Torment: Tides of Numenera - Test, Rollenspiel, XboxOne, PlayStation4, PC, Mac, Linux

Torment: Tides of Numenera
28.02.2017, Jens Bischoff

Test: Torment: Tides of Numenera

Der Preis ewigen Lebens

Als inXile Entertainment im März 2013 anbot, einen geistigen Nachfolger zum Rollenspielklassiker Planescape Torment in Angriff zu nehmen, war die Resonanz auf Kickstarter überwältigend: Über 74.000 Unterstützer sagten mehr als vier Millionen Dollar für die Entwicklung von Torment: Tides of Numenera (ab 9,89€ bei kaufen) zu. Knapp vier Jahre später sind die Arbeiten abgeschlossen. Ob sich das Warten gelohnt hat, verrät der Test.

Tides of Numenera basiert auf der namensgebenden Pen-&-Paper-Vorlage von Monte Cook, der auch schon leitender Entwickler des AD&D-Szenarios Planescape gewesen war, aus dem später Planescape Torment (zum Rückblick) hervorging. Es entführt den Spieler eine Milliarde Jahre in die Zukunft, wo es einem Mann mithilfe uralter Technologien vergangener Kulturen gelang, den Tod zu überwinden und mit den so genannten Numenera sein Bewusstsein in immer neue Körper zu transferieren.

Bereits Monte Cooks Pen-&-Paper-Vorlage Numenera wurde per Kickstarter finanziert.


Bizarre Zukunftsmusik

Dadurch häufte er Unmengen an Wissen an und wurde als der Wandelnde Gott bekannt. Zugleich wurde aber auch eine als Hüter des Gleichgewichts fungierende Bestie namens Kummer geweckt, die unerbittlich Jagd auf ihn und seine abgeworfenen Körper, die Verstoßenen, machte.

Man selbst schlüpft in den zuletzt entsorgten Körper des Wandelnden Gottes, nachdem er von ihm zurück auf die Erde geschleudert wurde - verfolgt, gezeichnet, verwirrt, aber am Leben. Die Grundzüge des eigenen Charakters werden kurz zuvor ganz klassisch über das Beantworten von Fragen bestimmt, deren Ergebnisse sich bei Bedarf aber auch im Nachhinein noch revidieren lassen. Generell kann man entweder als eine Art Hightech-Magier (Nano), Elite-Krieger (Glaive) oder Allrounder (Jack) ins Abenteuer starten. Auch anfängliche Talente, Fertigkeiten und Charakterwerte lassen sich wählen, bevor man nach dem Sturz langsam wieder zu sich kommt. Noch immer geprägt vom Geist, der sich den Körper vorübergehend geborgt hatte.

Die ersten, die sich am Aufschlagort einfinden, sind die beiden Nanos Aligern und Callistege, ehemals ein Paar, doch mittlerweile hoffnungslos zerstritten. Daher muss man sich früh entscheiden, wer von beiden einen ins nahegelegene Städtchen Sagusklippen begleiten soll. Allein zu bleiben, ist natürlich auch eine Option. Wer will, kann sogar schon vor Erreichen der Stadttore für Ärger sorgen und einen Streit mit einem anderen Erkundungstrupp, der den Einschlag untersuchen sollte, vom Zaun brechen.

Konfrontationen lassen sich meist auf verschiedene Arten lösen - neben Gewalt sind auch Täuschungs-, Überredungs- oder Einschüchterungsversuche möglich.


Die Qual der Wahl

Allerdings sollte man dabei auch immer die möglichen Konsequenzen in Betracht ziehen, da das eigene Auftreten und Handeln mitunter weitreichende Folgen haben kann. Neben Drohungen und offener Gewalt, kann man sein Gegenüber fast immer auch versuchen zu überlisten, zu überzeugen oder zu überreden.

