Tokyo 42 - Test, Action-Adventure, PC, XboxOne, PlayStation4, Linux, Mac

Tokyo 42
05.06.2017, Benjamin Schmädig

Test: Tokyo 42

Syndicate - in Farbe

Liebe auf den ersten Blick: Klingt immer kitschig, stimmt hier aber. Zumindest wollte ich mich umgehend in Tokyo 42 (ab 59,99€ bei kaufen) stürzen, nachdem ich die ersten Bilder gesehen hatte. Aber Screenshots machen ja bekanntlich keine Spiele und deshalb war ich umso gespannter auf den Test und die Antwort auf meine Frage: Wird das von Grand Theft Auto und Syndicate inspirierte Abenteuer dem ersten Eindruck gerecht?

Humor haben sie jedenfalls, die Brüder Sean Wright und Maciek Strychalski, wenn sie auf ihrer Webseite schreiben: „Wir entwickeln Computerspiele. Genau genommen spielen wir wahrscheinlich gerade irgendwas auf Steam, aber das geht nur uns was an. [...] Wir kommen aus Kapstadt und arbeiten jetzt in einer Küche im Norden Londons.“ Beste Voraussetzungen für ein flockiges Actionspiel mit viel Schleichen, so man denn mag, und Wachen, die sich schon mal auf der Terrasse sonnen, anstatt auf ihrem Posten zu stehen. Außerdem gibt es Nudisten, gefährliche Schlipsträger

Das futuristische Tokio sieht nicht nur prachtvoll aus...
und Suchkatzen.

„Ne, der ist nicht tot!“

Tokyo 42 nimmt sich durchaus ernst! Es strahlt nur eine angenehme Frische aus, die seine über weite Strecken pastellfarbenen Kulissen schon andeuten. Erzählt wird die Geschichte eines namenlosen Ichs, das für einen Mord verantwortlich gemacht wird, den es nicht begangen hat. Und um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, wird man einfach selbst zum Mörder, um sich das Vertrauen verschiedener Verantwortlicher zu erschleichen. Klingt logisch? Ist aber nur halb so wild, denn in der Welt von Tokyo 42 stirbt niemand, sondern wird einfach vorübergehend ausgeschaltet.

Bringt man Zivilisten um, rückt die Polizei trotzdem an, so viel GTA muss sein. Man fährt sogar Motorrad, nimmt an Rennen teil, erledigt Nebenmissionen – teils einfach so, teils um kleine Geschichten abseits des roten Fadens zu erleben, auf jeden Fall um Geld für neue Waffen und Munition zu erhalten – und versucht, nicht allzu häufig draufzugehen. Das hat zwar keine Konsequenzen, kann aber frustrierend sein und ist zu oft zu sehr vom Glück abhängig.

Deathmatch und Geometry Wars

Fliegen einmal die Fetzen, oder vielmehr: die Kugeln, tun sie das nämlich dermaßen entfesselt, dass man sich schnell in einem Bullet-hell-Shooter wiederfindet, der mehr an Geometry Wars erinnert als an GTA oder gar 

... sondern spielt sich auch prächtig.
Syndicate. Das kann Spaß machen (was es vor allem in einer Reihe von Nebenmissionen tut, die flotte Deathmatch-Herausforderungen gegen KI-Kontrahenten sind), hat aber auch viel mit Trial&Error zu tun, weil man Höhenunterschiede schlecht ausmachen kann und der Blick auf die prachtvollen Kulissen nicht immer für Übersicht sorgt. So schwenkt man die Kamera zwar in 45-Grad-Schritten, danach versperren allerdings häufig Gebäude die Sicht, weil vor dem Alter Ego stehende Objekte nicht durchsichtig sind. Eine Unschärfe, die man nicht abschalten darf, sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Ärgerlich sind auch Aufgaben, bei deren Erfüllung man praktisch keinen Spielraum hat, so dass man durch häufige Neustarts erst mal herausfinden muss, was man eigentlich wie genau tun muss. So sollten Herausforderungen nicht gestaltet sein.

Schön ist: Es gibt unheimlich viel zu tun in diesem irgendwie zeitlos futuristischen Tokio. Da sind natürlich die Missionen der zentralen Handlung sowie zahlreiche Aufträge von Nebencharakteren. Vor allem aber gibt es eine Menge zu entdecken: Man reduziert die Präsenz konkurrierender Banden, indem man ihre Stützpunkte ausradiert, sucht Lackierungen für Waffen, andersfarbige Mäntel, Schnellreisepunkte in abgelegenen Vierteln sowie Münzen und weitere gut versteckte oder einfach nur nicht auf einem offensichtlichen Weg erreichbare Geheimnisse.

Die versteckten Wege

Oft gelangt man nur mit gutem Auge, etwas Witz oder einem weiten Sprung ans Ziel – Akrobatik spielt eine große Rolle, zumal das virtuelle Ich selbst beim Fall aus großer Höhe keinen Schaden nimmt. Geld, das man selbstverständlich auch mit erfüllten Aufträgen verdient, investiert man bei Waffenhändlern in Raketenwerfer, bessere

Heimliches Schleichen führt meist, aber nicht immer zum Ziel.
Scharfschützengewehre, Haftgranaten und vor allem Munition, die selten auf der Straße liegt, so dass man gelegentlich damit haushalten muss.

