Rock Band VR - Test, Musik & Party, PC, VirtualReality, OculusRift

Rock Band VR
29.03.2017, Mathias Oertel

Test: Rock Band VR

Kreative Freiheit auf der Livebühne

Spricht man über Musikspiele, fällt unverhältnismäßig oft ein Entwickler-Name: Harmonix. Das Team aus Cambridge, Massachusetts hat immer wieder mit neuen Konzepten Erfolg gehabt und den Weg für Nachahmer bereitet. Jetzt springen die Musikspezialisten auf die Virtual-Reality-Bühne – und das gleich mit ihrer erfolgreichsten Marke. Kann Rock Band VR sich ebenfalls zum Chartstürmer entwickeln? Der Test gibt die Antwort.

Wo ist der Roadie? Bevor man loslegen kann, muss nicht nur das Rift-Headset angeschlossen sein. Auch eine kompatible Plastikklampfe muss verbunden werden, nachdem man sie mit dem Halter für das rechte Touchpad am Gitarrenkopf präperiert hat, der im Paket mit den Touch-Controllern zu finden ist. Jegliche Rock-Band-4-Hardware ist kompatibel. Die PS4-Gitarren werden einfach über Bluetooth angeschlossen, die Xbox-One-Hardware über den Wireless Adapter, welcher der Rift-Hardware beiliegt. Sowohl die Fender Stratocaster als auch die Fender Jaguar aus dem Rivals-Kit funktionieren problemlos, müssen aber evtl. mit einem Firmware-Update versehen werden - was aber bei beiden mühelos aufgespielt werden kann. Und dann kann es losgehen.

Alles ein wenig anders

Die Live-Auftritte sind mit ihren Akkord-Variationen sowie - Combos auf kreative Interpretation der Songs ausgelegt. Für filigrane Herausforderungen gibt es den Classic-Modus mit seinem Highway.
Hinter der Brille zeigt sich ein interessantes Bild. Die Klampfe hängt vor einem im leeren Raum, ein virtuelles Alter Ego gibt es nicht. Ebenfalls bemerkenswert und ein Indiz für die Detailfreude, mit der Harmonix ans Werk ging: Die Gitarre ist klar als Plastikmodell samt all ihrer Knöpfe und der Strumbar zu sehen, doch schaut man genau hin, sieht man Abnutzungserscheinungen, die eigentlich eher einem echten Instrument aus Holz entsprechen. Das ist für das Spielgefühl zwar vollkommen unwichtig, stellt aber einen weiteren Mosaikstein dar, mit dem Rock Band VR eine noch nie geahnte Musikspiel-Immersion erreichen möchte.

Natürlich ist man im Gegensatz zu den VR-losen Rock-Band-Spielen hier nur alleine in der Musikwelt und spielt die 60 Songs, die ein breites Spektrum von Country bis Heavy Metal, von Gassenhauern bis Klassikern über mehrere Epochen hinweg abdecken. Bon Jovi, Aerosmith, Disturbed, Coldplay, Megadeth, Pierce The Veil, The Who, Jimmy Eat World, Maroon 5: Es dürfte sich für fast jeden Musikgeschmack etwas finden. Der Solo-Charakter der VR-Mechanik, der eigentlich konträr zum ursprünglichen Band-Gedanken steht, wird aber durch eine enorme Immersion ausgeglichen. Angefangen vom Hauptmenü, in dem man im Aufenthalts- bzw. Probenraum der Band "Autoblaster" seine Auswahl trifft, bis hin zu den energiegeladen Auftritten, die man mit Drummer Wes, Bassisten Mattie (Mathilda) und Sänger/Gitarrist Derek auf die zahlreichen, aber meist kleinen Bühnen bringt, fühlt man sich in der Tat wie ein Teil dieser von Harmonix mit vielen Details versehenen Welt. Angst vor Bewegungskrankheit muss man dabei übrigens nicht haben. Im Rahmen der Sicherheitszone von Oculus Touch kann man sich frei bewegen, für alles andere gibt es festgelegte Teleportpositionen. Im Hauptquartier sind diese quasi

Steht man neben Wes, kann man mit der Gitarre sogar die Zimbeln anschlagen...
gleichbedeutend mit Spielmodi oder Menüpunkten. Auf der Bühne kann man sich auf diesem Weg komfortabel an vorgesehene Punkte beamen und so z.B. neben Wes in die Saiten hauen oder sich zwischen Derek und Maddie direkt am vorderen Bühnenrand positionieren.

