Silence - Test, Adventure, XboxOne, Linux, PC, PlayStation4, Mac, Switch

Silence
16.11.2016, Jan Wöbbeking

Test: Silence

Das spielbare Gemälde

Nach Jahren des Feintunings hat Daedalic endlich die anspruchsvolle Technik des Projection-Mappings gebändigt: Im mittlerweile nur noch „Silence (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)“ genannten Nachfolger zu The Whispered World fühlt man sich wie in ein räumliches Gemälde versetzt. Im Test überprüfen wir, ob die Rätselreise auch inhaltlich verzaubert, wenn Noahs Schwester Renie nach einem Bombenangriff aus einem Bunker verschwindet und er sich in der Fantasiewelt Silence auf die Suche macht.

Es hat lange gedauert, aber der Aufwand hat sich gelohnt: So hübsch wie in Silence sind bislang tatschlich noch nie Pinselstriche zum Leben erweckt worden. Bereits das Fantasy-Adventure The Book of Unwritten Tales 2 nutzte diese Technik, Marco Hüllens Naturkulissen aus Silence wirken aber noch ein wenig uriger. Statt wie bei Telltale & Co. gewöhnliche Polygone mit gezeichneten Texturen zu versehen, gehen die beiden deutschen Adventures den umgekehrten Weg. Zuerst werden großflächige Kulissen-Elemente gezeichnet und erst dann über ein Gitter gelegt, welches dreidimensional zurechtgezupft wird. Das Prinzip erinnert an ein räumliches Diorama, das man aus Pappe gebastelt hat: So lange man vor der Kulisse bleibt, kann man Schwenks und Kamerafahrten starten, nur seitlich oder von hinten fällt der Trick auf. Dank der großflächigen Gemälde bleiben auch lange Pinselstriche sichtbar. Im Gegenzug ist es offenbar gar nicht so einfach, das Gesamtergebnis mit Effekten und hübscher Beleuchtung technisch sauber hinzubekommen.

Zurück in Silence

Es liegt Ärger in der Luft: Im Bereich der Gestik und Mimik hat sich Daedalic enorm gesteigert.
In der Einleitung wird damit noch die reale Welt dargestellt, in der Hauptfigur Noah mit seiner kleinen Schwester Renie Zuflucht in einem Bunker sucht. Nachdem die Erde bei einem weiteren Bombenangriff bebte, ist sein Schützling plötzlich verschwunden und Noah findet sich erneut in der verwunschenen Fantasiewelt Silence wieder. Diesmal hat eine „falsche Königin“ die Macht an sich gerissen, deren finstere Kreaturen, so genannte Sucher, die Welt durchstreifen. Was genau sie dort  finden wollen, sei hier noch nicht verraten. Doch Noah (bzw. seine zynische Persönlichkeitshälfte Sadwick) versucht natürlich, zwischen knorrigen Wäldern und zerklüfteten Felsen seine kleine Schwester zu retten. Dabei trifft er auf ein Grüppchen Widerstandskämpfer, welche die falsche Königin wieder aus dem Thronsaal vertreiben wollen. Da es sich um ein Adventure handelt, müssen sie zusammen mit ihren neuen Verbündeten allerlei mystische Rätselprüfungen bestehen und den Klauen der finsteren Sucher entkommen.

Auf dem Weg zur finsteren Herrscherin wechselt der Spieler immer wieder zwischen dem Protagonisten-Trio. Renie hat als unterschätztes kleines Mädchen den Vorteil, dass sie sich oft einfach davonschleichen kann, wenn die Erwachsenen mal wieder über ihren Kopf hinweg Entscheidungen fällen. Dabei erzielt sie mit ihrer kindlichen Unbekümmertheit oft schneller Ergebnisse und kann sich sogar unbemerkt an Suchern vorbei mogeln. Im verwunschenen Wald etwa probiert sie erst einmal sämtliche giftig aussehende Beeren und Pilze, die sie in die Finger bekommt. Kurzfristig führt das zwar zu unerwünschten Nebeneffekten wie psychedelischen Farbeffekten. Als sie alle Zutaten zusammen hat, braut sie aber erfolgreich ein ekelhaftes Süppchen, welches eine fleischfressende Pflanze zum Würgen bringt, so dass sie einen wichtigen Botenvogel ausspuckt.

