Obduction - Test, Adventure, XboxOne, PC, OculusRift, Mac, PlayStation4, HTCVive, PlayStationVR

Obduction
31.08.2016, Jörg Luibl

Test: Obduction

Myst 2.0

Die Cyan Studios präsentieren mit Obduction ein Adventure im Stile ihres Klassikers Myst, das vor allem auf visuelle Reize und das Abtauchen in eine rätselhafte Welt setzt. Das Abenteuer wurde 2013 mit 1.321.306 Dollar (22.195 Unterstützer) über Kickstarter finanziert und sollte eigentlich schon 2015 erscheinen. Nach einigen Verschiebungen lässt es euch jetzt auf dem PC erkunden - inklusive Unterstützung für Oculus Rift. Ob es sich um einen langweiligen "Wandersimulator" oder einen kreativen geistigen Nachfolger zu Myst handelt, klärt der Test.

Was habe ich mich in der ersten Stunde gefreut, als ich endlich diesen verdammten Stromkreislauf in Gang bringen konnte! Im Nachhinein war das - natürlich - ganz simpel: Ölpumpe bedienen, dem Schlauch zum Container folgen, Klappe aufziehen, Schalter nach links zum Ansaugen gedrückt halten, dann Schalter nach rechts zum Starten halten. Ach so, auf der linken Seite noch den Hebel richtig rum stellen und das Ganze anschalten! Also vorher. Oder war es nachher? Jedenfalls so ähnlich.

Hurra, es gibt Strom!

Man startet Obduction an einem See in der idyllischen Realität, während eine weibliche Erzählerstimme berichtet, dass man alles verloren habe - außer der Geschichten.
Voller Stolz ob dieser grandiosen Leistung joggte ich zurück zu diesem Cecil, der in einer Art Taucherglocke gefangen ist. Hört sich komisch an? Ist auch so. Aber er scheint der einzige Überlebende in dieser seltsamen Parellelwelt zu sein. Und er will mir, dem so genannten "Neuankömmling", wohl helfen, hier heraus zu kommen. Aber wie reagiert der Kerl? Unwirsch: "Gut, der Strom ist eingeschaltet. Erwartest du jetzt eine Medaille?" Und schon gibt er mir den nächsten Auftrag, von dem ich nichts verstehe: Ich soll Mofang-Blockierer benutzen - was zur Hölle? Trotzdem bin ich froh, dass er da ist, denn er kennt sich zumindest etwas in dieser bizarren Wirklichkeit aus...

So weit ich das beurteilen kann, bin ich ebenfalls ein Gefangener. Dieser seltsame

Man sieht einen Meteor am Nachthimmel und wird kurz darauf von einer Art glühendem Samen in diese andere Welt gezogen. Ist man das dreijährige Mädchen, das sich im Jahr 1983 im Kinderwagen der Großmutter befand, als dieser Vorfall geschah? Wer sind Jane, Jenny und Josef, von der die Stimme berichtet? Was soll das Jahr 1870? Wurden über verschiedene Zeiten mehrere Menschen entführt?
Ort ist von einer blau glimmenden Mauer oder Kuppel umgeben, hinter der unirdische Säulen und schwebende Felsen zu erkennen sind. Ähnlich wie in The Witness oder anderen aktuellen Rätsel-Abenteuern strandet man ohne eigene Vergangenheit in einer ominösen Gegenwart. Ist das überhaupt noch die Erde? Zwar sieht vieles von der Spitzhacke bis zu den Schienen nach einer Art Bergbausiedlung aus, aber es gibt exotische Apparate mit aktivierbaren Hologrammen, aus denen Bewohner in Form realer, aber leicht verzerrter Schauspieler sprechen. Manche Felsen glimmen rötlich, manchmal fliegen riesige Roboterwespen umher, dazu gibt es herrenlos vor sich her brutzelnde Laser und Warnungen von Einheimischen, die sich irgendwo im Keller verstecken. Kommt man da rein?

Gefangen in exotischer Parallelwelt

Man fühlt sich mittendrin in seiner eigenen Twilight Zone, in der ein amerikanisches Wüstenkaff der 50er-Jahre inklusive Tankstelle aus der Landschaft geschnitten und auf einen außerirdischen Planeten kopiert wurde. Nur zu welchem Zweck? Warum wird im Prolog davon gesprochen,

Die Erzählerin spricht davon, dass man "gerettet" wurde. Aber wo ist man bloß gelandet?
dass man "gerettet" wurde und Geschichten davon erzählen soll? Es gibt scheinbar keine direkte Gefahr, während man in Egosicht die verwinkelte Landschaft mit all ihren Felsen, Schluchten und Holzhütten erkundet, aber es entsteht eine angenehm surreale Atmosphäre des Unwirklichen, die von dynamisch einsetzenden Sounds noch verstärkt wird. Ich bin in den verlassenen Überresten einer Siedlung unterwegs, hantiere mit roten und blauen Lasern, bevor mir Cecil die zentrale Rolle des Baumes erklärt, der unbedingt geschützt werden müsse. Erst Aliens und jetzt noch ein Lebensbaummythos? Sind denn alle verrückt geworden?