Allein und doch gemeinsam

Und wenn man ähnlich wie in Rock Band 4 ein Solo vom Stapel lässt, dann aber in die meist gut gefüllte Menge schaut und Gesichter sieht, die einen erst ehrfürchtig anstarren und dann in Jubel ausbrechen, bleiben keine Zweifel: So müssen sich Tony Iommi, Joe Perry, Pete Townsend, Keith Richards oder Brian May seit Jahrzehnten fühlen. Und hinter der Brille steigt man ebenfalls in diesen illustren Kreis auf. Natürlich ist das alles nur virtuell gemeint. Denn wie gehabt ist Rock Band auch als VR-Variante nicht dazu geeignet, um das Gitarrenspiel zu lernen. Es ist und bleibt ein Unterhaltungsprogramm, das Rhythmusgefühl und Fingerfertigkeit abfragt. Wer will, kann seine Fähigkeiten auch im Classic-Modus unter Beweis stellen, bei dem man ohne Band oder Bühne die von oben nach unten auf einem Notenhighway rauschenden Markierungen im richtigen Moment greifen und anschlagen muss - so wie man es seit Jahren kennt. Und leider auch so konventionell wie noch bei Guitar Hero. Auf Freestyle-Solos, wie man sie optional in Rock Band 4 spielen kann, wird hier verzichtet. Und das, obwohl das auf VR abgestimmte Spielerlebnis nur so vor kreativer Freiheit trieft.

Denn im Gegensatz zur bisherigen Rock-Band-Spielerfahrung kommt es auf der VR-Bühne nicht auf die filigrane Präzision an, die man bislang abfragte und die hier auch im Classic Modus zur Geltung kommt. Stattdessen hat man sieben Akkorde zur Verfügung, die man frei miteinander kombinieren kann, um den Song mit seiner Gitarre zu begleiten. Man kann und sollte allerdings die Strumbar in einem ordentlichen Takt anschlagen und die Akkorde zu bestimmten Rhythmus-Mustern zusammenfügen sowie idealerweise im Rahmen der Strophe oder des Refrains wiederholen, damit der Track "rund" klingt. Es gibt auch für jeden der 60 Songs eine Akkord-Kombo, die weitgehend dem Original entspricht. Doch selbst die Vorgaben, die man auf der am oberen Rand waagerecht laufenden Spur sieht, sind eher als Vorschläge denn als Verpflichtungen anzusehen. Man hat die komplette Freiheit, wie, was und in welchem Tempo man spielt. Dass je nach Entscheidung nicht alles automatisch gut klingt, versteht sich von selbst, so dass nur ordentlich und im Takt ausgeübte Kombos die Punktzahl nach oben schnellen lassen. Ein nettes Detail findet sich auch beim Overdrive. Da man sich hier quasi nicht verspielen kann, benötigt man dieses Feature nicht, um sich zu retten wie in der Hauptserie, sondern um den Highscore weiter zu erhöhen. Aber: Durch rhythmisches Headbanging oder dem Schwingen der Gitarren à la Status Quo kann man die Overdrive-Zeit verlängern.

