Pyre - Test, Rollenspiel, PlayStation4, PC

Pyre
31.07.2017, Mathias Oertel

Test: Pyre

Abenteuerspielbuch und Fantasy-Rugby

Mit nur zwei Spielen hat Supergiant Games seinen Status als unabhängiger Entwickler erster Güteklasse zementiert. Bastion und Transistor konnten beide mit einer reifen Story, einem ausgefeilten Artdesign, klasse Sounduntermalung sowie charmanten Mechaniken punkten. Gelingt mit Pyre der dritte Streich? Der Test gibt die Antwort.

Tod, Leben und Überleben: Diese Themen ziehen sich erzählerisch nicht nur durch die bisherigen Titel von Supergiant. Auch Pyre setzt von der ersten Szene auf diese Elemente. Der Spieler wird von einem merkwürdigen Trio (darunter auch ein weiblicher Dämon und ein charmanter anthropomorpher Hund) vor dem scheinbar sicheren Tod in der “Unterwelt” gerettet. Dieser unwirtliche Ort ist das unfreiwillige Exil der Truppe, die sich genau wie der Spieler Verfehlungen im “Commonwealth” geleistet hat, einer immer wieder in Gesprächen auftauchenden Gesellschaft, die irgendwo zwischen kommunistischer Diktatur und Eden zu stehen scheint. Doch das Zusammentreffen ist eine schicksalhafte Begegnung. Die drei gehören zu den so genannten “Nightwings”, einer von zahlreichen Gruppierungen, die in der Unterwelt an “Riten” teilnehmen, um schließlich begnadigt zu werden und wieder in den Commonwealth zurückkehren zu können.

Das ewige Leid

Die mit Entscheidungen gespickte Geschichte wird im Stile eines Abenteuerspielbuchs bzw. einer Visual Novel inszeniert.
Und wie es der Zufall so will, suchen sie einen “Leser”, der ihnen durch das Entziffern von Sternenkonstellationen sowie im wahrsten Sinne des Wortes per Dechiffrieren eines Buches, nein: DES Buches den Weg zum nächsten Ritual weist. Der Spieler wird ohne großes Aufheben zum Quasi-Anführer der Truppe, die im Lauf der Zeit noch weitere Mitglieder (z.B. ein abtrünniger Schlangenritter, ein knuddeliger Minidämon oder eine Harpie) in der farbenfrohen, aber stets bedrohlich wirkenden Welt, aufnehmen wird. Bis zu acht Recken finden in dem eigentlich viel zu klein scheinenden (es muss ein Dimensionszauber sein) Wagen Platz, den man anfangs noch mühsam von Schauplatz zu Schauplatz und schließlich zum Ritual lenkt. Später kommen komfortablere Bewegungsformen hinzu, während der Weg zum Ziel deutlich offener wird und einem häufig mehrere Auswahlmöglichkeiten gibt.

Man wird allerdings schon früh in den gut bis sehr gut geschriebenen Dialogen, die mit einer Fantasy-Sprache zu akustischem Leben erweckt werden, vor Entscheidungen gestellt. Diese haben aber zu Beginn kaum dramatische Auswirkungen. Man kann in (freiwilligen) Gesprächen mit seinen Kameraden Fragen stellen, um sie etwas besser kennenzulernen ihre Geschichte bzw. Beweggründe für die Teilnahme an den Ritualen zu erfahren oder besondere Missionen freizuschalten. Aber spätestens wenn man sich bei einer größeren Auswahl an Figuren für diesen oder jenen Charakter entschieden hat, der als Teil des auf ein Trio beschränktes Team im Ritual kämpft und danach zur Rede gestellt wird, können Situationen auch eskalieren. So kann es z.B. vorkommen, dass dieser oder jener Kämpfer sich weigert, anzutreten, wenn man ihn (oder sie) zu lange ignoriert. Und später wird man buchstäblich zum Meister über Leben, Tod und Erlösung, wenn man im Ritual darum spielt, ein Mitglied der Nightwings in den Commonwealth schicken zu dürfen. Da man zu diesem Zeitpunkt über die Gespräche nicht nur eine emotionale Bindung zu den Figuren aufgebaut hat, sondern auch ihre Vorteile im Kampf des Rituals zu schätzen gelernt hat, ist es eine mitunter diffizile Entscheidung.

