Oculus Touch - Test, Hardware, PC, VirtualReality, OculusRift

Oculus Touch
05.12.2016, Jan Wöbbeking

Test: Oculus Touch

Schattenboxen in VR

Im März startete die Rift noch ohne Bewegungs-Controller ins VR-Zeitalter, jetzt schließt Oculus Touch die Lücke. Die zwei Ringe mit handlichen Griffen erfassen sogar Fingergesten und sollen intuitive Spielkonzepte ermöglichen. In unserem Test nehmen wir das außerirdisch anmutende Zubehör näher unter die Lupe, welches dank einer weiteren Kamera auch kleinere Roomscale-Konzepte unterstützt.

Es ist schon ein erstaunlich cooles Gefühl, wenn man die kleinen Controller zum ersten Mal in den Händen hält und in der mitgelieferten Einstiegs-Demo im Roboter-Labor herumpfuscht. Zuerst ist es gar nicht so leicht, das richtige Exemplar für die rechte bzw. linke Hand zu finden, doch dann versteht man ihren Zweck auf Anhieb: Da sie locker und sehr natürlich in der Handfläche liegen, ist es tatsächlich, als würde ich in der virtuellen Welt meine eigene Hand vor den Augen umher bewegen. Als sich der verängstigte Roboter in einer Ecke versteckt, winke ich ihm einfach zu, um sein Vertrauen zu gewinnen und ihn zu mir zu locken. Danach wird das Greifen zur wichtigsten Funktion, die sich dank zwei Triggern und Fingertracking bemerkenswert intuitiv anfühlt: Drücke ich sie zusammen, greife ich zu und hebe z.B. eine Karte auf. Oder ich balle meine Hand zu einer Faust und boxe eine Dose vom Tisch.

Endlich frei!

Titel wie Fruit Ninja oder Space Pirate Trainer funktionieren hochgradig präzise, weil man an einem Ort stehen bleibt und vom Spiel in Richtung der Kameras ausgerichtet wird...
Außerdem wird die Position von Daumen und Zeigefinger gemessen - zwar nur in zwei Stufen, doch das langt, um ein „Thumbs-up“ zu zeigen oder mit dem Zeigefinger auf etwas zu deuten. Besonders praktisch ist, wenn sogar ein Lichtstrahl aus dem Zeigefinger strömt und ich wie mit einem Laserpointer entfernte Gegner oder Objekte präzise anpeilen kann. Ermöglicht wird all das durch das eingebaute „Constellation Tracking“ der Finger und mit Hilfe der mitgelieferten zweiten Tracking-Kamera. Zusammen mit dem ersten Exemplar der Rift kann man die zwei Sensoren also rechts und links neben den Monitor stellen. Dadurch werden das VR-Headset und die Controller auch seitlich besser erfasst, so dass Roomscale-Spiele möglich werden, bei denen man die Arme durch die Luft bewegt oder sogar ein wenig im Raum umhergeht. Die Fläche bleibt dabei allerdings etwas kleiner als es bei Vive möglich ist. Außerdem kann es zu Problemen kommen, wenn man sich komplett umdreht und die Hände hinter dem Körper aus den Sichtkegeln verschwinden (was sich übrigens mit zusätzlichen Kameras vermeiden lässt, doch dazu später mehr).

Ein Vorteil gegenüber den Vive-Controllern sind neben der anschmiegsameren Ergonomie auch die übrigen Bedienelemente. Während sich das Touchpad und die flachen Knöpfe bei HTC ein wenig billig anfühlen, wirken X und Y auf den Touch-Controllern runder, robuster und bieten einen besseren Druckpunkt. Der Analogstick fühlt sich ebenfalls stabil an, lässt sich per Klick als zusätzlicher Knopf nutzen und erweist sich in ersten Spielen als nützliche Ergänzung. Ein verhältnismäßig kleiner Kritikpunkt betrifft die Größe der Bedienelemente. 

