Paper Mario: Color Splash - Test, Rollenspiel, Wii_U

Paper Mario: Color Splash
07.10.2016, Mathias Oertel

Test: Paper Mario: Color Splash

Und die Welt wird bunt

Angesichts der schon absehbaren Veröffentlichung der neuen NX-Hardware wird der Veröffentlichungszug für Wii U langsam aufs Abstellgleis geschoben. Doch bevor die Weichen auf Systemwechsel gestellt werden, darf die Papier-Variante von Nintendos Vorzeigeklempner noch sein Debüt auf der Konsole feiern. Wir verraten im Test, ob Paper Mario Color Splash an die Klasse der letzten Mobilabenteuer heranreichen kann.

Eigentlich ist die Insel Prisma, auf der Prinzessin Peach mit Mario und Toad gerade angekommen ist, ein kleines Urlaubsparadies: stilvolle Architektur, weite Strände, strahlend blauer Himmel und azurfarbene Meere. Was will man mehr? Doch die Regentin des Pilzkönigreiches und ihr Haus- und Hof-Klempner legen nicht zum Vergnügen mit dem Schiff in Port Prisma an. Sie folgen einer Spur in Form eines Briefes. Doch nicht irgendein Brief: Das sorgsam gefaltete Papier, das ordnungsgemäß frankiert und gestempelt wurde, ist ein Toad, dem die Farbe entzogen wurde, bevor er zweckentfremdet als Postsendung auf den Weg gebracht wurde.

Ungesunde Farbe

Port Prisma ist ein Urlaubsparadies. Leider können Peach und Mario nicht die Sonne genießen, sondern müssen mit der Hilfe des Eimers Farbian aufklären, wer hinter dem Farbdiebstahl steckt.
Ein gefalteter Toad? Ist das nicht zu grausam? Natürlich nicht. Denn die Paper-Mario-Serie mit ihrem ganz speziellen, leicht minimalistischen Grafikdesign bietet mehr als genug Freiheit für solche Spielereien. Die Charaktere wirken wie aus einem Comic ausgeschnitten und bewegen sich mit nur wenigen Animationsphasen als flache zweidimensionale Figuren durch die dreidimensionale Umgebung, die ebenfalls aus virtuellem Papier, Pappen und Kartons hergestellt wurde. Dieses Stilmittel ist zwar nicht neu, sieht auf Wii U aber so gut aus wie nie zuvor. Das Artdesign wirkt wie aus einem Guss und sorgt von vorne bis hinten für sehr stimmungsvolle Kulissen, die Fans mit etwas Geduld in dieser Form auch in der Realität als Dioramen nachbilden können.

Schon bald nach ihrer Ankunft müssen Peach und Mario allerdings feststellen, dass nicht alles so idyllisch auf Insel Prisma ist, wie es den Anschein hat. Überall sind weiße Flecken zu sehen, bei denen schlichtweg die Farbe fehlt. Nichts bleibt davon verschont: Die Umgebungen sind davon genauso betroffen, wie die Pflanzenwelt und selbst einzelne entfärbte Toads lassen sich ausmachen. Der Niedergang und die Entfärbung der Insel sind jedoch nicht nur auf die Shy Guys zurückzuführen, die mit Strohhalmen bewaffnet Farbe absaugen, wo sie nur können. Entscheidenden Anteil hat auch das Verschwinden der sechs großen Farbsterne, die über dem Brunnen auf dem Marktplatz von Port Prisma strahlen sollten.

Das Papier-Design wird immer wieder für kreative Veränderungen genutzt.
Moment? Sterne finden? Damit kennt sich Mario aus. Und er ist auch nicht auf sich allein gestellt. Der sprechende Farbeimer Farbian (!) steht ihm mit Rat zur Seite, während er mit einem speziellen Hammer nicht nur Feinde bekämpfen, sondern auch den Farbhaushalt auf Prisma regulieren kann.

Kreativer Farbkasten

Zugegeben: Die Geschichte ist weder nach Mario-Standards und schon gar nicht nach allgemeinen Richtlinien innerhalb von Action-Adventures außergewöhnlich. Immerhin wird hier aber für einen relativ langen Zeitraum auf das Thema der entführten Prinzessin verzichtet. Man kann sich allerdings nicht komplett davor schützen, doch Color Splash geht mit sich und seiner erzählerischen Verantwortung sehr selbstironisch ins Gericht – wie auch mit zahlreichen anderen Elementen aus Spiel- oder Pop-Kultur. Zwar sind die mitunter ausufernden Gesprächsseqeuenzen nicht vertont, sondern nur mit einem nervenden „didididididididididid“ unterlegt. Doch wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird auch in Deutsch liebevoll geschriebene Dialoge erleben, die immer wieder zum Schmunzeln anregen. Sehr schön dabei: Jedes Gebiet, das man auf seiner Suche nach den Farbsternen durchstreift, hat meist einen eigenen kleinen Storybogen, der sogar ab und an mit dem übergelagerten Erzählstrang verbunden wird. Aber in jedem Fall kann man sich immer wieder auf kleine Ereignisse freuen, die Marios Abenteuer auflockern.

