ReCore - Test, Action, PC, XboxOne

ReCore
16.09.2016, Mathias Oertel

Test: ReCore

Im Kern steckt das Detail

Wie kaum ein anderes Spiel der letzten zwei Jahre ging ReCore (ab 9,00€ bei kaufen) durch ein bemerkenswertes Auf und Ab. Der E3-Trailer 2014 wurde mit viel Begeisterung aufgenommen, die zwei Jahre später gezeigten Spielszenen sorgten für Verunsicherung, in manchen Bereichen sogar Ernüchterung. Was die Kooperation von einstigen Metroid-Prime-Entwicklern und Capcoms ehemaligem Urgestein Keiji Inafune letztlich bietet, klären wir im Test.

Als ReCore zum ersten Mal in Form eines Trailers auf der E3 vor zwei Jahren gezeigt wurde, war bei mir die Euphorie groß: Endlich mal wieder ein viel versprechendes Action-Adventure - eine neue Marke noch dazu. Und mit Armature, hinter denen einige Designer von Metroid Prime stecken, sowie Keiji Inafune (MegaMan, Dead-Rising-Serie) als treibende Kreativkräfte sind potente Entwickler mit an Bord. Doch danach wurde ein Mantel des Schweigens über das Projekt gestülpt. Es gab keine Spielszenen und als ReCore in diesem Jahr erstmals in spielbarer Form auf der E3 gezeigt wurde, blieb ein ernüchternder Eindruck.

Vom Hoffnungsträger zur Ramschware?

Die Kernbots sind nicht nur im Kampf nützlich, sondern helfen auch, die Umgebung zu erforschen oder zu öffnen.
Zudem wurde bekannt, dass aus dem einstmals Xbox-One-exklusiven Titel dank "Play Anywhere" auch ein Spiel für Windows-10-PCs wurde - was prinzipiell natürlich keine schlechte Idee ist, aber den Anreiz für Xbox-One-Fans sicherlich etwas schmälerte. Die Szenen, die bei der gamescom dieses Jahres gezeigt wurden, konnten zwar wieder etwas Hoffnung geben, dass hier mehr als nur ein dumpfes Geballer mit minimalem taktischem Anspruch wartet. Doch dafür wurde angekündigt, dass ReCore mit einem Preis im mittleren Segment, also um die 40 Euro, versehen werden würde. War dies doch ein Zeichen dafür, dass Microsoft als Publisher der Qualität des Titels nicht traut? Offiziell hieß es zwar, dass man den Preis senken würde, um eine gesunde Basis für das Etablieren einer neuen Marke zu schaffen. Doch natürlich bleibt im Hinterkopf ein schaler Beigeschmack.

Dieser wurde jedoch in der interessanten Anfangsphase beiseite gewischt. Die Protagonistin Joule Adams findet sich nach einer Katastrophe auf der Erde auf dem Planeten Far Eden wieder, der offensichtlich das erklärte Refugium der Überlebenden werden sollte. Doch auch hier scheint nicht alles glatt zu gehen. Aus einer Bewusstlosigkeit aufwachend, stellt sie fest: Die Terraformer arbeiten nicht, der gesamte Wüstenplanet wirkt unbewohnbar und wird von merkwürdigen Roboterwesen beherrscht. Das macht aber nichts, denn ihr Kumpan Mack ist ebenfalls ein Roboter. Genauer gesagt: Ein Kernbot in Form eines Hundes. Was es mit den Kernen erzählerisch auf sich hat, werden wir an dieser Stelle aus Spoilerrücksicht nicht verraten. Doch auch mechanisch spielen diese Kerne eine Rolle. Die seltenen Prismakerne, die man finden kann, sind sehr wichtig für die Rettung Far Edens, während die verschiedenenfarbigen Standardkerne, die man im Kampf von anderen Kernbots extrahieren kann, für die Entwicklung von

Die Plattform-Sequenzen gehören zum besten, was man in diesem stiefmütterlich behandelten Bereich derzeit bekommen kann.
Joules robotischen Freunden benutzt werden. Neben Mack findet man auch noch Seth (in der Anfangsform eine Spinne) sowie Duncan (anfänglich ein Gorilla), deren verschiedene Farben auch unterschiedliche Angriffsstile und Kampfanfälligkeiten repräsentieren.

