Fallout 4 VR - Test, Rollenspiel, VirtualReality, HTCVive, OculusRift
Vor zwei Jahren ist Fallout 4 nur denkbar knapp am dritten Teil der Witcher-Saga gescheitert, als es innerhalb der Redaktion darum ging, das Spiel des Jahres in der Kategorie Rollenspiel zu wählen. Und nachdem ich weit über 100 Stunden im amerikanischen Ödland rund um Boston zugebracht hatte, war ich gespannt, ob es Bethesda gelingen würde, die Essenz des Rollenspiels mit seinen taktischen Kämpfen auch hinter der VR-Brille einzufangen. Umso mehr, nachdem man vor kurzem mit der VR-Umsetzung von Skyrim auf PlayStation VR gezeigt hat, dass sich die riesigen Welten oder die offenen Quest-Strukturen der Bethesda-Welten auf der einen und virtuelle Realität auf der anderen Seite nicht zwangsläufig ausschließen. Dementsprechend gelten die meisten Vorzüge, die den Titel zu seinem Start im November 2015 auszeichneten, auch hier.
Überleben in der virtuellen Realität
Dass ich übrigens im Gegensatz zum Test von Skyrim VR nicht auf die Add-Ons wie Nuka World, Far Harbor oder den Vault-Tec Workshop eingehe, die sowohl als Teil des Season Passes als auch im Rahmen der Game of the Year Edition auf PC, PS4 oder One erhältlich sind, liegt schlichtweg daran, dass sie hier fehlen. Angesichts der Integration von Dragonborn, Dawnguard sowie Hearthfire bei der VR-Variante von Skyrim ist es sehr bedauerlich, dass man hier auf diesen Service verzichtet hat. Sicher: Auch so kann man schon dutzende, ja hunderte Stunden im Ödland zubringen. Doch es macht deutlich, dass bei der Inhaltszusammenstellung für Fallout 4 VR offensichtlich ein anderer Standard herrschte als bei Skyrim. Und nicht nur da. Denn angesichts der im Rahmen der Möglichkeiten sowohl visuellen als auch spielmechanischen Qualität, die der Ausflug nach Himmelsrand hinter der PlayStation-Brille abliefert, scheint man bei Fallout 4 entweder von der Hardware oder den eigenen Ambitionen ausgebremst worden zu sein.
Keine Erweiterungen
Während die Kulisse also ihr Bestes gibt, um mich hinter die Brille zu locken, sorgen manche Design- sowie Kontrolloptionen dafür, dass ich mich wiederholt frage, wieso die Teams, die für die jeweilige VR-Version von Skyrim sowie Fallout zuständig waren, nicht stärker miteinander kommuniziert haben. Falls es sich dabei um das identische Personal handeln sollte: Schande über euch. Denn nehmen wir z.B. die Kontrollmechanik, liegt Himmelsrand deutlich vor dem amerikanischen Mittelwesten. Zwar kann man sich hier wie da per komfortablem Teleport bewegen, den Winkel der Drehungen einstellen und sogar eine flüssige Bewegung einstellen, bei der man nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Größe der Sichtfeldeinschränkung beim Laufen zwecks Minimierung der Bewegungskrankheit einstellen darf. Doch eine Option wie bei Skyrim VR, nur mit einem Pad bewaffnet das Ödland von Mutanten und anderen gefährlichen Gegnern zu befreien, fehlt hier. Zudem ist es auch hier leider wie bei Doom oder Skyrim so, dass man bei der Festlegung des Teleport-Zielpunktes nicht über die Kopfbewegung die Ausrichtung der Figur nach dem „Landen“ festlegen kann. Und obwohl mir bewusst ist, dass Bethesda explizit sagt, dass Fallout 4 für Vive veröffentlicht wird, ist es schade, dass die Rift-Hardware zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur höchst rudimentär unterstützt wird.
Kontroll-Dilemma
Handloser Held der Ödlande
Des Weiteren hätte eine intuitivere und damit VR-angepasste Umgebungsinteraktion nicht geschadet. Bereits im Haus der Prolog-Phase, in der die Welt noch in Ordnung ist, wird das verschenkte Potenzial deutlich. In der Küche z.B. liegt ein Comic, den man aufheben kann. Mein VR-Impuls ist, die Hand auszustrecken und ihn mir einfach zu nehmen, ihn per Geste zu drehen und von allen Seiten zu betrachten. Doch stopp: Ich habe in der virtuellen Realität von Fallout 4 ja keine Hände. Dementsprechend kann ich ihn mir ja nicht so einfach nehmen. Derart simpel muss die Logik beim Design eingesetzt worden sein. Denn anderenfalls kann ich es mir nicht erklären, dass die Interaktion (wie übrigens auch bei Skyrim) auf Knopfdruck reduziert bzw. in dieser Art direkt vom Pad kommend beibehalten wurde. Oder das Mobile, das über dem Pad des Kindes des Protoganisten hängt und das man drehen soll: Auch hier geht mein Arm intuitiv nach oben und ich möchte es einfach anstoßen oder zumindest den Schalter drücken. Das tue ich auch – allerdings nur auf dem Controller per Knopf. Da es in Himmelsrand nicht viele solcher Manipulations-Möglichkeiten gibt, fallen diese Defizite in der Handhabung dort nicht so häufig auf und damit auch nicht so sehr ins Gewicht wie hier. Das grundsätzliche Spiel mit seinen Unmengen an Möglichkeiten sowie Entdeckungen wird dadurch auch nicht schlechter. Die Immersion sowie Qualität der Benutzerführung hätte allerdings deutlich gesteigert werden können.