Obwohl man bei einer Insel, der Farbe abgezwackt wird, eher erwartet, dass der Handwerker mit einem Pinsel agiert, setzt Peachs Serienretter auf einen Hammer, der dank Farbians Unterstützung auf Knopfdruck Farbe verteilt, wo Not am Mann ist. Und das nicht nur in der Einfärbung der Insel, sondern vor allem auch in den Kämpfen gegen die allseits bekannten Schergen Bowsers von Shy Guys über Koopas bis hin zu Bossen wie Piranha-Pflanzen usw. Ähnlich dem Kampfkonzept in Paper Mario Sticker Star auf dem 3DS setzt man hier auf Karten, die man kaufen und finden kann und die stellvertretend für eine Aktion im Kampf stehen. Dazu gehören u.a. Sprungangriffe in verschiedenen Ausprägungen, Feuerkugeln oder Attacken mit dem Hammer, aber auch Abwehraktionen, Heilpilze etc. Wie man es von der Serie kennt und als Inspiration z.B. für Ubisofts South-Park-Rollenspiele dient, kann man durch gutes Timing den Schaden deutlich vergrößern. Das ist insofern wichtig, da man jede Karte nur einmal einsetzen kann, bevor sie für immer verschwindet. Um Nachschub muss man aber dennoch nicht bangen. Man kann sowohl im Shop in Port Prisma welche erwerben, als auch beim Füllen von farblosen Stellen oder nach erfolgreichen Kämpfen  die wertvollen Karten als Belohnung bekommen. Und wenn alle Stricke reißen und man auf dem Trockenen sitzt, kann man sogar einmal pro Zug in einer Art Lotterie eine Karte erwerben.

Hammer statt Pinsel

Die Einbindung des Pads in die Kampfkarten-Auswahl ist nur theoretisch gut. In der Praxis ist das Auswählen und Einfärben frickelig.
Als weiterer Modifikator dient Farbe. Neben den Karten, die schon komplett eingefärbt sind, gibt es auch solche, die nur die Umrisse der Aktion haben und aus dem Farbvorrat, den man mit sich führt aufgefüllt werden müssen. Dabei muss man die Karte aber nicht vollständig füllen, sondern kann auch mit weniger Farbe agieren, dann aber auch damit fertigwerden, dass man weniger Schaden mit dem jeweiligen Angriff anrichtet. Was prinzipiell ein gelungenes Element ist, um die auf Dauer etwas zu gleichförmig ablaufenden sowie unter dem Strich zu einfachen Kämpfe taktisch aufzupeppen, entpuppt sich leider als oberflächlich. Zum einen ist es weiterhin sinnvoller, seine Attacken durch gutes Timing und entsprechendes Knopfdrücken zu verstärken. Zum anderen hat man im Normalfall stets genug Farbe bei sich. Denn obwohl man stets das feuchte Gut ausgibt, um Insel Prisma wieder zu ihrem alten Glanz zu verhelfen, kann man durch gezieltes Demolieren auch Farbe aus Bäumen, Pflanzen etc. abzwacken. Und nach einem erfolgreich beendeten Kampf wird man ebenfalls mit Farbkugeln belohnt. Selbst bei Bosskämpfen kommt man nur selten in Bedrängnis.

Zwar waren die Kämpfe ohnehin nie die Stärke der Serie, doch auf Wii U hätte Paper Mario das Zeug gehabt, in dieser Hinsicht mit der Tradition zu brechen. Andererseits steht das Gesamterlebnis im Mittelpunkt, in denen die Kämpfe zwar eine wichtige, aber letztlich untergeordnete Rolle einnehmen. Das Erleben der Geschichte, das Erforschen der Umgebung und das Lösen der meist umgebungsbezogenen

Statt eines Pinsels nutzt Mario seinen bewährten Hammer, um die Welt wieder einzufärben.
Rätsel ist im Normalfall höher angesiedelt und entsprechend besser umgesetzt. Allerdings schießt man nach etwa einem Drittel etwas über das Ziel hinaus. Während die Anfangsphase noch relativ linear verläuft, stehen in späteren Abschnitten häufig mehrere kleinere Farbsterne zur Verfügung, die gefunden werden müssen und den Weg zu einem weiteren Level freigeben. Dabei variiert man zwar angenehm mit Mechaniken: Mal ist man hauptsächlich mit Kämpfen beschäftigt, in einem anderen Abschnitt warten ein paar Geschicklichkeitstests. Es gibt Plattform-Passagen, Schalterrätsel usw. Allerdings kann man sich irgendwann angesichts vieler zugänglicher Levels, in denen noch dieser oder jener Mini-Farbstern zu finden ist, verzetteln und dann die Hauptaufgabe aus dem Auge verlieren. Und dann kann man sich in der Situation wiederfinden, dass man nicht mehr genau weiß, welcher Abschnitt am sinnvollsten ist, um seinem Endziel einen Schritt näher zu kommen. Ein bestimmter Schlüssel wird z.B. benötigt, doch um an diesen ranzukommen, muss man erst in einem weit entfernten Abschnitt etwas erledigen. Dieser Abschnitt wiederum ist erst betretbar, wenn man diesen oder jenen Stern gefunden hat, der jedoch die Erledigung einer anderen Aufgabe bedingt. Es gibt zwar die Möglichkeit, sich auf die Sprünge helfen zu lassen, doch die Gefahr ist groß, dass man früher oder später die Übersicht verliert.

