Bounty Train - Test, Taktik & Strategie, PC

Bounty Train
29.05.2017, Jan Wöbbeking

Test: Bounty Train

Mit dem Dampfross in den Wilden Westen

Fast 30 Jahre nach dem Amiga-Oldie North & South nimmt sich Bounty Train (ab 8,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) eine andere Facette des Amerikanischen Bürgerkriegs vor: Als junger Bahnunternehmer erschließt man sich neue Handelswege, wehrt Banditen sowie Indianerstämme ab und rüstet den eigenen Zug auf. Ein faszinierend entschleunigter Genremix?

Statt wie in Transport Tycoon ein komplettes Großunternehmen aufzubauen, konzentriert sich Entwickler Corbie Games auf das Abenteuer eines Anfängers, der immer mehr Bundesstaaten mit seinem einzelnen Zug bereist. Nachdem sein Vater auf mysteriöse Weise starb, versucht Protagonist Walter Reed die Intrigen seiner Konkurrenten im Eisenbahngeschäft aufzudecken und sich die Aktienmehrheit am zerschlagenen Unternehmen des verstorbenen Familienoberhaupts zu erarbeiten. Das große Ziel ist die Verbindung zur Westküste. Doch raffgierige Widersacher wollen den Schienenverlauf unnötig umleiten, um mehr Fördergelder einzustreichen – und nehmen dafür auch blutige Kriege mit den Ureinwohnern in Kauf.

Einzelkämpfer auf der Schiene

Zunächst steht die Erschließung der Ostküste auf dem Plan.
Aufgrund starker Konkurrenz im zerstrittenen Unternehmen startet man bescheiden: Die erste Lok gleicht im Wesentlichen einem Kessel auf Rädern. Erst nach einigen Spielstunden hat man genügend Bares für eine potentere Zugmaschine sowie geräumigere Wagen für Güter, Passagiere und die Mannschaft parat. Die Untergebenen werden wichtig, wenn man von Wegelagerern überfallen wird und sich in kurzen Kampfsequenzen wehren muss. Der Fokus liegt aber auf dem Handel und der Erschließung neuer Routen mit Hilfe von Lizenzen für lokale Schienennetze.

Der Großteil des Abenteuers spielt sich also auf den Bahnhöfen und den stilisierten Gebäuden daneben ab: Im Rathaus warten Lieferaufträge unter Zeitdruck, die bei Erfolg das Ansehen in der entsprechenden Stadt erhöhen, so dass man Zugriff auf einen Bankkredit oder einträchtigere Aufträge bekommt. Mit campenden Armeeverbänden des Bürgerkriegs kann man sich ebenfalls anfreunden oder es sich mit ihnen verscherzen. Wer noch Platz übrig hat, nimmt zusätzlich Passagiere in angrenzende Metropolen mit oder erwirbt auf dem Marktplatz Kohle und weitere Waren, deren Preis in den Städten der Ostküste stark schwankt: Etwas dringend benötigter Stahl wandert nach Philadelphia, ein wenig Medizin zurück nach Buffalo.

Der Bahnhof wird zum wichtigsten Schauplatz

Diese Ansicht der Bahnhöfe werdet ihr oft zu Gesicht bekommen.
Wird die Last zu schwer für die Zugmaschine, füllt man den Restplatz mit leichter Baumwolle auf. Hier und da gibt es zudem Läden wie Waffenhändler oder ein Krankenhaus für die zeitaufwändige Heilung der angeschossenen Crew. Schade, dass nicht schon auf der Übersichtskarte angedeutet wird, welche Handelsplätze gerade unter Rohstoffknappheit leiden. Stattdessen muss man sich meist erst einmal durch die aktuelle Preistabelle klicken. Wer lokale Zeitungsabos abschließt oder ein Auge auf den Newsticker behält, erfährt aber auch dort wichtige Neuigkeiten über die Abspaltung von Staaten und daraus resultierende Preiskapriolen. Schön, dass die Entwickler den Bürgerkrieg durch die Einflechtung vieler kleiner Ereignisse greifbarer machen und auch zahlreiche historische Lokomotiven genauer vorstellen.

Die Detailverliebtheit überträgt sich leider nicht auf die Geschichte. Der verschollene Bruder, Passagiere oder Geschäftspartner werden nur selten etwas persönlicher. Ab und zu meckert ein Reisender über Einwanderer oder erzählt von seiner technischen Erfindung. Oder man erfährt nach der Zustellung einer Liebeserklärung, dass die betreffende Ex-Frau in der angrenzen Stadt gar nichts mehr von ihrem aufdringlichen Ex wissen möchte. Es trägt allerdings wenig zur Atmosphäre bei, wenn man solche Anekdoten lediglich in schlicht formulierten Textkästchen nebst Portrait-Bildern präsentiert. Meist hatte ich den Eindruck, außen vor zu bleiben, statt ein Wildwestabenteuer zu erleben. Stattdessen verlor ich mich nach anfänglicher Aufbruchstimmung schnell in der dringend nötigen, aber simpel gestrickten Handelsroutine, die mitunter ungute Erinnerungen an den Grind von Handyspielen weckt. Wer genügend Geld zusammenkratzen will, muss hier jeden Preisvorteil nutzen, denn nach einem lockeren Einstieg zieht der Schwierigkeitsgrad gleich an mehreren Fronten sprunghaft an.