Die Erfolgswahrscheinlichkeiten hängen sowohl von passenden Dialogoptionen als auch den jeweiligen Talenten, Fähigkeiten und Energiereserven des eingesetzten Charakters ab. Neben individuell verbesserbaren Charaktermerkmalen wie Täuschungs- oder Überzeugungskraft, verfügt jedes Gruppenmitglied über Punktepools für Kraft, Schnelligkeit und Intelligenz, die sich nicht nur im Kampf, sondern auch in Gesprächen verwenden lassen, um Erfolgsaussichten zu steigern. Diese Reserven sollte man sich jedoch gut einteilen, da sie sich nur mit speziellen Hilfsmitteln oder im Schlaf wieder auffüllen lassen. Beides kostet in der Regel Geld, Letzteres zudem Zeit. Zeit, in der Dinge passieren können, die mitunter drastische Auswirkungen auf den Verlauf bestimmter Aufgaben haben, wie man schon sehr früh während beiläufiger Ermittlungen zu einem augenscheinlichen Ritualmord erfahren kann.

Jeder, der bis zu sechs rekrutierbaren Gefährten, von denen einen aber nie mehr als drei gleichzeitig begleiten können, verfügt zu Beginn über sehr unterschiedliche Eigenschaften und Punktepools, die sich wie die eigenen aber relativ frei verbessern lassen. Zu extreme Charakterentwicklungen werden aber allein schon dadurch unterdrückt, dass Stufenaufstiege gestaffelt erfolgen und man bei gewissen Aspekten eher die Reihenfolge als die Ausprägung bestimmt.

Die Entwicklung der Gruppenmitglieder lässt sich individuell steuern.


Willkommene Vielfalt

Wer auf häufiges Kämpfen aus ist, sollte auch bei der Waffenwahl darauf achten, von welchem Pool der Einsatz zehrt. In der Regel kosten Nahkampfwaffen Kraft, Schusswaffen Geschwindigkeit und Zauber Intelligenz. Es gibt aber auch Ausnahmen. Zudem existieren mehrere Schadensarten. Während die Auswirkungen physischer Attacken von der Höhe des Rüstungswerts des Angegriffenen abhängen, werden alle anderen Schäden vom Widerstandswert des Getroffenen abgeschwächt. Neben Waffengewalt, ist zudem der Einsatz sogenannter Cypher möglich - mächtige, aber in der Regel nur einmal verwendbare Artefakte, die enorme Kräfte verleihen oder Schäden anrichten können. Der Platz dafür ist allerdings beschränkt und wer zu viele zu lange mit sich herumträgt, riskiert gefährliche Krankheiten.

Immer nur neue Fertigkeiten zu lernen und alles andere zu ignorieren, geht nicht. Sich nur auf bestimmte Talente zu konzentrieren oder alle Punkte stets in denselben Wertepool zu investieren, hingegen schon.

Andere Artefakte wiederum können wie Ausrüstung angelegt werden, um bestimmte Eigenschaften zu stärken oder Fähigkeiten zu verleihen. Doch auch die können sich negativ auf andere Werte auswirken, wenn man nicht über die nötige Konzentrationskraft zur Unterdrückung verfügt. Der Einsatz erlernter Fertigkeiten zehrt hingegen nur an den wiederauffüllbaren Wertepools oder beschränkt sich auf eine gewisse Zahl an Einsätzen pro Tag.

In den rundenbasierten Kämpfen kommt es neben Waffenreichweiten, Stellungsvorteilen oder der Zugreihenfolge auch auf das geschickte Manipulieren von Gegnern und Spielumgebung an.

Hin und wieder lassen sich auch interaktive Umgebungsobjekte in den Schlachtverlauf einbeziehen sowie Gegner zum Frontenwechsel oder Aufgeben bewegen. Ansonsten orientieren sich die rundenbasierten Kämpfe weitestgehend an traditionellen Elementen wie dem Berücksichtigen von Schadenswirkungen, Waffenreichweiten, Bewegungsradien, Stellungsvorteilen und der Zugreihenfolge.