Entscheidungen, Emotionen, Konsequenzen

Die Rituale sind am ehesten als Mischung aus Fantasy-Rugby und Basketball zu beschreiben.
Sehr schön: Es gibt in dieser Hinsicht kein Scheitern oder die Reduktion auf richtige bzw. falsche Entscheidungen. Man wird nicht von Pyre be- oder gar verurteilt. Aber man muss mit seinem Gewissen klarkommen - und mit den Emotionen der anderen Nightwings, die je nach Figur sehr unterschiedlich auf die Erlösungen ihrer Kameraden reagieren. Dabei schafft es Supergiant mit einem Visual-Novel-Stil, der irgendwo zwischen den Disgaea-Spielen von Nippon Ichi und Vanillawares Dragon’s Crown liegt, das Kunststück, einen emotional zu packen und in die merkwürdige Welt zu ziehen. Auch dank eines spielerisch eigentlich unerheblichen, aber für die Atmosphäre und Glaubwürdigkeit der Welt effektiven Kniffs: Bestimmte Worte der Texte sind rot markiert. Fährt man mit dem Cursor darüber, bekommt man einen kleinen Hilfetext angezeigt, der quasi aus dem “Unterwelt-Almanach” stammt und zusätzliche Details über Figuren, Orte und mythologische Hintergründe verrät. Aber nicht nur in den Gesprächen warten Entscheidungen. Auch auf dem Weg zum jeweiligen Ritual-Platz wird man immer wieder mit Wahlmöglichkeiten konfrontiert. So haben nicht nur Routenvorschläge häufig direkt mit einem Teammitglied zu tun, das gelegentlich empfindlich reagiert, wenn man seinen Tipp ausschlägt. Mitunter kann man sich an bestimmten Schauplätzen entscheiden, ob man sich z.B. aufmacht, um Ressourcen zu sammeln, um diese bei einem fahrenden Händler gegen Gold oder andere nützliche Gegenstände eintauschen zu können. Oder aber man stärkt Eigenschaften des Teams bzw. sucht sich einen Recken gezielt heraus, um ihn auf das nächste Ritual vorzubereiten. Schade ist allerdings, dass beim prinzipiellen Ablauf (Reise, Pause, Entscheidung, Ritual) zwar inhaltlich immer wieder etwas Neues geboten wird, dass es aber innerhalb dieser Schleife zu wenig Abwechslung bzw. Überraschung gibt.

Die Welt mit ihren Entscheidungen, die hier im Stile eines Abenteuerspielebuchs inszeniert wird, ist aber nur eine Seite der motivierenden Pyre-Medaille. Und die andere hat es ebenfalls in sich. Denn sobald es in den Kämpfen der Rituale zur Sache geht, legen wohl überlegte Entscheidungen eine Pause ein. Hier geht es in Echtzeit zur Sache - und zwar in einem Team-Spiel, das am ehesten als ein mit überschaubaren Regeln versehener Mix aus Basketball sowie Rugby definiert werden könnte. Jedes Team muss sein “Pyre” verteidigen, eine Feuersäule, die als Standard 100 Lebenspunkte hat, wobei diese Zahl auch teamabhängig variieren bzw. anderweitig beeinflusst werden kann. Ziel ist es, die Punktzahl des gegnerischen Pyre auf Null zu bringen. Dazu muss man sich den “Funken” schnappen und diesen entweder auf Distanz ins Pyre zu werfen oder mit der Figur in die Säule zu springen - quasi die Gegenstücke zum Try beim Rugby, dem Field Goal und dem Slam Dunk.

