Tyranny - Test, Rollenspiel, PC
...überbringt man als so genannter "Schicksalsbinder" nicht. Im Gegenteil: Es ist ein Todesurteil. Als Gesandter des Tyrannen Kyros hat man ein Ultimatum zu verkünden, das allen die Vernichtung bringen kann - sowohl Freund als auch Feind. Das sind zum einen die unterdrückten Stufenvölker, die sich gegen Kyros wehren. Und das sind zum anderen seine beiden Armeen, die diese Rebellen eigentlich unterwerfen sollen. Aber der chaotisch böse "Scharlachrote Chor" und die ehrenvoll elitären "Geschmähten" sind sich aufgrund unterschiedlicher militärischer Traditionen sowie Weltanschauungen selbst spinnefeind und werfen sich meist totales Versagen vor.
Die frohe Botschaft...
Entscheidungen im Stakkato
Sprich: Positive und negative Antworten sowie Aktionen auf dem Schlachtfeld werden nicht in einem Wert summiert, sondern sie lassen z.B. "Gunst" und "Zorn" gemeinsam wachsen. Erreicht man in einem Bereich einen bestimmten Wert, verhalten sich die Beteiligten nicht nur anders, man schaltet auch Gefährtenkombos frei, die einem im Kampf enorme Vorteile bringen. Es klingt zwar etwas paradox, dass man auch von einem wütenden Partner profitiert, aber dafür birgt die Antipathie andere Risikien abseits der Gefechte.
Der Nachteil dieses politischen Ränkespiels: Man wird so schnell hineingeworfen, dass es zunächst schwer fällt, sich in die Rolle hineinzuversetzen. Terratus ist ja eine unbekannte Fantasywelt, deren Völker, Eigenheiten und Geschichte man erst kennenlernen muss. Warum soll man sich für die eine oder andere Armee entscheiden? Und wer ist eigentlich dieser Kyros, für den man arbeitet? Auch wenn der Prolog eine erzählerische Grundlage anbietet und man eine Art Einstieg selbst spielen oder festlegen kann, der für eine eigene Vorgeschichte sorgt, fremdelt man zunächst in dieser politisch unvertrauten Gemengelage. Obsidian Entertainment gelingt es allerdings über geschickte Keyword-Verlinkung in allen Dialogen eine interaktive Enzyklopädie aufzubauen, so dass man jederzeit auf einen Namen oder Begriff zeigen kann, um eine Art Lexikoneintrag zu lesen.
Die Welt von Terratus
Es wird nicht so viel Lektüre vorausgesetzt wie im kommenden Torment: Tides of Numenera, aber wer Klassiker wie Planescape Torment mag, wird sich hier pudelwohl fühlen. Die Spielwelt von Terrratus ist aber nicht derart exotisch fremd, sondern für meinen Geschmack zu klassisch und trotz der anfänglichen Hürden letztlich schnell durchschaubar, zumal es lediglich Menschen und keine anderen Rassen gibt. Auch die humanoiden "Parteien" und Interessen sind recht klar zu trennen.
Sichtbare Konsequenzen
Tyranny ist kein rasanter Lückenfüller: Zwar ist das Drehbuch spürbar auf Konflikt ausgelegt und die Story wächst nicht so harmonisch mit den eigenen Entscheidungen wie etwa in The Age of Decadence, aber dafür spitzt sich die Lage so zu, dass man nach etwa sechs bis acht Stunden schon fast glaubt, das Finale würde eingeläutet - nur um dann erfreut festzustellen, dass sich die Welt erneut öffnet, man Herr über ein Gebäude samt neuem anheuerbaren Personal wird und auch der außenpolitische Druck eine ganz andere Dimension einnimmt. All das ist erzählerisch lobenswert, aber dafür lässt das Spieldesign an anderen Stellen einiges an Potenzial liegen und bietet zu viel Überflüssiges im Sammel- und Erkundungsbereich.