Sieben Akkorde, ungeahnte Möglichkeiten

Die Akustik ändert sich je nach Position auf der Bühne.
Auch unpassende Tempowechsel oder halbherzig gespielte Akkorde werden akustisch überzeugend dargestellt. Harmonix war in dem Bereich der Musikabmischung bzw. der Möglichkeit, auf das Klangbild Einfluss zu nehmen, immer ganz vorne mit dabei. Doch hier übertrifft man sich. Die zahlreichen Akkordzusammenstellungen, die pro Songteil möglich sind, klingen allesamt überzeugend und geben einem das Gefühl, Herr über die Musik zu sein. Mit dem höheren Schwierigkeitsgrad „Virtuoso“ noch mehr. Dort muss man Akkorde auch auf dem Griffbrett verschieben, wenn man es mit den in den geführten Ranglisten ganz oben stehenden Gitarreros aufnehmen möchte. Und die zweite Tastenreihe am unteren Ende des Halses spielt ebenfalls eine Rolle, da die hier gespielten Akkorde wieder andere Klangvariationen ergeben. Die Position, von der aus man spielt, wirkt sich zusätzlich auf das aus, was man selber unter dem Headset hört. Und  steht man neben Wes‘ Drums, kann man mit seiner Gitarre sogar auf die Hi-Hats schlagen, während am Standardstandpunkt sogar das vor einem aufgebaute Mikro funktioniert - cool. Mit den vier Effekten  wie z.B. Wah-Wah oder Chorus, die sich auch teils in Reihe schalten lassen, wird die akustische Bandbreite nochmals gesteigert. Dass diese allerdings nur über die Whammybar und nicht z.B. per Blick aktiviert werden können, macht das schnelle An- und Abschalten der Effekte zu einer Geduldsprobe - denn man muss ja auch noch "nebenbei" den Song im Auge behalten. Bedingt durch die neuen Track- und Klangstrukturen fängt man bei dem ersten Rock Band auf PC allerdings wieder bei Null mit seinem Songarchiv an. Es besteht keine Möglichkeit, auf irgendeinem Weg die PlayStation- oder Xbox-Konten mit Rock Band VR zu verknüpfen und dementsprechend bereits erstandene Tracks zu importieren oder für den Classic-Modus verfügbar zu machen, insofern sie hier irgendwann im Store auftauchen.

Harmonix hat bereits in Rock Band 4 mit einer im Rahmen der Karriere erzählten Geschichte experimentiert. Die dort gewonnene Erfahrung kommt nun den VR-Musikern zu Gute. Dabei geht es hier aber nicht um Aufstieg und Fall von Rockgöttern, sondern die kleinen und mittleren Probleme, die man vor allem in der lokalen Gigszene erlebt. Man spielt erst in Bowling-Läden, TexMex-Restaurants und hat meist nur ein paar Dutzend Zuschauer. Erst viel später kommen größere Veranstaltungsorte hinzu, von denen mich einer sogar an die Große Freiheit 36 in Hamburg erinnerte. Dazu kommen immer wieder Problemchen, die hier genutzt werden, um Humor in die Story zu bringen. Zuschauer, die einen ständig mit Zwischenrufen nerven, bis Wes irgendwann der Kragen platzt. Ein Gig bei Satanisten, die einen mit stoischem Schweigen belegen und erst mit Jubel anfangen, wenn wie aus dem Nichts eine Ziege auf dem Verstärker auftaucht. Was es mit dem blökenden Hornträger sonst noch auf sich hat, wird hier allerdings nicht verraten. Schade ist allerdings, dass man keinerlei Einfluss nehmen kann. Die Gespräche, deren Zeuge man wird, beziehen sich zwar häufig auf einen selbst, doch man bleibt stumm und hat keine Möglichkeiten, irgendeine sonstwie geartete

Es gibt nur eingeschränkt freie Bewegung - man kann sich auf der Bühne nur an vorgegebene Positionen teleportieren.
Entscheidung zu treffen. Da sich daher keine alternativen Wege ergeben, wird man nach Abschluss der Karriere meist nur noch zu Demonstrationszwecken wieder zur Rock Band VR zurückkehren - doch als Beispiel für immersive VR-Unterhaltung ist das Musikspiel mustergültig geeignet.

Musikalische Seifenoper

Dennoch: Das Skript ist ordentlich, die englische Sprachausgabe ist gelungen. Und die Entscheidung, sich nicht vom comichaften Artdesign der nichtvirtuellen Rock Bands zu entfernen, tut den Ausflügen auf die kleinen und größeren Bühnen gut. Mitunter könnte die Mimik bei den nicht nur als Schatten in der Entfernung, sondern am Bühnenrand deutlicher zu sehenden Fans zwar besser sein. Doch meist ist man zu sehr mit dem Song beschäftigt, um Details aufzunehmen. Schaut man dann doch irgendwann genauer hin, stellt man fest, dass auch abseits der zahlenden Gäste nicht alles optimal läuft. Die Hände von Derek und Maddie haben mitunter einen sehr hohen Abstand zu ihren Instrumenten. Und die genutzten Pyro-Effekte könnten auch imposanter sein, während es auf der Bühne keine Interaktion mit den Bandmitgliedern gibt. Doch unter dem Strich ist die Kulisse gelungen und zieht einen mit ihrem konsequent durchgehaltenen Artdesign in die Welt der vermeintlichen Rockgötter.