Das gilt es in einem Abenteuer herauszufinden, das die freie Erkundung in ansehnlicher Kulisse und das Experimentieren mit Maschinen, Konstrukten, Schaltern & Co in den Vordergrund stellt, wobei der Rätselanspruch gefühlt mit jeder Stunde zunimmt. Das erinnert an was? Richtig: An das klassische Grafik-Adventure à la Myst. Nur dass man sich heutzutage nicht mehr statisch von Bild zu Bild bewegt, sondern die Landschaft in Egosicht durchwandert. Allerdings ist das nicht ganz so modern wie es klingt, denn man kann lediglich spazieren oder rennen, aber weder irgendwo klettern noch hinauf oder hinab springen oder gar ins Wasser, so dass man oftmals vor unsichtbare Wände tritt und selbst bei kniehohen Hindernissen nur künstlich anmutende Rampen nutzen kann. Aber für Akrobatik gibt es ja Mirror's Edge.

Erkundung mit statischen Einschränkungen

Das Holzhaus sieht idyllisch aus, aber die Bewohner haben sich im Keller verschanzt. Warum?
Die offene Kulisse ist sehr ansehnlich, was die Architektur, das Licht sowie die vielen liebevoll arrangierten Orte betrifft, aber sie kommt nicht an die visuelle Pracht eines The Vanishing of Ethan Carter in der Natur oder die unheimliche Detailverliebtheit eines Everybody's Gone to the Rapture im Interieur heran. Hinzu kommt, dass man nur sehr selten und manchmal willkürlich mit Gegenständen interagieren kann: Warum darf ich diese eine unwichtige Kanne aufnehmen und als drehbares 3D-Objekt untersuchen, aber nicht den interessanten Koffer öffnen? Ist aber nicht so schlimm, denn dieses Obduction ist kein Spiel im Stile alter Point&Clicks - es gibt also weder ein Inventar noch Itemkombinationen. Dafür findet man viele Notizen von den Bewohnern, die zwar auch konfus anmuten, aber nicht nur die Erzählung bereichern, sondern auch Hinweise geben: Oder wie sollte man sonst ein außerirdisches Zahlensystem entschlüsseln?

Eine Mauer? Eine Kuppel? Man scheint an diesem Ort gefangen zu sein.
Statt zu sammeln und zu kombinieren rätselt man also in der Umgebung mit - meist - logischen Mechaniken. Und das macht durchaus Spaß, denn man öffnet Stück für Stück verschlossene Bereiche oder aktiviert neue Möglichkeiten. Es geht also nicht um den einen situativen Aha-Effekt, sondern um teilweise weit reichende Domino-Effekte, die neue Interaktionen anstoßen: Wenn man erstmal den Strom angeschaltet hat, kann man natürlich auch so manche Schalter bedienen und z.B. die fahrbare Lore mit ihrem blauen Laser besteigen, die wiederum rote Felsen zerstört, was einem neue Wege öffnet. Und spätestens wenn man die blauen Wände durchschreiten und als Abkürzungen nutzen kann, hat man sehr viele Orte zur Auswahl...wo konnte man nochmal dieses Tor öffnen? Wie kommt man unter den Baum? Wo gibt man den Kellercode verkehrt rum ein? Zumal in Obduction keine blinkenden Hinweisrahmen oder Zielmarker anzeigen, wo man interagieren kann - sehr schön! Erst wenn sich das Kreisvisier der Maus füllt, kann man etwas machen; schlicht und elegant gelöst.

Domino-Effekte

Diese Technik wirkt nicht terrestrisch: Mit blauen Lasern kann man rote Apparate vernichten...
Die Freiheit hat ihren Preis: Man ist froh, dass man permanent sprinten kann, aber man wünscht sich insgeheim ein Jetpack. Denn man ist sehr viel mit dem Laufen oder Fahren auf der Lore beschäftigt, das aufgrund der Weichenstellungen zumindest zu Beginn ein kleines Rätsel darstellt: Wie komme ich mit Blick nach vorne von A nach B, um das Ziel mit dem Laser ins Visier zu nehmen? So befriedigend Obduction in den Momenten ist, in denen man etwas löst, so dröge und statisch kann es in den Phasen dazwischen wirken. Es entsteht immer mal wieder Leerlauf, auch weil es keine klaren Aufgaben gibt. Oder doch? Da hilft nur: Pause machen, am nächsten Tag weiterspielen, denn man hat bestimmt etwas übersehen.

