Endless Space 2 - Test, Taktik & Strategie, PC

Endless Space 2
01.06.2017, Jörg Luibl

Test: Endless Space 2

4X als Space Opera

Vor fünf Jahren präsentierten die Amplitude Studios mit Endless Space zwar gute, aber weitgehend sterile Rundenstrategie. Nachdem die Neuauflage von Master of Orion eher ernüchterte, beherrschen weiterhin Stellaris und vor allem Galactic Civilizations 3 den Weltraum. Gelingt es den Franzosen im zweiten Anlauf, eine ebenso komplexe wie lebendige 4X-Strategie zu inszenieren? Nicht nur das, denn sie ziehen auch an der Konkurrenz vorbei.

Es ist kurz vor Mitternacht, der Bildschirm flimmert und ich lehne mich seufzend zurück. Was soll ich bloß als Nächstes machen? Der Mauszeiger schwebt scheinbar ziellos über diesen hellblauenTechnologie-Ozean, der von vier breit gefächerten Strömen namens Entwicklung, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft gespeist wird. Er verharrt mal über dem "Verbesserten Positronstrahl", dann über "Perfekte Verhandlungen" für Allianzen und schließlich bei der "Absorption von Gammastrahlen". So geht das noch minutenlang, ohne eine Entscheidung. Ich bin einfach hin und her gerissen, denn ich könnte alles auf einmal gebrauchen. Mein Grübeln passt sich so langsam den galaktischen Ausmaßen dieses wunderbaren Spiels an. Hier macht auch das Nachdenken richtig Spaß. Es gibt neben der Auslöschung aller Fraktionen fünf weitere Möglichkeiten, das Spiel zu gewinnen: Über die reine Punktzahl, das Errichten spezieller Wunder, das Anhäufen von Dust, die Kontrolle der meisten Sternensysteme oder die wissenschaftliche Dominanz.

Galaktisches Grübeln

Der Technologie-Ozean mit seinen vier erforschbaren Strömen Militär, Wissenschaft, Wirtschaft und Entwicklung.
Eigentlich habe ich keine Zeit für militärische Forschung, aber die Bedrohung an meinen Flanken wird einfach zu groß und meine Flotte ist mit ihren veralteten Waffensystemen und kleinen Jagdstaffeln nicht wehrhaft genug - mir fehlen z.B. die mächtigen Träger der Prim-Klasse, die ich zu modifizierten Festungen ausbauen kann. Ganz zu schweigen von der planetaren Defensive, denn ich habe bisher weder in Flieger noch Panzer investiert und könnte einer Invasion nicht lange Paroli bieten. Aber jedes Schiff kostet natürlich Dust, diesen allmächtigen goldenen Währungsstaub. Wenn ich eine starke Waffe wie den Positronstrahl installieren will, brauche ich aber zusätzlich zwingend Antimaterie. Diesen wertvollen strategischen Rohstoff kann ich aber noch gar nicht abbauen, also müsste ich ihn in der galaktischen Warenbörse kaufen, die ich wiederum noch nicht erforscht habe. Also doch erstmal den Markt freischalten? Und so schippert der Mauszeiger weiter auf dem Ozean der Möglichkeiten.

Schon nach wenigen Zügen wird auch die geostrategische Lage immer wichtiger. Wo will man expandieren? Es bietet sich hier z.B. an, die grauen neutralen Völker zu assimilieren. Oder schickt man seine Siedler noch weiter an die Peripherie? Man könnte auch Allianzen anstreben oder sich für den Krieg rüsten.
Ich kann nur ansatzweise beschreiben, wie gut die vier erforschbaren Ströme ineinander fließen. Ein kleines Beispiel: Der Rumpf eines Raumschiffes wird in der Entwicklung, die Waffe dafür im Militär, der Rohstoff jedoch in der Wirtschaft und die freie Bewegung in der Wissenschaft freigeschaltet - es gibt keinen klaren Königsweg, was wiederum dafür sorgt, dass man selbst innerhalb kleiner Entscheidungen flexibel und dynamisch planen muss. Beim großen Ziel ist es dasselbe: Ich habe mich z.B. mit dem techaffinen Volk der Sophon sehr stark auf den Technologiesieg konzentriert, nur um dann festzustellen, dass ich ihn ohne ein gesundes Maß an Militär, Wirtschaft & Co nicht erreichen kann. Vielleicht brauche ich etwas Abstand, um die richtige Strategie zu finden?

