Dreamfall Chapters - Test, Adventure, XboxOne, PlayStation4, PlayStation4Pro, PC

Dreamfall Chapters
05.05.2017, Jan Wöbbeking

Test: Dreamfall Chapters

Sperriger Abschluss

Nach dem vor Fehlern strotzenden PC-Debüt der Dreamfall Chapters (ab 10,90€ bei kaufen) soll die „Longest Journey“-Saga wenigstens noch auf den Konsolen einen würdigen Abschluss bekommen. Dort erscheinen alle fünf Episoden des Fantasy-Adventures von Anfang an in einem technisch überarbeiteten Komplettpaket. Im Test überprüfen wir, ob die vielschichtigen Entscheidungen diesmal organischer eingebettet wurden.

Gut ein Jahrzehnt nach Funcoms The Longest Journey: Dreamfall wird die geheimnisvolle Geschichte um Zoë Castillo endlich in einem dritten Spiel fortgeführt. Bereits im Vorgänger wandelte sie zwischen bizarren Traumwelten und auch diesmal versucht sie, den Hintergründen ihrer wundersamen Begabung auf den Grund zu gehen. Was steckt hinter den symbolhaften Träumen? Wie hängen die Welten zusammen? Welche Rolle spielt die Firma WATIcorp, welche mit ihren „Dream Machine“-Headsets massenhaft hängen gebliebene „Traum-Junkies“ auf einen niemals endenden Horror-Trip schickt? Beim Versuch, mit ihrem Lebensgefährten Reza ein neues Leben im Distrikt Propast zu beginnen, kommt Zoë als Wahlkämpferin schnell in Konflikt mit kriminellen Hintermännern und dubiosen Finanzierungsmethoden diverser Parteien. In der mit eiserner Polizeigewalt kontrollierten Gesellschaft brodelt es auf zahlreichen Ebenen.

Vezögerter Abschluss

Süße Träume gibt es in Zoës Koma nur selten...
Zwischendurch wechselt  die Handlung immer wieder in eine altertümliche Parallelwelt im Fantasy-Stil. In der Hauptstadt Marcuria schlüpft man in die Haut des gebrochenen Kriegers Kian Alvane, der nach und nach von den Gräueltaten seines Regimes gegen die unterdrückten magischen Kreaturen erfährt. Daher lässt er sich breitschlagen, mit der Rebellion gegen die Besatzer von seinem Volk der Azadi zu kämpfen. Man ist regelmäßig in Zoes Traumwelt unterwegs, um verirrte Seelen zu retten oder die verschwurbelten Weisheiten der übersinnlichen Kreaturen zu deuten. Einige Hintergründe zur Geschichte und den Feinheiten der Spielmechanik findet ihr in den Episoden-Tests für den PC. Auch für den Spielrechner ist mittlerweile übrigens ein Komplettpaket aller Episoden erhältlich.

Ein Vorteil dieser Wechsel ist die Vielschichtigkeit der Welt. Je länger man sich mit Parteispendern, Kriminellen, Konglomeratsangehörigen  oder Rezas Redakteurs-Kollegen unterhält, desto klarer wird, dass in dieser Welt beinahe jeder bei bestimmten Themen Dreck am Stecken hat - oder sich zumindest in manchen Lebensbereichen mit moralischen Kompromissen arrangiert. Hier gibt es kein schwarz oder weiß; keine einfachen Entscheidungen. Das zeigt sich vor allem in Dialogen, in denen die Entwickler fast nie wertend eingreifen. Sind es nur zwei unterschiedliche Übel, aus denen man sich das vermeintlich kleinere herauspickt? Verrät man den erkannten Spion unter den Rebellen oder hält man ihn hin und hört sich später unter vier Augen seine Beweggründe an? Oder lässt man vorsichtshalber von vornherein keine verdächtige Stimmung aufkommen, um ihn später besser unterstützen zu können?

Vielfältige Graustufen

Beim Widerstand plant Kian (rechts) seine nächsten Schritte.
Ständig gibt es vielschichtige Dialogverläufe. Die wirken sich zwar nur bedingt auf die Haupthandlung aus, allerdings stärker, als ich es z.B. in Telltales Batman-Spiel oder jüngst in Syberia 3 erlebt habe. Mitunter verlaufen die Abzweigungen deutlich anders. Sagt Zoë sich z.B. trotz Gedächtnisschwund von verräterischen alten Bekannten los, arbeitet sie später in einer heruntergekommenen Roboter-Werkstatt. Im Rahmen einiger Tests muss sie dann mit dem depressiven „Scheißbot“ Gassi gehen – der die sonst eher träge, nachdenkliche Grundstimmung mit lustigen Dialogen auflockert.

