  So taucht man in den nächsten Unterwasserbereich – Abzû macht in der ersten Viertelstunde richtig neugierig.

Das große Problem ist in den kommenden zwei Stunden allerdings die Wiederholung des ewig Gleichen bei fehlender spielerischer Entwicklung in begrenzten Arealen. Immer wieder lässt man auf Knopfdruck abgestorbene Bereiche erblühen, um danach weitere Bildtafeln seiner potenziellen Ahnen zu entdecken und tiefer in die Raumschiff-ähnlichen Wracks vorzudringen. Dieses über acht Kapitel laufende Prinzip hat man zu schnell durchschaut, zumal die neuen Bereiche zwar über Strömungen sowie immer neue und mächtigere Fische und Wale ergänzt werden, aber auch recht klein bleiben und man recht linearen Pfaden folgt.

Ozean der Wiederholung

Viel zu schnell löst man die wenigen Rätsel.
Es gelingt dem Spieldesign auch nicht, den interaktiven Anspruch oder die Möglichkeiten der Erkundung sukzessive auszweiten: Zwar ist man auch mal zu Fuß unterwegs, es gibt auch mal gefährliche Minenzonen, durch die man vorsichtig navigieren muss, aber selbst eine Detonation hat kaum Auswirkungen. Besonders schade ist, dass die wenigen Rätsel viel zu leicht zu lösen sind: Man folgt Ketten, betätigt einen oder zwei Schalter, das war’s. Warum hat man die interessanten Bildtafeln oder die Begleitroboter nicht besser in das Rätseldesign integriert, damit man zumindest mal etwas nachdenken oder kombinieren muss? So fühlt man sich über weite Strecken zu sehr an die Hand und nicht wirklich ernst genommen. In einem "Ozean der Weisheit" müssten einem freiere Gedanken und Wege zugetraut werden.

Auch das Sammeln von Muscheln oder Befreien von Fischen aus ihren Nestern, bleibt genauso hübsch inszenierter Selbstzweck wie das Meditieren. Letzteres wirkt sogar wie ein Fremdkörper: Man sitzt auf

Es gibt auch Momente der Gefahr wie in diesem Minenfeld.
einer Statue, dann wechselt die Kamera und man kann all die Fischarten um einen herum ansehen – außerdem wird ihr Name eingeblendet. Das mag ja an der Oberfläche informativ sein, aber ich gewinne hier keine weitere Erkenntnis. Warum hat man diese Momente nicht mit der im Ansatz interessanten mythologischen Story verknüpft, die ja durchaus einige Überraschungen parat hat? Zumindest ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Der Zauber verfliegt

Apropos: So cool das Schwimmen mit Fischen und Walen beim ersten Mal ist, wird es erstens nicht so intensiv dargestellt, dass man z.B. an einem Walhai treibend auch staunend die Kamera dreht – der Zauber verfliegt hier leider recht schnell, weil man technisch nicht alle Möglichkeiten nutzt. Das zehn Jahre ältere Shadow of the Colossus hat seine Ritte auf Riesen zehnmal spektakulärer inszeniert.  Zweitens verschenkt man in diesen kooperativen Situationen das Potenzial möglicher Fähigkeiten oder Wissen, die oder das man vielleicht von diesen Urzeitriesen adaptiert, oder geheimer Wege, die man vielleicht nur in ihrer Begleitung gefahrlos entdecken könnte.

Fazit

Das Erstlingswerk des Studios von Matt Nava ist ein audiovisueller Genuss. Freut euch auf eine stimmungsvolle Komposition aus Klängen und Bildern in einer mysteriösen Unterwasserwelt, in der nicht nur zig Fische und Wale, sondern auch archäologische Monumente sowie Science-Fiction-Elemente zum Erkunden einladen. Schon nach wenigen Augenblicken unter Wasser fühlt man sich musikalisch sowie stilistisch an Journey erinnert. Aber Abzû erreicht nur ansatzweise dessen Sogkraft, wirkt vier Jahre nach dem Meisterwerk im Wüstensand wie eine ambitionierte, aber letztlich nicht konsequent durchdachte und fade Variante. Der Zauber des stimmungsvollen Einstiegs verfliegt recht schnell, denn man erlebt eine Wiederholung des ewig Gleichen mit kinderleichten Rätseln. Storytelling, Spielmechanik und Erkundungsreize werden einfach nicht so gut verwoben, dass man staunend in diese Welt gelockt wird. Statt in einem Ozean der Weisheit etwas freier zu grübeln, wird man wie ein Kind zum Ziel geführt. Nach nur zwei Stunden hat man eine viel zu kurze Reise beendet, die in den ersten fünfzehn Minuten mehr versprach als sie letztlich halten konnte.

Pro

  • mysteriöse Story
  • lebendige Unterwasserwelten
  • Tauchgänge, Rätselei & Erkundung
  • Artdesign mit SciFi- & Archäologie-Elementen
  • viele authentische Meeresbewohner
  • schöne Tempowechsel, tolle Verwandlungen
  • wunderbare Musik

Kontra

  • Spielprinzip wiederholt sich
  • Erkundundungspotenziale bleiben ungenutzt
  • Meditation wirkt wie Fremdkörper
  • nur sehr leichte Rätsel, kaum Geheimnisse
  • Bedrohung nicht konsequent ausgespielt
  • Reiten nicht spektakulär genug inszeniert
  • ab und zu hakelige Steuerung
  • recht kleine Areale, zu wenig Freiheit
  • sehr kurze Spielzeit von zwei Stunden
  • kaum Wiederspielwert
  • mitunter längere Ladezeiten
  • schwarzer Balken beim Meditieren (PS4)

Wertung

PC

Abzû ist audiovisuell ein Genuss mit tollen Unterwasser-Momenten, aber scheitert nach dem stimmungsvollen Einstieg an der Wiederholung des ewig Gleichen, entwickelt seine erzählerischen Potenziale nicht und bietet nur kinderleichte Rätsel.

PlayStation4

Abzû ist audiovisuell ein Genuss mit tollen Unterwasser-Momenten, aber scheitert nach dem stimmungsvollen Einstieg an der Wiederholung des ewig Gleichen, entwickelt seine erzählerischen Potenziale nicht und bietet nur kinderleichte Rätsel.