Vier Ströme, ein Universum

Also raus aus diesem Ozean der internen Forschung, dafür hinaus in die Weite der Galaxie! Kaum zoome ich aus meinem Heimatsystem heraus in den Sternennebel mit seinen bunten Inseln, die die Machtbereiche der anderen Fraktionen symbolisieren, versinke ich schon wieder in Möglichkeiten - nur diesmal ist es ein geostrategisches Puzzle. Denn mein kleines gelbes Imperium wird so langsam von Rot, Blau und Grün umzingelt. Ihre Sternensysteme bilden an meiner oberen, linken sowie unteren Flanke bereits zusammenhängende Gebiete, die ich über die einfache Besiedlung von Planeten nicht mehr durchbrechen könnte - hier müsste ich Krieg führen oder Allianzen schmieden. Also doch nicht den Markt, sondern erst die Verhandlungen freischalten?

Auch Helden spielen eine Rolle als Piloten oder Gouverneure.
Nein, es gibt vielleicht eine weitere Möglichkeit: Auf meiner rechten Seite habe ich bereits eine von mehreren neutralen Zivilisationen assimiliert. Und bei den anderen wächst mein Einfluss bereits so stark, dass ich sie hoffentlich auch integrieren kann - ich hatte bei der Zusammenstellung der eiförmigen Galaxie einfach Glück, dass sich so viele kleine Völker auf relativ engem Raum befinden. So könnte mein Imperium ohne weitere Raumschiffe oder Bündnisse erstmal expandieren. Um das zu beschleunigen, werde ich Gesetze der Pazifisten erlassen sowie Kulturgebäude wie das Nationalmuseum errichten, damit ich mehr Einflusspunkte bekomme, die ich wiederum in Propaganda und Werbung für meine Sache investieren kann. Na also, das ist doch ein Plan!

Viele Möglichkeiten, viele Konflikte

Etwas später spitzt sich die Lage leider zu. Zwar habe ich drei weitere Systeme assimiliert, aber plötzlich gibt es an meiner Peripherie Aufstände und Rebellionen - ich habe mich nicht um die planetare Entwicklung gekümmert, sondern so schnell wie möglich jeden Planeten an der Grenze besiedeln lassen. Außerdem tauchen grüne Ranken auf, die die anderen neutralen Zivilisationen schon umschließen - die Baumwesen breiten sich aus. Das sind zwar theoretisch Pazifisten, aber wenn man sie am Wachstum hindert, können sie böse zurückschlagen. Als wäre das nicht genug, melden sich an meiner linken Flanke die Craver und fordern angesichts meiner militärischen Schwäche mein komplettes Dust-Vorkommen. Ich schau auf ihre Flotte, schlucke kurz, biete ihnen die Hälfte und sie lassen mich erstmal in Ruhe. Wieso habe ich noch keine Allianz?

Raumschiffe lassen sich gezielt mit Kampf-, Verteidigungs- sowie Unterstützungsmodulen modifizieren.
Warum habe ich so viele kleine Verbände überall verstreut, aber keine wirklich starke Flotte? Ich schwöre mir, dass ich beim nächsten Spiel an all das denken werde. Jetzt geht es erstmal darum, mein Imperium über die nächsten Runden zu retten - von Sieg kann keine Rede mehr sein.

Es gelingt mir, die ganz großen Kriege zu vermeiden und ich kann tatsächlich eine Allianz mit den Rissgeborenen sowie den Ungefallenen schmieden - jetzt würde man mir im Kriegsfall helfen und ich kann etwas beruhigter meine Pläne verfolgen. Allerdings bemerke ich bald, dass sich nicht alles um mich und mein Mikromanagement dreht. Es geht auch um das Schicksal dieses Universums und das Vermächtnis der uralten Endless. Dieses Gefühl der gewachsenen Geschichte sowie fast schon apokalyptischen Perspektive sorgt für das angenehm epische Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Beteilige ich mich daran, diese Welt zu erhalten oder lass ich den Einfluss dieser mysteriösen Wesen zu? Ich muss mich genauso entscheiden wie die anderen sieben Völker, so dass sich - unabhängig von aktuellen politischen Allianzen (!) - auch zwei große Bündnisse für eine der kooperativen finale Quests ergeben, in der man zusammen mit der KI spezielle Systeme besetzen und halten muss. Was soll ich bloß tun? Wer wird auf meiner Seite sein? Das galaktische Grübeln nimmt kein Ende. Es ist weit nach Mitternacht.