Die Regie führt einen nur behutsam über Cecils Anweisungen, und es ist cool, dass er bei Rückfragen immer anders reagiert. Es gibt jedoch keinen roten Faden, kein Tagebuch und keine einsehbaren Aufgaben. In dieser Hinsicht ist Obduction

Was zur Hölle? Ach so, damit kann man Zahlen...
angenehm altmodisch, denn man muss geduldig sein und einfach überall experimentieren, aber ihm fehlt auch die Rätseldichte eines The Witness oder eines The Talos Principle, wo man immer etwas zu tun hatte. Entschädigt wird man wiederum durch die langsam wachsende Dimension der Rätsel, die sowohl an Anspruch und visueller Pracht gewinnen als auch mehrere Orte für die Lösung miteinander verbinden. Außerdem sorgt das zu Beginn kitschig anmutende Science-Mystery-Thema mit den menschlichen Schicksalen für eine gewisse emotionale Anbindung - man will selbst fliehen, aber auch erfahren, was mit den Leuten passiert ist. So entsteht kein so starker Bruch wie im abstrakteren The Witness zwischen Denksportmarathon und philosophischer Erzählung.

Fazit

Ich liebe die gute alte Twilight Zone. Und in Obduction fühle ich mich wie in meiner eigenen Folge, in der ein amerikanisches Wüstenkaff der 50er-Jahre inklusive Tankstelle scheinbar auf einen außerirdischen Planeten kopiert wurde. Während man in Egosicht die verwinkelte Landschaft erkundet, entsteht eine angenehm surreale Atmosphäre des Unwirklichen. Obduction ist aufgrund fehlender Hilfen und Hotspots vor allem für Veteranen ein empfehlenswertes Adventure, das an die Tradition von Myst anknüpft und diese nicht nur erzählerisch moderner interpretiert. Die Stärken aktueller Storytelling-Abenteuer treffen auf klassische Tugenden und moderne Technik. Man erkundet eine offene Spielwelt mit ansehnlicher Kulisse und experimentiert mit Maschinen, Konstrukten, Lasern, Schaltern & Co. Allerdings hat die Freiheit ihren Preis in Form von statischen Beschränkungen in der Bewegung, nur willkürlich anmutenden Interaktionen mit Gegenständen und vor allem weiten Wegen und einigem Leerlauf, weil man manchmal einfach nicht weiß, wo man weitermachen soll. Es gibt keine Rätseldichte à la The Witness oder The Talos Principle. Aber weil der Anspruch und die Dimension der Rätsel bis zum Finale zunehmen und man ähnlich wie in Everybody's Gone to the Rapture einfach wissen will, was zur Hölle mit diesem Ort und seinen Bewohnern passiert ist, wird man über zwölf bis fünfzehn Stunden von diesem Myst 2.0 richtig gut unterhalten.

[Wir liefern die Wertung für Oculus Rift nach. Anm.d.Red.]

Pro

  • gelungenes Science-Mystery-Flair
  • ansehnliche offene Kulisse mit tollem Licht
  • unterschwelliges Gefühl der Bedrohung
  • keine direkt "glänzenden" Interaktionspunkte
  • verschachteltes Gelände mit vielen Routen
  • Story macht neugierig und weiß zu überraschen
  • wenige, aber interessamte Charaktere
  • einige "Heureka-Wow-Momente"
  • Rätsel gewinnen an Anspruch & Dimension
  • neue Gebiete und Apparate entdecken
  • sehr gute Soundeffekte und Musik
  • permanentes Sprinten möglich
  • deutsche Texte

Kontra

  • einige Leerlaufphasen
  • weite Laufwege in bekannten Gebieten
  • kein Klettern, Springen, ins Wasser etc.
  • willkürliche und seltene Iteminteraktion
  • kein Tagebuch, keine Notizensammlung
  • kaum Bewegung in der Natur; Gras, Bäume etc.
  • keine optional einblendbaren Hilfen

Wertung

PC

Obduction knüpft an die Tradition von Myst an und interpretiert diese nicht nur erzählerisch moderner. Die Stärken aktueller Storytelling-Abenteuer treffen auf klassische Tugenden und moderne Technik.

Kommentare
SpookyNooky

Eine VR-Wertung hätte ich auch gerne mal. Hab das mit der Brille mal angezockt und es macht durchaus Laune und saugt einen noch mehr in die Welt, wie es das Spiel ohnehin schon tut. Allerdings konnte ich leider keinerlei Manuskripte lesen, die Schrift ist dann einfach unleserlich.

Hier noch ein Schreibfehler im Test:

wenige, aber interessamte Charaktere
Vielleicht ist es ja aber auch korrekt, weil die Charaktere samtweich sind.

vor 4 Jahren