Psycho-Pass: Mandatory Happiness - Test, Adventure, PlayStation4, XboxOne, PC, PS_Vita

Psycho-Pass: Mandatory Happiness
09.09.2016, Jörg Luibl

Test: Psycho-Pass: Mandatory Happiness

Multiple-Choice-Anime

In Japan wird die Anime-Fernsehserie Psycho-Pass seit 2012 ausgestrahlt und 2015 gab es einen erfolgreichen Kinofilm. Aber das Spiel Psycho-Pass: Mandatory Happiness (ab 10,82€ bei kaufen) erschien bisher lediglich in Japan auf Xbox One. Mittlerweile wurde der Anime-Krimi über flashpoint auch in Deutschland für PlayStation 4 und Vita veröffentlicht; auch eine PC-Version ist geplant. Lohnt sich der detektivische Trip in ein futuristisches Tokyo?

Ich lese sehr gerne Graphic Novels. Vor allem, wenn es um Science-Fiction geht. Und sowohl das Drehbuch als auch die dystopische Vision von Psycho-Pass machen neugierig. Aber von einem Spiel verlange ich mehr als ständiges Umblättern. Bevor man in diesem Adventure von 5pb Games (die auch an Steins;Gate arbeiten) irgendetwas anderes aktiv entscheiden kann, als eine weibliche oder männliche Ermittlerrolle anzunehmen, vergeht fast eine Stunde. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen so passiven Einstieg in ein Spiel erlebt zu haben. 

Big Sibyl is watching you

Man hat zwei Charaktere zur Auswahl: Inspektorin Nadeshiko Kugatachi oder Enforcer Takuma Tsurugi.
Und wie sieht dann die erste Aktion aus, als man einen Entführer auf die Schliche kommen soll? In einem schnöden Multiple-Choice-Menü darf man sich für "Inquire" oder "Track" entscheiden. Danach heißt es wieder: lesen, klicken, lesen, klicken, lesen, klicken. In diesen quälend langen Zuschauphasen wird man bei japanischem Originalton mit englischen Untertiteln zwar in eine interessante futuristische Gesellschaft eingeführt, in der ein Überwachungssystem namens Sibyl die Psyche jedes Menschen analysiert und zum Wohle aller die - scheinbar - besten Entscheidungen trifft. Außerdem sorgt eine mysteriöse Hacker-KI names "Alpha" in einem Cyborgkörper für einen dramaturgischen Gegenpol, zumal sie die Menscheit auf ihre Art glücklich machen will - mit teilweise dramatischen Konsequenzen. Das Drehbuch verknüpft auch biographisch das Schicksal des Protagonisten mit dem des Antagonisten. Man löst also nicht nur Fälle, sondern wird theoretisch in ein Drama verstrickt.

Aber die Präsentation ist schrecklich statisch, so dass diese Zukunftsversion von Tokyo lediglich Kenner des Animes zum Hinsehen oder Zuhören animieren dürfte, weil diese zumindest einige Déjà-vus erwartet. Die Zeichnungen können mit ihrem

Eine mysteriöse KI namens "Alpha" hackt sich in diesen Cyborg. Was hat sie vor? Die Menschheit glücklicher machen! Mandatory Happiness ist hierzulande mit japanischen Originalsprechern sowie englischen Untertiteln erhältlich.
eher dezenten und realistischen Stil vielleicht auch so manchen westlichen Geschmack treffen, aber es gibt in den vielen Dialogszenen nur einen Hauch von Mimik, meist keinerlei Bewegungen und von allen Gebäuden lediglich Standbilder. Auch Visual Novels können hier mehr leisten! Man kann auch keine Räume freier erkunden oder Gegenstände untersuchen, es gibt nicht mal ein Inventar oder eine Art interaktives Charaktermenü, sondern man wählt immer nur aus zwei bis vier möglichen Antworten aus - dagegen wirkt selbst das nur dezent inszenierte Zero Time Dilemma wie ein actionreicher Blockbuster-Thriller. Das einzige Interaktive verbirgt sich im Menü unter Extras als Minispiel: Da kann man eine japanische Variante von Threes! inkl. Highscore spielen.

Man muss sich also komplett auf die zunächst verwirrende Geschichte konzentrieren und gute Englischkenntnisse einbringen, um nach den ausufernden Dialogen zwischen zahlreichen Charakteren die richtigen Entscheidungen zu treffen - die reichen von persönlichen und investigativen Fragen bis hin zur Wahl eines Stockwerks oder dem taktischen Vorgehen in Kämpfen. Man muss diese Science-Fiction-Welt mit ihren sprechenden Waffen, psychischen Analysen, farbigen

Lesen, lesen, lesen - dazu gibt es leider mehr Standbilder als animierte Szenen.
Darstellungen des Gemütszustandes und neuen Berufen aber erstmal verstehen. Schön ist, dass all die fremd anmutenden Begriffe wie Hue, Sibyl, Dominator & Co sowie die vielen beteiligten Charaktere bei der ersten Erwähnung umgehend mit einer Definition im Archiv landen. Wer vor einer Entscheidung nochmal etwas nachschlagen will, kann dies über L2 tun. Auch wenn man den Anime nicht kennt, kann man sich also in seine ambivalente Rolle einarbeiten. Wobei die Betonung auf "Arbeit" im Sinne von viel Lektüre liegt.

