Football Manager 2018 - Test, Sport, PC

Football Manager 2018
11.12.2017, Mathias Oertel

Test: Football Manager 2018

Mannschaft vs. Trainer

Bedingt durch die Neuverteilung der Lizenzen darf Sega den Football Manager von Sports Interactive ab nächstem Jahr auch hierzulande hochoffiziell veröffentlichen. Endlich! Man hat sich schließlich lange genug mit den Importen des für viele besten Sportmanagement-Spiels der letzten Jahre über Wasser halten müssen. Wir haben uns erneut auf den Schleudersitz "Trainerbank" gesetzt und verraten im Test, wie es uns ergangen ist.

Der Football Manager ist ein Phänomen. Treue Spieler, die Jahr für Jahr hunderte Stunden investieren, obwohl die Spielstände nicht übertragen werden können, sind keine Seltenheit. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Umsetzung vor allem in der Frühphase der Serie meist an eine nur leicht aufgehübschte Tabellenkalkulation erinnerte und daher zusätzlich Geduld und Frustresistenz erforderte. Doch es waren die inneren Werte und vor allem die Umsetzung dieser Werte innerhalb der Match-Darstellung, die einen Stunde um Stunde, Woche um Woche und Monat für Monat beschäftigen konnte. Zusammen mit dem Kopfkino, das mit seinem „Was wäre wenn“ ohnehin zu jedem Fußballfan gehört wie die Antipathie gegenüber rivalisierenden Clubs sowie dem ebenfalls fest in Fans verankerten Bewusstein, es besser als der Trainer machen zu können, liefert der Football Manager jahrein, jahraus eine fast perfekte Basis für spannende sowie emotionale Unterhaltung.

Das Phänomen

Nächstes Jahr wird der in den letzten Jahren nur als Import erhältliche Football Manager hochoffiziell in Deutschland veröffentlicht - hoffentlich auch mit einer Voll-Lokalisierung.
Im Gegensatz zur langjährigen Konkurrenz aus deutschen Landen muss man sich allerdings nicht um die Finanzen kümmern, sondern ist bei Transfers oder den Verhandlungen hinsichtlich Spielergehältern auf die Budgetvorgaben des Vorstands angewiesen. So kann man sich auf seine Kernkompetenz als Trainer bzw. Teamchef konzentrieren – also das, was man im Mutterland des Fußballs als „Manager“ bezeichnet. Und damit hat und hatte man ohnehin schon genug zu tun. Man muss über das Training versuchen, technische oder spielerische Defizite aufarbeiten. Man sollte tunlichst die Berichte des umfangreichen und hinsichtlich der Autonomie stark skalierbaren Trainer-Teams lesen, um sich und sein Team auf den Gegner abzustimmen. Man muss an der Kaderzusammenstellung arbeiten, Interviews abhalten, seine Mannschaft über Ansprachen vor, während und nach dem Spiel mental auf den richtigen Pfad bringen und vieles mehr. Diese Kernmechaniken werden von Sports Interactive Jahr für Jahr verfeinert, können einem aber auch von der meist ganz ordentlich arbeitenden KI abgenommen werden.

Da alle Elemente vom Transfermarkt oder dem Scouting bis hin zur Trainingsabstimmung, der Mannschaftsaufstellung oder der Weiterentwicklung des Nachwuchses mitunter umfangreich miteinander verzahnt sind, verfolgt Sports Interactive eine Politik der kleinen Schritte. Revolutionäre Umwälzungen in der Mechanik sucht man zumeist vergebens. Stattdessen findet man jährlich und damit auch in dieser Ausgabe zahlreiche Schrauben, an denen gedreht wurde, um das Erlebnis für den Spieler noch realitätsnaher zu gestalten. Dazu kommen Optimierungen im Bereich der Matchdarstellung sowie die Versuche, die Benutzerführung übersichtlicher zu gestalten und mit kürzeren Klickwegen auszustatten. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Veteranen auch in einigen Bereichen auf Elemente stoßen, die offensichtlich auf der Prio-Liste relativ weit unten stehen, aber dennoch langsam angefasst werden dürften. Für mich gehört dazu vor allem das „Dialogsystem“, also die Gesprächsauswahl bei Interviews mit der Presse, die Gespräche mit Spielern sowie die Mannschafts- bzw. Einzelansprachen im Rahmen der

Die Team-Dynamik als neues Element wirkt sich auf zahlreiche weitere entscheidende Inhalte aus.
Match-Phase. Vieles wirkt hier mittlerweile etwas statisch und mit der Erfahrung der Vorjahre lassen sich einige Gespräche ungewöhnlich gut kontrollieren. Überraschungen werden damit nur Neueinsteigern oder Seltenspielern geboten. Und auch die werden eher früher als später an die Grenzen dieses Systems stoßen, das dringend eine frische Dynamik braucht.

