Perception - Test, Action-Adventure, PC, XboxOne, PlayStation4

Perception
07.06.2017, Mathias Oertel

Test: Perception

Blindheit à la Lynch und King

Von Zeit zu Zeit wagt sich ein unabhängiger Entwickler an das Thema Blindheit. Beyond Eyes z.B. inszenierte das Fehlen visueller Sinne als dramaturgisch interessantes Adventure. Pulse hingegen bot mit seinem Ansatz des Action-Adventures viel Potenzial, konnte dies aber nicht ausschöpfen. Perception wiederum inszeniert die Erlebnisse der blinden Cassie als Mischung aus Erzählspiel und übersinnlichem Horror. Ob in der düsteren Welt Spannung aufkommt, klären wir im Test.

Man erfährt anfänglich nicht viel über die blinde Protagonistin Cassie, in deren Haut man schlüpft. Sie wird von Alpträumen geplagt, in denen u.a. ein Seil, ein Apfel oder eine Axt die Hauptrolle spielen. Und ein geheimnisvolles Haus, zu dem sie reist, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Alle weiteren Informationen über Cassie oder das

Das Artdesign bietet einen interessanten Ansatz, um Blindheit darzustellen. Denn nur selten ist die über Echoortung erfasste Umgebung so "vollständig" wie hier.
verhängnisvolle Gebäude, das von einer merkwürdigen übersinnlichen Kraft besessen scheint und im Laufe der letzten Jahrhunderte für einige Unfälle sowie Todesfälle verantwortlich ist, bekommt man nach und nach in den vier Kapiteln der Geschichte. Teils über innere Monologe Cassies, teils über Audioaufzeichnungen oder Papiere, die von einer Text-zu-Sprache-App ihres Mobiltelefons wiedergegeben werden.

Geheimnisvoll

Und natürlich wird auch das sich mitunter verändernde und bestimmte Wege erst nach Ereignissen oder dem Finden bestimmter Gegenstände freigebende Haus als nicht zu unterschätzender Erzählfaktor genutzt. Zudem scheint Cassie Fähigkeiten als Medium zu besitzen: Beim Berühren mancher Gegenstände hat sie eine Vision von dem vorherigen Besitzer und erfährt über saubere Sprachfetzen, die wie der Rest in Englisch gut, in Deutsch passabel eingesprochen wurden, was es mit ihnen auf sich hat.

In jedem Kapitel ist man in einer anderen Epoche unterwegs, um das Geheimnis zu lüften und auch das Rätsel der eigenen Vergangenheit zu lösen. Man beginnt mehr oder weniger in der Gegenwart, erfährt dann von Geschehnissen, die sich in diesem schicksalhaften Domizil zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zugetragen haben, bevor es ans Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich sogar in die Ära der Hexenjagden geht. Und alles ist irgendwie mit diesem Haus verbunden, das wiederum den Schlüssel für Cassies Albträume darstellt. Doch nicht nur die Storyfäden, die nicht immer überzeugend gesponnen und miteinander verbunden werden, obwohl sie immer wieder zu punktuell

Das Anwesen steckt voller düsterer Geheimnisse.
emotionalen Momenten führen, können verwirren. Auch die visuelle Darstellung, die wie auch die eingangs erwähnten Spiele versucht, die Blindheit für den Spieler greifbar und zu einem zentralen Element zu machen, hat ihren Anteil daran, dass man mitunter wie der Ochs vorm Berg steht und flucht, weil man wieder etwas „übersehen“ hat.

Die Bilder, die man als Cassie in Ego-Sicht erlebt, setzen sich aus Echoortung zusammen: Abhängig vom Untergrund werden die von der Hauptfigur erzeugten Geräusche genutzt, um ein Bild in dunklen Blau-, Schwarz- und Weißtönen zu zeichnen. Im Gegensatz zu Beyond Eyes oder Pulse bleibt das entstandende Bild allerdings nicht konstant, sondern muss immer wieder über Geräusche neu aufgebaut werden. Normale Schritte oder das Öffnen von Türen lassen die Umgebung nur in einem kleinen Umkreis erkennbar werden, bevor man wieder von Dunkelheit umgeben ist. Ein Klopfen mit dem Gehstock auf den Boden sorgt für ein komplettes und länger anhaltendes Bild. Doch auch das vergeht mit der Zeit. Ausnahmen bilden nur die beständigen Geräuschquellen, die entweder wie im Fall von defekten Heizungen oder Grammophonen für eine akustische Dauerberieselung sorgen und damit eine fast dauerhafte Erfassung der Umgebung ermöglichen.  Zusätzlich zeigen grüne Strukturen wichtige Elemente wie Türrahmen oder Kisten an, in denen man sich verstecken kann – quasi ein sechster Sinn, der ebenso wie die in etwa 80 Prozent der Spielzeit möglichen Anzeige des nächsten Zieles einen Fixpunkt in der Dunkelheit ausmachen kann.