Dabei beginnt das Grübeln schon vor dem Spielstart. Die acht Fraktionen (man kann auch eigene erstellen) unterscheiden sich nicht nur rein äußerlich, was den Körper oder das Schiffsdesign angeht - sehr lobenswert sind übrigens die kurzen, aber stimmungsvollen Einführungen in den jeweiligen Charakter sowie politischen Status quo. Jedes Volk besitzt zudem einen eigenen soziokulturellen Hintergrund, dem eine mehrstufige Hauptquest mit vielen Entscheidungen erzählerisches Leben einhaucht. Zwar folgt das Drehbuch meist einer zwei- oder dreigleisigen Schablone, in der es jeweils um eher radikale oder gemäßigte politische Ansichten geht, die man mit seinen Befehlen sowie Gesetzen stützen kann.

Pazifisten und Eroberer

Man kann aus acht Fraktionen wählen. Sie unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Startboni, sondern vor allem der Expansion und der jeweils exklusiven Hauptquest.
Aber so entstehen auf Seiten der wissbegierigen Sophon ganz andere Situationen und Konflikte als auf Seiten der kapitalistischen Lumeris: Streiten die robotischen Technerds z.B. darüber, ob sie eine sehr gefährliche KI noch weiter entwickeln, um ihre Potenziale zu nutzen, geht es bei den mafiös organisierten Familien eher darum, wie skrupellos man Geschäfte macht – manche Dialoge erinnern dabei sogar an Der Pate & Co. Und während die Vodyani wie Kreuzritter ihrer heiligen Mission der offensiven Bekehrung folgen, müssen sie mit Ketzern in den eigenen Reihen umgehen – oder soll man ihnen folgen? Selbst die scheinbar komplett pazifistischen Ungefallenen, die als Baumwesen ganze Systeme mit ihren Ranken umschließen, haben es intern mit dem zwiespältigen Weg des Feuers zu tun, der auch die Expansion rechtfertigt. Selbst die hoch aggressiven Craver, die wie Heuschrecken über Planeten herfallen, sind sich nicht immer einig. Jede Hauptquest erzählt also eine exklusive, sich angenehm zuspitzende Geschichte.

Im letzten Drittel steigt die Spannung sowohl aufgrund der hart umkämpften Grenzen als auch einiger kooperativer Quests. Plötzlich bildet man unabhängig von Allianzen auch Teams mit der KI.
Man kann mit seinen Entscheidungen kurzfristig die politische Stimmung in seinem Imperium beeinflussen, die bei jedem Volk von Militaristen, Pazifisten, Technokraten, Ökologen & Co geprägt wird. Wird eine Partei zu mächtig, kann sie damit die Auswahl der Gesetze beeinflussen - aber als Imperator hat man sowohl legale als auch illegale Möglichkeiten, die Wahlergebnisse zu beeinflussen. Nur Vorsicht: Je weiter das Imperium wächst, desto multikultureller und damit politisch heterogener und unübersichtlicher wird die Bevölkerung und damit die Zustimmung - cool ist übrigens, dass man die Bevölkerungsgruppen innerhalb seiner Systeme per Drag&Drop sowie der Galaxie über Transportschiffe verschieben kann, zumal jedes Volk je nach Klima besser oder schlechter produziert. Es gibt in den Systemen sogar einen Effizienzindex, der anzeigt, welche planetaren Boni man gerade mit dem jeweiligen Volk ergattert. Es lohnt sich also, eine passende Heimat zu suchen! Selbst ohne diese Migrationstaktik kann sich das System-Management sehen lassen, denn man hat über zig Gebäude die Möglichkeit, einzelne Planeten optimal zu spezialisieren. Man kann zudem nicht nur Anomalien beseitigen, um Nachteile wie Meteoriteneinschläge zu eliminieren, sondern sie komplett von der unwirtlichen "Asche" hin zu "Wüste" oder "Steppe" terraformen und technologisch bis zu drei Stufen entwickeln.

Politische Strömungen und Völker leiten

Die möglichen Gesetze sind als Verstärker ebenfalls wichtig, denn natürlich profitiert man in der Forschung sowie Produktion davon, wenn die aktuelle Politik mit ihren Boni das eigene Spielziel unterstützt. Langfristig drückt man seiner Herrschaft mit seinen Entscheidungen einen Stempel auf, denn die Hauptquest kann je nach Verhalten ganz unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Die Planeten innerhalb eines Systems können sich stark hinsichtlich des Klimas, der Rohstoffe sowie Bevölkerung unterscheiden.
Jede Fraktion startet mit anderen Merkmalen, die einem vom Start weg indirekte Boni bringen. Die Sophon produzieren z.B. mehr Wissenschaft auf kalten Planeten und erforschen all das schneller, was vor ihnen noch kein anderes Volk erforscht hat. Das Vereinigte Imperium der Menschen gewinnt für industrielle Bauten auch Einfluss und die Craver profitieren in den vier Kernrohstoffen Nahrung, Dust, Industrie und Wissenschaft zu 100% von versklavter Bevölkerung. Hinzu kommen zwei Starttechnologien, die ein kleiner Hinweis darauf sind, in welchem der vier Forschungsbereiche die eigentlichen Stärken liegen - die Sophon beginnen z.B. mit den zwei wissenschaftlichen Bereichen der Xenobiologie und Schaum.

