Polybius - Test, Arcade-Action, PlayStation4, PlayStationVR, VirtualReality

Polybius
12.05.2017, Jan Wöbbeking

Test: Polybius

Lebende oder tötende Legende?

Der Legende nach fallen Spieler des Arcade-Automaten Polybius früher oder später dem Wahnsinn anheim, werden von Agenten verschleppt oder begehen sogar Selbstmord. Wir haben uns für den Test trotzdem todesmutig in die VR-Interpretation des blitzschnell blitzenden Weltraumwahnsinns gestürzt.

Zumindest bislang haben sich noch keine morbiden Nebenwirkungen in unseren Büros bemerkbar gemacht: Alle wirkten heute noch mehr oder weniger lebendig. Und das, obwohl schon lange nicht mehr so viele neugierige Kollegen ihren Kopf ins Konsolenbüro gesteckt haben, um auch mal Probe zu spielen. Die tatsächlichen Gesundheitsrisiken nimmt das kleine Entwickler-Team übrigens nicht auf die leichte Schulter. Ich habe noch nie derart viele Warnhinweise wegklicken müssen wie hier – die meisten handeln von blitzenden Farben und ihren Gefahren für epilepsieanfällige Personen. Für einen Neuling ist das bunte Chaos unterm VR-Helm vermutlich tatsächlich zunächst etwas viel. Selbst ich habe das Headset erst einmal reflexartig wieder abgesetzt, weil es mir seltsam flau im Magen wurde und ich keine Lust auf einen Ausflug zur Kloschüssel hatte. Ab dem zweiten Versuch hatte ich aber seltsamerweise nicht mehr die geringsten Probleme mit Übelkeit – sämtliche anderen Kollegen übrigens ebenfalls nicht.

Alles im grünen Bereich?

Invasion von vorne
Wer den zotteligen walisischen Entwickler-Veteran Jeff Minter kennt, weiß in etwa, was ihn erwartet. Ähnlich wie bei seinem Klassiker Tempest 2000 oder dem daran angelehnten Vita-Spiel TxK handelt es sich um einen klassischen Arcade-Titel, bei dem man mit einem Schiffchen über geometrische Flächen gleitet und mit hoher Dauerfeuer-Frequenz fast alles abräumt, was einem in den Weg wuselt. Erneut offenbart sich ein bizarrer Mix aus farbenfrohen Alienschiffchen und wild blökenden Huftieren. Mittlerweile stelle ich mir nicht einmal mehr die Frage, warum beides nicht zusammen passen könnte. Diesmal regnen vor allem farbwechselnde Kühe von der röhrenartig gewölbten Decke auf die spiegelnde Spielfläche. Auf Bildern kommt bei weitem nicht rüber, wie das bunte Treiben unter der Haube wirkt: Selbst einfache schwebende Würfel wirken in VR plötzlich richtig stimmungsvoll, wenn sie an einem vorbei schweben, um schließlich den Titelschriftzug zu bilden.

Anders als bei Tempest und TxK verharrt man nicht am Ende eines Gitters, sondern düst mit einem Affenzahn über die leicht gebogenen Flächen. Der Großteil der Widersacher lässt sich einfach aus dem Weg rotzen. Man sollte aber gut aufpassen, dass man nicht in die stabileren Hindernisse kracht, welche einem schnell einige Leben kosten können. Entwickler Llamasoft vergleicht das Spektakel mit einer Ski-Abfahrt – und hat damit nicht Unrecht. Ab und zu muss man sich wie beim Slalom an Fähnchen vorbeischwingen, um heil ans Ziel zu gelangen. Draufgänger wagen sich nah an sie heran, um die Punktzahl in die Höhe zu treiben.