Wenn man einen Zauber wirkt, der die komplette Gruppe bei gleißendem Licht in die Luft befördert, von wo aus Mondlicht für die Heilung der eigenen und die Verwundung feindlicher Kämpfer sorgt, wirkt dieses von der Unity-Engine inszenierte Tyranny spektakulär. Es gibt viele ansehnliche magische Effekte und martialische Animationen. Sehr lobenswert sind auch die Reaktionen innerhalb der pausierbaren Echtzeitgefechte: bei Verbrennungen z.B. schreien die Opfer und fuchteln wild um sich. Trotzdem kann kunterbuntes Chaos sowie Blindheit an Ecken entstehen, zumal die Kamera zwar zoom-, aber nicht drehbar ist.
Spektakuläre Gefechte
Defizite und Schwierigkeitsgrad
Zum anderen kann man Deckungen oder Höhenvorteile im Gelände kaum effizient nutzen, zumal die Wegfindung auch immer wieder zicken kann. Schließlich lässt sich die Umgebung auch nicht interaktiv einbeziehen, etwa über zerstörbare Hindernisse, im Vorfeld gelegte Fallen oder etwa entflammbares Öl. Auch dass man in einem Raum mit Feinden für mehrere Stunden bis zu kompletten Heilung und Aufladung mächtiger Zauber rasten kann, wirkt befremdlich.
Findet man so genannte Sigils, darf man unabhängig von den freigeschalteten Talenten eigene Zauber aus drei Teilen bauen: Man wählt einen Kern wie z.B. Heilung, Blitz oder Frost, danach die Distanz von nah bis weit sowie die Intensität oder andere Verbindungen. Klingt interessant, macht zunächst auch Spaß, aber bietet mir auf lange Sicht zu wenig Möglichkeiten, was Konter oder Schutzmagie betrifft. Da war für einen arkanen Baukasten mehr drin!
Bau dir einen Zauber
Einige kleine Aktionen im Gelände erinnern in der Abfrage von Fähigkeiten auch an Pillars of Eternity: Wer irgendwo hinauf zu einem Schatz klettern will, muss z.B. eine Athletik von 35 vorweisen. Obwohl das lobenswert ist, wirken
viele dieser Situationen eher wie Altlasten, denn dieses Spiel bietet deutlich weniger Erkundungsreize als das klassische Fantasy-Abenteuer, zumal nicht eine weitläufige Welt mit Dungeons und Orten, sondern die Politik sowie die Fraktionskonflikte im Vordergrund stehen. Vielleicht wäre Mut zur Lücke hier besser gewesen.Wenn man in den Schleichmodus wechselt, kann man zwar Fallen finden und entschärfen oder auch lila gefärbte Truhen bzw. Schätze entdecken. Aber das subtile Vorgehen wirkt alles andere als durchdacht und macht kaum Laune. Man kann auch ohne Tarnung in jedem Raum alles mitgehen lassen und selbst bei den mächtigen Archonten klaut man ohne Reaktion oder gar Konsequenzen. Was soll das? Außerdem vermisst man mehr interessante Geheimnisse wie verborgene Räume oder Wege - weder im Gelände noch in den Räumen gibt es viel zu entdecken. Wer
klassisches Labyrinth-Gefühl mit spannenden Erkundundungsphasen sucht, wird in den kleinen Arealen nicht auf seine Kosten kommen.Fallen, Diebstahl & Co
Die vorbildliche Verzahnung von Text und Keywords hatte ich erwähnt. Ganz so lobenswert ist die etwas verschachtelte Benutzeroberfläche auf den ersten Blick nicht, zumal es kleine Hindernisse beim Waffenvergleich gibt: Anstatt automatisch sofort dieselbe Gattung auszuwählen, muss man manchmal manuell die Slots wechseln, wenn man nicht Schwert mit Stab vergleichen will. Man häuft zudem viel Überflüssiges an und muss etwas zu lange mit Schnellzugriff, Sonderzaubern & Co hantieren, bevor es im Kampf flutscht. Erst wenn man das System verinnerlicht hat, weiß man auch die vielen Sortier- und Belegungsfunktionen zu schätzen.
