Super Mario Odyssey - Test, Plattformer, Switch

Super Mario Odyssey
26.10.2017, Jan Wöbbeking

Test: Super Mario Odyssey

Gutgelaunte Weltreise

Nintendo will den Spaß an der Entdeckung wiederbeleben: Wie in N64-Tagen reist Mario in exotische Länder, die sich frei erforschen lassen - von der Großstadt bis hin zum idyllischen Urlaubsparadies. Dank der neuen Mütze kann man fast alles und jeden übernehmen: Einfach „Cappy“ auf ein Opfer schleudern und schon hoppelt man als Gumba, T-Rex oder sogar als roher Fleischklumpen durch die Welt!

Normalerweise achtet Nintendo peinlich genau darauf, in welcher Form seine Marken auf Youtube auftauchen. Im Fall von Super Mario Odyssey (ab 49,99€ bei kaufen) könnten einige Videos von Hobby-Entwicklern aber einen wichtigen Denkanstoß gegeben haben. Darin lief Mario in der Unreal Engine 4 durch untypisch realistische Kulissen wie eine überwucherte Wiese oder ein fast schon fotorealistisches Schloss . Auch Super Mario Odyssey befördert Nintendos Maskottchen in Kulissen, die auf den ersten Blick einen harten Stilbruch mit sich bringen: Ein Comic-Klempner neben einem T-Rex? Oder im Geschäftsviertel zwischen Anzugträgern? Schon nach wenigen Minuten entpuppt sich das Konzept aber als großartige Idee, die dem Spiel ähnlich viel Abwechslung verpasst wie seinerzeit Super Mario 64. Zu Beginn des 3D-Zeitalters war schließlich vieles erlaubt und die Entwickler experimentierten einfach drauflos, um ihre Vision eines räumlichen Jump-n-Runs zu verwirklichen – und genau diese Unbeschwertheit strahlt auch der aktuelle Teil aus.

Der pure Spaß am Entdecken

Stilsicher und nützlich: Manche Kostüme eröffnen Mario neue Wege.
Während der Großteil der Branche immer penibler auf eine stimmiges Design achtet, das sich wie ein roter Faden durchs Spiel zieht, pfeift Nintendo diesmal einfach drauf und lässt den kreativen Spinnereien seiner Entwickler freien Lauf. Gut so, denn genau das sorgt nicht nur für viel Abwechslung, sondern erzeugt tatsächlich das Gefühl, sich auf einer Weltreise in sehr unterschiedliche Kulturen und Parallelwelten zu befinden. Nachdem Mario das namensgebende Luftschiff Odyssey gefunden hat, wechselt er auf dem Globus zu immer neuen Reisezielen, die er mit Hilfe seiner magischen neuen Mütze Cappy erforscht. Schade, dass nicht auch die Story die Reiselust befeuert, sondern nur das altbekannte Entführungs-Thema wiederkäut. Vielleicht hätte man sich stärker an Klassikern wie „Reise um die Erde in 80 Tagen“ orientierten sollen. Auch Mario + Rabbids: Kingdom Battle hat bewiesen, dass man das Mario-Universum durchaus in eine interessante Story einbetten kann.

Stattdessen hat Bowser sich Peach für eine Zwangsheirat geschnappt, nebenbei das stilvolle Hut-Königreich überfallen und auch Cappys Schwester Tiara entführt. Vor dem Start der Rettungsmission verbindet sich Cappy mit Marios Hut und wird so zu einer praktischen Wurfwaffe, deren Flugbahn an einen Bumerang erinnert. Das neue Gadget erweist sich außerdem als Verwandlungskünstler: Ein Wurf auf den schlummernden T-Rex und schon kann man den Giganten steuern, durch Felsbrocken stampfen und fette Gegner aus dem Weg räumen.

Auf die Glocke!

Ayayayay - ein Mond! im knuffigen Klischee-Mexiko kann Mario auch Glücksspiele an einarmigen Banditen starten.
Oder man schnappt sich einen Gumba, hüpft auf seine grimmigen Artgenossen und bildet eine riesige Räuberleiter, um nebenan ein Plateau zu erreichen. Noch mehr Spaß macht es, als Lavatropfen durch den brodelnden Eintopf zu schwimmen und sich von überkochenden Töpfen über die Karte bugsieren zu lassen. Nicht einmal gewöhnliche Gegenstände sind vor Cappys Übernahmen sicher: Hey, da vorne liegt ein Steinblock! Wie bescheuert wäre das bitteschön, den zu übernehmen? In Super Mario Odyssey kein bisschen, denn Sekunden später rumpelt man schon als massiver Block über den Boden, um in Rahmen eines Puzzles ein Bauwerk zu vervollständigen. Die Möglichkeiten sind gigantisch: Wer träumt denn nicht davon, sich eines Tages mal in einen rohen Fleischklumpen mit Schnauzbart zu verwandeln?