Damit nicht genug, gibt es wesentlich spielerische Unterschiede, was die Expansion betrifft: Die Menschen und Sophon besiedeln andere Systeme,

Der sonst so arrogante Horatio denkt tatsächlich über eine Allianz nach...? Der Charakter der Völker wird auch in den kleinen Dialogen der Diplomatie spürbar.
indem sie auf einem Planeten zunächst eine Kolonie gründen, die erst nach vielen Runden umgewandelt und somit auch farblich in das Imperium integriert wird – in der Zwischenzeit ist sie auch angreifbar. Die Rissgeborenen vermehren sich gar nicht biologisch, sondern müssen neue Bevölkerung industriell herstellen. Die amphibischen Lumeris brauchen zum Besiedeln gar keine Kolonisten, sondern lediglich Dust und die Craver versklaven lieber alle Eingeborenen und beuten Planeten so schonungslos aus, dass sie immer Probleme mit der Zustimmung haben.

Von Kolonisten, Bekehrern und Ranken

Noch exotischer geht es bei zwei anderen Fraktionen zu: Die fanatisch religiösen Vodyani betreten gar keine Planeten, sondern verharren in der Umlaufbahn in ihren so genannten „Archen“ und bekehren sie von dort aus, indem sie Dust in Glauben umwandeln.Und die Baumwesen der Ungefallenen brauchen ebenfalls keine Kolonisten, sondern breiten ihre Ranken auf Systeme aus, so dass diese fest verbunden und damit komplett besiedelbar sind. All das hat natürlich konkrete Auswirkungen auf die Art der expansiven Strategie sowie Gewichtung der Forschung. Umso bemerkenswerter ist, dass die Balance trotz dieser Unterschiede eine sehr gute ist, denn auch sehr mächtig erscheinende Fraktionen haben irgendwo einen Engpass oder ein Defizit.

Für Einsteiger empfehlen sich also eher die „normal“ expandierenden Völker wie die Menschen oder Sophon. Und keine Bange: Zwar braucht es etwas Zeit, bis man die komplexe Spielemachnik von Endless Space 2 (ab 39,00€ bei kaufen) verinnerlicht hat, aber es gibt ein gutes Tutorial in drei Stufen, das auf der ersten Ebene sogar Anfänger im Bereich der 4X-Strategie mit grundsätzlichen Erläuterungen an die Hand nimmt. Wer den Vorgänger kennt, wird lediglich Tipps zu den Neuerungen bekommen. Falls ihr mit Freunden online spielen wollt, könnt ihr das mit bis zu acht Leuten in privaten Multiplayer. Außerdem lassen sich auch öffentliche Spiele anlegen und betreten - inklusive zuschaltbarer KI.

Tutorial & Online-Multiplayer

Was mir richtig gut gefällt, ist der Aspekt der Erkundung. Zu Beginn kennt man nur sein kleines Sternensystem und muss seine Raumschiffe aussenden, um die Karte weiter zu öffnen – so weit, so üblich. Das Besondere ist zum einen, dass man Sonden in die unbekannten Zonen des Alls schießen kann, die dann für ein paar Runden einfach geradeaus in die gewünschte Richtung fliegen und dabei ihr Umfeld aufdecken. Dabei kann es mit etwas Glück passieren, dass man einzigartige Knoten, Systeme, Völker oder gar die irgendwo verborgene Akademie entdeckt – und zwar unabhängig von den bisher angezeigten Routen. Spätestens wenn man das freie Fliegen erforscht hat, kann man diese „Inseln“ dann direkt ansteuern und z.B. besiedeln. Gründet man einen Außenposten, bekommt man je nach Planet ein stimmungsvolles Intro, das auf die Flora und Fauna einstimmt. Überhaupt hat man das Gefühl, dass man in eine Galaxie mit Geschichte vordringt, denn es gibt einzigartige und auch zerstörte Planeten.