Für reine Kämpfernaturen ist Torment aber ohnehin das falsche Spiel, da man die meiste Zeit ganz klar mit Gesprächen und Nachforschungen verbringt und auch fast alle Auseinandersetzungen kampflos meistern kann. Es geht eher darum, seine Linie zu finden, Kräfte einzuteilen und Konsequenzen abzuschätzen, während man die sonderbare Welt mit all ihren merkwürdigen Phänomenen und skurrilen Bewohnern zu verstehen versucht. So können verschonte Widersacher später nützlich sein oder noch mehr Ärger bringen, geteilte Überzeugungen Verbindungen schaffen oder kappen. Auch schwere Entscheidungen müssen hin und wieder getroffen sowie deren Konsequenzen getragen werden. Jedenfalls gibt es viele interessante Verflechtungen sowie sehr unterschiedliche Wege ans Ziel.

Die Macht der Worte

Oftmals kann sogar der eigene Tod eine Lösung sein, da man so immer wieder in eine Art Gedankenlabyrinth entkommt, wo man sich mit verbundenen Geistern austauschen oder nichtmaterielle Orte besuchen kann. Mit manchen der dort getroffenen Abbilder können sogar Verbindungen eingegangen werden, deren positive Auswirkungen auch zurück in der physischen Welt aktiv bleiben und zusätzliche Kräfte verleihen.

Über Lebensbilder lassen sich fremde Erinnerungen nacherleben und manipulieren.

Ähnliches gilt für das Manipulieren der Welt durch das Verschieben moralischer Gefüge, bekannt als Gezeiten. Viele Taten, Worte und Entscheidungen haben nämlich Einfluss auf die Zusammensetzung dieser Gezeiten, die zum einen die eigene Handlungsmoral widerspiegeln, sich zum anderen aber auch einsetzen lassen, um Gedanken anderer Personen zu kontrollieren, Konflikte zu bereinigen oder Unheil abzuwenden, ohne jedoch die damit verbundenen Konsequenzen tatsächlich abschätzen zu können. Es lohnt sich jedenfalls, verschiedene Spielstände anzulegen oder Durchgänge zu absolvieren, um alternative Routen zu beschreiten, mit anderen Gesinnungen zu experimentieren oder auch mal absichtlich zu scheitern.

Vergessen geglaubte Erinnerungen können ebenfalls reaktiviert werden. Über sogenannte Lebensbilder kann man sogar in die Erinnerungen anderer Personen eintauchen und deren Vergangenheit verändern, was allerdings auch fatale Folgen haben kann.

Es gibt viele spannende Situationen, skurrile Gestalten und faszinierende Schauplätze. Die Spielwelt selbst bleibt mit nur wenigen Stationen allerdings überschaubar. Auch ein paar der im Rahmen der Kickstarter-Kampagne zugesagten Inhalte wie das Crafting-System oder weitere Begleiter blieben am Ende leider außen vor. Im Gegensatz zu anderen Ländern kann man sich hierzulande aber immerhin über lokalisierte Bildschirmtexte freuen. Die deutsche Übersetzung ist allerdings sehr durchwachsen.

Die bizarren Schauplätze warten mit vielen skurrilen Gestalten und Ereignissen auf - insgesamt hätte die Spielwelt aber ruhig größer ausfallen können.


Vielschichtige Entdeckungsreise

Sprachlich gibt es zwar nicht viel zu kritisieren, aber die Fehlerhäufigkeit ist doch recht hoch. Zudem gibt es immer wieder unschöne Lücken und Dissonanzen - für manche Eigennamen oder Statuswerte gibt es bis zu drei verschiedene Begriffe oder Schreibweisen, was vor allem zu Beginn unnötig verwirrt.