Schneller geht immer

VR-Headset oder Droge?
Besonders gut gefällt mir, wie intensiv der Ablauf auf die Möglichkeiten und Probleme des Mediums VR eingeht. Ein sanfter, eleganter Weg etwa wird stärker belohnt als abrupte Kurskorrekturen. Wer auf einer gleichmäßig geschwungenen Linie durch mehrere Tore rauscht und auf dem Weg ein paar leuchtende Pillen einschmeißt, wird zwar gefährlich schnell – gleichzeitig baut sich durch viele dieser Aktionen aber auch ein kugelrunder Schutzschild auf, mit dem man den Großteil der Hindernisse einfach über den Haufen rollt. So entwickelt sich ein stetes Abwägen. Fliehe ich lieber an die Spitze einer Wand oder auf die Unterseite der Röhre, weil oben zu viel los ist? Oder setze ich auf Stil und Risiko, indem ich gleich eine ganze Reihe von gehörnten Toren durchfahre und mit Wahnsinnstempo nebst Schild durch die Barrieren rausche? Oft ist auch eine Kombination aus beiden Strategien gefragt, weil man bei zu ruhigem Verhalten mit Luftschlägen oder tödlichen Bodenlasern getriezt wird.

Im Grunde handelt es sich diesmal also weniger um einen Shooter als in früheren Llamasoft-Titeln, oftmals steht das Austüfteln des passenden Weges im Vordergrund. Nach und nach bringt man Sinn in das verwirrende Durcheinander und entwickelt praktische Wege, auf denen das Überleben leichter fällt. Irgendwann ist man in einem Stadium angekommen, in dem man genügend Sicherheit erlangt hat, um sich stärker ums Punktesystem zu kümmern. Auch dabei spielt der richtige Weg über die gebogenen Strukturen und das Zerlegen von Gegnerreihen eine wichtige Rolle. Dann lassen sich nach Herzenslust bessere Taktiken austüfteln, um in den VR-typisch kleinen Bestenlisten die Spitze zu erobern oder zumindest Freunde abzuhängen. Passend zum Spielprinzip ist der Multiplikator eng mit der Geschwindigkeit verknüpft; zusätzlich lassen sich z.B. Boni für erlegte Kühe einheimsen.

Mmmmuuuh!

Vorsicht vor bösen Pillen! Wie im echten Leben verfolgen Sie den Konsumenten sogar rund um die gebogene Geometrie und klauen ihm ein Leben.
Einsteiger dürfen wie in TxK einfach wieder im zuletzt besuchten Level einsteigen, und zwar mit der Punkt- und Lebenszahl ihres bisher besten Versuchs. Oder man fängt ein Stückchen früher an, als sich noch mehr Versuche in Reserve befanden. Zusätzlich gibt es noch zwei Modi, in denen man sich ganz klassisch von Beginn an durchbeißt: Der knifflige YOLO-Modus füllt dabei zwischen den Levels keine Leben auf. In diesen kurzen Pausen geben die Entwickler übrigens immer wieder kleine Tipps für den Spielablauf, die Schaf-Aufzucht oder auch allgemeine britische Lebensweisheiten. Klingt alles in allem nach einem mitreißenden und herrlich bescheuerten Arcade-Trip ohne Nebewirkungen, oder? Leider nicht ganz. Obwohl das blitzschnelle Prinzip so gut zu VR passt, habe ich bei den Gefechten Abwechslung vermisst.

Um das angebliche Automaten-Vorbild ranken sich zahlreiche Legenden , zu denen sich auch der offizielle PlayStation-Blog eine verschwurbelte Geschichte ausgedacht hat .
Sicher: Der Geschwindigkeitsrausch profitiert davon, wenn man den Großteil der Gegner nur für den Bruchteile einer Sekunde wahrnimmt, da man ihn wortwörtlich überrollt. Auf Dauer wirkt das aber monotoner als die Kämpfe in anderen Shootern, bei denen Bosse oder fette Zwischengegner immer wieder ihre Strategie wechseln. Auch in Polybius düst ab und zu ein größeres Etwas über das Feld, um den Spieler dauerhaft aus der Luft mit Bombenteppichen einzudecken – es fehlt aber die Dynamik ausgiebigerer Duelle. Mit 50 Levels bewegt sich aber immerhin der Umfang in einem soliden Bereich. Die meisten Spieler dürften einige Stunden beschäftigt sein, bis sie die knackigeren späteren Abschnitte gemeistert haben. Ein Schwachpunkt ist auch das biedere Waffensystem mit seinem schlichten Dauerfeuer, das sich nur leicht auffächern oder aufrüsten lässt. Fette Extrawaffen sucht man hier vergeblich.