Auf dem PC merkte man dem durch Crowdfunding unterstützten Spiel deutlich an, dass es unter seiner turbulenten Entwicklungsgeschichte litt. Es kam zu einem ganzen Wust technischer Fehler, Soundstottern und dergleichen. Nach viel Polierarbeit sowie dem Engine-Umstieg auf Unity 5 verspricht der norwegische Entwickler Red Thread Games allerdings, dass die Komplettfassung viel runder laufen und von Details wie verbesserten Charaktermodellen und Animationen profitieren soll. Das Endergebnis wirkte in unserem Test allerdings nur halbgar. Die gröbsten Bugs wurden glücklicherweise ausgemerzt: So kann man etwa in Propast nicht mehr einfach durch Lücken in der Wand schlüpfen, um frei außerhalb der „Karte“ herumzuspazieren. Auch der abzufangende Laufbursche der Assadi legt keinen von wildem Stottern begleiteten Moonwalk mehr aufs Parkett. Abstürze sind uns auf den Konsolen ebenfalls nicht untergekommen.

Wurden die technischen Macken ausgemerzt?

Ein Blick aufs futuristische Propast.
Viele kleine Mankos sind aber nach wie vor vorhanden und lassen das Spiel ungeschliffen erscheinen. Auf Standbildern wirkt die futuristische bzw. magische Welt durchaus detailreich und stimmungsvoll, in Bewegung allerdings ziemlich hölzern. Die meisten Figuren staksen reichlich steif durch die Kulisse. Oft bewegen sie nicht einmal ihre Lippen synchron zur deutschen Synchronisation, die übrigens um einiges schlechter betont klingt als die englische Fassung. Noch mehr aus der Stimmung reißen die massiven Clipping-Fehler, durch die man beinahe komplett mit Figuren wie der Anführerin des Aufstands verschmelzen kann. Auf den Wecker geht auch die dutzendfache Wiederholung ewig gleicher Phrasen. Als jemand im Hintergrund zum zehnten Mal „Bringt mir den gottverdammten Schlüssel!“ schrie, ist Kollege Mathias schließlich völlig entnervt aus dem Konsolenbüro geflohen. Oft klingt es sogar so, als würde er einem direkt über die Schulter kreischen – selbst wenn man dutzende Meter von ihm entfernt steht. Eine räumliche Abmischung hat man sich hier weitgehend gespart.

Ärgerlich sind auch die starken Ruckelattacken auf belebten Plätzen wie dem chinesischen Markt. Sogar das für einen Aufstand erstaunlich leere Gefängnis zuckelt auf allen Plattformen bei Kameradrehungen in verdächtig niedrigen Framerate-Bereichen über den Schirm. Immerhin beweisen die Entwickler einen starken Gerechtigkeitssinn: Besitzer der PS4 Pro bekommen beinahe genauso viele Framerate-Einbrüche wie auf der gewöhnlichen PS4. Auf der Xbox One geht die Bildrate nur einen Deut häufiger in die Knie. Die Kulissen profitieren lediglich bei den Details, Effekten und der Bildschärfe ein wenig von den jeweiligen Hardware-Vorteilen, so dass etwa die glänzenden Kopfsteinpflastergassen in Marcuria auf der Pro das idyllischste Gesamtbild abgeben.

Ruckeln für alle!

Die Maulwürfin hat allen Grund, Rachegelüste gegen die Azadi-Besatzer zu hegen.
Das größte Problem bleibt aber, dass die Rätsel schlecht in das Story-Korsett eingebettet wurden. Die meisten der simpel gehaltenen Puzzles sind eigentlich kaum der Rede wert. Während der üppigen rund 25 Stünden Spielzeit beschränkt sich der Großteil der Aufgaben auf das bloße Abklappern diverser Ziele und einfache Hol- und Bringedienste. Am unterhaltsamsten gestalten sich die Dialogrätsel, in denen man sich geschickt anstellen muss, um effektiver voranzukommen. Oft gerät man derart in den Trott aus Erkunden und Gesprächen, dass es wie ein Fremdkörper wirkt, wenn nach langer Pause plötzlich wieder das vernachlässigte Inventar gefragt ist.

