Phoning Home - Test, Survival & Crafting, PC, Mac, Linux

Phoning Home
20.02.2017, Jan Wöbbeking

Test: Phoning Home

Nummer 6 und 7 geben nicht auf!

Dieses ekelhafte organische Leben! Steckt seine Wurzeln in wertvolle Bodenschätze und greift einen mit unberechenbaren Kreaturen an. Gut, dass sich die Menschen vor langer Zeit von den Geißeln der Evolution befreit haben, um ihr Bewusstsein in rational handelnde Roboter zu transferieren - oder vielleicht doch nicht?

ANI zumindest scheint die gute alte Zeit zu vermissen, als sich die damals noch menschlichen Eroberer des Alls häufiger mit gemütlichen Sentimentalitäten beschäftigten, statt nur die Expansion und eine effektivere Ressourcengewinnung voranzutreiben. Sie ist ein knuffiger kleiner Roboter mit noch knuffiger wackelnden Kulleraugen, die nicht nur meinen Beschützerinstinkt wecken, sondern auch Erinnerungen an die Kinderserie Schlupp vom grünen Stern. Ich habe sie auf meinem Streifzug durch das weitläufige Action-Adventure Phoning Home getroffen und sie aus einer unzugänglichen Schlucht gerettet, um sie zu ihrem Mutterschiff zurückzubringen. Auch bei meiner Spielfigur ION handelt es sich um einen Droiden - eine junge Aufklärungseinheit auf einer Mission zur Sicherung natürlicher Ressourcen. Bei einer Bruchlandung auf einem fremdartigen Planeten wurde sein Raumschiff ebenfalls fast komplett zerstört.

Menschelnde KI

Mit diesem Energiestrahl hievt ION seine Partnerin ANI über zerklüftetes Terrain.
Unser gemeinsames Ziel ist es, irgendwie Kontakt mit dem Heimatplaneten aufnehmen, um überhaupt auf Rettung hoffen zu können. Die von meiner Schiffs-KI prognostizierten Überlebenschancen haben mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht: Juhuu, die Wahrscheinlichkeit einer Rettung ist soeben von 0,6 auf 0,8 Prozent gestiegen – wenn das mal keine gute Nachricht ist! Auch in anderen Momenten besitzen die Autoren erfreulich viel Fingerspitzengefühl dabei, die missliche Lage immer wieder mit netten kleinen Einwürfen und Anekdoten aus der alten Welt der Menschen aufzulockern. Meist wettern die technokratischen Erkunder aber einfach nur über all die ekligen organischen Kreaturen, welche den korrosionsfördernden Sauerstoff für ihre unstete Existenz nutzen. So viel steht fest: Falls wir je erneut hierher zurückkehren, müssen das unnütze Gas und die „Atmer“ weg, damit wir ungestört Rohstoffe abbauen können!

Schade, dass große Teile der Geschichte nur ausgelagert in Textwüsten erzählt werden: Wer nicht ab und zu das Menü öffnet, um einen ausgiebigen Blick ins Logbuch zu werfen, verpasst zahlreiche Details oder sogar wichtige Anweisungen zur momentanen Aufgabe – z.B. wenn man mal ein paar Dialogzeilen überhört hat. Um nicht auf dem fremden Planeten zu versauern und verrosten, begibt sich das Roboter-Duo auf allerlei Erkundungstouren, um schließlich Kontakt mit dem Heimatplaneten aufzubauen.

Einschläfernder Sammelmarathon

Mysteriöse Kreaturen und unlogische Naturgesetze geben den Entdeckern Rätsel auf.
Auf dem Weg durchqueren wir lichte Wälder, schneebedeckte Berge, Vulkane, Schluchten und sengende Wüsten, während Tageszeit und Witterung in Zyklen wechseln. Ähnlich wie in No Man's Sky treffen wir auch auf Bauwerke, die offenbar andere Zivilisationen zurückgelassen haben. Die meiste Zeit über bin ich mit der Sammlung von Ressourcen beschäftigt, was sich leider noch deutlich öder gestaltet als in Far Cry Primal. Ernte Blumen, ernte Pilze, ernte Leuchtpilze, ernte Gas-Kaktus x oder Edelstein y! Man verschwendet einfach zu viel Aufwand darauf, die Umgebung abzuklappern und Ressourcen im einfach gehaltenen Crafting-Menü zu verbinden, um diverse Energieanzeigen meiner beiden Schützlinge nicht in einen kritischen Bereich fallen zu lassen.

Die offene Natur bietet zwar stimmungsvolle Panoramen, wirkt im Detail aber lange nicht so faszinierend wie die fein ausgearbeitete Kulisse in Ubisofts Steinzeit-Abenteuer, an dem natürlich ein viel größeres Team arbeitete als an diesem Indie-Titel vom Berliner Neuling „ION Lands“. Die Abstriche bei der Detailverliebtheit sorgen aber trotzdem dafür, dass ich schon früher die Nase voll vom Sammeln hatte. Zudem musste ich mit einer GeForce GTX 970 sogar die Grafikdetails auf die mittlere Stufe reduzieren, damit es nicht mehr zu gelegentlichen Rucklern kam. Auch Clippingfehler stören ab und zu die Immersion. Auch in No Man's Sky konnte die bizarre Tier- und Pflanzenwelt meine Faszination länger aufrechterhalten. ION braucht häufig Nachschub für Sprints und seine Schwebedüse, die korrosionsanfällige ANI dagegen Rostschutz. Um meinen Schützling zu schonen, kann ich ihn während eines Wüstensturms zwar in einer verlassenen Hütte abstellen, was ein wenig Voraussicht erfordert.