Tolles Erkundungsflair

Schon in den ersten Zügen muss man vorsichtig erkunden, denn in manchen Systemen lauern Piraten.
Zum anderen gibt es Forschungssonden, die man direkt auf Planeten schicken kann. Nahezu jeder Himmelskörper hat seine kleinen Geheimnisse in Form von Signalen, Ruinen oder Anomalien, dargestellt von Fragezeichen. Diese kann man mit einer Sonde lüften, um dann im besten Fall auf zwei Arten belohnt zu werden: Man deckt nämlich meist eine planetare Besonderheit auf, wie z.B. eine lokale Luxusressource, aber sammelt auch direkt Beute, ohne zu kolonisieren - so lohnt sich die Erkundung auch kurzfristig, zumal man auch ganze Raumschiffe, Taktiken oder Technologien finden kann. Aber Vorsicht, neben Nieten gibt es auch versteckte Piraten. Schön ist auch, dass man diese Erkundung weiter über den Technologiebaum ausbauen muss, wenn man wirklich besondere Schätze finden will, denn diese sind in mehrere Stufen eingeteilt, die stärkere Sonden etc. verlangen.

Und schließlich gibt es noch einen motivierenden Aspekt, der im weitesten Sinne mit der Erkundung zu tun hat: Die so genannten "Taten". Dahinter verbirgt sich das Wettrennen mit der KI um besondere Leistungen wie Entdeckungen, Gebäudebau etc., um spezielle Boni zu erhalten. Wer z.B. als Erster acht Planeten kolonisiert, bekommt dafür 3000 Punkte Wissenschaft - dabei wird der aktuelle Status quo immer angezeigt, was die Motivation erhöht. Weil diese Taten nicht sofort enthüllt werden, sondern erst über das Freischalten einer neuen Stufe des Technologiebaums, wird immer wieder die Neugier geweckt - so schafft man auf subtile Art

Viele Nebenquests und vor allem die völkerspezifische Hauptquest sorgen für einen innerhalb der 4X-Strategie ungewöhnlich guten erzählerischen Rahmen.
unabhängig von Quests weitere Spielanreize. Zwar trägt es natürlich auch dazu bei, dass man vielleicht von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt wird, aber die Anzahl der vollbrachten Taten wird zumindest für die Endabrechnung mitgezählt. 

Eine wirklich nachvollziehbare Diplomatie wird in den kommenden Jahren nicht entwickelt werden. Und auch Endless Space 2 hat hier seine Defizite, denn manchmal gibt es Widersprüche zwischen dem aktuellen politischen Status quo oder dem Gesagten und den sichtbaren Handlungen – viel zu schnell kann man für meinen Geschmack im letzten Drittel auch mächtige Allianzen bilden. Außerdem ist es schade, dass mich die KI zwar warnen darf, dass meine Raumschiffe sich in ihrem Einflussbereich befinden oder ich doch hoffentlich keine Flotte an der Grenze zusammenziehe, aber ich das als Spieler wiederum nicht kritisieren darf. Ich kann dieses unbekannte Raumschiff in meinem System also nicht anklicken, um den Piloten bzw. sein Volk direkt anzusprechen - hier fehlt es an situativen Reaktionen.

Diplomatischer Druck

Ich kann ab einem bestimmten Schwellenwert an Einflusspunkten gezielt Druck auf die Vodyani ausüben und etwas ohne Gegenleistung verlangen.
Andererseits gefällt mir die Diplomatie besser als im Vorgänger oder Civilization 6, weil sie trotz ihrer Defizite viel lebendiger und letztlich verlässlicher wirkt. Auch im außenpolitischen Ringen um Macht, zeigt dieses Spiel einige Stärken: Im kleinen Dialog inklusive hübsch animierter Portraits sind das etwa lobende Kommentare, wenn ich meine Schiffe aus dem oben erwähnten Orbit herausbewege. Oder stimmungsvolle Anfeindungen der Craver, die ihr Kommen tiefkehlig ankündigen und über meinen Vorschlag zum Handel nur böse lachen.

Jede Fraktion reagiert in dieser Kommunikation angenehm markant und ganz anders etwa auf Schmiergeld: Während die Vodyani auch über kleine Summen an Dust glücklich sind, weil es ihnen heilig ist, schütteln die Craver angewidert die Echsenköpfe und die gewieften Lumeris fordern meist mehr als akzeptabel. Ein diplomatischer Vorschlag wird nicht nur auf einer Leiste der möglichen Akzeptanz von Grün bis Rot eingeordnet, bevor man ihn abschickt, sondern auch wohlwollend oder missfallend kommentiert. Man kann sowohl Geschenke machen als auch etwas anbieten und nach einer Gegenleistung fragen.