Auf dem chinesischen Markt muss Zoë beispielsweise ein Gastgeschenk besorgen, um zu einer wohlhabenden potenziellen Wahlkampf-Unterstützerin vorgelassen zu werden. Nachdem ich ein paar Dialoge mit zwei Händlern gestartet hatte, ging ich davon aus, dass auch der Rest des Handels mit dem Gesprächs-Icon ablaufen würde. Obwohl ich die passende Lösung bereits ahnte, irrte ich erst einmal ziellos durch die weitläufige Welt. Irgendwann kam ich glücklicherweise doch noch auf die Idee, mich einfach vor einen Händler zu stellen, das beinahe leere Inventar zu öffnen und ein wenig Geld mit ihm zu kombinieren. Ein paar hitzige Gespräche später hatte ich den nötigen Fusel doch noch zum Spottpreis von einem der zwei konkurrierenden Verkäufer ergattert.

Kein homogenes Erlebnis

Traum oder Alptraum?
Auch anderswo sorgen nicht die Rätsel, sondern die unübersichtliche Nutzerführung für Kopfzerbrechen. Als Kian aus dem Kerker ausbrechen musste, erkannte ich meist schnell, wie einige Objekte wie ein Kissen, Besen, Pfeile oder Öl kombiniert werden mussten, um Hilfsmittel wie eine improvisierte Fackel zu basteln. Oft erkannte ich wichtige Kombinationsmöglichkeiten aber erst beim dritten Abklappern der Umgebung, weil entsprechende Hotspot-Symbole nur aus bestimmten Perspektiven angezeigt wurden. Das Problem wird vor allem deswegen lästig, weil die Kamera in engen Räumen nach wie vor wild umherspringt. Schade, dass all diese Unzulänglichkeiten die interessanten Ansätze der Geschichte so oft stören. Die geheimnisvolle Traumwelt, in welche Zoë zwischendurch immer wieder abtaucht, wirft schließlich einige Fragen auf.

Fazit

Auch in der etwas polierteren Komplettfassung von Dreamfall Chapters merkt man dem einstigen Kickstarter-Projekt an, dass sich die Entwickler mit ihrem ambitionierten Projekt übernommen haben. Sicher, die ärgsten Bugs wurden ausgemerzt. Trotzdem leidet die eigentlich interessante Geschichte nach wie vor stark unter ihrer hölzernen Umsetzung und technischen Unzulänglichkeiten wie steifen Animationen, Clipping-Fehlern sowie der schwachen deutschen Vertonung. Am meisten herausgerissen hat mich aber immer wieder die teils verwirrende Einbettung der an sich simplen Rätsel. Wenn mich eines der Puzzles mal etwas länger beschäftigt hat, waren meistens nur ein Missverständnis, versteckte Hotspots oder die nervöse Kamera daran schuld. Die facettenreichen Dialoge und erfreulich freien moralischen Entscheidungen sind mir positiv in Erinnerung geblieben, doch sie werden zu häufig von technischen und spielmechanischen Problemen gestört. So wird aus einer zunächst noch geheimnisvollen Geschichte auf Dauer eine ziemlich tranige und mühsame Reise.

Pro

  • faszinierend vielschichtige Spielwelt
  • Verknüpfungen der Rahmenhandlung machen neugierig
  • zahlreiche Gewissensentscheidungen ohne einfache Moral
  • interessante Erläuterungen der Gedankengänge in Dialogen
  • einige interessante Figuren
  • ansehnlich designte Städte im Cyberpunk- bzw. Fantasy-Thema
  • üppiger Umfang mit rund 25 Stunden Spielzeit

Kontra

  • simples, teils verwirrendes Rätsel-Design
  • fade Aufträge mit langen Laufwegen, Hol
  • und Bringediensten
  • mitunter wildes Durcheinanderreden und Stotter-Attacken
  • häufige Clipping-Fehler
  • teils starkes Ruckeln
  • sperrige Bedienung von Inventar und Gegenständen
  • hölzerne Animationen
  • unpassend betonte deutsche Synchronisation
  • steife Controller-Steuerung
  • abrupter Übergang zwischen den Szenarien erschwert das Verständnis

Wertung

XboxOne

Auf der Xbox One muss man mit dezent stärkerem Ruckeln und etwas weniger Details leben.

PlayStation4

Vielschichtige Entscheidungen machen die Fantasy-Welt interessant, werden aber von banalen Rätseln und vielen technischen Problemen gestört.