Evolution statt Neubeginn

Vor allem auch angesichts der Ergänzung der Mechanik um ein komplett neues „Mannschaftsgefüge“-System, mit dem man so dicht dran an den aktuellen Geschehnissen in den großen und kleinen Ligen ist wie schon lange nicht mehr. Wie häufig musste man in den letzten Jahren die Fragen „Spielt die Mannschaft noch für den Trainer?“ oder „Dringt der Trainer noch zur Mannschaft durch?“ hören. Und schaut man sich an, welche Macht einige Star-Spieler samt der mit ihnen verbündeten Mannschaftskameraden hinter den Kulissen haben, ist das Ergebnis sehr gelungen. Das derzeit beste und aktuellste Beispiel in der Realität dürfte die Demission von Carlo Ancelotti beim FC Bayern sein, der augenscheinlich nicht nur das Präsidium, sondern auch große Teile der Mannschaft vor seiner Entlassung gegen sich aufgebracht hatte.

Im Football Manager hat die Moral innerhalb der Mannschaft schon immer eine große Rolle gespielt. Versprechungen, die man einzelnen Spielern gab, sollten tunlichst eingehalten werden. Akteure, die nicht eingesetzt wurden, kämpften schließlich mit Unzufriedenheit – was sich noch stärker auswirkte, wenn die Mannschaft keine Siege einfahren konnte. Das gilt im Großen und Ganzen auch hier, allerdings nur noch als Unterbau. Denn die gesamte Team-Dynamik wurde umgebaut und in vielen Bereichen neu gestaltet. Zum einen setzt sich die Mannschaftsmoral jetzt aus mehreren Fokuswerten zusammen: Dem Spielverständnis, der Atmosphäre in der Kabine sowie der Unterstützung, der sich der Coach seitens des Teams sicher sein kann. Das wiederum hat eine neue hierarchische Struktur erhalten, die teils auf Spielerklasse, teils auf Dauer der Team-Zugehörigkeit sowie einigen anderen Faktoren beruht. Und damit wird die Grundlage für eine neue Herausforderung geschaffen. Reichte es bislang meistens, die von Spielern gebrachten Opfer durch Siege kompensieren zu können, kann es mittlerweile passieren, dass unzufriedene Spieler andere Mannschaftsteile infizieren, auch wenn man eine Siegesserie hingelegt hat – z.B. weil der Urheber zu den Sympathieträgern innerhalb der Gruppe gehört oder gar einer der Teamleader ist. Im schlimmsten Fall wird er mit seiner Entourage sogar beim Präsidium vorstellig und kann einen Rauswurf des Trainers provozieren – siehe Ancelotti.

Dynamisches Fußball-Storytelling

Man kann schon während der Matches zahlreiche Overlays zur Spielanalyse aktivieren.
Sprich: Um sich solche Probleme vom Hals zu halten, sollten die drei Dynamik-Pfeiler so positiv wie möglich gestaltet werden. Im Zweifelsfall am ehesten durch Erfolg. Aber dass dies keine Garantie beinhaltet, sorgt dafür, dass man seine Entscheidungen noch stärker überdenken und planen sollte. Denn die Dynamik wirkt sich in unterschiedlichen Dosierungen auch auf viele andere Mechaniken aus. Über die Transfers kann man versuchen, sowohl kurzfristig als auch auf lange Sicht das Mannschaftsgefüge an „seine“ Bedürfnisse und Wünsche anzupassen, um Konflikte zu minimieren. Im überarbeiteten Scouting spielen Persönlichkeitswerte ebenfalls eine größere Rolle. Und auch das deutlich verbesserte medizinische System, das einen besser darüber aufklärt, wieso die Spieler sich ggf. häufig verletzen, ist in die Dynamik eingebunden. So z.B. wenn man sich mit einem aufmuckenden, aber häufig von Verletzungen geplagten Spieler darauf einigt, ihn gezielt in entscheidenden Situationen einzusetzen. Oder ihn eben behutsam durch Anpassung des Trainingsrhythmus zu einem zuverlässigeren und weniger verletzunganfälligen Spieler zu machen, wie es beim HSV z.B. mit Kyriakos Papadopoulos gelungen ist und mit Albin Ekdal geplant ist. Apropos HSV: Einen Fehler des Vorjahres findet man auch dieses Jahr im FM. Klaus-Michael Kühne ist nicht Präsident oder Vorstandsvorsitzender, sondern nach wie vor nur ein Mäzen und Anteilseigner – aber das scheint noch nicht bei Sports Interactive angekommen zu sein. Aber als weiterer Beweis, wie nah der Football Manager an realistischen Vorgängen dran ist, die auch mit Teamdynamik bzw. der „Chemie“ zwischen Coach und Kicker zu tun haben, kann man getrost die Spieler betonen, die in der eigenen Mannschaft kein Bein auf den Boden bekommen, aber bei einer neuen Truppe aufblühen. Auch hier wissen HSV-Fans mit ihren Ex-Spielern ganze Bücher zu füllen.

