A Normal Lost Phone - Test, Adventure, Mac, Linux, PC, iPad, iPhone, Android

A Normal Lost Phone
27.01.2017, Benjamin Schmädig

Test: A Normal Lost Phone

Das ganz normale Erwachsenwerden

Für einige Spieler könnte A Normal Lost Phone (ab 2,69€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) das wichtigste Spiel ihres Lebens sein. Wie in einem guten Krimi nähert man sich dort dem Geheimnis eines Jugendlichen, dessen Telefon mit allen Nachrichten und E-Mails verlorenging. Wie sich im Test zeigt, macht die Suche nach Hinweisen allerdings nur einen Teil der Faszination aus. Denn das kleine Spiel beschäftigt sich mit großen Fragen, die sich um nicht weniger als die eigene Identität drehen.

Auf den ersten Blick ist A Normal Lost Phone nur ein cleveres Adventure, das vor allem dadurch besticht, dass seine komplette Benutzeroberfläche das Mobiltelefon eines Jugendlichen ist. Wer Musik auf diesem „ganz normalen gefundenen Handy“ hören will, öffnet einfach die entsprechende App und wählt einen der elf Songs , die an den Independent-Soundtrack von Life is Strange erinnern.

Ein cleveres Adventure

In der Galerie befinden sich Bilder des vorherigen Besitzers, des 18-jährigen Sam. Wer Nachrichten und E-Mails durchforstet, lernt seine Familie und Freunde sowie deren Probleme kennen. Man erfährt das Passwort des Netzwerk Zugangs, den Login eines Forums, einer Dating-App und mehr. Schön, dass man Texte hier tatsächlich lesen und die geforderten Angaben selbst eintippen muss, anstatt Lösungen nach dem zufälligen Aufschlagen einer Seite mit einem Klick automatisch einzutragen!

Wieso hat Sam die Beziehung zu seiner Freundin plötzlich beendet und warum antwortet er nicht auf Nachrichten?

Doch warum hat Sam sein Handy eigentlich verloren? Aus welchem Grund hat er ohne Vorwarnung die Beziehung mit seiner Freundin beendet und wieso darf er sich nicht mehr mit einer Gruppe von Freunden treffen, die er zuvor jeden Sonntag gesehen hatte? Schritt für Schritt nähert man sich dem Grund, aus dem Sam am Tag seines Geburtstags offenbar spurlos verschwindet.

Roter Faden statt Alltagsleben

Schade, dass der Weg dorthin fast ausschließlich über das Lesen bereits auf dem Telefon vorhandener Inhalte führt; den kompletten Alltag eines Jugendlichen bildet das Entwickler-Studio Accidental Queens leider nicht ab. Man wühlt sich etwa nicht durch zahlreiche Webseiten, sondern ist lediglich in den wenigen Diskussionen eines einzigen Forums unterwegs, wo im Verlauf der Geschichte auch keine neuen Einträge hinzukommen. A Normal Lost Phone ist ein kleines und mit vielleicht zwei Stunden recht kurzes Spiel, das sich praktisch nur um sein zentrales Thema dreht.

Sams Telefon ist die einzige Benutzeroberfläche des Spiels.

Dieses Thema sowie die Art, mit der es sich ihm nähert, ist allerdings bemerkenswert. Und wer davon im Vorfeld nichts wissen will, sollte von hier aus zu unserem komplett spoilerfreien Fazit springen. Immerhin gehört dies zu den Rätseln, die man im Verlauf des Detektivspiels erst aufdeckt.

A Normal Lost Phone richtet sich nicht nur an alle Jugendliche, sondern auch an Erwachsene – vor allem aber an solche, die sich ihrer sexuellen und Geschlechterzugehörigkeit unsicher sind. Ohne den Zeigefinger zu heben beschreibt es den Unterschied zwischen sozialem und biologischem Geschlecht. Es stellt Figuren vor, die vergleichbare Erfahrungen gesammelt haben wie Sam, weist darauf hin, dass nicht jedes Überschreiten der Geschlechtergrenzen mit Transgender oder Transsexualität zu tun hat und viel mehr.

Ganz normal

Natürlich sind manche Nachrichten, die Sam erhält und schreibt, dabei als erklärende Texte erkennbar. Insgesamt beweist Accidental Queens aber ein ausgezeichnetes Gespür für authentische Erlebnisse und einen glaubwürdigen Umgangston – viel mehr als z.B. die Autoren von Life is Strange! Und das trägt viel dazu bei, dass Sam eine hervorragende Identifikationsfigur für Menschen ist, die ähnliche Fragen wie den jungen Mann - bzw. die junge Frau - beschäftigen.

So erfahren sie, wo sie Unterstützung finden oder welche einfachen ersten Schritte sie unternehmen können, ohne sich zu outen – die Bedeutung eines solchen Leitfadens kann man nicht hoch genug einordnen. Und wer mit Transsexualität nichts anfangen kann, versteht dadurch vielleicht ein bisschen besser, warum sich manche Freunde oder Verwandte in ihrer Haut und ihrem Umfeld nicht immer wohl fühlen.

Fazit

A Normal Lost Phone erzählt auf gefühlvolle Art nicht nur vom Erwachsenwerden: Ihm gelingt auch das Kunststück lehrreich zu sein, ohne aufgesetzt zu wirken. Die Entwickler haben genau hingeschaut, sich von eigenen Erfahrungen inspirieren lassen und einen spannenden Alltags-Krimi daraus gestrickt. Man lernt authentische Charaktere kennen und verliert sich in den Nachrichten sowie E-Mails eines Teenagers, als würde man in seinem Tagebuch lesen. Neue Erkenntnisse erhält man dabei nur, wenn man aufmerksam mitliest. Das ist spielerisch bemerkenswert und weil die komplette Benutzeroberfläche die des virtuellen Handys ist, funktioniert das Spiel auf Android und iOS sogar eine Idee besser als auf dem großen Bildschirm. Abseits des roten Fadens ignoriert A Normal Lost Phone den Alltag seiner Hauptfigur zwar weitgehend und weil fast alle Texte im Grunde von Beginn an verfügbar sind, wirkt das Telefon seltsam statisch. Dennoch entstand aus der ehrlichen Hingabe, mit der sich die Entwickler hier dem Erwachsenwerden nähern, ein wertvolles Kleinod!

Pro

  • konsequentes Durchsuchen eines Telefons statt externer Benutzeroberfläche
  • Hinweise stecken in Texten, anstatt klickbare Items zu sein
  • umfassender und sensibler Umgang mit Heranwachsen und Identität

Kontra

  • wenige Rätsel, kurzes Spiel
  • sehr geradlinige Hinführung zum Thema, anstatt z.B. kompletten Alltag eines Jugendlichen abzubilden

Wertung

PC

Gut geschriebener Alltags-Krimi mit einer sensiblen, authentischen Geschichte.

iPhone

Gut geschriebener Alltags-Krimi mit einer sensiblen, authentischen Geschichte.

Android

Gut geschriebener Alltags-Krimi mit einer sensiblen, authentischen Geschichte.