Die Matrix im Ödland
Den größten Fortschritt macht man jedoch bei den Kämpfen: V.A.T.S. als taktisches System, um sich gegen seine meist zahlreichen Gegner einen Vorteil zu verschaffen, macht in VR noch mehr Spaß. Nicht nur, dass durch das direkte Zielen das mitunter nervige Durchschalten der Pad-Version wegfällt. Zusätzlich ist man nicht mehr an seine ursprüngliche Position gebunden, sondern kann den Teleport nutzen, um in eine bessere Position zu kommen – allerdings auf zusätzliche Kosten der auch hier erbarmungslos herunter tickenden Aktionspunkte. So wird klugerweise verhindert, dass man den Teleport zu häufig innerhalb der V.A.T.S.-Zeitlupe nutzen kann. In der Summe resultiert dies in gleichermaßen spannenden wie actionreichen sowie taktischen Kämpfen, die ich hinter der VR-Brille als eines der wenigen Elemente uneingeschränkt dem „flachen“ Original vorziehe.
Fazit
Nach Bethesdas gelungenem VR-Abstecher nach Himmelsrand auf PlayStations Virtual-Reality-Hardware (85%, Gold-Award) war ich sehr gespannt, wie sich die Reise ins postapokalyptische Ödland von Fallout 4 präsentieren würde. Doch das Ergebnis kann mich unter dem Strich nicht so überzeugen wie Skyrim VR oder gar das zwei Jahre alte Original, in das ich weit über 100 Stunden investiert habe. Das beginnt bei inhaltlichen Mankos, denn im Vergleich zu Skyrim VR wurden die zahlreichen Add-Ons hier nicht integriert. Es geht weiter bei Steuerungsproblemen: Zwar gibt es haufenweise Optionen von Teleport bis flüssiger Bewegung, die einen bar jeglicher Bewegungskrankheit das riesige Spielgebiet erforschen lassen. Doch eine Pad-Alternative (wie bei Skyrim VR) fehlt, während die Vive-Touchpads sich immer wieder zu schwammig für diese Art der Benutzerführung zeigen. Denn zu häufig wurden einfach die Nicht-VR-Systeme nur minimal angepasst und nicht auf VR-Bedürfnisse bzw. intuitive Bewegungen abgestimmt. Doch auch wenn man sich u.a. auch durch die fehlenden Hände eher wie ein hüllenloser Geist als ein Badass-Held fühlt, ist Fallout 4 eine gelungene und auch für Spieler des Originals nach wie vor durchweg unterhaltsame Ergänzung der VR-Bibliothek. Die grundsätzliche Sogkraft, die sich aus dem Zusammenspiel von Missionen, Gesprächen und Entdeckungen in der visuell zwar Hardwareforderungen stellenden, aber sehenswerten sowie immersiven Welt ergibt, ist immer noch vorhanden. Und beim Basisbau sowie vor allem dem taktischen V.A.T.S.-Kampfsystem spielt das Vive-Roomscaling mit akkurater Bewegungserkennung bzw. -Umsetzung seine ganzen Stärken aus. Angesichts der vorhandenen Qualität ist es allerdings schade, dass Bethesda hier nicht das ganze Potenzial ausschöpfen konnte, das sich durch die VR-Umsetzung anbot.
Pro
- Rollenspiel mit riesiger Sogkraft
- hohe Immersion
- Kämpfe und Basisbau profitieren stark von der akkuraten Bewegungserkennung
- erweitertes VATS-System gibt einem mit Teleport-Option zusätzliche taktische Möglichkeiten
- diverse Bewegungsoptionen, um Bewegungskrankheit zu minimieren
- stimmungsvoller Einstieg
- viele interessante Begleiter mit Beziehungsaufbau
- NSC reagieren auf Kleidung & Begleiter
- süffisanter schwarzer Humor, tolle Dialoge
- gut erzählte Hauptquest mit Perspektivwechsel
- riesige Spielwelt voller Orte und Sehenswürdigkeiten
- stimmungsvolle Licht- und Wettereffekte
- vier Fraktionen mit eigenen Zielen und Nebenquests
- angenehm offene Charakterentwicklung
- sinnvoll verzahnte Sammel-, Mod- und Baureize
- taktischer oder Echtzeitkampf
- Siedlungsbau mit Verwaltung und freier Architektur
- ausgezeichnetes Art-, Figuren- und Objektdesign
- vorbildliche deutsche Sprachausgabe und Lokalisierung
- zig kleine Quests und Überraschungen
- haufenweise Waffen, Rüstungen, Bomben, Objekte
- Schlösser knacken, Terminals hacken, Taschendiebstahl
- Mord, Raub und Diebstahl mit Konsequenzen
- manche Konflikte lassen sich auch friedlich lösen
- stimmungsvoller Soundtrack
- jederzeit wechselbare Schwierigkeitsgrade
- automatisches und manuelles Speichern
- vier unterschiedliche Enden
Kontra
- Add-Ons im Gegensatz zu Skyrim VR nicht integriert
- recht hohe Hardware-Anforderungen
- keine Hände, so dass man sich häufig wie ein hüllenloser Geist fühlt
- keine Pad-Steuerung
- Benutzerführung häufig nur an VR angepasst, ohne zu optimieren
- mit Vive-Controllern fitzeliges Inventar-Management
- Nahkampf ohne V.A.T.S. mit schwacher Treffer-Erkennung
- (noch) keine vernünftige Unterstützung der Oculus-Touch-Controller
- schwache Gegner-KI
- steife Mimik und Gestik
- viel Siedlungs-Babysitting
- Bau-Editor nicht gut genug erklärt
- Begleiter ignorieren gelegentlich Befehle
- verkürzte Gesprächsoptionen