Robuste Verarbeitung

...bei weitläufigeren Spielen wie Final Approach stößt man allerdings schnell wortwörtlich an die Grenzen des Machbaren: In den Randbereichen oder wenn man sich viel drehen muss, kommt es immer wieder zu Tracking-Fehlern.
Alles wirkt hier ein wenig kleiner als bei den Controllern von PS4 oder Xbox One und erinnert eher an Handhelds: Das betrifft sowohl die Knöpfe X und Y als auch die verhältnismäßig kurzen Hebelwege des Analogsticks und der zwei Trigger. Zusätzlich besitzt jeder Controller noch eine flache Menütaste – eine fürs Oculus-Systemmenü, die andere z.B. als Pausentaste. Es ist übrigens gar nicht so einfach, den Controller in die Hand zu nehmen, ohne schon versehentlich eine der Tasten zu drücken. Direkt vor den Kameras funktioniert das Tracking meist sehr präzise, so dass feinfühlige Bewegungen möglich werden. Im Mehrspieler-Duell The Unspoken von Insonmiac Games (Sunset Overdrive) stehen sich z.B. zwei Magier gegenüber, um Zauberprojektile und andere Dinge aufeinander zu schleudern. Die Standard-Magiekugeln werden dort seitlich wie eine Frisbee geworfen: Wie in der realen Welt besitzt die Wurftechnik daher ihre Tücken, funktionierte in ersten Runden gegen die KI aber schon gut (online gab es noch nicht genügend Mitspieler). Noch beeindruckender wirken die Bewegungen in den Demos zum grafisch aufwändigen Robo Recall von Epic oder zum vorerst Oculus-exklusiven Superhot VR. Vor allem das Ausweichen, die schnellen Fausthiebe sowie das Greifen und Werfen von herum liegenden Objekten fühlt sich derart natürlich an, dass man völlig im Spiel versinkt. Näheres dazu findet ihr in unserer Vorschau.

Neben The Unspoken bekommen Vorbesteller die Minispielsammlung VR Sports von Sanzaru Games (Sly Cooper: Jagd durch die Zeit). Auch hier lassen sich Objekte wie der Schläger eine Hockey-Torwarts exakt bewegen. Die kleinen Prüfungen motivieren aber nur wenige Minuten lang und verwirren mitunter mit plötzlichen Perspektivwechseln: Mal wirft man während eines wichtigen Spielzugs einen Football und fängt ihn kurz danach in der Rolle des nächsten Spielers auf, die dritte Disziplin versetzt den Spieler vor einen Basketballkorb. Wer sich geschickt anstellt, kann sich aber immerhin in den weltweiten Bestenlisten nach oben arbeiten. Mitgeliefert werden neben den zwei Controllern mit Sicherheitsschlaufe und einer Tracking-Kamera mit Sockel und Kabel auch ein Adapter für ein später geplantes Rock-Band-Spiel („Rock Band Connector“). Die zwei Controller werden jeweils von einer handelsüblichen AA-Batterie (oder einem entsprechendem Akku) versorgt, die offenbar lange durchhält: Die zwei mitgelieferten Batterien mussten wir nach über zehn Spielstunden noch nicht wechseln - obwohl sogar ein kleiner Vibrationsmotor für fühlbares Feedback eingebaut ist.

Was liegt bei?

Ungewohnt aber sehr ergonomisch und komfortabel: Jede Hand bekommt ihren eigenen Ringknubbel-Controller.
Im Gegensatz zu den fest verbauten Akkus von PlayStation Move muss man sich also keine Sorgen darüber machen, dass die Controller in ein paar Jahren den Geist aufgeben. Andererseits gibt es aber auch keine USB-Buchse für bequeme Ladestationen. Aufbau und Einrichtung gingen bei uns etwas leichter von der Hand als der Montage-Marathon bei HTC Vive oder die etwas umständliche Kalibrierung von PSVR. Zunächst wollte das Setup-Programm zwar noch nicht so richtig, nach einem Neustart von Windows 10 waren die Treiber aber richtig installiert und alle Schritte (wie das Ausrichten der Kameras) flutschten problemlos.

Wer das Setup mit zwei frontalen Kameras (oder einer davon seitlich) wählt, bekommt unseren Erfahrungen nach eine recht ordentliche Roomscale-Erfassung auf kleinerem Raum - laut offiziellem Factsheet ist das System dann auf eine Fläche von 1,5 mal 1,5 Meter ausgelegt (oder sogar 2 x 2 Metern bei Titeln, die sich frontal vorm Nutzer abspielen). Wer sich umdreht, läuft allerdings Gefahr, ab und zu mit den Händen in den toten Winkel zu geraten, den die Kameras nicht erkennen können. Das Problem wird softwareseitig zwar ein wenig mit Hilfe der im Controller eingebauten Sensoren ausgeglichen (Gyroskop und Beschleunigungssensor), trotzdem muss man im kritischen Bereich damit leben, dass kurzzeitig der Controller davonschwebt oder anderweitig herumzuckt. In seltenen Momenten kann es am Rande des Bereichs auch vorkommen, dass das komplette Spielfeld leicht wackelt und man ein wenig ins Schwanken gerät. Wer keine toten Winkel, mehr Genauigkeit sowie eine größere Fläche möchte, sollte zu weiteren Tracking-Kameras greifen. Die Einbindung in Steam hat bereits verraten, dass insgesamt bis zu vier Exemplare unterstützt werden.

Roomscale mit Tücken?