Hinzu kommt, dass sich Textfenster regelmäßig unschön überlappen sowie nicht zum aktuellen Bildausschnitt oder überhaupt nicht vollständig auf den Bildschirm passen. Auch die während Dialogen deaktivierte Kamerajustierung wirkt, wenn man seinen Gesprächspartner kaum sieht, äußerst unglücklich. Auf Konsole hat die auf Unity basierende und aus Pillars of Eternity und Wasteland 2 stammende Technik zudem mit Bildratenproblemen zu kämpfen, obwohl die Mischung aus isometrischen 2D-Kulissen sowie 3D-Figuren und -Objekten eher betagt wirkt. Auch die akustische Seite präsentiert sich recht unauffällig - vor allem die englischen Sprecher kommen nur äußert selten zum Einsatz. Lob verdient hingegen die Benutzerführung: Die Menüs sind übersichtlich, die Schnittstellen schlicht und elegant, die Navigation sowohl mit indirekter Maus- und Tastatursteuerung als auch direkter Controller-Steuerung angenehm handlich. Nur die automatische Wegfindung bereitet hin und wieder Probleme.

Fazit

Torment: Tides of Numenera entführt einen in die bizarre Science-Fantasy-Welt von Monte Cooks Pen-&-Paper-Vorlage, die ein Bild der Erde zeichnet, wie sie eine Milliarde Jahre in der Zukunft aussehen könnte. In den Scherben längst vergangener und vergessener Zivilisationen begibt man sich als von einem gottähnlichen Wesen verstoßene sowie von einer Kreatur namens Kummer verfolgte menschliche Hülle auf die Suche nach Antworten zur eigenen Existenz, Vergangenheit und Bestimmung. Der Weg ans Ziel ist zwar vorbestimmt, bietet aber viele Freiheiten und interessante Verflechtungen. Man bestimmt das Tempo der Reise, wer einen begleitet, mit was man sich nebenbei beschäftigt und wie man von anderen wahrgenommen wird. Man sucht Hinweise, trifft Entscheidungen und bewältigt Konflikte - ob mit Gewalt, List oder diplomatischem Geschick, entscheidet man in der Regel selbst. Die Figuren, auf die man dabei trifft sind skurril, aber glaubhaft, die Situationen spannend, die Orte faszinierend. Die Spielwelt hätte aber ruhig etwas größer, die akustische Inszenierung gerade im Hinblick auf die englische Vertonung umfangreicher ausfallen können. Auch die deutsche Übersetzung der oft ungünstig platzierten Textfenster weist trotz generell guter Qualität immer wieder ärgerliche Fehler, Lücken und Unstimmigkeiten auf. Am Ende sind das aber lediglich Schönheitsfehler eines herrlich bizarren Abenteuers, das wie schon seinerzeit Planescape Torment einen willkommenen, wenn auch nicht ganz so starken Kontrastpunkt zum gewohnten Rollenspielangebot setzt.

Pro

  • bizarres Setting
  • skurrile Charaktere
  • dichte Atmosphäre
  • spannende Situationen
  • interessante Verflechtungen
  • individuelle Charakterentwicklung
  • facettenreiche Konflikte
  • meist vermeidbare Kämpfe
  • schwierige Entscheidungen

Kontra

  • Größe der Spielwelt überschaubar
  • verbesserungswürdige Textanordnungen
  • gelegentliche Wegfindungsprobleme
  • nur sporadische Sprachausgabe
  • durchwachsene deutsche Übersetzung
  • holprige Bildrate (PS4 & Xbox One)

Wertung

XboxOne

Trotz kleiner Mankos und lästiger Ruckler sehr gut gelungene Versoftung von Monte Cooks bizarrer Pen-&-Paper-Vorlage.

PlayStation4

Trotz kleiner Mankos und lästiger Ruckler sehr gut gelungene Versoftung von Monte Cooks bizarrer Pen-&-Paper-Vorlage.

PC

Trotz kleiner Mankos sehr gut gelungene Versoftung von Monte Cooks bizarrer Pen-&-Paper-Vorlage.