Im letzten Drittel des Spiels bildet man für kooperative Quests kurzfristig ein Team mit Teilen der KI, um gegen den Rest anzutreten. Übrigens kann man all das auch vor dem Spielstart abschalten.
Außerdem spielt der „Diplomatische Druck“ eine wichtige Rolle. Der blaue Balken symbolisiert die eigene außenpolitische Strahlkraft gegenüber einer Fraktion, die quasi den bis dato gesammelten Einflusspunkten entspricht. Je mächtiger man ist, desto mehr direkte Forderungen nach Dust oder Rohstoffen kann man stellen. Wird die Forderung erfüllt, sinkt der Druck umgehend auf null; wird sie verweigert, passiert das ebenfalls, aber kann eine Kriegserklärung nach sich ziehen. Man kann sich also für eine gewisse Zeit etwas Ruhe verschaffen, wenn man dafür bezahlt. Das ist ein angenehm verlässliches System, dem allerdings „positiver“ Druck mit kooperativen Forderungen fehlt.

Auf der großen Bühne der Diplomatie kann man erst tanzen, wenn man den anfänglichen Zustand des Kalten Krieges hinter sich gelassen und offiziell Frieden geschlossen hat – erst dann ergeben sich Möglichkeiten für den Handel mit Rohstoffen, Systemen und Wissen oder eine Allianz; komplexere Bündnisse wie ein Nichtangriffspakt oder Ähnliches sind nicht möglich.

Hier funktionieren die gegenseitigen Verpflichtungen aber sehr gut, denn die KI fordert von mir im Kampf militärische Unterstützung und schickt selbst Flotten in einem Angriffsfall. Aber: Man muss die entsprechende diplomatische „Technologie“ erstmal besitzen. Und: Für jeden noch so kleinen Vorschlag braucht man zwingend lila Einflusspunkte. Wer davon nicht genug hat, kann auch nicht verhandeln. Schön ist, dass der Preis je nach diplomatischem Verhältnis steigt oder sinkt, so dass die Kriegserklärung gegen einen langjährigen Freund sehr teuer ist.

Wird ein Planet kolonisiert, gibt es stimmungsvolle Videoclips über Flora und Fauna.
Einflusspunkte braucht man auch für die vielen kleinen Nebenfraktionen, die wie neutrale Stadtstaaten in Civilization fungieren, aber spielerisch weniger Eigenleben zeigen, denn sie haben weder Händler noch Raumschiffe. Sie wurden mit ihren Merkmalen cool designt, aber hier lassen die Amplitude Studios einiges liegen, denn der Charakter bzw. das Wesen wirkt sich kaum auf die diplomatische Beziehung aus, so dass die Assimilierung letztlich etwas zu glatt läuft.

Zunächst stellt man sich vor, dann kann man über Geld oder Einfluss weiter für sich Werbung machen, so dass man irgendwann z.B. Dust oder Rohstoffe automatisch als Handelsware erhält. Ab einem Beziehungswert von 75 darf man dann aktiv helfen: Erst jetzt bekommt man zufällig eine Quest und übernimmt das System, sobald man diese erfolgreich absolviert hat.

Nicht nur die Erkundung lässt sich viel Zeit, auch der Handel entfaltet seine Potenziale erst schrittweise. Und das nur, wenn man sich entsprechend entwickelt. Wer Waren kaufen oder verkaufen will, muss zunächst die Galaktische Warenbörse erforschen. Wenn man zusätzlich Helden oder Schiffe als Söldner anwerben will, muss man noch einen Schritt weiter forschen. Aber das lohnt sich nicht nur, weil man damit Überschüsse loswerden und kurzfristig handeln kann, um seine Flotte aufzurüsten oder eine spezielle Ressource zu kaufen, die man vielleicht für eine Systemverbesserung oder ein Waffensystem braucht.

Warenkauf und Handel

Die wirtschaftliche Übersicht der Handelswege  ist etwas undurchsichtig.
Das lohnt sich auch, weil das Wirtschaftssystem von Angebot und Nachfrage anschaulich strukturiert ist und sehr lebendig über eine Art Newsticker inszeniert wird. Man erfährt über Kurzmeldungen, wann es zu welcher Luxusware oder strategischen Ressource vielleicht steigende oder sinkende Preise gibt. Neben diesem Markt kann man auch mehrere Handelsrouten über Mutter- sowie Tochterunternehmen zwischen zwei Planeten errichten, die mit der Zeit lukrative Einnahmen bringen, aber auch blockiert und sabotiert werden können. Gerade die kapitalistischen Lumeris konzentrieren sich auf diese wirtschaftliche Expansion. Allerdings muss ich sagen, dass eine frühere Einbindung des Marktes sowie von Handelsrouten, vielleicht sogar unabhängig vom Technologiebaum, das erste Drittel deutlicher belebt hätte.