Lesen, lesen, lesen

Es ist auch lediglich die Erzählung, die für einen Rest an Motivation sorgt. Die eigene Rolle z.B. als Takuma ist durchaus interessant, denn man spielt als "Enforcer" einen Polizisten zweiter Klasse, der als latent kriminell gilt und für jeden seiner Schritte bei einem "Inspector" um Erlaubnis fragen muss. Einerseits jagt

Die Waffe des Enforcers heißt "Dominator" und scannt Ziele auf ihr Verbrecherpotenzial - erkennt sie keines, entsichert sie auch nicht.
man also Verbrecher, andererseits wird man als potenzielles Risiko selbst überwacht. Das eigentliche Ziel von Takuma besteht z.B. darin, eine alte Jugendfreundin namens Yukari zu finden, die irgendwann spurlos verschwunden ist - und da könnte ihm der Job in der Behörde helfen. Nur kann man nie abseits des strengen Drehbuches etwas selbst riskieren oder recherchieren - es fehlen auch verschachtelte Dialoge zum Nachfragen, so dass auch aus der Kommunikation keinerlei investigatives Rätsel entsteht. Immerhin driften die meist gut geschriebenen Gespräche nicht so oft ins Kitschige ab.

Auch Beziehungen zu Kollegen entwickeln sich: Sehr angenehm ist, dass man seine Rolle innerhalb des Teams sowie gegenüber einzelnen Charakteren in vielen Situationen mit seinen Antworten prägen kann. Sehr schade ist, dass man nie selbst auf sie zugehen kann, sondern streng dem Ablauf folgen muss. Es sind die Konsequenzen, die bei Laune halten: Man kann z.B. seine Beruhigungspillen ablehnen und beobachten, wie der eigene Charaktere emotionaler und wütender auftritt. Entscheidungen wirken sich sowohl in kleinen Situationen als auch auf das Ende aus. Nur steckt man eben in einem statischen Korsett, in dem man all die interessanten technischen Aspekte dieser Welt einfach nicht aktiv ausprobieren kann. Auch eine Visual Novel könnte sich über interaktive Zusätze so weit öffnen, dass das Erlebnis unterhaltsamer wird.

Fazit

Lesen, klicken, lesen, klicken, lesen, klicken - und gleich schlafe ich ein. Auch wenn die futuristische Vision von Psycho-Pass interessant ist und die Figuren sowie Konflikte durchaus neugierig machen, ist das einfach eine viel zu statische Präsentation und vor allem zu wenig Interaktion. Man spielt nicht, sondern blättert quälend lange zwischen Standbildern und nicht enden wollenden Dialogen im japanischen Original um, bevor man endlich wieder etwas entscheiden darf. Gerade in einem Krimi-Adventure, das auch so viele investigative Elemente anbieten würde, fühlt man sich wie in einem literarischen Korsett - man kann weder Räume noch Gegenstände untersuchen oder mal abseits des strengen Drehbuchs etwas riskieren, sondern lediglich Multiple-Choice betreiben. Was diese spielbare Graphic Novel rettet, ist zum einen die Tatsache, dass sich die Entscheidungen sowohl auf einzelne Situationen als auch das Ende auswirken. Und wer sich über das Archiv in die Welt hinein arbeitet und gute Englischkenntnisse mitbringt, wird auch von der Story nicht enttäuscht. Aber selbst ein Zero Time Dilemma wirkt dagegen wie ein spektakulärer Blockbuster-Thriller. Das ist mehr Fanservice für Kenner der Anime-Fernsehserie als kreatives Spieldesign.

Pro

  • stilistisches Flair der Anime-Vorlage
  • interessante futuristische Vision, gute Story
  • Multiple-Choice-Entscheidungen wirken sich aus
  • Archiv mit nachschlagbaren Definitionen
  • Dialoge beschleunigen, über L2 anzeigen lassen
  • Minispiel à la Threes! unter Extras
  • manuelles Speichern, mehrere Plätze

Kontra

  • viel zu statische Präsentation, kaum Animation
  • keinerlei aktive Erkundung, Recherche, Kombination etc.
  • strenges Drehbuch lässt keinerlei Freiheiten zu
  • lediglich Multiple-Choice-Antworten
  • sehr lange Lesephasen
  • keine deutsche Übersetzung

Wertung

PlayStation4

Interessante SciFi-Story, aber zu wenig Interaktion und eine nahezu statische Präsentation: Psycho-Pass ist ein Anime-Adventure im Multiple-Choice-Korsett mit quälend langen Dialogphasen, aber spürbaren Konsequenzen.

PS_Vita

Interessante SciFi-Story, aber zu wenig Interaktion und eine nahezu statische Präsentation: Psycho-Pass ist ein Anime-Adventure im Multiple-Choice-Korsett mit quälend langen Dialogphasen, aber spürbaren Konsequenzen.