Obwohl sich Sports Interactive bemüht, sowohl Farbe als auch Struktur in die Benutzerführung zu bringen, ist sie nach wie vor relativ trocken. Das wird die Fans aber dieses Jahr ebensowenig stören wie in den Ausgaben zuvor. Denn zum einen überwiegen die Qualitäten der inneren Werte, die in nahezu allen Bereichen authentisch wirken und die Statistiken bzw. Zahlen wider Erwarten mit Leben füllen. Fehlende Bilder, Logos, Wappen etc. kann man ohnehin wie gehabt problemlos durch von der Community erstellte Sammlungen auffüllen, so dass man auch schon dieses Jahr mit der Bundesliga bzw. den unteren Ligen in ihrer ganzen Pracht spielen darf. Zum anderen sind augenzwinkernde und zweifellos von Fußball-Liebhabern geschriebene News wie „Nach einer Protestwelle führender Fußball-Clubs wegen der Terminplanung wurde in einer Kampfabstimmung Katar die Ausrichtung der WM 2022 entzogen und nach Australien verlegt“ als Easter Eggs im Posteingang immer wieder ein Vergnügen. Und zu guter Letzt wird durch zahlreiche visuelle Versatzstücke immer wieder die Statik auf den unterschiedlichen, leicht zu erreichenden Informationsbildschirmen aufgebrochen, so dass sich der Football Manager dieses Jahr erneut einen weiteren großen Schritt von seinen Excel-Anfängen entfernt.

Die hübsche Tabellenkalkulation

Die Match-Darstellung zeigt sich erneut verbessert, hat aber trotz neuen Motion Capturings noch viel Luft nach oben.
Das gilt auch für die Matchdarstellung, die man zwar immer noch ganz klassisch aus einer Vogelperspektive mit „Plättchen“ als Spielern genießen darf, die aber in 3D mittlerweile auch einen ordentlichen Eindruck hinterlässt. Trotz neuen Motion-Capturings in den Studios von Creative Assembly läuft allerdings bei der Darstellung noch nicht alles hundertprozentig  rund. Manche Bewegungen am Ball oder beim Dribbling wirken immer noch künstlich, Laufbewegungen erinnern mitunter an Hamster in Laufrädern und wenn ich in der Bundesliga die Spieler so jubeln sehen würde, wie es hier ab und an passiert, würde ich vielleicht doch langsam anfangen, mir ein neues Hobby zu suchen. Doch trotz aller kleineren Mankos in der dreidimensionalen Matchdarstellung sorgt das Geschehen auf dem Platz bei mir als Fußballbegeisterten für enorme Emotionen. Denn auch wenn manches etwas staksig aussieht, werden Dramatik sowie Dynamik mitsamt Schiedsrichterfehlentscheidungen etc. hervorragend eingefangen. Und nein, es gibt keinen Videobeweis – hier bin ich gespannt, ob und wie Sports Interactive dies im nächsten Jahr umzusetzen versucht. Wie in den letzten Jahren leide ich mit meinem Team, freue mich mit ihm und werde in dem einen oder anderen Moment auch vor dem Bildschirm lauter. Und dass ein Spiel, das als Basis aufgehübschte Tabellenkalkulationen verwendet, dies seit Jahren schafft, ist einer der Grundpfeiler der ungebrochenen Faszination, die der Football Manager auch mit der Ausgabe "2018" schafft. Denn eines darf dabei nicht vergessen werden: So spröde es manchmal aussieht, so akkurat werden auch kleinere Änderungen im taktischen Bereich oder bei der Aufstellung umgesetzt. Man sieht sofort die Auswirkungen seiner Entscheidungen. Dass diese mitunter wie beim mittlerweile eigentlich schon als Standard praktizierten Gegenpressings, das Jürgen Klopp in seiner besten Zeit bei Borussia Dortmund nahezu perfektionierte, nicht über einfache Einstellungen, sondern eher komplizierte Wechselwirkungen zu erreichen bzw. umzusetzen sind, gehört ebenfalls zu den Altlasten, die mich als Veteran seit nunmehr zwei Ausgaben stören. Aber sie können mich nicht davon abhalten, erneut zig Stunden in diesen Manager zu investieren.