Schwarz, Weiß, Blau sind meine Farben

Die Spannung, die sich durch das häufig stark eingeschränkte Sichtfeld und die mitunter an frisch entwickeltes Filmmaterial erinnernde Farbgebung einschleicht, ist gelungen. Denn um dem Dauerklopfen mit dem Blindenstock vorzubeugen, ist die Entität, die sich in dem Haus breitgemacht hat, nicht nur eine psychologische Bedrohung. Nutzt man die über den Stock initiierte Echoortung in einem zu schnellen Rhythmus, wird eine Warnung eingeblendet. Ignoriert man sie, nimmt der böse Geist schließlich die Jagd auf und gibt erst Ruhe, wenn Cassie erledigt ist oder man mit ihr ein Versteck aufgesucht hat. Und so kann man sich in Situationen wiederfinden, in denen man durch die Kulisse stolpert, während ein immer rötlicher eingefärbter Bildschirm die Nähe der geheimnisvollen Macht markiert, man aber partout nicht den Blindenstock nutzen will, um den Geist nicht zusätzlich auf einen aufmerksam zu machen.

Gelegentlich kommt es zu spannenden Momenten, wenn man vor einer düsteren Erscheinung fliehen und sich verstecken muss.
Zudem hat man immer das Gefühl, dass man vom Haus beobachtet wird – beinahe so wie das Overlook Hotel aus Stephen Kings Roman Shining. Türen öffnen sich hier und schließen sich dort – beinahe, als ob das Anwesen mit einem spielt. Zusätzlich warten kleine Schreckmomente und Visionen von Geistern, bei denen sich mitunter fragt, ob man sich dies oder jenes jetzt eingebildet hat, da ein nochmaliges Echoorten keinerlei Ergebnisse liefert. Allerdings hat man durch den starken Fokus auf die Erzählung versäumt, die Spannung mit Dramaturgie auszustatten. Anstatt die Spannung in einer emotionalen Achterbahnfahrt mit wechselnden Höhen und Tiefen auszustatten, kennt sie eigentlich nur zwei Zustände: An und Aus – und daran hat man sich irgendwann gewöhnt, so dass sich die "An"-Momente schließlich unter Wert verkaufen, während man bei den mitunter zu lang gezogenen "Aus"-Situationen kleine Unterbrechungen der "Wohlfühl-Phase" vermisst.

Zwischen King und Lynch

Das ist umso bedauerlicher, da die Situationen, in denen man z.B. Geistern begegnet, die einem aber bis auf eine Episode nicht schaden können, und darüber Zeuge der damaligen Geschehnisse wird, mitunter tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lassen. Und damit schmiegt sich das grundsätzlich interessante, aber im Detail nicht ausgefeilte Drehbuch sehr eng an Werke von z.B. David Lynch an: Man entdeckt absurde und groteske Situationen, die einen zum Nachdenken anregen. Allerdings nur punktuell, denn da die Fäden der vier Episoden nur in wenigen Fällen zusammenlaufen, bleibt Perception das "große Gesamtbild" schuldig, dass sich bei Lynch über den gesamten Verlauf der jeweiligen Erzählung feststellen lässt und das den in Montana geborenen Autoren/Regisseur so außergewöhnlich macht. Dementsprechend wirken auch die kleinen Schalterrätsel unmotiviert und wie ein Lückenfüller, um von der nicht immer überzeugende Geschichte abzulenken.

Fazit

Perception versucht viele Elemente unter einen Hut zu bringen. Zum einen das Erzählspiel à la What Remains of Edith Finch & Co, zum anderen subtilen Psycho-Horror mit gelegentlichen Schreckmomenten. Hinzu kommt die stilistisch interessante Darstellung der Blindheit, in der man sich mit der Hauptfigur Cassie durch vier Kapitel schlagen muss, um das Geheimnis eines Hauses zu lösen. Doch nach anfänglicher Faszination stellt sich zu schnell Routine ein. Das Drehbuch lässt bei der übergeordneten Geschichte und dem Verbinden der einzelnen Epochen einiges vermissen. Und die Spannung kennt bis auf einen Teilabschnitt nur zwei Aggregatszustände, zwischen denen ständig hin- und hergewechselt wird, so dass man sich schließlich an beide ebenso gewöhnt wie an die clever eingesetzten Schreckmomente. Diese Interpretation der Sehbehinderung als Spielkonzept ist kreativ – zumal die Kulisse mit ihrer eingeschränkten Texturierung sowie reduzierten Farbgebung das Gefühl der Blindheit unterstützt. Richtig gut wäre Perception allerdings nur geworden, wenn die Regie all das besser verwoben hätte.

Pro

  • interessantes Artdesign bei der Darstellung der Blindheit
  • Geschichte greift spannende und emotionale Themen auf
  • gut gesetzte Schreckmomente
  • imminente Gefahr, wenn man "zu laut" ist oder zu viel Echoortung verwendet
  • vier Episoden in unterschiedlichen Epochen
  • Haus verändert sich ständig

Kontra

  • unausgewogener Spannungsbogen mit zu vielen Leerlauf-Phasen
  • schwache Schalterrätsel
  • zu schnell Gewöhnung an Schreckmomente statt
  • holpriges Drehbuch

Wertung

PC

Konzeptionell interessant und gekennzeichnet von einem stimmigen Artdesign, fehlt Perception als erzählerischer Psycho-Horror der dramaturgische Feinschliff.

XboxOne

Konzeptionell interessant und gekennzeichnet von einem stimmigen Artdesign, fehlt Perception als erzählerischer Psycho-Horror der dramaturgische Feinschliff.

PlayStation4

Konzeptionell interessant und gekennzeichnet von einem stimmigen Artdesign, fehlt Perception als erzählerischer Psycho-Horror der dramaturgische Feinschliff.