The Long Journey Home - Test, Rollenspiel, XboxOne, XboxOneX, Mac, PlayStation4Pro, Switch, Linux, PC, PlayStation4
Das All ist nicht nur verdammt weit, sondern auch verdammt brutal und unbarmherzig. Andres Suika (ehemals Blue Byte) hat nicht gelogen, als er auf Preview-Events erklärte, der Mensch sei in seinem Spiel The Long Journey Home nur ein kleines Licht. Ein im großen Kontext unbedeutender Störenfried, welcher sich viel zu viel auf die Technik seiner „Schrottschiffe“ einbildet. Ein Wesen, das von den Aliens am anderen Ende der Galaxis bestenfalls als Handlanger eingespannt wird oder an einem Hässlichkeitswettbewerb teilnehmen darf. Das Spiel gibt einem das Ausmaß der eigenen Unwichtigkeit von Anfang an zu verstehen, wenn man mit seinem ohnehin schon angeschlagenen Raumkreuzer ständig vom patrouillierenden Zoll diverser Völker gefilzt wird.
Harte Sitten
Eigentlich hatte die Crew der ISS Olysses (oder einer der zwei anderen zu Beginn wählbaren Schiffe) nicht das geringste Interesse daran, in solch unwirtliche Gegenden vorzudringen. Ursprünglich war lediglich ein publikumsträchtiger PR-Jungfernflug in den angrenzenden Raum geplant, um den vom „Wissenschaftler“ Nikolay Lebedev entwickelten Sprung-Drive zu testen. Aus diesem Grund darf man zu Beginn sogar eine junge Bloggerin ohne große Qualifikation an Bord nehmen, wenn man die vierköpfige Crew, eines von drei Schiffen und drei Landefähren aussucht. Details wie Hüllenstärke oder Sprungreichweite unterscheiden sich erfreulich stark, so dass es durchaus sinnvoll ist, beim zweiten oder dritten Anlauf mal ein anderes Schiff auszuprobieren. Theoretisch nimmt eine Reise zurück zur Erde nur rund sechs bis acht Spielstunden in Anspruch. Ich vermute aber, ich bin nicht der einzige, der mehrere Versuche brauchte, um sich jedes Mal mit einer geschickteren Strategie ein paar Systeme weiter voran zu arbeiten.
Nicht gerade zielsicher
Der Spielablauf besteht im Wesentlichen aus der Navigation im Sonnensystem sowie diversen Minispielen und Kommunikations-Interfaces beim Handel an Raumhäfen oder der Kontaktaufnahme mit anderen Schiffen. Ab und zu wagt man am Rande des Areals einen Sprung in eine angrenzende Galaxie, um näher in Richtung Erde zu gelangen. Das Kernelement ist die angenehm eigenständige Art und Weise, mit der man eines der Sonnensysteme erkundet, indem man sich an der Gravitation der Planeten „entlanghangelt“. Nach ein wenig Übung gleitet man elegant am Rande der Himmelskörper entlang und nutzt den durch ein Gitter symbolisierten Gravitationsschwung, um Sprit zu sparen. Hat man sich in die sichere Umlaufbahn eines Planeten begeben, startet man zu kurzen Ausflügen auf die Oberfläche, welche die kleine Landefähre mitunter stark in Mitleidenschaft ziehen. Die Seitenansicht auf dem Planeten erinnert ein wenig an den Oldie Defender, während man Treibstoffgase, Reparaturmetalle und Rohstoffe für exotische Materie abbaut.
Bunter Genremix?
Die Düsensteuerung der Landefähre funktioniert dank alternativer Steuerungs-Layouts ordentlich und lässt sich auch per Tastatur bedienen. Schade allerdings, dass Daedalic keine feinfühlige analoge Variante eingebaut hat. Stattdessen tippert man auch mit dem Controller auf den Schubknopf, statt Sticks oder Trigger zu nutzen. Zudem hätte ich mir unterirdische Höhlensysteme oder andere komplexere Strukturen gewünscht, statt nur die kleine Oberfläche abzugrasen – im Gegenzug stößt man aber immerhin auf abgestürzte Schiffswracks, die mal nützliche Maschinerie, anderswo gefährliche Krankheitskeime beheimaten. Die (tiefere) Erkundung läuft mit einem kleine Bild nebst Textzeilen ab. Die Aufmachung erinnert ein wenig an alte Infocom-Textadventures, wobei der Erkundungstrip hier meist bereits nach wenigen Sekunden vorbei ist. Auch im All stößt man auf Wracks, deren Erkundung ähnlich banal abläuft. Die stets mitschwingende Ungewissheit hat meinen Puls oft trotzdem ordentlich in die Höhe getrieben.
Durchwachsene Minispiele
Mitunter wird man danach zwar gleich wieder abgefangen, doch zur Not kann man aber immerhin noch das Spiel verlassen und am Anfang der Begegnung wieder einsteigen. Mehrere Speicherstände gibt es nicht, was den gebotenen Ernst der Konsequenzen unterstreicht. Stattdessen darf man nach dem Versagen lediglich ein paar Mal „zurückspulen“. Oft lohnt sich das mit der angeschlagenen Schrottmühle ohnehin nicht mehr – so dass es sinnvoller ist, mit den gesammelten Erfahrungen und einer geschickterer Taktik in eine neue Runde zu starten. Das Spiel ist zwar erzählerisch nicht so interessant geworden wie von Daedalic versprochen, trotzdem gehören die Begegnungen mit den teils erfreulich bizarren Außerirdischen zu meinen schönsten Erinnerungen. Es gibt zwar nicht allzu viele Arten, beim Design und den Sitten haben sich die Entwickler aber schön ausgetobt: Es gibt allerlei arrogante Aliens, angriffslustige Raumpiraten, auf Ehre besinnte Heuschrecken-Ritter, schleimige Verfolger mit zweifelhaften Motiven oder im Sprinklerschiff sitzende Wasserwesen.