Auf Dauer monoton?

Wer genug von der Reizüberflutung hat, kann auf einen 2D-Modus auf dem Fernseher umsteigen. 4K-Auflösung und 3D-Fernseher werden ebenfalls unterstützt. Am besten spielt sich der Titel aber per PSVR - erstens weil dann das Geschwindigkeitsgefühl viel intensiver ist und zweitens weil sich auch Entfernungen viel intuitiver abschätzen lassen, wenn man sich wortwörtlich „in the zone“ befindet statt auf einen Bildschirm an der Wand zu starren. Auf dem Headset läuft der Titel sogar mit 120 Hertz, technisch gibt er sich aber in allen Varianten (und auf beiden PS4-Modellen) keine Blöße. Sicher – die abstrakte Retro-Kulisse ist bei weitem nicht so anspruchsvoll wie ein Farpoint. Trotzdem wird beim Design durchaus etwas Abwechslung geboten und es ist erfreulich, dass fast alles schön sauber läuft. Ein morphender Sternenhimmel, wilde Farbwechsel und wabernde Filter wie etwa beim Zeitlupen-Extra sind ebenfalls hübsche Details.

Fazit

Noch ist niemanden im Team der Kopf geplatzt – und auch mir sind heute (abgesehen von einem leichten Seitenstechen) noch keine diabolischen Nebenwirkungen aufgefallen. Die wahnwitzige Geschwindigkeit von Polybius treibt einem aber immerhin förmlich die Tränen in die Augen:  Jeff Minters erster VR-Ausflug ist eines der bislang intensivsten VR-Erlebnisse! Lasst euch nicht von der bizarren Reizüberflutung entmutigen: Das Enträtseln der kleinen Regeln und Wechselwirkungen im bunten Chaos ist ein wichtiger Teil des Spielprinzips. Zunächst versucht man schlicht einfach zu überleben und die „Abfahrt“ zu genießen, bis man schließlich immer geschicktere Wege entwickelt, um den Multiplikator in die Höhe zu treiben. Ich habe zwar abwechslungsreichere Kämpfe oder Duelle mit Bossen vermisst, trotzdem lege ich immer wieder gerne eine Runde ein, um mich in einen technoiden Punkterausch zu begeben.

Pro

  • wahnsinniger Geschwindigkeitsrausch
  • psychedelischer Farb-Overkill
  • spannendes Austüfteln des besten Weges
  • Spielprinzip schön auf VR zugeschnitten
  • knifflige Arcade-Punktejagd mit verschiedenen Taktiken
  • technisch sehr sauber
  • hypnotische Trance-Stücke
  • exorbitante Huftierdichte

Kontra

  • abrupt ansteigender Schwierigkeitsgrad
  • keine Bosse oder andere variantenreich kämpfende Gegner
  • langweiliges Waffensystem
  • Soundtrack bietet kaum härtere, treibende Tracks

Wertung

PlayStation4

Wahnwitzig schneller Arcade-Rausch im bunt blitzenden Retro-Design, der auf einem flachen TV etwas weniger mitreißt als in VR (3D-Fernseher werden aber ebenfalls unterstützt).

PlayStationVR

Wahnwitzig schneller und schön auf VR zugeschnittener Arcade-Rausch im bunt blitzenden Retro-Design.

VirtualReality

Wahnwitzig schneller und schön auf VR zugeschnittener Arcade-Rausch im bunt blitzenden Retro-Design.