Fazit

Ist Rock Band VR der viel beschworene Systemseller für Oculus Rift bzw. die Touch-Controller? Nein. Denn dafür sitzt das Musikspiel immer noch in der Nische. Doch für mich als Fan von Harmonix im Allgemeinen und der Serie im Besonderen ist der Ausflug auf die virtuellen Bühnen als Rhythmusspiel noch wichtiger als Fantasia: Music Evolved. Die Immersion ist enorm hoch. Die Möglichkeit, durch sein Zutun Einfluss auf die ausgegebene Musik zu nehmen, ist facettenreicher als je zuvor. Man beeinflusst das Tempo und mit der freien Kombinationsmöglichkeit der sieben Akkorde im Zusammenspiel mit möglichen Effekten hat man das entstehende Klangbild sprichwörtlich in der Hand – insbesondere im Virtuose-Schwierigkeitsgrad, bei dem man auch Akkorde verschieben darf. Vor diesem mechanischen Hintergrund wird die Karriere um den Aufstieg einer Band im lokalen Gig-Zirkus solide inszeniert und hält einen auch mit absurdem Humor bei der Stange. Die 60 Songs der abwechslungsreichen Tracklist darf man zusätzlich zu den Bühnenshows auch im Classic-Modus erleben, der mit seinem konventionellen Notenhighway die Freestyle-Solos von Rock Band 4 allerdings ausspart. Mit der Whammy-Bar als Kontrollfunktion u.a. für Teleport auf der Bühne wurde zwar nicht die beste Lösung gefunden. Doch ungeachtet dessen ist Rock Band VR ein wichtiger Schritt innerhalb des Rhythmus-Genres. Nur selten hat man sich in einem Spiel so sehr wie ein Gitarrenvirtuose gefühlt wie hier. Ich hoffe, dass die Oculus-Exklusivität zeitlich begrenzt ist und in absehbarer Zeit auch PSVR-Rocker in die Saiten hauen dürfen.

Pro

  • abwechslungsreiche Trackliste mit 60 Songs unterschiedlicher Genres und Epochen
  • sehr akkurate Bewegungs- und Tastenerfassung
  • neues mechanisches Konzept bietet enorme spielerische Freiheit auf der Bühne
  • kein Scheitern möglich
  • nett inszenierte Karriere einer im lokalen Gigzirkus auftretenden Band
  • durchweg überzeugende Akustik
  • sehr hohe Immersion

Kontra

  • Classic-Modus ohne Freestyle-Solos aus Rock Band 4
  • keine Entscheidungen seitens des Spielers möglich
  • keine Account-Verknüpfungen mit bereits bestehenden Song-Archiven von PS4 oder One möglich
  • Whammy-Bar als Bestätigung für Auswahl (Menü) bzw. Effekte (Liveshows) nicht die beste Lösung
  • keine Interaktion mit Bandmitgliedern möglich.

Wertung

PC

Die Immersion ist enorm. Die neue Spielmechanik setzt auf kreative Freiheit, die akustisch hervorragend umgesetzt wird. Ein Paradebeispiel für intelligente Nutzung von VR in Spielen.

VirtualReality

Die Immersion ist enorm. Die neue Spielmechanik setzt auf kreative Freiheit, die akustisch hervorragend umgesetzt wird. Ein Paradebeispiel für intelligente Nutzung von VR in Spielen.

OculusRift

Die Immersion ist enorm. Die neue Spielmechanik setzt auf kreative Freiheit, die akustisch hervorragend umgesetzt wird. Ein Paradebeispiel für intelligente Nutzung von VR in Spielen.