Reys kleine Schwester

Armature und Comcept schaffen es, in der Anfangsphase eine mysteriöse Stimmung aufzubauen, die mich neugierig macht. Allerdings fühlte ich mich auch sehr häufig an die erste halbe Stunde aus Star Wars: Das Erwachen der Macht erinnert. Wie Rey auf Jakku ist Joule auf einem Wüstenplaneten unterwegs, auf dem überall Wrackteile zu finden sind. Wie Rey ist Joule im weitesten Sinne Schrottsammlerin. Und wie die Macht-Nutzerin wird auch die Heldin aus ReCore von Robotern begleitet. Ob Armature diese Assoziationen beabsichtigt hat, weiß ich nicht. Aber es wiegt auch deswegen nicht so schwer, weil sich das Abenteuer von Joule trotz dieser grundsätzlichen Ähnlichkeiten schnell in eine andere Richtung entwickelt. Eine Richtung, in der mit schneller Action, Levelerforschung in vergleichsweise offenen Arealen sowie klassischen Plattformsequenzen drei interessante Eckpfeiler ins Fundament gegossen und vor allem anfänglich gut mit der Erzählung verknüpft werden. Im ersten Drittel passt das Tempo. Ruhige Erkundungsmomente wechseln sich ab mit rasanten Gefechten, nur um dann von waghalsigen Sprungsequenzen abgelöst zu werden.

Und in allen Bereichen mit Ausnahme der dank akkurater Steuerung und sehr guter Kollisionsabfrage gelungenen, aber gegen Schluss hammerharten Sprungsequenzen stehen die Kernbots statt Joule im Mittelpunkt. Zwar verfügt die Heldin über ein Gewehr, dessen Nachschub an Energiemunition unendlich ist, aber nach langem Dauerfeuer abkühlen und sich wieder aufladen muss. Doch ohne Mack, Duncan und Seth wären die Auseinandersetzungen gegen die Gegnermassen nicht zu schaffen. Nicht nur, dass die Kernbots autonom angreifen und sich potent zur Wehr setzen. Man kann ihnen zusätzlich noch einen Angriffsbefehl auf das aktuell anvisierte Ziel geben, was sie mit einer Spezialattacke quittieren und danach weiter nach allen Regeln der Kunst versuchen, den Kampf zu beenden. Taktische Finessen kommen u.a. durch die Farben der gegnerischen Kerne ins Spiel. Blau, Rot und Gelb als Standardfarben markieren die Anfälligkeit der jeweiligen Feinde und stehen auch bei der Munitionswahl zur Verfügung. Zusätzlich kann man seinen Schuss in mehreren Stufen aufladen, um z.B. Schilde auszuschalten. Und spätestens beim Betätigen des Ausweichschubs, um einem gegnerischen Angriff aus dem Weg zu gehen, weiß man die halbautomatische Zielaufschaltung zu schätzen, damit man den ausgesuchten Gegner und seine Kombo nicht aus dem Blick verliert. Denn je höher die Kombo, desto höher ist der Schaden, den Joules Knarre unabhängig von der gewählten Munitionsfarbe verteilt.

Kernbots sind das A und O   

Die Gefechte sind dynamisch und dank der Farbvariationen leicht taktisch angehaucht.
Später bekommt man die Möglichkeit, seinen Kernbot zu wechseln, so dass man z.B. vom blauen Mack auf den gelben Seth umschalten kann, falls man feststellen sollte, dass doch mehr gelbe Gegner auf einen warten oder ein Feind mit den seltenen Mischfarbkernen wie Orange, Grün oder Lila wartet. Noch wichtiger für die Kampfdynamik, die in ihren besten Momenten an ein entschleunigtes Vanquish erinnert, ist jedoch die je nach Situation wandernde weiße Markierung innerhalb der feindlichen Lebensanzeige. Schafft man es, die Energie des Kernbots unter diese Grenze zu bekommen, kann man versuchen, ihm den Kern zu entziehen. Hier schaltet ReCore in ein solide inszeniertes "Tauziehen"-Minispiel, das ähnlich harmonisch integriert wurde und auch gegen Ende der etwa zwölf bis 15 Stunden Basisspielzeit als Teil der Kampfchoreografie genauso gut funktioniert wie der Nahkampf in der Doom-Neuauflage. Die so erbeuteten Kerne sind für die Weiterentwicklung der drei Basisfähigkeiten (Angriff, Verteidigung, Energie) der eigenen Roboter wichtig. Allerdings sollte man sich überlegen, ob man nicht vielleicht doch einfach draufhalten und die Explosion der Kontrahenten in Kauf nehmen sollte. Dann nämlich lassen sie immer noch Kernfragmente fallen - und Bauteile, die für die Anschaffung neuer Versatzstücke für seine mechanischen Freunde nötig sind.