Fantasy-Rugby à la Supergiant

Auf der Umgebungskarte stehen häufig mehrere Optionen für den nächsten Schritt zur Verfügung.
Aber: Es kann immer nur eine Figur pro Team bewegt werden. Bei den Angreifern ist dies der Träger des Funkens. Bei den Verteidigern kann man frei durchschalten. Als ob dies nicht reichen würde, um für ein spannendes Taktik-Geplänkel zu sorgen, gibt es aber noch weitere Elemente, die beachtet werden müssen. So verfügen alle Figuren z.B. über eine “Aura”, die sie und das Pyre schützt und die vor allem vom Funkenträger nicht betreten werden sollte - denn im Gegenzug für das Privileg, den Funken zu bewegen, muss man seine Aura aufgeben. Zusätzlich kann man Zauber wirken, die in einer direkten Schneise vor einem abgefeuert werden, während andere Figuren z.B. fliegen können, um Schaden auszuweichen oder andere Hilfsmittel einsetzen dürfen. Durch unterschiedlich große Auras, verschiedene Bewegungsgeschwindigkeiten etc. kommen weitere Faktoren hinzu. Und: Wird man ausgeschaltet bzw. schafft es, die Punkte des gegnerischen Pyres zu senken, muss man mitunter ein paar Sekunden warten, bis man wieder auf dem Ritual-Schlachtfeld wieder auftaucht. So ergeben sich haufenweise taktische Möglichkeiten, auf das Ritual Einfluss zu nehmen. Vom Platzieren hünenhafter, aber langsamer Verteidiger mit vergleichsweise riesigen Auren bis hin zu schnellem Passspiel kleiner wendiger Figuren findet man eine enorme Bandbreite an Optionen. Und da man zudem auch noch auf sehr unterschiedliche und sich teils von Pyretreffer zu Pyretreffer verändernde Schauplätze einstellen muss, wird schnell klar, dass Supergiant bei der Regeldefinition der Rituale ähnlichen Aufwand betrieben hat wie bei der Erstellung der Mythologie.

Mit der zwar oberflächlichen, aber effektiven Charakter-Entwicklung kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel. Acht Fähigkeiten stehen pro Figur zur Verfügung, davon wird man aber maximal vier bei entsprechenden Stufenaufstiegen auswählen können. Doch um diese zu erreichen, müssen Figuren in den Ritualen eingesetzt werden. Die Bankdrücker im Wagen bekommen nur einen  Bruchteil dessen, was man auf dem Feld der Ehre einheimsen kann, so dass auch hier die Entscheidungen nachhaltige Auswirkungen zeigen. Apropos nachhaltig: Eigentlich ist es keine allzu große Überraschung, dass Pyre mit einem grandiosen Soundtrack versehen wurde - schon Bastion und Transistor haben mit stimmungsvollen Kompositionen überzeugt.

Die Musik macht's

Das markante Artdesign sorgt zusammen mit dem wundervollen Soundtrack für eine ganz besondere Atmosphäre in Pyre.
Und hier wie da zeichnet Supergiants Darren Korb für die musikalische Untermalung verantwortlich, wobei er hier sein reifstes Werk abliefert, das sogar Bastion übertrifft. Angefangen bei den prägnanten Themen, die er für jedes Team eingespielt hat, dem man begegnet, bis hin zu den dramatischen Kompositionen der Rituale schafft er es in jeder Situation die Stimmung durch größtenteils instrumentale, teils aber auch mit Gesang begleiteten Klängen zu veredeln. Im audiovisuellen Bereich hat Supergiant in jedem Titel bislang außergewöhnliches vollbracht - und Pyre reiht sich nahtlos ein. Farbgebung sowie Struktur der Umgebungen ziehen einen sofort in die Welt, während die Animation bei den kämpferischen Ritualen ebenfalls durch die Bank gelungen sind. Und wer will, kann dies sogar mit einem zweiten Spieler genießen, wenn man sich zu einem zwanglosen Duell auf der Couch herausfordert. Online stehen keine Vergleiche zur Verfügung.

Fazit

Hut ab, Supergiant. Auch das dritte Spiel der Kalifornier ist Wagnis und Erlebnis zugleich. Einerseits bekommt man ein gut erzähltes, teils hoch emotionales Abenteuer im Stil einer Visual Novel bzw. eines Abenteuerspielebuchs, das mit seiner Unmenge an Entscheidungen für jeden Spieler einen anderen Verlauf nehmen kann. Man benötigt zwar ein bisschen, bis man mit den Figuren Freundschaft schließt, doch danach wirken manche Konsequenzen umso stärker. Doch auch der zweite, sehr gut mit dem erzählerischen verknüpfte Spielaspekt, die taktischen Echtzeit-Rituale, kann sich sehen lassen. Konzipiert als Mischung aus Fantasy-Rugby und -Basketball, bei dem sich Dreierteams gegenüberstehen, darf man sich hier dank weitgehend guter Balance, bei der nur zwei sehr mobile Charaktere leicht aus dem Rahmen fallen, auf spannende Duelle freuen. Die Welt hat eine facettenreiche Hintergrundgeschichte, wurde mit einem grandiosen Soundtrack untermalt und zeichnet sich durch ein stimmungsvolles Artdesign aus. Einzig der auf Dauer etwas zu routinierte Spielrhythmus auf dem Weg zu den Ritualen sowie die letztlich nur oberflächliche Figurenentwicklung stören mittelfristig. Doch das kann ich vor allem angesichts der erzählerischen Qualität verschmerzen.

