DiRT 4 - Test, Rennspiel, 360, PlayStation3, PC, XboxOne, PlayStation4
Gamer oder Simulation? Diese Frage muss man sich bereits am Anfang stellen. Denn Codemasters bietet als Alternative zur deutlich vereinfachten und aufs Gamepad ausgelegten Steuerung tatsächlich die anspruchsvolle Fahrphysik, die man aus der gefeierten Rallye-Simulation kennt. Und die Unterschiede sind gewaltig: Während die lizenzierten Offroad-Boliden unter der Gamer-Einstellung eine überragende Bodenhaftung aufweisen und vergleichsweise zahm wirken, hat man hier unter Sim-Bedingungen genauso stark mit ausbrechenden Hecks, einer deutlich sensibleren Lenkung sowie der Balance des Wagens zu kämpfen wie beim großen Bruder. Dabei spürt man nicht nur die unterschiedlichen Fahreigenschaften von Front-, Heck- und Allrad-Fahrzeugen, sondern auch die Auswirkungen der Bodenbeläge auf das Grip-Niveau. Vor allem mit einem Lenkrad und Force Feedback entfaltet sich das fantastische Fahrgefühl, doch auch mit dem Controller sind die Offroad-Ausflüge ein Genuss. DiRT 4 (ab 16,32€ bei
Von allem etwas
Gleichzeitig stößt man aber auch die bisherigen Fans der Reihe nicht vor den Kopf, denn neben der zugänglichen Gamer-Fahrphysik finden sich außerdem noch jede Menge optionaler Fahrhilfen vom ABS bis zur Traktionskontrolle und sogar eine umfangreiche Fahrschule, in der man an der DiRT Akademie die Kunst des Rallye-Fahrens in zahlreichen Lektionen erlernt – und das nicht länger nur mit kleinen Filmchen, sondern auch in der praktischen Anwendung auf Übungsstrecken. Falls man jedoch weiterhin coole Gymkhana-Stunts oder eine stylische Action-Inszenierung mit Pyro-Show im Stil der X-Games erwartet, wird man enttäuscht. Einzig die in den Modus Spritztour verbannten Herausforderungen Smash Attack und Time Trial halten noch die Arcade-Fahne hoch, wenn man die Aufsteller über den Haufen fährt oder sich durch das Aufsammeln von Symbolen wichtige Zeit-Boni sichert. Davon abgesehen widmet man sich hier aber lieber realen Motorsport-Disziplinen...
Rallye und mehr
Man selbst kann übrigens ebenfalls von einem Plattfuß oder anderen Beeinträchtigungen heimgesucht werden, wenn man zu oft von der Strecke abkommt oder mit Hindernissen kollidiert. Musste man sich bisher immer bis zum nächsten Service-Point am Ende der Etappe(n) schleppen, lassen sich manche Reparaturen wie das Auffüllen von Kühlflüssigkeit oder ein Reifenwechsel hier bereits direkt am Streckenrand durchführen – gegen eine Zeitstrafe versteht sich. Und auch an den Service Points sollte man darauf achten, bei der Instandsetzung die verfügbare Zeit nicht zu überschreiten, um sich keine Strafe einzufangen. Das Schadensmodell hinterlässt einen ausgefeilteren Eindruck als zuletzt – vor allem, was die Darstellung betrifft, die von fein zerbeulten sowie verzogenen Karosserien bis hin zu abfallenden Teile wie Spiegeln, Motorhauben oder Heckklappen reicht. Auswirkungen auf die Fahrphysik kommen dagegen immer noch etwas zu kurz oder wirken inkonsequent. Manchmal führt eine vergleichsweise harmlose Kollision mit einem Baumstamm schon zum Totalschaden, während man sich an anderer Stelle zigmal überschlägt oder ebenfalls frontal in ein Hindernis kracht und danach unbeirrt weiterfahren kann.