Ein Größenvergleich mit einem Vive- und Xbox-One-Controller. Durch den Fotoblitz erkennt man auf den Ringen die Tracking-Punkte, die sonst unsichtbar bleiben.
Wir haben es mit drei Kameras ausprobiert, die wir am Rande des Spielfelds auf selbstgebastelte Sockel oder stabile Kartons gestellt haben, in etwa auf Höhe der Controller. Das ermöglicht eine empfohlene Fläche von rund 2,5 mal 2,5 Metern. Das Experiment funktionierte: Wenn wir uns umdrehten, kam es seltener zu Fehlern oder Controllerzucken.

Wer direkt vorm Monitor das bestmögliche Tracking haben möchte, sollte die zwei frontalen Kameras allerdings nicht zu weit auseinander stellen und stattdessen lieber mit einem etwas kleineren Bereich Vorlieb nehmen. Je weiter die Controller von den Infrarot-Kameras mit ihrer begrenzten Auflösung entfernt sind, desto ungenauer wird schließlich auch das Tracking – anders als bei den präzisen Lasern der Vive. Ihr solltet übrigens mindestens zwei USB-3.0-Buchsen für den Anschluss des Headsets und des ersten Sensors reservieren. Für weitere Kameras langt laut Oculus auch der 2.0-Standard. Empfohlen werden dabei aber ebenfalls 3.0-Buchsen, die auch von uns benutzt wurden.

An der Leine

Preis: 199 Euro (inclusive Tracking-Kamera)Damit man nicht gegen den Tisch oder andere Hindernisse kracht, hat Oculus ein ähnliches Warnsystem wie beim HTC Vive eingebaut. Bei der Einrichtung geht der Spieler die Ränder seines Spielfelds mit dem Controller ab und legt so die leuchtenden Gitter-Grenzen des „Guardian“-Systems fest. Nähert man sich in einem Spiel dem Rand, wird plötzlich das leuchtende Gitter eingeblendet. So schützt man sich beim Spielen im Stehen effektiv vor Kollisionen. Im Sitzen kann das Gitter allerdings auch stören – z.B., wenn man zwischendurch mal kurz die Maus oder die Tastatur bedienen will und man die penetrant leuchtende Grenze an der Schreibtischkante direkt vor Augen hat. Bei bewegungsintensiven Spielen machte sich manchmal das etwas zu kurze Kabel der Oculus Rift bemerkbar: Wer mit mehreren Kameras die vollen 2,5 Meter Fläche nutzen möchte, muss den PC schon exakt am Rand der Spielfläche platzieren – und zwar so, dass auch die USB-Buchsen in die richtige Richtung zeigen. Andernfalls kann es passieren, dass man wie ein angeleinter Hund an seine Grenzen stößt.

Eckdaten Oculus Touch:  
Maße: 98 x 110 x 100mm

Gewicht: 136 Gramm (ohne AA-Batterie)

Intern: Gyroskop, Beschleunigungssensor Externes Tracking: Infrarot

Fazit

Schön, dass auch Oculus Rift endlich im Zeitalter von Bewegungssteuerung angelangt ist – und dann gleich mit derart gelungenen Controllern! Vor allem in Demos von Shootern wie Superhot VR oder Epics „Robo Recall“ sorgen die natürlichen Bewegungen für ein frisches Spielgefühl. Die Gebilde aus Griff und Ringen liegen sehr bequem in der Hand und bieten einen idealen Kompromiss aus Bewegungsfreiheit und Feedback durch Trigger, Knöpfe sowie den Analogstick. Oculus schafft es tatsächlich, diesen Spagat deutlich eleganter hinzulegen als frühe Datenhandschuhe, klassische Gamepads, Move oder die Vive-Controller. Sogar Roomscale-Spiele werden möglich - die sich meist aber auf eine etwas kleinere Fläche und die Ausrichtung nach vorne beschränken. Wer möchte, kann mit weiteren Tracking-Kameras nachhelfen, trotzdem bleiben die Roomscale-Möglichkeiten hinter dem großflächig konzipierten Laser-System der HTC Vive zurück – zumal jede weitere Kamera den Kabelsalat vergrößert. Die Touch-Controller sind also eine nicht ganz billige, aber gute Ergänzung für Oculus Rift, welche dessen Möglichkeiten bis hin zu akkuraten Faustschlägen oder Fingergesten erweitern.

Einschätzung: gut

Wertung

VirtualReality

Eine tolle Ergonomie, präzise Bewegungen und Gesten machen Oculus Touch zum besten VR-Controller - bei den Roomscale-Möglichkeiten muss man gegenüber Vive aber Abstriche in Kauf nehmen.

OculusRift

Eine tolle Ergonomie, präzise Bewegungen und Gesten machen Oculus Touch zum besten VR-Controller - bei den Roomscale-Möglichkeiten muss man gegenüber Vive aber Abstriche in Kauf nehmen.