Obduction - Test, Adventure, PC, HTCVive, Mac, OculusRift, PlayStation4, XboxOne, PlayStationVR
Was habe ich mich in der ersten Stunde gefreut, als ich endlich diesen verdammten Stromkreislauf in Gang bringen konnte! Im Nachhinein war das - natürlich - ganz simpel: Ölpumpe bedienen, dem Schlauch zum Container folgen, Klappe aufziehen, Schalter nach links zum Ansaugen gedrückt halten, dann Schalter nach rechts zum Starten halten. Ach so, auf der linken Seite noch den Hebel richtig rum stellen und das Ganze anschalten! Also vorher. Oder war es nachher? Jedenfalls so ähnlich.
Hurra, es gibt Strom!
So weit ich das beurteilen kann, bin ich ebenfalls ein Gefangener. Dieser seltsame Ort ist von
einer blau glimmenden Mauer oder Kuppel umgeben, hinter der unirdische Säulen und schwebende Felsen zu erkennen sind. Ähnlich wie in The Witness oder anderen aktuellen Rätsel-Abenteuern strandet man ohne eigene Vergangenheit in einer ominösen Gegenwart. Ist das überhaupt noch die Erde? Zwar sieht vieles von der Spitzhacke bis zu den Schienen nach einer Art Bergbausiedlung aus, aber es gibt exotische Apparate mit aktivierbaren Hologrammen, aus denen Bewohner in Form realer, aber leicht verzerrter Schauspieler sprechen. Manche Felsen glimmen rötlich, manchmal fliegen riesige Roboterwespen umher, dazu gibt es herrenlos vor sich her brutzelnde Laser und Warnungen von Einheimischen, die sich irgendwo im Keller verstecken. Kommt man da rein?Gefangen in exotischer Parallelwelt
Man fühlt sich mittendrin in seiner eigenen Twilight Zone, in der ein amerikanisches Wüstenkaff der 50er-Jahre inklusive Tankstelle aus der Landschaft geschnitten und auf einen außerirdischen Planeten kopiert wurde. Nur zu welchem Zweck? Warum wird im Prolog davon gesprochen,
dass man "gerettet" wurde und Geschichten davon erzählen soll? Es gibt scheinbar keine direkte Gefahr, während man in Egosicht die verwinkelte Landschaft mit all ihren Felsen, Schluchten und Holzhütten erkundet, aber es entsteht eine angenehm surreale Atmosphäre des Unwirklichen, die von dynamisch einsetzenden Sounds noch verstärkt wird. Ich bin in den verlassenen Überresten einer Siedlung unterwegs, hantiere mit roten und blauen Lasern, bevor mir Cecil die zentrale Rolle des Baumes erklärt, der unbedingt geschützt werden müsse. Erst Aliens und jetzt noch ein Lebensbaummythos? Sind denn alle verrückt geworden?Das gilt es in einem Abenteuer herauszufinden, das die freie Erkundung in ansehnlicher Kulisse und das Experimentieren mit Maschinen, Konstrukten, Schaltern & Co in den Vordergrund stellt, wobei der Rätselanspruch gefühlt mit jeder Stunde zunimmt. Das erinnert an was? Richtig: An das klassische Grafik-Adventure à la Myst. Nur dass man sich heutzutage nicht mehr statisch von Bild zu Bild bewegt, sondern die Landschaft in Egosicht durchwandert. Allerdings ist das nicht ganz so modern wie es klingt, denn man kann lediglich spazieren oder rennen, aber weder irgendwo klettern noch hinauf oder hinab springen oder gar ins Wasser, so dass man oftmals vor unsichtbare Wände tritt und selbst bei kniehohen Hindernissen nur künstlich anmutende Rampen nutzen kann. Aber für Akrobatik gibt es ja Mirror's Edge.
