Football Manager 2018 - Test, Sport, PC
Der Football Manager ist ein Phänomen. Treue Spieler, die Jahr für Jahr hunderte Stunden investieren, obwohl die Spielstände nicht übertragen werden können, sind keine Seltenheit. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Umsetzung vor allem in der Frühphase der Serie meist an eine nur leicht aufgehübschte Tabellenkalkulation erinnerte und daher zusätzlich Geduld und Frustresistenz erforderte. Doch es waren die inneren Werte und vor allem die Umsetzung dieser Werte innerhalb der Match-Darstellung, die einen Stunde um Stunde, Woche um Woche und Monat für Monat beschäftigen konnte. Zusammen mit dem Kopfkino, das mit seinem „Was wäre wenn“ ohnehin zu jedem Fußballfan gehört wie die Antipathie gegenüber rivalisierenden Clubs sowie dem ebenfalls fest in Fans verankerten Bewusstein, es besser als der Trainer machen zu können, liefert der Football Manager jahrein, jahraus eine fast perfekte Basis für spannende sowie emotionale Unterhaltung.
Das Phänomen
Da alle Elemente vom Transfermarkt oder dem Scouting bis hin zur Trainingsabstimmung, der Mannschaftsaufstellung oder der Weiterentwicklung des Nachwuchses mitunter umfangreich miteinander verzahnt sind, verfolgt Sports Interactive eine Politik der kleinen Schritte. Revolutionäre Umwälzungen in der Mechanik sucht man zumeist vergebens. Stattdessen findet man jährlich und damit auch in dieser Ausgabe zahlreiche Schrauben, an denen gedreht wurde, um das Erlebnis für den Spieler noch realitätsnaher zu gestalten. Dazu kommen Optimierungen im Bereich der Matchdarstellung sowie die Versuche, die Benutzerführung übersichtlicher zu gestalten und mit kürzeren Klickwegen auszustatten. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Veteranen auch in einigen Bereichen auf Elemente stoßen, die offensichtlich auf der Prio-Liste relativ weit unten stehen, aber dennoch langsam angefasst werden dürften. Für mich gehört dazu vor allem das „Dialogsystem“, also die Gesprächsauswahl bei Interviews mit der Presse, die Gespräche mit Spielern sowie die Mannschafts- bzw. Einzelansprachen im Rahmen der
Match-Phase. Vieles wirkt hier mittlerweile etwas statisch und mit der Erfahrung der Vorjahre lassen sich einige Gespräche ungewöhnlich gut kontrollieren. Überraschungen werden damit nur Neueinsteigern oder Seltenspielern geboten. Und auch die werden eher früher als später an die Grenzen dieses Systems stoßen, das dringend eine frische Dynamik braucht.Evolution statt Neubeginn
Vor allem auch angesichts der Ergänzung der Mechanik um ein komplett neues „Mannschaftsgefüge“-System, mit dem man so dicht dran an den aktuellen Geschehnissen in den großen und kleinen Ligen ist wie schon lange nicht mehr. Wie häufig musste man in den letzten Jahren die Fragen „Spielt die Mannschaft noch für den Trainer?“ oder „Dringt der Trainer noch zur Mannschaft durch?“ hören. Und schaut man sich an, welche Macht einige Star-Spieler samt der mit ihnen verbündeten Mannschaftskameraden hinter den Kulissen haben, ist das Ergebnis sehr gelungen. Das derzeit beste und aktuellste Beispiel in der Realität dürfte die Demission von Carlo Ancelotti beim FC Bayern sein, der augenscheinlich nicht nur das Präsidium, sondern auch große Teile der Mannschaft vor seiner Entlassung gegen sich aufgebracht hatte.
Im Football Manager hat die Moral innerhalb der Mannschaft schon immer eine große Rolle gespielt. Versprechungen, die man einzelnen Spielern gab, sollten tunlichst eingehalten werden. Akteure, die nicht eingesetzt wurden, kämpften schließlich mit Unzufriedenheit – was sich noch stärker auswirkte, wenn die Mannschaft keine Siege einfahren konnte. Das gilt im Großen und Ganzen auch hier, allerdings nur noch als Unterbau. Denn die gesamte Team-Dynamik wurde umgebaut und in vielen Bereichen neu gestaltet. Zum einen setzt sich die Mannschaftsmoral jetzt aus mehreren Fokuswerten zusammen: Dem Spielverständnis, der Atmosphäre in der Kabine sowie der Unterstützung, der sich der Coach seitens des Teams sicher sein kann. Das wiederum hat eine neue hierarchische Struktur erhalten, die teils auf Spielerklasse, teils auf Dauer der Team-Zugehörigkeit sowie einigen anderen Faktoren beruht. Und damit wird die Grundlage für eine neue Herausforderung geschaffen. Reichte es bislang meistens, die von Spielern gebrachten Opfer durch Siege kompensieren zu können, kann es mittlerweile passieren, dass unzufriedene Spieler andere Mannschaftsteile infizieren, auch wenn man eine Siegesserie hingelegt hat – z.B. weil der Urheber zu den Sympathieträgern innerhalb der Gruppe gehört oder gar einer der Teamleader ist. Im schlimmsten Fall wird er mit seiner Entourage sogar beim Präsidium vorstellig und kann einen Rauswurf des Trainers provozieren – siehe Ancelotti.