Die feindlichen Übernahmen wurden bemerkenswert gut aufs Level-Design abgestimmt – vor allem wenn man bedenkt, wie viele Wesen und Objekte sich kapern lassen. Wer die Augen offen hält, kann mit ihren Tricks Unmengen geheimer Orte freilegen. Noch nie gab es in einem Jump-n-Run derart viele clever versteckte Geheimnisse. Die Areale an sich sind zwar gar nicht so groß, aber derart vollgestopft, dass es sich lohnt, jeden Winkel unter die Lupe zu nehmen. Nintendos Testspieler müssen hier unzählige Stunden mit Experimenten verbracht haben. Immer wenn euch kleine Ungereimtheiten auffallen, solltet ihr unbedingt nachhaken! Warum halten sich dort so verdächtig viele Tauben auf? Eine schnelle Stampfattacke kann nicht schaden – und schon hat man einen Mond mehr auf dem Konto. Die kleinen schimmernden Sicheln rüsten die Odyssey für Reisen in ferne Länder auf.

Geheimnisse an jeder Ecke

Fliiintstooones? Immer wieder trifft man auf kleine Anspielungen zu älteren Serienteilen oder sogar Memes rund um Mario. 
Ab und zu platzen die angenehm albern designten Hochzeitsplaner dazwischen. Offenbar muss man sie nicht immer aus dem Weg zu räumen - die Bosskämpfe in Super Mario Odyssey gehören aber klar zu den Highlights des Spiels. Passend zum allgegenwärtigen Hut-Thema hüpft man meist auf durch die Luft schwirrende Kopfbedeckungen. Ein gutes Timing hilft auch bei den diversen schlecht gelaunten Giganten, die in den exotischen Ländern ihr Unwesen treiben. Ein riesiger Steinschädel etwa versucht ständig, Mario mit seinen schwebenden Händen wie eine Fliege zu zerquetschen – nicht gerade gastfreundlich, aber schöne Abwechslung zum Sammelmarathon!

Schade, dass sich vor allem zu Beginn viele Monde recht schnell und einfach erreichen lassen. Wer ein wenig Jump-n-Run-Erfahrung mitbringt, wird sich in der Haupt-Story manchmal unterfordert fühlen. Wenn man etwa alle drei Minuten quasi im Vorbeigehen einen Mond mitnimmt, erinnert das eher an das Abgrasen eines Buffets als an ein sattmachendes Menü. Später zieht der Schwierigkeitsgrad aber deutlich an, wenn man z.B. in Boss-Rushes gleich mehreren Obermotzen gegenübertritt. Extrem süchtig machen übrigens auch die kniffligen Wettrennen mit weltweiten Bestenlisten, in denen man die „Wirte“ auf dem Weg möglichst effektiv übernehmen sollte. Man rennt, startet Weitsprünge, taucht, schleudert sich als Hochdruck-Tintenfisch durch die Luft oder kullert mit einem kugelrunden Walross über Eisschollen. Marios Standardbewegungen überzeugen ebenfalls: Ähnlich wie der korpulente Arktisbewohner oder Yooka kann auch er sich zusammenrollen, um schnell von A nach B zu gelangen. Mit Hilfe von Cappy können sogar kleine Trick-Salti gestartet werden.

Leichter Einstieg

Hat Bowser auch die Texturen entführt? Manche Kulissen bleiben ziemlich kahl - selbst wenn das Design wie im Schlemmerland darauf abgestimmt wurde.
Besitzer von Fernsehern mit hohem Input-Lag sollten möglichst daran denken, den Spielmodus zu aktivieren! Da Mario trotz geschrumpfter Wampe ein Weilchen braucht, bis er seine Höchstgeschwindigkeit erreicht hat, besitzt seine Steuerung eine gewisse „Schwere“, die sich auch bei Richtungskorrekturen bemerkbar macht. Im Mobilmodus oder auf einem reaktionsschnellen TV fühlt sich das Handling deutlich griffiger an als z.B. in Yooka-Laylee. Sobald aber eine Verzögerung hinzukommt, kann es schon mal vorkommen, dass man auf schmalen Stegen Schlangenlinien läuft oder nicht mehr rechtzeitig die Sprungrichtung korrigiert. Der Unterschied fällt vor allem auf, wenn man kurz vorher in alte Klassiker wie Super Mario 64 oder Sunshine hineingeschnuppert hat, in denen Mario schneller loswetzte und danach weniger Momentum aufbaute. Galaxy 1 und 2 befinden sich schon deutlich näher an Marios aktuellem Handling. 3D Land und World waren Sonderfälle mit einer Sprintfunktion per Knopfdruck und lassen sich auch aufgrund ihrer Perspektive schwerer vergleichen.