Wenn der Kuchen schwafelt…

Warum hat die falsche Königin die Bewohner mit ihren furchteinflößenden Suchern verscheucht?
Leider gibt es diesmal nicht mal ein Inventar. Stattdessen erstrecken sich die Rätsel meist auf wenige begehbare Bildschirme, auf denen man nacheinander Fundstücke ans Ziel trägt und Objekte durch kleine Geschicklichkeitstests bewegt. Mal drückt man den Stick kurz nach rechts oder links, um auf einem wackeligen, selbst  gebastelten Steg zu balancieren, anderswo wird mit einem Ruck ein Seil für eine Falle festgezurrt - nicht wirklich spannend, aber eine nette Auflockerung. Noah knobelt sich auf ähnliche Weise durchs Spiel, Multifunktionsraupe Spot besitzt dagegen wieder allerlei nützliche Spezialfähigkeiten. Macht er sich platt, schlüpft er z.B. durch schmale Gitterstäbe. Nachdem er von einem riesigen Drachen angezündet wird, kann er als Feuerspot störende Barrieren aus dem Weg brutzeln. Auch die aufgeblasene Kugelform und andere clevere Tricks wurden wieder schön miteinander kombiniert und richtig putzig animiert.

Beim Lösen von Rätseln hat man zwar nicht die freie Wahl zwischen den Figuren, wechselt aber immer wieder hin und her, damit sie sich gegenseitig aushelfen, während sie in benachbarten Schauplätzen feststecken. Dabei wird deutlich, wie intensiv und professionell Daedalic die Puzzles  mit der Hilfe von Testspielern poliert hat. Als zwei widerspenstige Jungen nicht das wuchtige Stadttor öffnen wollen, deuten sie zunächst nur vage an, womit sie sich bestechen lassen könnten. Da Renie in einem ähnlichen Alter ist, kann man einfach mit ihr Rücksprache über angesagte Spielzeuge halten. Wenn man nun noch ein wenig mit den beweglichen Gegenständen experimentiert, hat man das begehrte Objekt relativ schnell eingefangen.

Komfortables Knobeln

Eine Raupe eilt zur Rettung - hier in ihrer platten Form!
Oder man zeigt per Klick auf den Analogstick einen der (auf Wunsch deaktivierbaren) Hinweise an, die einem geschickt, aber nicht zu direkt auf die Sprünge helfen. In diesem Bereich könnte sich Crytek eine Menge für sein nächstes VR-Adventure abschauen. Die simpel gehaltene Steuerung geht sowohl per Controller als auch mit der Maus gut von der Hand: Meist entscheidet die Figur, ob sie einen Gegenstand nur betrachtet oder benutzt. Manchmal muss der Spieler allerdings entscheiden, in welche der Pfeilrichtungen er ihn bewegt. Oder man versucht sich an einem der ausgelagerten Minispiel-Puzzles, deren Qualität schwankt und die sich auch diesmal überspringen lassen.

Ein wenig schade dabei ist aber, dass man sich durch die begrenzten Areale und das fehlende Inventar immer ein wenig eingeschränkt fühlt. Zeitweise erinnert das Knobeln also eher an Fire oder die Gobliiins. In Kombination mit den knapp sieben Stunden Spielzeit fühlt sich der Ausflug also weniger nach einer großen Abenteuerreise an als der Vorgänger oder Deponia Doomsday. Zudem bleiben die Nebencharaktere ungewohnt blass. Figuren wie der weise Janus, die sturköpfige Kriegerin Kyra oder der gutmütige Sam wirken zwar sympathisch und wurden ähnlich gut synchronisiert wie die Hauptfiguren. Meist bleiben sie aber lediglich Stichwortgeber für das wahre Heldentrio.