Dynamisches Fußball-Storytelling
Obwohl sich Sports Interactive bemüht, sowohl Farbe als auch Struktur in die Benutzerführung zu bringen, ist sie nach wie vor relativ trocken. Das wird die Fans aber dieses Jahr ebensowenig stören wie in den Ausgaben zuvor. Denn zum einen überwiegen die Qualitäten der inneren Werte, die in nahezu allen Bereichen authentisch wirken und die Statistiken bzw. Zahlen wider Erwarten mit Leben füllen. Fehlende Bilder, Logos, Wappen etc. kann man ohnehin wie gehabt problemlos durch von der Community erstellte Sammlungen auffüllen, so dass man auch schon dieses Jahr mit der Bundesliga bzw. den unteren Ligen in ihrer ganzen Pracht spielen darf. Zum anderen sind augenzwinkernde und zweifellos von Fußball-Liebhabern geschriebene News wie „Nach einer Protestwelle führender Fußball-Clubs wegen der Terminplanung wurde in einer Kampfabstimmung Katar die Ausrichtung der WM 2022 entzogen und nach Australien verlegt“ als Easter Eggs im Posteingang immer wieder ein Vergnügen. Und zu guter Letzt wird durch zahlreiche visuelle Versatzstücke immer wieder die Statik auf den unterschiedlichen, leicht zu erreichenden Informationsbildschirmen aufgebrochen, so dass sich der Football Manager dieses Jahr erneut einen weiteren großen Schritt von seinen Excel-Anfängen entfernt.
Die hübsche Tabellenkalkulation
Fazit
Auf den ersten Blick scheint Sports Interactive kaum etwas an den vielschichtigen sowie facettenreichen Mechaniken der unglaublich motivierenden Trainer-Simulation geändert zu haben. Und angesichts der sorgsam miteinander verknüpften Elemente mit ihren Wechselwirkungen scheint es auch schwer, gezielt einzelne Bereiche nach vorne zu bringen, ohne die Gesamtbalance nicht zu gefährden. Dass dies im Normalfall (wie z.B. letztes Jahr) immer noch reicht, um sich unseren Award zu schnappen, ist der grundsätzlichen Qualität und der hohen Immersion zuzuschreiben, die der Football Manager Jahr um Jahr entfacht und nicht selten für Spielzeiten deutlich jenseits der 100-Stunden-Marke sorgt. Und es gibt auch mittlerweile Elemente wie die statische Gesprächsführung in vielen Bereichen, deren Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten wurde und unbedingt angepackt werden muss, bevor die Serie nächstes Jahr erstmals seit langer Zeit offiziell in Deutschland erscheint. Doch im Gegensatz zur letzten Ausgabe hat man mit der neuen Team-Dynamik ein kleines Element verbessert, das mit seinen Auswirkungen auch andere Mechniken maßgeblich beeinflusst. Dadurch spielt sich der Football Manager zwar nur unter der Oberfläche anders, gewinnt aber ein zusätzliches Maß an Realität, die so aktuell wie kaum zuvor ist, wenn man sich das Beispiel Carlo Ancelotti/FC Bayern anschaut.
Pro
- enormer Tiefgang
- verbesserte 3D-Match-Engine...
- neue Team-Dynamik greift in sehr viele mechanische Elemente ein
- überarbeitetes Scouting mit übersichtlicheren Informationen
- verbesserte medizinische Abteilung
- stark skalierbare Eingriffsoptionen
- logische Zusammenhänge
- authentische Spielerwerte
- realistische Transferbedingungen, -Mechaniken und Reaktionen
- Matchlänge und -Geschwindigkeit variabel einstellbar
- Original-Namen auch in den deutschen Ligen
- umfangreicher Editor
- "Create-A-Club"-Modus
- "Fantasy Draft" mit diversen Modi für bis zu 32 Teams
- umfangreiche sowie aussagekräftige Statistiken
- zahlreiche Assistenten
- Steam-Workshop-Anbindung
- über Community-Mods einfach mit Logos und Bildern aufzufüllen
- umfangreiche kontextsensitive Hilfen
- "Social Feed" sorgt für zusätzliche Atmosphäre
- eigenes Porträt möglich
- potenter externer Editor
Kontra
- nativ fehlen viele Original-Logos und Spielerfotos
- ... die aber weiterhin noch viel Luft nach oben hat
- Hinweise des Trainerteams mitunter kontraproduktiv
- keine native deutsche Textunterstützung
- kein "Tagestraining" einstellbar
- "Gegenpressing" nicht als taktische Vorgabe vorhanden, sondern nur über manuelles Pfriemeln erreichbar
- Gespräche wirken nach einigen Jahren ohne Veränderung statisch und vorhersehbar
- "In-Game-Editor" kostenpflichtig