Teamwork gefragt

Crafte, crafte, Häusle baue...
Die meiste Zeit über bin ich auf dem Weg zu diversen Zielpunkten aber mit faden Sammelaufgaben beschäftigt. Der Weg zu Rohstoffen der Umgebung wird mir dabei auf dem Kompass gewiesen. Dabei begegnen mir zwar einige Gefahren, das etwas hölzerne Kampfsystem kann die Monotonie aber kaum auflockern. Gegner wie archaische Holzriesen oder geheimnisvoll glühende Energieschwärme unterstreichen zwar gekonnt die mysteriöse Stimmung, stellen meist aber kaum eine Bedrohung dar, da ich sie ziemlich einfach abhängen kann, sie mit gezielten Laserschüssen verscheuche oder ihnen einfach das kleine metallene Kampfknäuel ANI auf den Leib hetze. Meine philosophierende Begleiterin möchte sich schließlich für ihre Bergung revanchieren und setzt den Gegnern ebenfalls mit Strahlenwaffen zu, wenn ich sie in den Kampfmodus versetze.

Im Gegenzug hilft ION seiner nicht gerade geländetauglichen Blechpartnerin durch das zerklüftete Terrain. Am Rande von Gebirgsschluchten suche ich immer wieder metallische Oberflächen, um dort kurzfristig Portale zu öffnen. Oder ich schnappe mir ANI mittels Energiestrahl und „trage“ sie über unebene Abhänge. Das funktioniert auch, während ION die Hindernisse per Schwebedüse überquert: Praktisch, aber ebenfalls nicht besonders herausfordernd. Manchmal funkt zudem die etwas hölzerne Steuerung dazwischen, die übrigens trotz Schulterkamera primär auf Maus und Tastatur ausgelegt wurde.

Auf zu neuen Aufgaben!

Die einschläfernde Geschwindigkeit macht lange Ausflüge und die Suche nach Rohstoffen mühsam: IONs begrenzter Turbo-Gang kostet leider wertvolle Ressourcen.
Die Controller-Variante wurde nur halbherzig umgesetzt und muss für manche Funktionen erst einmal manuell belegt werden. Nach und nach werden einige Spezialfähigkeiten freigeschaltet. Dazu gehört etwa eine Lichtsonde zur Ablenkung oder auch Statusverbesserungen wie eine verstärkte Roboterschutzhülle. Mit Hilfe von Portalen schicken die gestrandeten Mutterschiffe das Duo an immer entlegenere Orte, um z.B. in der Wüste Generatoren wieder fit zu bekommen. Statt die Fähigkeiten der beiden für knifflige Rätsel oder Kämpfe zu nutzen, konzentrieren sich die Aufgaben aber meistens auf die Beschaffung und Konstruktion wichtiger Technik. Titel wie das vertikal konzipierte Grow Home haben ein ähnliches Thema spielerisch deutlich kreativer umgesetzt.

Fazit

Irgendwie tut es mir Leid, ein Spiel mit derart liebenswert philosophierenden, kulleräugigen Robotern eine Wertung von nur 50% zu verpassen. Eine gelungene Rahmenhandlung alleine kann ein Spiel allerdings nicht tragen. Vor allem nicht, wenn sie wie hier zu einem großen Teil in Logbuchtexte ausgelagert wird. Das größte Problem von Phoning Home ist allerdings, dass die meisten Spielmechaniken nicht unterhaltsam ausgearbeitet wurden. Am meisten ging mir der übertriebene Fokus aufs Sammeln und Crafting auf die Nerven, was oft in fade Fleißarbeit ausartet. Auch die Koop-Aufgaben des Roboter-Duos bei der Überquerung unebenen Terrains und die eingestreuten Kämpfe fühlen sich eher nach einer lästigen Pflicht an, statt herauszufordern. Schade um die geheimnisvolle Stimmung, aber für mich entwickelte sich Phoning Home leider eher zur Schlaftablette als zum faszinierenden Action-Adventure.

Pro

  • knuffig designte Protagonisten
  • geheimnisvolle Welt
  • amüsante Seitenhiebe auf das Spannungsverhältnis zwischen KI und organischem Leben

Kontra

  • einschläfernd umgesetzter Sammel-Marathon von Ressourcen
  • manche Spezialfähigkeiten besitzen eine hakelige Steuerung...
  • ...andere bieten zu wenig Herausforderung

Wertung

PC

Der erzählerische Rahmen macht zunächst neugierig, aber die anspruchslosen und aufs Sammeln fokussierten Spielmechaniken ernüchtern.