Zahmere Dialoge

Bewegung statt Inventar: Immer wieder muss man die Balance halten oder Objekte verschieben.
Allgemein fühlt man sich stärker wie in einem spielbaren Kinderbuch als im Vorgänger, als Zyniker Sadwick alles und jeden mit bissigen Sprüchen kommentiert hat. Anne von Vaszary besitzt zwar ebenfalls ein Gefühl fürs Timing ihrer Gags, z.B. wenn die übermütige Renie immer wieder komplizierte Begriffe falsch ausspricht. Clown Sadwick hat allerdings seinen Biss verloren, obwohl er immer mal wieder einen Gastauftritt bekommt, wenn Noah die Clownsmütze überstreift. Auch alte Bekannte bekommen ein paar schöne Cameos spendiert, z.B. die sich ewig zankenden Steinbrüder Ralph und Yngo. Zum Ende der Geschichte gibt es sogar noch ein paar bewegende und richtig schön inszenierte Momente, die passend von Pianoklängen untermalt werden. Lediglich die alternativen Enden ließen mich ein wenig ratlos zurück. Im Verlauf des Abenteuers gibt es immer wieder Gewissensentscheidungen, allerdings deutlich seltener als bei Telltale.

Fazit

Ich habe schon lange nicht mehr so oft auf die Screenshot-Taste gehämmert wie beim Test von Silence. Och, wie knuffig, ein kuschelnder Spot in der Nahaufnahme! Und das surreale Bergpanorama muss natürlich auch unbedingt festgehalten werden. Und der brodelnde Lavasee, das Schiff im prasselnden Regen, und, und, und… Bob Ross hätte bestimmt eine Träne der Rührung verdrückt, wenn er noch mitbekommen hätte, dass dank Projection-Mapping einmal derart malerische Pinselstriche in einem Spiel möglich werden. Auch in die Mimik und die natürlichen Animationen floss viel Liebe zum Detail. Die neue Autorin Anne von Vaszary hat es geschafft, in der zweiten Entdeckungsreise nach Silence einige zauberhafte, teils sogar richtig bewegende Momente zu inszenieren. Die filmische Umsetzung und die familienfreundliche Aufmachung bringen aber auch Nachteile mit sich. Renies unbekümmerte Art wirkt durchaus charmant, trotzdem habe ich Sadwicks Zynismus schmerzlich vermisst. Wirklich fordernde Rätsel fehlen ebenfalls, im Gegenzug wirken die vorhandenen aber sehr geschliffen. Besonders cool sind die Experimente mit der wandelbaren Raupe Spot und im Ernstfall helfen geschickt formulierte Hinweise weiter. Alles in allem hat mir der zweite Ausflug in Marco Hüllens urig gezeichnete Zauberwelt gut gefallen - obwohl mir diesmal Pokis bissiger Humor fehlte.

Pro

  • bewegende Rahmenhandlung über Verlust und Flucht in Fantasiewelten
  • zauberhafte Fantasy-Welt
  • malerische 3D-Hintergründe dank Projection- Mapping
  • natürlich animierte Figuren mit feiner Mimik
  • coole Experimente mit Multifunktionsraupe Spot
  • viele durchdachte Hinweise verhindern Rätselfrust
  • charmante kleine Gags und Wortspiele
  • emotionaler Soundtrack fängt schön Stimmungen ein
  • Hilfe und Markierungen frei zu- und abschaltbar
  • gelungene deutsche Vertonung

Kontra

  • Nebenfiguren bleiben zu oberflächlich und unbedeutend
  • kaum anspruchsvollere oder gar knackige Rätsel
  • Beschränkung auf kleine Areale und Verzicht auf Inventar
  • mäßig unterhaltsame Minispiele (lassen sich überspringen)
  • hochgradig komischer Sarkasmus aus dem Vorgänger fehlt diesmal
  • mit nur rund sieben Stunden etwas kurz

Wertung

PC

Zauberhaft inszenierte Fantasy-Reise mit durchdachten Rätseln, der allerdings der Biss des Vorgängers fehlt.