Silence - Test, Adventure, XboxOne, Linux, PC, PlayStation4, Mac, Switch
Es hat lange gedauert, aber der Aufwand hat sich gelohnt: So hübsch wie in Silence sind bislang tatschlich noch nie Pinselstriche zum Leben erweckt worden. Bereits das Fantasy-Adventure The Book of Unwritten Tales 2 nutzte diese Technik, Marco Hüllens Naturkulissen aus Silence wirken aber noch ein wenig uriger. Statt wie bei Telltale & Co. gewöhnliche Polygone mit gezeichneten Texturen zu versehen, gehen die beiden deutschen Adventures den umgekehrten Weg. Zuerst werden großflächige Kulissen-Elemente gezeichnet und erst dann über ein Gitter gelegt, welches dreidimensional zurechtgezupft wird. Das Prinzip erinnert an ein räumliches Diorama, das man aus Pappe gebastelt hat: So lange man vor der Kulisse bleibt, kann man Schwenks und Kamerafahrten starten, nur seitlich oder von hinten fällt der Trick auf. Dank der großflächigen Gemälde bleiben auch lange Pinselstriche sichtbar. Im Gegenzug ist es offenbar gar nicht so einfach, das Gesamtergebnis mit Effekten und hübscher Beleuchtung technisch sauber hinzubekommen.
Zurück in Silence
Auf dem Weg zur finsteren Herrscherin wechselt der Spieler immer wieder zwischen dem Protagonisten-Trio. Renie hat als unterschätztes kleines Mädchen den Vorteil, dass sie sich oft einfach davonschleichen kann, wenn die Erwachsenen mal wieder über ihren Kopf hinweg Entscheidungen fällen. Dabei erzielt sie mit ihrer kindlichen Unbekümmertheit oft schneller Ergebnisse und kann sich sogar unbemerkt an Suchern vorbei mogeln. Im verwunschenen Wald etwa probiert sie erst einmal sämtliche giftig aussehende Beeren und Pilze, die sie in die Finger bekommt. Kurzfristig führt das zwar zu unerwünschten Nebeneffekten wie psychedelischen Farbeffekten. Als sie alle Zutaten zusammen hat, braut sie aber erfolgreich ein ekelhaftes Süppchen, welches eine fleischfressende Pflanze zum Würgen bringt, so dass sie einen wichtigen Botenvogel ausspuckt.
Wenn der Kuchen schwafelt…
Beim Lösen von Rätseln hat man zwar nicht die freie Wahl zwischen den Figuren, wechselt aber immer wieder hin und her, damit sie sich gegenseitig aushelfen, während sie in benachbarten Schauplätzen feststecken. Dabei wird deutlich, wie intensiv und professionell Daedalic die Puzzles mit der Hilfe von Testspielern poliert hat. Als zwei widerspenstige Jungen nicht das wuchtige Stadttor öffnen wollen, deuten sie zunächst nur vage an, womit sie sich bestechen lassen könnten. Da Renie in einem ähnlichen Alter ist, kann man einfach mit ihr Rücksprache über angesagte Spielzeuge halten. Wenn man nun noch ein wenig mit den beweglichen Gegenständen experimentiert, hat man das begehrte Objekt relativ schnell eingefangen.
Komfortables Knobeln
Ein wenig schade dabei ist aber, dass man sich durch die begrenzten Areale und das fehlende Inventar immer ein wenig eingeschränkt fühlt. Zeitweise erinnert das Knobeln also eher an Fire oder die Gobliiins. In Kombination mit den knapp sieben Stunden Spielzeit fühlt sich der Ausflug also weniger nach einer großen Abenteuerreise an als der Vorgänger oder Deponia Doomsday. Zudem bleiben die Nebencharaktere ungewohnt blass. Figuren wie der weise Janus, die sturköpfige Kriegerin Kyra oder der gutmütige Sam wirken zwar sympathisch und wurden ähnlich gut synchronisiert wie die Hauptfiguren. Meist bleiben sie aber lediglich Stichwortgeber für das wahre Heldentrio.
Zahmere Dialoge
Fazit
Ich habe schon lange nicht mehr so oft auf die Screenshot-Taste gehämmert wie beim Test von Silence. Och, wie knuffig, ein kuschelnder Spot in der Nahaufnahme! Und das surreale Bergpanorama muss natürlich auch unbedingt festgehalten werden. Und der brodelnde Lavasee, das Schiff im prasselnden Regen, und, und, und… Bob Ross hätte bestimmt eine Träne der Rührung verdrückt, wenn er noch mitbekommen hätte, dass dank Projection-Mapping einmal derart malerische Pinselstriche in einem Spiel möglich werden. Auch in die Mimik und die natürlichen Animationen floss viel Liebe zum Detail. Die neue Autorin Anne von Vaszary hat es geschafft, in der zweiten Entdeckungsreise nach Silence einige zauberhafte, teils sogar richtig bewegende Momente zu inszenieren. Die filmische Umsetzung und die familienfreundliche Aufmachung bringen aber auch Nachteile mit sich. Renies unbekümmerte Art wirkt durchaus charmant, trotzdem habe ich Sadwicks Zynismus schmerzlich vermisst. Wirklich fordernde Rätsel fehlen ebenfalls, im Gegenzug wirken die vorhandenen aber sehr geschliffen. Besonders cool sind die Experimente mit der wandelbaren Raupe Spot und im Ernstfall helfen geschickt formulierte Hinweise weiter. Alles in allem hat mir der zweite Ausflug in Marco Hüllens urig gezeichnete Zauberwelt gut gefallen - obwohl mir diesmal Pokis bissiger Humor fehlte.
Pro
- bewegende Rahmenhandlung über Verlust und Flucht in Fantasiewelten
- zauberhafte Fantasy-Welt
- malerische 3D-Hintergründe dank Projection- Mapping
- natürlich animierte Figuren mit feiner Mimik
- coole Experimente mit Multifunktionsraupe Spot
- viele durchdachte Hinweise verhindern Rätselfrust
- charmante kleine Gags und Wortspiele
- emotionaler Soundtrack fängt schön Stimmungen ein
- Hilfe und Markierungen frei zu- und abschaltbar
- gelungene deutsche Vertonung
Kontra
- Nebenfiguren bleiben zu oberflächlich und unbedeutend
- kaum anspruchsvollere oder gar knackige Rätsel
- Beschränkung auf kleine Areale und Verzicht auf Inventar
- mäßig unterhaltsame Minispiele (lassen sich überspringen)
- hochgradig komischer Sarkasmus aus dem Vorgänger fehlt diesmal
- mit nur rund sieben Stunden etwas kurz