Die Heldin Joule kämpft nicht nur gegen feindliche Kernbots, sondern auch die Umgebung, die ihr mit fiesen Sprungpassagen das Leben schwer macht.
Nicht nur im Kampf, auch in der Erkundung der weitläufigen Areale sowie der meist überschaubaren Dungeons muss man immer die Hilfe seiner Kernbots in Anspruch nehmen. Allerdings machen es Armature und Comcept hier unnötig kompliziert. Zum einen kann man immer nur zwei der drei Kerne mit sich führen. Die Antwort auf "Warum?" will sich mir auch nach reiflicher Überlegung nicht erschließen. Vor allem auch, wenn man noch einkalkuliert, dass man diese drei Kerne in fünf Chassis mit besonderen Fähigkeiten einsetzen kann. Der Spinnenkörper kann einem z.B. helfen, an bestimmten Schienen entlangzuhangeln – was zu einigen der spektakulärsten Plattformsequenzen der jüngeren Videospiel-Geschichte führt. Der Hunderoboter wiederum kann mit seiner metallkalten Spürnase Gegenstände erschnüffeln, die im Sand verbuddelt sind, während der fliegende Freund einen im Gleitflug Gebiete erreichen lässt, die mit dem Doppelsprung samt angeschlossenem Vorwärtsschub nie möglich wären. Da eigentlich alle fünf Chassis nötig sind, um sämtliche Geheimnisse, Truhen und die immens wichtigen Prismakerne auf Far Eden zu finden, ist diese Restriktion unnötig zeitraubend.

Robo-Tuning

Denn während man an Teleportpunkten immerhin noch auswählen kann, welche zwei Kerne man mitnimmt, muss man zum Körper- und damit Fähigkeitswechsel immer wieder in die Heimatstation von Joule zurückkehren. Nur hier kann man den Mack-Kern vom Hund in den Gorilla packen, den man benötigt, um bestimmte Gesteinsformationen zu zerstören. Wieso hat man nicht entweder schon an den Reisestationen die Möglichkeit des Kernwechsels? Oder noch besser: Man könnte die Tauschtaste nutzen, um bei einem kurzen Druck zwischen den letzten zwei gewählten Robotern zu alternieren und hat bei einem Halten der Taste Zugriff auf ein Menü zu bekommen, in dem man ad hoc die Kern-/Körper-Kombo verändern kann. Denn da die Ladezeiten auf beiden Systemen nicht ohne sind, wird das dauernde Hin- und Herteleportieren spätestens ab der Hälfte des Spiels zu einer kleinen Tortur. Doch nicht nur hier sind die involvierten Teams über das Ziel hinausgeschossen.

Vor allem gegen Ende, wenn eigentlich alles auf ein sich stetig steigerndes Finale hinauslaufen sollte, wird immer wieder unnötig auf die Bremse getreten. Dass bestimmte Tore nur mit einer festgelegten Anzahl an Prismakernen geöffnet werden können, ist nicht per se das Problem - dies ist eine bewährte Mechanik, die seinerzeit auch bei Super Mario 64 gut funktionierte. Nur wenn die Suche nach diesen Kernen später so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass der Spannungsbogen des sich eigentlich ständig und auch im Anforderungsprofil steigernden Finales immer wieder in sich zusammenfällt, macht es keinen Spaß mehr. Hier hätte man entweder die Anforderungen senken oder den Spieler intelligenter an den benötigten Prismakernen vorbeiführen können. Dabei habe ich prinzipiell nichts gegen das Suchen und Finden von Dingen, um alle Geheimnisse und Türen lüften bzw. öffnen zu können. In ReCore allerdings wirkt es unharmonisch und nur darauf getrimmt, die Spielzeit zu strecken. Es wäre ungleich intensiver gewesen, wenn man das Finale in einem Stück erleben könnte und dann nach eigenem Gutdünken versuchen dürfte, sämtlich Höhlen und Verliese zu finden, die sich teilweise hinter Schlössern verstecken, für die man wiederum die richtigen Schraubenbots suchen muss.