Pro

  • stimmungsvoller Soundtrack
  • gelungene Mischung aus Visual Novel/Abenteuerspielbuch und Fantasy Rugby/Basketball
  • akkurate Steuerung
  • Entscheidungen, Auswirkungen & Konsequenzen
  • sehr gut geschriebene Dialoge im Rahmen einer emotionalen Geschichte
  • gelungenes Artdesign
  • taktische Pyre-Rituale mit klarem Regelwerk
  • mitunter dynamisch verändernde Ritual-Schauplätze
  • detailreiche Welt mit sorgsam ausgearbeiteten erzählerischem Hintergrund

Kontra

  • auf Dauer etwas monotoner Kreislauf der grundsätzlichen Abläufe
  • keine Online-Duelle möglich
  • manche Figuren scheinen im Ritual übervorteilt
  • oberflächliche Figuren-Entwicklung

Wertung

PlayStation4

Emotionen, Entscheidungen & Konsequenzen, dazu eine stimmungsvolle Welt sowie ein taktisches Fantasy-Rugby: Supergiant liefert erneut ein prägendes Erlebnis ab.

PC

Emotionen, Entscheidungen & Konsequenzen, dazu eine stimmungsvolle Welt sowie ein taktisches Fantasy-Rugby: Supergiant liefert erneut ein prägendes Erlebnis ab.

Kommentare
RaPe

Klingt abenteuerlich und interessant. Sobald es für die One kommt bin ich auch dabei
Also nie. Transistor kam auch nie für die One und Bastion kam auch nur für die 360 aber nicht One raus.
Mit allem hast du Recht außer, dass Bastion tatsächlich Ende 2016 auf der One erschienen ist. Dieses ist leider auch das einzige Spiel von Supergiant was auf Konsolen von MS rauskam. Beim neuesten Spiel Hades sieht’s ja nicht besser aus. Mich würde es interessieren warum Supergiant keine Umsetzungen mehr für die jeweilige Xbox rausbringt. Bei solch einem Thema wünsche ich mir mehr Engagement von den Videospieljournalisten die eher die Möglichkeit haben bei einem Entwickler nachzufragen und auch eine Antwort zu bekommen. Gibt ja leider genug andere Spiele von Indieentwicklern die nur für die Mitbewerber Spiele rausbringen. Viele haben nicht die Kapazität um mehrere Plattformen zu bedienen. Gibt aber einige Studios die mit der Zeit, wie auch Supergiant, ihre Spiele auf allen Plattformen einschließlich Mobilgeräten rausbringen. Aber MS ignorieren. Deshalb habe ich als Multikonsolero und andere die nur auf Xbox unterwegs sind großes Interesse Gründe zu erfahren.

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
Pixelex

Ich finde zumindest das in den wenigen (1-2) Stunden die ich bisher investiert habe die Kritik aufkommt, das es etwas zu wenig vom Spiel und zu viel interaktionsloser Text vorhanden ist. Während bei Transistor und dem Vorgänger die Narration spannend und gut während dem Spiel abgelaufen ist, hat man hier 5 Minuten Spiel und dann wieder lange Texboxen zum lesen.

Nicht das diese nicht gut gemacht währen (und gut möglich das sich das später noch ändert), aber ich finde das da schon etwas Langeweile aufkommt. Man möchte eigentlich gerne zum nächsten "Rite" , Taktiken anpassen oder sonstige Inhalte des eigentlichen Kerns des Spiels spielen, aber klickt sich stattdessen durch überbrückende Passagen.

Ich würde persönlich da am liebsten ein paar Bewertungspunkte abziehen und dafür zb Sundered etwas mehr geben, bei dem ich der Meinung bin das es besser ist als viele Bewertungen sagen.
Habe es mir gestern bei GOG geholt und bisher ca. 2 Stunden gespielt und ich muss sagen dieses Spiel ist wirklich grandios!

Ich sehe es allerdings ganz anders als du, ich bin immer froh wenn die Rite-Spiele vorbei sind und ich wieder dieser spannenden Geschichte lauschen kann.
Hier wäre für mich wie bei Thronebreaker eine Überspring-Funktion der "Kämpfe" einfach optimal! ^^

vor 4 Jahren