Fazit

Auf den ersten Blick scheint Sports Interactive kaum etwas an den vielschichtigen sowie facettenreichen Mechaniken der unglaublich motivierenden Trainer-Simulation geändert zu haben. Und angesichts der sorgsam miteinander verknüpften Elemente mit ihren Wechselwirkungen scheint es auch schwer, gezielt einzelne Bereiche nach vorne zu bringen, ohne die Gesamtbalance nicht zu gefährden. Dass dies im Normalfall (wie z.B. letztes Jahr) immer noch reicht, um sich unseren Award zu schnappen, ist der grundsätzlichen Qualität und der hohen Immersion zuzuschreiben, die der Football Manager Jahr um Jahr entfacht und nicht selten für Spielzeiten deutlich jenseits der 100-Stunden-Marke sorgt. Und es gibt auch mittlerweile Elemente wie die statische Gesprächsführung in vielen Bereichen, deren Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten wurde und unbedingt angepackt werden muss, bevor die Serie nächstes Jahr erstmals seit langer Zeit offiziell in Deutschland erscheint. Doch im Gegensatz zur letzten Ausgabe hat man mit der neuen Team-Dynamik ein kleines Element verbessert, das mit seinen Auswirkungen auch andere Mechniken maßgeblich beeinflusst. Dadurch spielt sich der Football Manager zwar nur unter der Oberfläche anders, gewinnt aber ein zusätzliches Maß an Realität, die so aktuell wie kaum zuvor ist, wenn man sich das Beispiel Carlo Ancelotti/FC Bayern anschaut.

Pro

  • enormer Tiefgang
  • verbesserte 3D-Match-Engine...
  • neue Team-Dynamik greift in sehr viele mechanische Elemente ein
  • überarbeitetes Scouting mit übersichtlicheren Informationen
  • verbesserte medizinische Abteilung
  • stark skalierbare Eingriffsoptionen
  • logische Zusammenhänge
  • authentische Spielerwerte
  • realistische Transferbedingungen, -Mechaniken und Reaktionen
  • Matchlänge und -Geschwindigkeit variabel einstellbar
  • Original-Namen auch in den deutschen Ligen
  • umfangreicher Editor
  • "Create-A-Club"-Modus
  • "Fantasy Draft" mit diversen Modi für bis zu 32 Teams
  • umfangreiche sowie aussagekräftige Statistiken
  • zahlreiche Assistenten
  • Steam-Workshop-Anbindung
  • über Community-Mods einfach mit Logos und Bildern aufzufüllen
  • umfangreiche kontextsensitive Hilfen
  • "Social Feed" sorgt für zusätzliche Atmosphäre
  • eigenes Porträt möglich
  • potenter externer Editor

Kontra

  • nativ fehlen viele Original-Logos und Spielerfotos
  • ... die aber weiterhin noch viel Luft nach oben hat
  • Hinweise des Trainerteams mitunter kontraproduktiv
  • keine native deutsche Textunterstützung
  • kein "Tagestraining" einstellbar
  • "Gegenpressing" nicht als taktische Vorgabe vorhanden, sondern nur über manuelles Pfriemeln erreichbar
  • Gespräche wirken nach einigen Jahren ohne Veränderung statisch und vorhersehbar
  • "In-Game-Editor" kostenpflichtig

Wertung

PC

Motivations-Monster für Hobbytrainer, bei dem einige stagnierende Punkte wie statische Gespräche durch die neue Team-Dynamik kompensiert werden, die sich auf viele weitere Bereiche auswirken.