Dabei ist das schnöde Ballern nicht der einzige Weg, das Ziel eines Attentats zu erreichen; bedeutend leichter ist oft das Anschleichen und heimliche Ausschalten der Wachen. Ob das gelingt, wird sogar gesondert vermerkt. Dass nicht nur Syndicate und GTA bei der Entwicklung Pate standen, sondern auch Metal Gear Solid sowie Assassin’s Creed, merkt man immer dann, wenn man im Knien hinter niedrigen Mauern nicht gesehen wird und sich nach dem Entdecktwerden so lange aus dem Staub macht, bis die Aufregung abgeklungen ist. Das dauert nie lange, die Wachen nehmen von toten Kameraden keine Notiz – ähnlich wie Syndicate ist Tokyo 42 eine Art Stealth-Action Light.

Stealth-Action Light

Die funktioniert in ihrem Rahmen allerdings richtig gut, bringt meist gehörige Vorteile gegenüber der direkten Konfrontation und nutzt einen interessanten Kniff, weil man sich per Knopfdruck ein anderes Aussehen verpasst, während man gesucht, aber gerade nicht gesehen wird. Taucht man anschließend im neuen Outfit an anderer Stelle auf, ist man wieder Mr. Unbekannt.

Wer nicht nur alleine schleichen und ballern will, kann dies auch im Wettstreit tun: Auf fünf Mehrspieler-Karten ist jeder Spieler zunächst unerkannt unterwegs und sollte sich bessere Waffen beschaffen.

Mit den richtigen Klamotten wandelt man sogar unbehelligt in Sperrgebieten – weil man für beide Arten des Kleiderwechsels aber Energie benötigt, die man fast immer nur in weiter Entfernung vom Einsatzgebiet aufladen kann, ist diese Art des Versteckspiels zum Glück nicht übermächtig.

Je länger man dabei unentdeckt bleibt, desto bessere Chancen erarbeitet man sich für den Moment, in dem man erkannt wird oder einen Gegner aufspürt.

So sehr mir dieses ebenso einfache wie erstaunlich vielseitige Spiel aber gefällt; einige Kleinigkeiten kann ich nicht unerwähnt lassen. Als Teil der allen Bewegungen zugrunde liegenden Physik ist die Spielfigur etwa so leicht, dass sie beim Herunterlaufen einer Treppe schon mal übers Geländer schwebt, mitunter also in einen Abgrund fällt, wenn man gerade die Kamera dreht, um einen Feind im Auge zu behalten. Außerdem habe ich ein Motorrad-Rennen gewonnen, weil der Rundenzähler kurz nach dem Start schon „2/3“ anzeigte – diesen Vorsprung habe selbst ich mir dann nicht mehr nehmen lassen. Schlimme Fehler sind das freilich nicht, aber hin und wieder haben solche Ärgernisse einfach an meiner guten Stimmung gekratzt.

Der Lack ist ab

Fazit

Dass Tokyo 42 kein großes Spiel ist, merkt man dem ersten Indie-Projekt der zwei Brüder schon an: Man ärgert sich über kleine Fehler und trotz guter Ideen ist sowohl das Schleichen als auch die Action im Grunde ein recht profanes Umherlaufen, bis man das Ziel erreicht hat. Innerhalb dieser Grenzen ziehen die Entwickler allerdings alle Register, um ihre Mischung aus GTA, Syndicate und Metal Gear Solid lange interessant zu machen. Die Missionen sind erstaunlich abwechslungsreich, das Infiltrieren von Zielgebieten zum Erledigen eines Mordauftrags immer spannend und es gibt viel in dem exotischen Tokio zu tun, das sowohl ein gutes Auge als auch Geschick fordert. Ich kann euch dieses kleine Kunstwerk trotz spielerischer Schwächen jedenfalls nur empfehlen!

Pro

  • etliche Haupt- und Nebenmissionen
  • prächtiges Artdesign
  • gelungene Mischung aus Stealth-Action und Arcade-Shooter
  • viele gut versteckte bzw. schwer erreichbare Geheimnisse
  • interessanter Multiplayer

Kontra

  • wenig Übersicht: Gebäude stehen oft im Weg, Unschärfeeffekt verhindert klare Sicht und Höhenunterschiede mitunter schwer einschätzbar
  • einige Nebenmissionen nur durch nervenaufreibendes Trial&Error schaffbar
  • Programmfehler können zu Verlust von Ausrüstungsgegenständen führen

Wertung

PC

Abwechslungsreiche Mischung aus Stealth-Action und Shooter vor einer prachtvollen exotischen Kulisse.

XboxOne

Abwechslungsreiche Mischung aus Stealth-Action und Shooter vor einer prachtvollen exotischen Kulisse.