Cappys Flugbahn lässt sich übrigens nachträglich manipulieren. Schade, dass die Entwickler diese Feinheit primär auf die Joycons abgestimmt haben. Während man beide Hälften gleichzeitig in den Händen hält, korrigiert man mit kleinen Gesten die Flugrichtung. Das lässt sich aus dem Handgelenk natürlich etwas leichter umsetzen als mit dem Pro-Controller oder im Handheld-Modus. Bei unseren Joycons brach allerdings manchmal die Funkverbindung ab, vor allem wenn wir zu weit von der Konsole entfernt saßen; letztendlich wechselten wir also wieder zum Pro-Controller. Ein lustiges Extra ist der lokale Koop, in dem ein Spieler Mario steuert und der zweite mit der Mütze durch die Umgebung düst. So räumt man frühzeitig Gegner aus dem Weg oder zwingt sie zu Verwandlungen, wodurch viele Situationen zu zweit eine ganze Ecke leichter werden.

Multifunktionsmütze

Gleich klatscht es - aber keinen Beifall!
Der Ein- und Ausstieg funktioniert jederzeit nahtlos. Zum Glück dürfen beide Teilnehmer frei auswählen, ob sie mit den abgezogenen kleinen Joycons oder mit vollwertigen Pro-Controllern spielen. Nur beim Anmelden und Zuordnen der Eingabegeräte kann es passieren, dass die Switch ein wenig herumzickt – was aber ein konsolenspezifisches Problem zu sein scheint, das uns auch bei anderen Spielen begegnete. Anfänger können auf der Suche nach Monden mit kleinen Hinweisen lokaler Bewohner, Kartenmarkierungen oder einem extraleichten Modus nachhelfen. Oder man hält ein Amiibo an den Kontaktpunkt, woraufhin dieser einem später automatisch einen Mond bringt. Auch Münzen oder Energieherzchen lassen sich alle paar Sekunden mit der Hilfe von Amiibos erzeugen, um z.b. in kniffligen Passagen wieder an Energienachschub zu gelangen (manchmal wird das Püppchen allerdings nicht korrekt erkannt). Nötig ist all das aber nicht, da der Schwierigkeitsgrad vor allem zu Beginn deutlich unter dem von Yooka-Laylee bleibt.

Fingerspitzengefühl fürs Gamedesign beweist Nintendo vor allem beim sanften aber motivierenden Anleiten des Spielers. Zu Beginn wollte ich noch aus reinem Entdeckungsdrang jeden Winkel untersuchen, um überall Monde und versteckte Abschnitte aufzuspüren. Später wird einem die ungefähre Position der leuchtenden Sicheln auf der Karte verraten, damit man nicht mehr lustlos jeden Zentimeter abgrasen muss – ein schöner Kompromiss, der die Motivation auch nach Dutzenden Stunden aufrecht erhält.

Suchspaß statt Sammelwahn

Abkürzung gefällig?
Grafisch bringt Mario ein homogeneres Gesamtbild auf den Schirm als der britische Konkurrent Yooka-Laylee: Vor allem die putzigen Bewegungen besitzen hier viel mehr Animationsphasen. Auch Wellen, Gischt, Nebel und andere Feinheiten erzeugen ein idyllisches Gesamtbild, zumal es fast immer bei flüssigen 60 Bildern pro Sekunde bleibt. Ein kleiner Schandfleck sind die hässlich kahlen Wände an Orten wie dem Schlemmerland oder dem Seeland. Fehlte den Entwicklern dort die Zeit fürs Feintuning? In punkto Detailreichtum haben die Tempel aus Yooka-Laylee also die Nase vorn. Bei der Qualität der Minispiele und der schön eingeflochtenen 2D-Passagen liegt Nintendo aber weit vorne.