Fazit
Ich mag diese klassischen Rollenspiele. Sie sind zwar visuell nicht so beeindruckend wie die großen Welten in Fallout 4 oder The Witcher 3, aber es entsteht eine angenehm gemütliche Art des Spielens. Und Tyranny zitiert nicht nur Altbekanntes à la Baldur's Gate, sondern ist angenehm kreativ. Es bereichert das Genre um einen politischen Fokus, bei dem sich die Reputation gegenüber Gruppen und Gefährten spürbar auswirkt. Es entsteht ein spannendes Vabanque-Spiel, in dem man trotz der scheinbar klaren Ausgangslage als Todesbote eines Tyrannen sehr viele Möglichkeiten hat, seinen Charakter und das Schicksal der Welt zu prägen. Obsidian Entertainment gelingt es, das Spiel und damit das Wesen des eigenen Charakters so offen zu gestalten, dass man vom brutalen Schlächter über den gnadenlosen Unterdrücker, den listigen Intriganten bis hin zum Retter der Rebellen alle Facetten ausleben kann. Es ist im besten Sinne ein Spiel mit der eigenen Rolle. Wer auf erzählerische Qualität Wert legt, kommt dank sehr guter Dialoge, lebendiger Gefährten und dichter Dramaturgie voll auf seine Kosten. Allerdings ist die Spielwelt von Terratus selbst weniger exotisch, die Erkundungsreize halten sich in Grenzen und trotz lobenswertem Magiebaukasten wirken das Sammeln, Schleichen und Entdecken manchmal überflüssig. Die Kämpfe sind fokussierter und aufgrund der Gefährtenkombos spektakulärer als in Pillars of Eternity, aber lassen einiges an taktischem Potenzial liegen. Der Kern der Faszination liegt hier nicht in den Gefechten, dem Auskundschaften im Gelände oder gefährlichen Dungeons, sondern im tollen politischen Ränkespiel. Das Drehbuch ist spürbar auf Konflikt ausgelegt und die Story wächst nicht so harmonisch mit den eigenen Entscheidungen wie etwa in The Age of Decadence, aber dafür spitzt sich die Lage so zu, dass man nach etwa sechs bis acht Stunden schon fast glaubt, das Finale würde eingeläutet - nur um dann erfreut festzustellen, dass sich die Welt erneut öffnet und der politische Druck eine ganz andere Dimension einnimmt. Wer Entscheidungen mit Konsequenzen und Abenteuer à la Planescape Torment mag, wird von Tyranny sehr gut unterhalten.
Pro
- interessante politische Ausgangslage
- sehr gutes Reputationssystem (Gruppen/Personen)
- ausführliche Dialoge, gut geschriebene Texte
- sehr gute Dramaturgie mit einigen Höhepunkten
- Entscheidungen mit spürbaren Konsequenzen
- manuelle Charaktererstellung
- Party-Management mit vier Gefährten
- lebendige Party-Interaktion und Konflikte
- pausierbare Echtzeitkämpfe mit vielen Optionen
- einige spektakuläre Gefährtenzauber
- eigene Zauber bauen
- Einsatz von Skills verbessert diese
- optional Einstieg spielen oder drei Starts festlegen
- KI-Automatismen für Kampf festlegen
- vier Schwierigkeitsgrade plus zwei Optionen
- hoher Wiederspielwert dank sich ändernder Welt
- sehr gute deutsche Übersetzung
- mehrere Enden
- kaum Bugs
Kontra
- zu Beginn fällt Identifikation mit Spielwelt schwer
- nur recht kleine Areale, kaum Gebäude
- zu wenig Geländetaktik/Interaktion möglich
- Gegner-KI lethargisch, zu kurze Sichtlinien
- manchmal zickige Wegfindung
- Rast, obwohl Feinde in der Nähe
- Diebstahl ohne Konsequenzen
- viel überflüssiger Krimskrams
- Kamera nicht drehbar
- etwas überfrachtete Benutzeroberfläche
- nur sporadische Sprachausgabe