Die Raumschlachten werden ansehnlich inszeniert, das stilsichere Design der Raumschiffe variiert von Volk zu Volk.
Die schrittweise freigeschalteten, aber vom Start weg verfügbaren Helden tragen hingegen sofort zur Entwicklung bei: Wenn man sie als Gouverneure einsetzt, können sie mit ihren Fähigkeiten gezielt die Ausbeute an Dust, die Wissenschaft, die Produktion, die Ernte oder den Einfluss in einem kompletten System stärken - und das zahlt sich schnell aus. Jeder Held besitzt eine Klasse wie etwa "Berater" oder "Wächter", die seine speziellen Fähigkeiten andeuten und die man mit jedem Stufenanstieg freischalten kann. Letztere entfalten ihr größtes Potenzial z.B. eher als Piloten bzw. Anführer, denn sie erhöhen gezielt die Schildenergie, die Sichtweite oder den Waffenschaden der Flotte. Außerdem sorgen sie gerade zu Beginn mit ihrem eigenen Raumschiff, das man übrigens ebenfalls modifizieren darf, für mehr Schlagkraft gegen die Piraten - und da wären wir beim Kampfsystem.

Helden und Kampfsystem

Zu Beginn hat man nur drei Plätze für Taktikkarten zur Verfügung - aber es werden immer mehr.
Theoretisch gibt es weitreichende taktische Möglichkeiten, was Formationen, Waffensysteme, Schilde und Manöver betrifft. Sie laufen in den drei Phasen lang, mittel und kurz ab, in denen Schaden und Schutz je nach erreichter Distanz ausgewertet werden - zwei Flotten nähern sich also an, zuerst beschießt man sich aus der Ferne, dann aus der Mitte und schließlich aus kurzer Entfernung. Wobei es je nach ausgewähltem Manöver nicht immer genauso linear ablaufen muss, sondern auch andere Routen und Umzingelungen möglich sind.

Hinzu kommt etwas Schere-Stein-Papier bei der Waffenart sowie der gewählten Kampftaktik: Man kann sich über die installierten Schilde entweder gegen Projektile oder Energie oder bei geringerer Abwehr auch gegen beides wappnen und muss etwas Glück haben, dass man den Feind damit optimal kontert. Außerdem kommt etwas Kartentaktik hinzu, denn man kann spezielle Manöver wie etwa den gestärkten Rumpf auf kurze Distanz ausspielen oder bessere Schildenergie auf lange Distanz - im Laufe des Spiels schaltet man immer mehr Slots und Manöver für allen Distanzen und Waffentypen frei.

Hier die reine Taktikansicht: Die Flotten bewegen sich auf Routen in drei möglichen Distanzen lang, mittel und kurz aufeinander zu - dabei kann man allerdings variieren.
Das praktische Problem der Gefechte ist: Recht lange kann man nach Schema F gewinnen, indem man seine Schiffe z.B. einfach mit den voreingestellten Taktiken kämpfen lässt. Ganz nach Clausewitz entscheidet auch im Weltraum meist die Macht der Überzahl, symbolisiert durch die Kampfkraft des Verbandes - ist die klar größer, braucht man sich um kurz, mittel oder lang sowie Projektil, Energie oder Manöver nicht scheren. Das entwertet das taktische Potenzial, zumal die KI der anderen Völker manchmal recht selbstmörderisch angreift - da schicken die Craver schonmal nacheinander einzelne Korvetten in mein System, anstatt einen Verband. Allerdings kann man auch recht klare und gut organisierte Invasionen beobachten.

Taktik wird später immer wichtiger

Und spätestens im letzten Drittel geht es militärisch nicht mehr so einfach, wenn man es mit größeren gemischten Verbänden zu tun hat. Denn wer da nur auf die eine spezialisierte Taktik setzt, z.B. auf sieben Jäger mit vollem Fokus auf kurze Laser und reine Energieschilde, kann von defensiven Korvetten mit mittlerem und langem Projektilfeuer schon zerbröselt werden, bevor überhaupt ein einziger Laser feuert. Und wenn sich zwei gemischet Verbände gegenüber stehen, werden auch die Formationen und Kampfkarten wesentlich wichtiger, denn hier können kleine Abweichungen für entscheidende Wirkung sorgen.