Erkundung mit statischen Einschränkungen
Domino-Effekte
Die Regie führt einen nur behutsam über Cecils Anweisungen, und es ist cool, dass er bei Rückfragen immer anders reagiert. Es gibt jedoch keinen roten Faden, kein Tagebuch und keine einsehbaren Aufgaben. In dieser Hinsicht ist Obduction
angenehm altmodisch, denn man muss geduldig sein und einfach überall experimentieren, aber ihm fehlt auch die Rätseldichte eines The Witness oder eines The Talos Principle, wo man immer etwas zu tun hatte. Entschädigt wird man wiederum durch die langsam wachsende Dimension der Rätsel, die sowohl an Anspruch und visueller Pracht gewinnen als auch mehrere Orte für die Lösung miteinander verbinden. Außerdem sorgt das zu Beginn kitschig anmutende Science-Mystery-Thema mit den menschlichen Schicksalen für eine gewisse emotionale Anbindung - man will selbst fliehen, aber auch erfahren, was mit den Leuten passiert ist. So entsteht kein so starker Bruch wie im abstrakteren The Witness zwischen Denksportmarathon und philosophischer Erzählung.Fazit
Ich liebe die gute alte Twilight Zone. Und in Obduction fühle ich mich wie in meiner eigenen Folge, in der ein amerikanisches Wüstenkaff der 50er-Jahre inklusive Tankstelle scheinbar auf einen außerirdischen Planeten kopiert wurde. Während man in Egosicht die verwinkelte Landschaft erkundet, entsteht eine angenehm surreale Atmosphäre des Unwirklichen. Obduction ist aufgrund fehlender Hilfen und Hotspots vor allem für Veteranen ein empfehlenswertes Adventure, das an die Tradition von Myst anknüpft und diese nicht nur erzählerisch moderner interpretiert. Die Stärken aktueller Storytelling-Abenteuer treffen auf klassische Tugenden und moderne Technik. Man erkundet eine offene Spielwelt mit ansehnlicher Kulisse und experimentiert mit Maschinen, Konstrukten, Lasern, Schaltern & Co. Allerdings hat die Freiheit ihren Preis in Form von statischen Beschränkungen in der Bewegung, nur willkürlich anmutenden Interaktionen mit Gegenständen und vor allem weiten Wegen und einigem Leerlauf, weil man manchmal einfach nicht weiß, wo man weitermachen soll. Es gibt keine Rätseldichte à la The Witness oder The Talos Principle. Aber weil der Anspruch und die Dimension der Rätsel bis zum Finale zunehmen und man ähnlich wie in Everybody's Gone to the Rapture einfach wissen will, was zur Hölle mit diesem Ort und seinen Bewohnern passiert ist, wird man über zwölf bis fünfzehn Stunden von diesem Myst 2.0 richtig gut unterhalten. Schade ist zwar, dass es auf PlayStation 4 keine deutsche Sprachausgabe sowie leichte Bildratenprobleme gibt - ob sich Letztere negativ auf PlayStation VR auswirken, muss man bis zum Update abwarten. Aber dafür gibt es in Form einer Höhle mit einem russischen U-Boot schon jetzt ein komplett neues Gebiet, dazu zwei Musikstücke sowie etwas mehr Storyhintergründe.
[Wir liefern die Wertung für PlayStation VR nach, denn es wurde noch nicht freigeschaltet. Anm.d.Red.]
Pro
- gelungenes Science-Mystery-Flair
- ansehnliche offene Kulisse mit tollem Licht
- unterschwelliges Gefühl der Bedrohung
- keine direkt "glänzenden" Interaktionspunkte
- verschachteltes Gelände mit vielen Routen
- Story macht neugierig und weiß zu überraschen
- wenige, aber interessante Charaktere
- einige "Heureka-Wow-Momente"
- Rätsel gewinnen an Anspruch & Dimension
- neue Gebiete und Apparate entdecken
- sehr gute Soundeffekte und Musik
- permanentes Sprinten möglich
- deutsche Texte
- neues Gebiet (PS4)
- zwei neue Musikstücke (PS4)
- etwas mehr erzählerische Hintergründe (PS4)
Kontra
- einige Leerlaufphasen
- weite Laufwege in bekannten Gebieten
- kein Klettern, Springen, ins Wasser etc.
- willkürliche und seltene Iteminteraktion
- kein Tagebuch, keine Notizensammlung
- kaum Bewegung in der Natur; Gras, Bäume etc.
- keine optional einblendbaren Hilfen
- keine deutsche Sprachausgabe
- leichte Bildratenprobleme (PS4)