Der Weg ist das Ziel

Die Insel Prisma bietet zahlreiche miteinender verbundene Gebiete voller Rätsel, Geschichten und Kämpfe.
Dennoch macht es eine Menge Spaß, die Gebiete zu erforschen und Geheimnisse zu entdecken, zu denen auch das Ausschneiden des Hintergrunds gehört - eine wichtige Technik, die ich vor allem in der Anfangsphase immer gerne vergessen habe. Kommt man an einen Bereich, der unzugänglich erscheint oder von dem es keinen Ausweg zu geben scheint, kann man sich durch Druck der Y-Taste in den "Schnittmodus" begeben. Im Bestfall wird nun eine Schnittlinie angezeigt, die man mit der Umgebung passend anordnen muss. Dann schaltet die Anzeige auf dem Wii-U-Pad um und zeigt eine gestrichelte Linie, an der man mit dem Stylus wie mit einem Cutter entlangfährt. Das Ergebnis: Der Hintergrund blättert weg und hinterlässt eine Ebene auf der Mario sich "normal" bewegen kann, bis er sein Ziel erreicht und dann die Perspektive wieder auf die reguläre Ansicht umschaltet. Eine nette Idee, die auch die beste Nutzung für das Gamepad darstellt. In den Kämpfen kann man zwar per Wischen und Drücken auch seine Karten auswählen, mit Farbe füllen und zu Mario auf die Hauptansicht „schnippsen“, doch die Handhabung ist hier gewöhnungsbedürftig. Glücklicherweise kann man in den spartanischen Optionen die Kampfaktionen auf Knopfdruck stellen, so dass es keine Probleme in dieser Hinsicht geben sollte. Das "Ausquetschen" besonders seltener, aber dafür umso potenterer Gegenstände, die in Karten umgewandelt werden, funktioniert ohnehin mackenfrei. Die daraus extrahierten Karten darf man sogar in zwei Funktionen verwenden: Zum einen als "normale" Kampfkarte, zum anderen, um bei Umgebungsrätseln einen weiteren Weg zu offenbaren. So kann z.B. ein Pömpel an der richtigen Stelle eingesetzt, nicht nur einen der Bosse zum Schwitzen bringen, sondern eine verstopfte Röhre reinigen, so dass Mario in die Unterwelt spazieren darf.

Fazit

Der Star von Paper Mario Color Splash ist das kunterbunte Artdesign. Mit seinem bis ins letzte Detail konsequent umgesetzten Papier- bzw. Karton-Thema ist es für mich das stimmungsvollste seiner Art seit den großartigen Abstechern in die Super Mario Galaxien. Und auch erzählerisch weiß der Pappmaché-Ausflug von Nintendos Klempnerstar zu überzeugen. Zwar ist es im Jahr 2016 unglaublich nervig, dass die teils langen Dialoge nur durch irgendwelche kurzen Soundsamples unterstützt werden. Doch die Geschichten, die sich dahinter verbergen, sind charmant, liebevoll geschrieben und immer wieder für eine Überraschung gut.  Mechanisch setzt Color Splash auf die bekannte Mixtur aus Gebietserforschung, Umgebungsrätseln und Kämpfen, wobei Letztere zwar prinzipiell interessante Kartentaktik im Zusammenspiel mit der allgegenwärtigen Farbenthematik versprechen, aber unter dem Strich zu wenig Anspruch bieten und auf Dauer zu gleichförmig verlaufen. Zudem fehlt irgendwann eine stringente Regie, so dass man sich in zwar witzigen, aber unwichtigen Nebenkriegsschauplätzen verzettelt und dabei die Hauptaufgabe bzw. die dafür nötigen Schritte aus dem Auge verliert. Trotz dieser Mankos ist Paper Mario Color Splash ein weiterer kleiner Höhepunkt im zunehmend karger werdenden Portfolio für die ausklingende Wii U.

Pro

  • Rundenkämpfe setzen auf Kampftaktik und Farbmanagement...
  • konsequent durchgehaltenes, sehr charmantes Papier-/Pappe-/Karton-Artdesign
  • liebevolle Geschichten
  • viele Geheimnisse
  • gelungener Soundtrack, der alte und neue Themen schwungvoll vermischt
  • abwechslungsreiches Missions- und sauberes Rätseldesign

Kontra

  • ... bleiben aber unter dem Strich zu leicht und auf Dauer zu gleichförmig
  • keine Sprachausgabe
  • roter Faden geht nach dem ersten Drittel verloren
  • akkurate Sprünge in der Tiefe nicht immer leicht einzuschätzen

Wertung

Wii_U

Die Inszenierung ist altbacken, aber die erzählten Geschichten sind witzig und liebevoll geschrieben, während das hervorragende Artdesign sich ein Duell mit der auf Dauer zu gleichförmigen Kampfmechanik liefert.