Auch der Eintritt der Flotten in den Kampf wird cineastisch inszeniert.
Man grübelt also nicht nur über die Bewaffnung der einzelnen Schiffe, sondern auch über die Zusammensetzung des Verbandes. Zudem muss man als aggressiver Spieler auch die Invasion mit einbeziehen: Wer eine feindliche Flotte vernichtet hat, hat noch lange nicht die Planeten erobert. Hat man überhaupt genug Leute dabei? Hat man Module mit zusätzlicher Mannschaft integriert? Hier wird nicht nur verrechnet, welche Truppenstärke man einsetzen kann, sondern auch, wer Panzer oder Flieger dabei hat und ob es Verteidigungsanlagen gibt. Außerdem kann man sich jeweils für eine Art der Offensive und Defensive wie Guerilla & Co entscheiden, die den Kampf vor allem zeitlich beeinflusst.

Entweder kann man sich die Gefechte in Echtzeit bei fester oder freier Kamera sowie inklusive eingeblendeter Statistiken ansehen - was gerade bei Beteiligung großer Verbände im Gegensatz zu den faden Bodenschlachten richtig gut aussieht. Erst im Weltraum entfaltet sich das starke Artdesign, denn jedes Volk führt ganz andere Jäger, Korvetten und Kreuzer in die Schlacht. Oder man klickt nach der Wahl von Formation bzw. Taktik einfach auf das Ergebnis.

Fazit

Endless Space 2 inszeniert die stimmungsvollste und komplexeste 4X-Strategie der letzten Jahre. Ich bin über zig Stunden bis tief in die Nacht vor dem Bildschirm versackt. Was ist so faszinierend? Die Spieltiefe im besten Sinne. Es gelingt den Amplitude Studios zum einen, die klassischen vier Aspekte aus Auskundschaften, Ausbreiten, Ausbeuten und Auslöschen in nahezu allen Facetten motivierend und je nach Fraktion so unterschiedlich abzubilden, dass sich die Wahl spürbar auf das eigene Imperium auswirkt. Man hat das Gefühl, dass man an hundert Zahnrädchen drehen kann, um das große Ganze diplomatisch, technologisch, wirtschaftlich oder kriegerisch zu beeinflussen. Zum anderen gibt es eine unheimlich gelungene erzählerische Verflechtung über kleine Ereignisse sowie eine speziell auf das Volk zugeschnittene Hauptquest inklusive politischer und moralischer Entscheidungen. Dieses Rollenspielflair sorgt dafür, dass die sonst so steril wirkende Rundenstrategie überraschend lebendig wirkt. Hinzu kommen das stilsichere Design sowie die ansehnlichen Gefechte. Zwar hapert es am Feinschliff der sonst gelungenen Diplomtie, das theoretisch gute Kampfsystem lässt einen praktisch zu lange mit Schema F gewinnen und die KI hat manchmal reaktive Probleme - all das verhindert Platin. Aber wer epische Science Fiction und komplexe Strategie mag, kommt um dieses wunderbare Spiel einfach nicht herum. Es verlangt viel Geduld und Zeit, aber hier wird man für Wochen und Monate sehr gut unterhalten.

Pro

  • komplexe 4X-Strategie mit Rollenspielflair
  • glaubwürdiges Science-Fiction-Universum mit Geschichte
  • stilvolles Design von Menüs, Völkern & Co
  • acht Fraktionen mit klaren Unterschieden
  • interessante Haupt- und viele Nebenquests
  • kooperative und kompetitive Aufgaben mit der KI
  • diplomatischer Druck in mehreren Stufen
  • angenehm lebendige und verlässliche Diplomatie
  • erzählerisch interessanter Rahmen für jedes Volk
  • komplexer Technologiebaum mit vielen Boni
  • Helden rekrutieren als Piloten oder Gouverneure
  • Raumschiffmodule manuell bestücken
  • viele Kampftaktiken und Waffensysteme
  • motivierende Erkundungselemente über Sonden
  • über Editor eigene Fraktionen erstellbar
  • gut inszenierte explosive Raumschlachten
  • sechs mögliche Siegbedingungen
  • Mod-Unterstützung und zig Regeloptionen
  • dreistufiges Tutorial
  • sieben Schwierigkeitsgrade, auch Sandbox
  • angenehm epische Musikuntermalung
  • sporadische Sprachfetzen, deutsche Texte
  • Online-Multiplayer für bis zu acht Spieler

Kontra

  • Kampftaktik zu Beginn nicht relevant genug
  • keine diplomatische Reaktion auf fremde Raumschiffe möglich
  • Nebenfraktionen zeigen zu wenig Charakter
  • man vermisst komplexere Bündnisvarianten
  • kleinere Bugs, Performance hakt im letzten Drittel
  • kein interaktives Lexikon
  • nur englische Sprachausgabe & pdf-Handbuch

Wertung

PC

Endless Space 2 inszeniert die stimmungsvollste und komplexeste 4X-Strategie der letzten Jahre.