Boxenstopp am Wegesrand
Wertungsprüfung selbstgemacht
Dem Mangel an Schauplätzen will Codemasters mit dem Strecken-Generator „Your Stage“ entgegenwirken. Ausgehend von den beiden festzulegenden Parametern „Länge“ und „Komplexität“ lassen sich quasi unendlich viele Pisten prozedural zusammenbauen. Hinzu kommen Faktoren wie Wetter, Tageszeit und Fahrtrichtung, die man ebenfalls anpassen darf. Und nicht nur das: Die so erschaffenen Strecken lassen sich auf Wunsch speichern und als Herausforderung an Freunde schicken. In der Theorie ist Your Stage eine tolle Sache, von der aus auch in der Praxis eine gewisse Faszination ausgeht – zumindest bis zu dem Punkt, an dem man realisiert, wie sehr sich die einzelnen Kurse dann doch ähneln und sich sowohl visuell als auch von der Streckenführung wiederholen. Irgendwann erkennt man sogar die einzelnen Bausteine dieser prozeduralen Synthese, die selbst innerhalb einer einzigen Wertungsprüfung häufig mehrfach verwendet werden und ein Déjà-vu hervorrufen. Selbst bei den vorgegebenen Strecken innerhalb der Karriere wird schnell deutlich, dass sie mit dieser überschaubaren Menge an „Bauteilen“ zusammengesetzt wurden.
Grafisch steht man dabei den schicken Boliden mit ihren satten Motorklängen in nichts nach und überzeugt mit einer detaillierten Kulissen, einer stimmungsvollen Beleuchtung sowie sehenswerten Partikeleffekten, die vor allem in späteren Versus-Wettbewerben wie Land Rush und RallyCross durch aufgewirbelten Staub die Sicht beeinträchtigen. Dazu gesellen sich viele kleine Feinheiten wie Marshalls, die bei Regenwetter einen Poncho tragen oder Fahrer, deren Anzüge in offenen Cockpits zunehmend verschmutzen. Wie schön es doch wäre, das alles optional auch in VR erleben zu dürfen – immerhin machte DiRT Rally selbst mit PSVR eine verdammt gute Figur. Hier fehlt in den Optionen dagegen noch jede Spur von einer VR-Unterstützung, doch vielleicht reicht Codemasters sie ja wieder in einem kostenpflichtigen Update nach. Oder hapert es doch an der Technik? In vereinzelten Momenten gerät die Engine angesichts der grafischen Pracht zumindest auf der Standard-PS4 an ihre Grenzen und kann die flüssigen 60 Bilder pro Sekunde nicht immer aufrecht halten. Das ist zwar tatsächlich nur selten der Fall und beeinträchtigt kaum das Renngeschehen, fällt in diesen Situationen aber trotzdem auf.
Liebe zum Detail
Fahrer und Manager
Das Konzept, das in Ansätzen auch schon beim Rally-Ableger vorhanden war, ist eigentlich eine interessante Ergänzung, die für einen zusätzlichen Motivationsschub sorgt. Schade nur, dass Präsentation und Aufmachung ähnlich lieblos wirken wie in den meisten Rennspielen von Milestone. Gleiches gilt für den extrem rudimentären Fahrer-Editor. Dabei hat Codemasters doch gerade erst mit F1 2016 gezeigt, wie man es besser macht. Hätte man hier die Entwicklung besserer Teile nicht auch hier an kleine Herausforderungen koppeln und die Inszenierung etwas moderner gestalten können? In dieser Form wirkt es wie ein halbherziger Versuch, die Management-Komponente zwischen Rangaufstiegen und Belohnungen auch noch irgendwie ins Spiel zu quetschen.
Im Vergleich zu DiRT Rally fällt der Schwierigkeitsgrad vor allem bei den Wertungsprüfungen deutlich niedriger aus, schwankt mitunter aber auch sehr stark. Auf manchen Strecken fährt man selbst auf den höheren Stufen einen gewaltigen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz heraus, während man bei der nächsten Wertungsprüfung unter ähnlichen Voraussetzungen (gleiches Starterfeld, gleiche Wagen) plötzlich hart um den Sieg kämpften und pushen muss. In Veranstaltungen mit direkten Positionskämpfen zwischen den Fahrern wird man generell etwas stärker gefordert, wobei das aggressive Auftreten der Kontrahenten sicher seinen Teil dazu beiträgt. Hinzu kommt, dass Flitzer wie die kleinen Buggys oder wendigen SpeedCars, aber selbst die schwereren Trophy Trucks mitunter sehr viel Gefühl mit Gas und Bremse auf den meist rutschigen Rundkursen in Baja & Co erfordern.