Schlichte Geschichte

Die entspannte Musik beruhigt in den ersten Stunden die Nerven, strapaziert sie danach aber durch häufige Wiederholungen.
Wer sich geschickt anstellt, kann zwar hier und da sparen, z.B. indem er als Begleitschutz einen alten Freund des Vaters engagiert, der sich gerne revanchieren würde. Auch die eine oder andere teure Streckenlizenz lässt sich mit Gefälligkeiten wie der Anlieferung von Tabak erlangen. Hinzu kommen aber Ausgaben für bessere Waffen, eine teure neue Lok sowie größere Waggons, die schon bald in ein paar Attributen aufgerüstet werden müssen. So lassen sich die Abteile z.B. mit Geheimfächern für Schmuggelware umbauen, die dann nicht mehr so leicht zwischen den übrigen Gütern entdeckt wird. Die entsprechenden halbseidenen Geschäftspartner warten nach Anbruch der Dunkelheit im Saloon – oder auch am Wegesrand. Wer es lieber ruhig angeht, sollte von Anfang an einen der niedrigeren Schwierigkeitsgrade auswählen.

Upgrades und Reparaturen werden im örtlichen Betriebshof abgewickelt, in dem je nach Stadt auch neue Modelle angeboten werden. Auch der Protagonist und seine Crew werden im Laufe des Spiels mit der Hilfe von Erfahrungspunkten aufgepäppelt. Zu Statuswerten wie Agilität oder Zielvermögen kommen bis zu drei Spezialfähigkeiten, welche den Charakter z.B. kurzzeitig unverwundbar machen oder seine Feuerfertigkeit aufwerten. All zu schwach sollte man den an Strecken lauernden Banditen nicht gegenübertreten: Zu Beginn sind zwar nur ein paar Klicks nötig, um die kleine Mannschaft passend im Zug zu platzieren und sie auf die per Pferd anrückenden Gegner schießen zu lassen. Nach einigen Stunden werden die Banden aber deutlich größer und hartnäckiger, so dass ich nach ein paar Anläufen meist einfach das verlangte Schutzgeld herausrückte. Glücklicherweise lässt sich das Spiel jederzeit speichern oder in eine taktische Pause versetzen, was mir in diesem Fall aber nur bedingt weiterhalf. Zur Not muss man auch geistesgegenwärtig reagieren, um ein sich ausbreitendes Feuer löschen. Das wird vor allem dann problematisch, wenn sich brennbare Ware wie Schnapps oder Pelze an Bord befindet.

Tuning im Jahr 1860

Auch die Echtzeit-Kämpfe laufen in der Wuselperspektive ab.
Sonderlich spannend oder dynamisch umgesetzt sind die Kampf-Sequenzen aber ohnehin nicht: Per Mausklick delegiert man die Figürchen ein wenig zwischen Deckungen und Brandherden umher, während sie automatisch feuern. Wirklich fehlerfrei läuft die Action nicht ab: Ab und zu verschmelzen Pferde mit dem Zug und reiten einfach durch ihn hindurch. Nebenbei muss man übrigens den Kesseldruck im Auge behalten und kann mit Hilfe eines Extraschubs manchmal sogar kampflos fliehen. Ich weiß zwar, dass Bounty Train keine Parodie im Stile von North & South sein soll, trotzdem habe ich mir manchmal die lustigen alten Gefechte zurückgewünscht. In jedem Fall hätte man aber auch hier ein unterhaltsameres Kampfsystem auf die Beine stellen sollen.

Fazit

Eigentlich beginnt Bounty Train recht beschaulich: Der gemütliche Mix aus Handel, taktischer Action und Rollenspiel-Aufwertungen wirkte ungewöhnlich genug, um meine Neugier auf das Spiel als Bahnpionier zu wecken. Liebevoll präsentierte Loks und eingestreute historische Fakten schaffen die passende Ausgangslage für ein Wildwest-Abenteuer in der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs. Bereits nach wenigen Stunden macht sich allerdings Routine breit: Die mühsame Fleißarbeit beim einfach gestrickten Handel rückt einfach zu sehr in den Vordergrund, zumal die Figuren und ihre Geschichten etwas blass bleiben. Auch die fade umgesetzten Kampfsequenzen werden schnell lästig, vor allem durch den sprunghaft ansteigenden Schwierigkeitsgrad. So verwandelt sich der zunächst angenehm entspannte Erkundungstrip durch die USA irgendwann in einen lästigen Arbeitstrott – schade ums Potenzial!

Pro

  • Szenario und Genremix wirken unverbaucht
  • gemütlicher Aufbau eines Bahnunternehmens
  • Handel und Handlung in historische Ereignisse eingebettet
  • zahlreiche akkurat nachempfundene Loks
  • entspannter Soundtrack...

Kontra

  • stetige Handels-Routine auf Dauer monoton
  • unausgegorene Kämpfe und Fluchtsequenzen
  • Schwierigkeitsgrad steigt abrupt an
  • minimalistische Umsetzung lässt Abenteuerstimmung vermissen
  • ...Musikstücke wiederholen sich aber zu häufig
  • Charaktere bleiben blass

Wertung

PC

Interessante Ausgangslage, fade Umsetzung: Das zunächst gemütliche Wildwest-Abenteuer als Bahnunternehmer fährt sich auf Dauer in Monotonie und schwach umgesetzten Kämpfen fest.