Hiergeblieben!
Leider sind die meisten Arten nicht besonders gesprächig und werden schnell grantig, wenn man sie zu lange ausfragt, was mitunter inkonsequent wirkt: Du hattest also genug Muße, minutenlang hinter mir her zu gondeln, aber schon beim dritten Satz hast du angeblich keine Zeit mehr? Die Wortwechsel beschränken sich dabei auf wenige Sätze. Kulturbedingt seltsame Formulierungen und Übersetzungsprobleme machen die meisten Begegnungen trotzdem interessant, zumal man so auch von lustigen Verschwörungstheorien oder wichtigen Regeln erfährt. Es bringt z.B. wenig, sich an einem Schiffswrack als barmherziger Samariter zu geben und einen Gestrandeten an Bord zu nehmen, wenn man danach ein von den Wolphax dominiertes System durchquert.
Kein Mitteilungsbedürfnis trotz Abgeschiedenheit?
Solcherlei Geldspritzen sind auch bitter nötig, denn für meinen Geschmack ist der Schwierigkeitsgrad etwas über das Ziel hinausgeschossen. Ihr kennt sicher das Gefühl bei einer Runde „Hotel“ oder "Monopoly", wen man schon früh das Gefühl hat, nicht mehr wirklich eine Chance zu haben und man den Rest der Spielzeit nur noch mühsam versucht, die Verluste in Grenzen zu halten. Diese demotivierende Trostlosigkeit macht sich auch hier immer wieder breit. Zur Not lässt sich die exotische Materie für den nächsten Sprung auch aus dem Umfeld der Sonne schöpfen. Inmitten der starken Strahlung und Hitze leiden Schiff und Crew aber massiv – zumal meist auch andere dringend benötigte Ressourcen zu knapp werden. Warum gibt es nicht ein paar „Tellerwäscher-Jobs“ in den Raumhäfen für vom Tod bedrohte Reisende, damit sie wenigstens die wichtigsten Lebenserhaltungssysteme versorgen können? Wer weder Bares noch Handelsgüter besitzt, wird hier eiskalt in den Erstickungstod geschickt. Armes Weltall!
Chronisch pleite
In einer Übersicht der Arten sieht man übrigens, wie gut die unterschiedlichen Spezies auf die Menschen zu sprechen sind. Im Quartier geben zudem auch die Mannschaftsmitglieder Kommentare zu ihren Gedanken, gefundenen Gegenständen oder mitreisenden Passagieren ab. Manch ein flapsiger Einzeiler hat mich hier zum Schmunzeln gebracht, trotzdem hätte ich mir auch hier ausführlichere Gespräche und vielleicht sogar Intrigen gewünscht. Das Potenzial dafür wäre vorhanden gewesen. Daedalic hat mit Richard Cobbett schließlich den Autor des gelungenen Sunless Sea engagiert. Schade auch, dass keine Weltraumbars oder ähnlich gesellige Orte dem All Leben einhauchen – stattdessen beschränken sich die etwas sterilen Begegnungen auf ein leicht animiertes Bild des Kommunikationsschirms.
Erzählerischer Fokus?
Fazit
Wie oft habe ich die Ressourcenknappheit in The Long Journey Home verflucht? Wie oft habe ich geschimpft wie ein Rohrspatz, wenn mir aufgrund einer kleine Unachtsamkeit gleich das halbe Schiff in Stücke geschossen oder von Hitze und Strahlung zerlegt wurde? Danach folgte oft eine deprimierende Endphase, in der ich mich noch bis zum unausweichlichen Exitus ein paar Galaxien weiter schleppte. Für meinen Geschmack hat Daedalic es ein wenig mit dem Schwierigkeitsgrad übertrieben. Doch genau diese Herausforderung war es auch, die mich danach wieder erstaunlich stark dazu motiviert hat, es beim nächsten Mal besser zu machen! Nach und nach offenbaren sich immer mehr Kniffe, mit denen sich die beschwerliche Reise zur Erde viel cleverer und erfolgreicher angehen lässt. Von bizarren Aliens, hübschen Planeten und der coolen Gravitations-Steuerung abgesehen, wirken viele Facetten des Spiels nur passabel: Die Kämpfe sowie Abbau-Spielchen könnten etwas mehr Tiefe vertragen und die Dialoge länger ausfallen. Auch die eher schlichte Präsentation erzeugt nur bedingt das Gefühl, sich wirklich auf einer Reise durchs All zu befinden. Zusammengenommen ergeben diese Fragmente aber trotzdem einen unterhaltsamen Überlebenskampf mit spannenden Eigenheiten. Wenn man mit dem letzten, halb erstickten Crewmitglied um Haaresbreite einem Abfangjäger entwischt und es in letzter Sekunde noch zum Raumhafen schafft, spielen Details wie die Präsentation schließlich keine Rolle mehr.
Pro
- knackiger Schwierigkeitsgrad sorgt für Spannung
- motivierendes Erlernen von Regeln
- bizarre Spezies mit sehr eigenwilligen Gebräuchen
- gelungene Navigation mit Gravitationstricks
- faszinierend überwucherte Planetenoberflächen voller Gefahren
Kontra
- starker Verschleiß und mangelnde Hilfsbereitschaft der Aliens mitunter übertrieben unbarmherzig
- Dialoge beschränken sich oft auf wenige Zeilen
- Minispiele etwas zu minimalistisch konzipiert
- Schlichte Aufmachung lässt Begegnungen unpersönlich wirken