Schwankender Schwierigkeitsgrad
Schade ist in diesem Zusammenhang, dass die Veranstaltungen im Land Rush viel zu kurz kommen und bekannte Disziplinen des Vorgängers wie Kopf-an-Kopf-Rennen oder die coolen TrailBlazer-Events gestrichen wurden. Auch das umstrittene Gymkhana dürfte der eine oder andere Block-Fan sicher vermissen.
Bewährtes Programm
Lokale Positionskämpfe sind leider nicht möglich: Es gibt weder eine Option für Rennen am geteilten Bildschirm noch lassen sich Wertungsprüfungen nacheinander absolvieren. Schade, denn solche Möglichkeiten bieten selbst die WRC-Gurken von Kylotonn und hätten auch DiRT 4 bereichert.
Fazit
DiRT 4 ist so etwas wie der kleine, etwas hippere, dafür aber nicht ganz so erwachsene und weniger reife Bruder von DiRT Rally. Angesichts der vielen Parallelen, die vom Fokus auf klassische Wertungsprüfungen bis hin zur anspruchsvollen Fahrphysik reichen, wirkt der Titel stellenweise sogar mehr wie eine Fortsetzung des Ablegers und weniger wie ein Teil der Hauptserie. Mit Events wie Smash Attack, einer zugänglichen und auf den Controller zugeschnittenen Gamer-Steuerung sowie kontaktfreudigen Duellen beim RallyCross oder Land Rush hat man zwar auch für die Arcade-Fraktion genug zu bieten, doch insgesamt merkt man DiRT 4 die stärkere Rückbesinnung auf Colin McRae und die DNA des simulativen Ablegers deutlich an. Mir gefällt dieses Offroad-Paket, weil Codemasters es tatsächlich schafft, beide Welten überzeugend zu vereinen. Leider fällt die Karriere angesichts der lieblosen Präsentation etwas mau aus und ist nicht sonderlich umfangreich geraten - vor allem Land Rush kommt mit seinen wenigen Events eindeutig zu kurz. Dafür halten vor allem die Online-Herausforderungen bei der Stange. Der Strecken-Generator „Your Stage“ hat ebenfalls seine Sonnen- und Schattenseiten: Einerseits sorgt das Tool für eine nahezu unbegrenzte Anzahl an prozedural generierten Pisten, andererseits ähneln sich die einzelnen Wertungsprüfungen aber zu stark und lassen die Finesse sowie die individuellen Feinheiten beim Streckendesign vermissen, die DiRT Rally noch ausgezeichnet haben. Entsprechend musste DiRT 4 für seinen Award deutlich mehr kämpfen, hat ihn sich aufgrund des gelungenen Gesamtpakets aber trotzdem verdient und wird sowohl Fans der Hauptreihe als auch denen des Ablegers ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und Staub. Viel Staub!
Pro
- verschiedene Offroad-Disziplinen und Fun-Events
- rudimentäres Team- und Sponsoren-Management...
- großartige Fahrphysik
- prozedurale Streckengenerierung...
- ansprechender Fuhrpark
- schicke Kulisse
- überwiegend flüssige Darstellung
- zwei Fahrphysik-Varianten (Gamer, Sim)
- sehr gute Steuerung (Pad & Lenkrad)
- umfangreiche Setup-Optionen
- verschiedene Witterungsbedingungen
- verschiedene Tageszeiten (inkl. Nachtrennen)
- leichte Tuning-Ansätze
- volles Schadensmodell (inkl. Totalschaden und Pannen)
- ordentliches Force Feedback (mit entsprechenden Einstellungen)
- dynamische Zwischenfälle auf der Strecke
- gutes Tutorial (Driving School)
- meist verlässliche Ansagen des Ko-Piloten (Timing einstellbar)
- diverse Online-Events für Langzeitmotivation
- kernige Motorenklänge
- starker Lizenz-Soundtrack
- gute Lokalisierung
Kontra
- stark schwankender Schwierigkeitsgrad
- ...das recht lieblos präsentiert wird
- ruppige KI-Piloten (vor allem am Start)
- ...die für auffällig starke Ähnlichkeiten und Wiederholungen sorgt
- nur fünf Rallye-Schauplätze
- kaum Land-Rush-Veranstaltungen
- vereinzelte Probleme bei der Bildrate
- keine lokalen Mehrspieler-Optionen (Splitscreen, Hotseat, nacheinander)
- (noch) keine VR-Unterstützung