Im Fotomodus lässt sich Mario passend in Szene setzen.
Trotz des verjüngten Teams beweist Nintendo hier Erfahrung und einen Blick fürs Wesentliche: Ab und zu wird das Abenteuer von Minispielen aufgelockert – der Fokus liegt aber klar auf der Hüpf-Akrobatik. Wer Verkleidungen oder Feng-Shui mag, kann übrigens das Luftschiff mit Souvenirs dekorieren oder Mario mit knuffigen lokalen Kostümen ausstatten, die auch eine kleine Rolle bei der Öffnung von Arealen spielen. Wer genügend Münzen sammelt, kann sie übrigens auch in Monde investieren, um das Schiff für die Reise in fernere Länder aufzurüsten. Damit das System nicht zum Grinden von Münzen verführt, wird in der Mondliste aber nur ein einziges käufliches Exemplar pro Welt freigeschaltet. Das Shop-System mit verschiedenen Ingame-Währungen drängt sich allgemein nicht zu sehr in den Vordergrund, sondern unterstützt das Weltreise-Flair ähnlich passend wie der variationsreiche Soundtrack. Neben Ohrwürmern wie dem Hauptthema gibt es auch ruhigere Momente, feurige südamerikanische Rhythmen oder klassische Orchester-Themen zu hören.

Kein Minispiel-Overkill

Fazit

Super Mario Odyssey ist ein unheimlich kreativer Hüpfausflug rund um den Globus, der die Neugier und die Lust am Entdecken mit geschickt versteckten Geheimnissen belohnt, statt das Sammeln zur lästigen Arbeit verkommen zu lassen. Mal poltert man als schnauzbärtiger T-Rex durch massive Kettenhunde und poröse Felsen. Anderswo schleudert man als Hammerbruder (oder Pfannenbruder?) mit Pfannen um sich, düst als Hochdruck-Tintenfisch durch die Luft oder wird sogar zum personifizierten Pfosten. Hier wird das Herumspinnen mit den mannigfaltigen Möglichkeiten zur Hauptsache: Kreativität gewinnt! Man fühlt sich wie in einem gigantischen Themenpark, während die ständigen Ortswechsel mit ihren krassen Design-Unterschieden Urlaubsstimmung aufkommen lassen. Und weil Marios Reise so charmant, albern und flüssig inszeniert ist, verzeihe ich dem Spiel auch kleine Schwächen wie einige kahle Hintergründe oder den etwas zu niedrigen Schwierigkeitsgrad im Story-Modus. Nachdem die Jagd auf Bowser beendet ist, gibt es aber noch sehr viel zu tun und schwierigere Aufgaben zu meistern. Alles in allem also eine äußerst gelungene Neuinterpretation des klassischen 3D-Jump-n-Runs – auch wenn die Faszination bei mir nicht ganz die Sphären von Super Mario Galaxy und seiner coolen Planetenmechanik erreichte.

Pro

  • Unmengen verrückter Verwandlungen
  • Übernahme von Wesen und Objekten toll in den Spielablauf eingebunden
  • unheimlich ideenreich versteckte Geheimnisse
  • abwechslungsreiche idyllische Reiseziele
  • wilder Design-Mix entpuppt sich als tolle Idee
  • riesige Anzahl an Herausforderungen und versteckten Monden
  • extrem knuffiges Figurendesign
  • detailverliebte alberne Animationen
  • gelungenes mittelgroßes Repertoire an Standard-Bewegungen
  • schön eingestreute 2D-Abschnitte
  • coole Bosskämpfe, die später richtig fordernd werden
  • süchtig machende Wettrennen und Schlitterkurse mit weltweiten Bestenlisten
  • relaxter Urlaubs-Soundtrack unterschiedlicher Stilrichtungen
  • fast immer saubere und flüssige Kulisse mit 60 Bildern pro Sekunde
  • lustiger lokaler Koop-Modus, der vor allem Einsteigern das Spiel etwas erleichtert
  • netter Fotomodus mit diversen Filtern

Kontra

  • im Story-Modus etwas zu leicht
  • in manchen Welten sehr kahle Wände und Hintergründe
  • nicht immer präzise Gesten und Abbruch der Joycon-Funkverbindung vermasseln einem manchmal die Tour
  • Story wieder ziemlich platt und oberflächlich
  • Passanten in der Stadt laufen im Kreis

Wertung

Switch

Inspirierend kreativer Hüpfausflug rund um den Globus mit vielen lustigen Verwandlungen und bemerkenswert clever versteckten Geheimnissen.