Zu viel des Guten

Über die Action kann man sich kaum beklagen. Allerdings gibt es auch viel Leerlauf und unnötige Spielzeit-Streckung.
Zwar muss ich den involvierten Teams zu Gute halten, dass sie viel guten Willen an den Tag legen, um die Spieler mit abwechslungsreicher Action und vielen Geheimnissen bzw. Belohnungen bei der Stange zu halten. Doch sie haben bei den Verzahnungen etwas den Bogen überspannt. Denn letztlich ist die Welt auf Dauer auch nicht interessant genug, um sie wirklich bis in den letzten Winkel erforschen zu wollen. Und dass man zwischen den richtig gut inszenierten Herausforderungen, die in den letzten Story-Levels sowohl hinsichtlich der Plattform-Action als auch hinsichtlich der Kämpfe warten, immer wieder gezwungen wird, eine dramaturgische Pause einzulegen, nervt in dieser Phase des Spiels. Beinahe so sehr wie die Abstürze der PC-Version, die als erster Titel der "Play-Anywhere"-Initiative das Spielen auf Windows-10-Rechnern und der Xbox One mit einem gemeinsamen Cloud-Spielstand ermöglicht, insofern man den Titel digital erworben hat. Wer die physische Version bevorzugt, schaut mit dem "Überallspielen" in die Röhre. Doch nicht nur Abstürze peinigen ReCore am Rechner. Mitunter ist der Grafikaufbau hier nach einem Neuladen so langsam, dass man unter Umständen aus dem Bereich fällt, bevor der Boden aufgebaut wurde. Und in einem Bereich fehlte sogar die Kollisionsabfrage mit bestimmten Segmenten der Levelarchitektur. Von diesen Problemen bleibt die Xbox One verschont, muss aber dafür mit einer nochmals größeren Ladepause auskommen, wenn nach einem Ableben oder bei einem Gebietswechsel der Abschnitt geladen wird. Die visuellen Unterschiede zwischen beiden Systemen halten sich in Grenzen. Auf dem Rechner wird mit erweiterten Grafikoptionen wie Bildrateneinstellung eine ordentliche Skalierbarkeit gewährleistet. Doch wer die One-Fassung von ReCore mit der auf einem Rechner der Kategorie "obere Mittelklasse" vergleicht, wird nur beim genauen Hinsehen Unterschiede wie schärfere Schatten oder stimmungsvollere Fußspuren im Sand finden, die auf der Konsole in dieser Form nicht zu sehen sind.

Fazit

Nach viel versprechendem Start baut ReCore vor allem in der Mitte ab, bevor es sich im eigentlich gelungenen Finale mit unnötigen Streckungen immer wieder das Leben schwer macht. Die Kernelemente Kampf mit Roboter-Unterstützung, Levelerkundung sowie Plattform-Action können von Anfang an packen und sind gut miteinander verwoben - wenngleich der Wechsel von Kernen und Robo-Körpern verkompliziert wurde. Doch der Kollaboration von Armature (mit ehemaligen Metroid-Prime-Entwicklern) und Comcept (Capcom-Legende Keiji Inafune) fehlt unter dem Strich die leitende Hand. Die Dramaturgie wird immer wieder unnötig gestreckt, so dass die Stärken von ReCore ständig unter die Räder kommen. Der Kampf erinnert mit seiner Dynamik häufig an ein entschleunigtes Vanquish, während viele Plattformsequenzen mit zum Besten gehören, was ich in dieser Konsolengeneration in diesem Bereich erleben durfte. Doch dazwischen findet sich trotz zahlreicher Geheimnisse auch eine Menge spielmechanischer Leerlauf in einer nur anfänglich interessanten Wüstenwelt. Schade, hier wäre mehr möglich gewesen. Doch Microsoft hat ja bereits angedeutet, dass man eventuell eine Marke etablieren möchte, so dass noch weitere Teile folgen könnten, in denen diese Probleme ausgemerzt werden. Das Konzept des Kerntauschs in Verbindung mit der japanisch angehauchten Action sollte auf jeden Fall weiter verfolgt werden - auch wenn der Start in die Welt von ReCore holprig verläuft.

Pro

  • sehr gute Kollisionsabfrage bei der Plattformaction
  • akkurate Steuerung
  • interessante Geschichte
  • dynamische Kämpfe
  • Aufrüsten der Kernbots in mehreren Ebenen
  • viel zu entdecken
  • gute deutsche Lokalisierung
  • ordentlicher dynamischer Soundtrack

Kontra

  • unnötig komplizierter Wechsel von Kernen und Körpern
  • Finale wird unpassend gestreckt
  • Längen im Spieltempo, Hang zum Grind
  • Abstürze, grobe Clipping-Probleme (PC)
  • auf Dauer wenig Gegner-Variation
  • Ladezeiten auf beiden Systemen, aber vor allem auf Konsole

Wertung

PC

Neben den inhaltlichen Schwächen kommen am Rechner auch noch technische Probleme wie Abstürze hinzu.

XboxOne

Die Action ist dynamisch, die Plattform-Sequenzen sind gelungen. Doch die Summe aller Einzelteile lässt viel Potenzial ungenutzt und zeigt unnötige Längen.