Nantucket - Test, Taktik & Strategie, PC

Nantucket
18.01.2018, Jörg Luibl

Test: Nantucket

Moby Dick im Nacken

Nantucket (ab 16,19€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist eine Insel an der Ostküste der USA, die vor allem durch den Walfang und ihre literarische Erwähnung bei Edgar Allan Poe sowie Herman Melville bekannt ist. Letzterer machte den neuenglischen Hafen zum Ausgangspunkt für seinen 1838 veröffentlichten Moby Dick. Das Strategiespiel des italienischen Picaresque Studio knüpft direkt an die Geschehnisse und Figuren des berühmten Romans an, indem es den Spieler in die Rolle des einzigen Überlebenden Ishmael schlüpfen lässt.

In der kargen Charaktererstellung kann man lediglich einen anderen Namen als Ishmael wählen und einen Punkt auf die vier Attribute "Hunting", "Sailing", "Science" oder "Crafting" verteilen, so dass man erste Boni für die Waljagd oder das Segeln bekommt; diese kann man mit jedem Aufstieg weiter steigern kann. Hinzu kommt eines von fünf Merkmalen: Wer sich z.B. für "Strong" entscheidet, macht plus zwei Schaden; wer "Open Minded" ist, bekommt einen zusätzlichen Erfahrungspunkt pro Tag auf See.

Tutorial mit Holzbein

Im Tutorial begegnet man auch Captain Ahab, danach startet man seine eigene Walfang-Karriere.
Danach wird man in einem Tutorial in die drei Elemente des Spiels eingeführt: Quest- und Schiffsmanagement im Hafen, Erkundung und Personalverwaltung in der Kartenansicht auf hoher See sowie rundenbasierter Kampf gegen Wale, Haie oder Piraten. Das Ganze erinnert in seiner Handhabung und Inszenierung ein wenig an Sunless Sea, wirkt ebenfalls angenehm edel designt, aber erreicht trotz stimmungsvoller Seemannslieder weder dessen dichte Atmosphäre noch grafische oder inhaltliche Vielfalt. Man begegnet recht schnell immer gleich designten Orten und Personen, es gibt auch auf der Weltkarte keinen Zoom.

Dafür kann die Story natürlich mit ihrem historischen Kontext sowie der literarischen Prominenz punkten: Im Juli 1818 heuert man zunächst bei Captain Ahab auf der Pequod an. Mit knapp 14 Knoten durchpflügt der Clipper mit seinen drei Masten die neuenglische See auf der Suche nach Moby Dick. Es gibt sogar erste Dialoge mit Entscheidungen, als man als Schiffsjunge von Ahab auf seine Motivation angesprochen wird. Je nachdem wie man antwortet, bekommt man ein weiteres Merkmal. All das wird angenehm gediegen über Zeichnungen sowie dezente Animationen inszeniert.

In den Häfen kann man Crew anheuern, Waren ein- und verkaufen sowie Zeitung lesen und Aufträge annehmen. Außerdem kann man sein Schiff in vielen Bereichen wie Harpunentechnik, Ausguck oder Lager weiter entwickeln.
So schnell wie man dem berühmten Captain und seiner monströsen Mission begegnet ist, ist der Spuk aber wieder vorbei, denn der weiße Wal sorgt für seinen Untergang - während man selbst überlebt. Im Januar 1820 startet man dann sein eigenes Abenteuer als Kapitän in Nantucket. Nur muss man ganz klein anfangen: Auf einer Sloop mit einem Mast, die gerade mal sechs Knoten schafft und drei Matrosen Platz bietet. Der Preis für eine Brigg? Satte 5700 Dollar! Und die muss man erstmal erwirtschaften, indem man Aufträge annimmt und Tran & Co verkauft.

Start einer Walfang-Karriere

In der Taverne kann man geeignete Leute anheuern, die negative oder positive Merkmale besitzen, aber bei weitem nicht so personalisiert sind wie etwa in Darkest Dungeon. Und es dauert viel zu lange, bis man mal einigermaßen interessante Charaktere findet. Immerhin kann man sie über ihren Arbeitseinsatz sowie Attribute nach dem Aufstieg weiter spezialisieren. Hat man genug Wasser, Essen und Rum eingekauft und vielleicht einen Auftrag in der Zeitung angenommen, die übrigens für jeden Monat authentische Nachrichten der damaligen Zeit anbietet, kann es auch schon losgehen mit der Walfang-Karriere. Die beschränkt sich nicht auf den Atlantik, denn man kann den kompletten Erdball umschiffen, wobei die bekannten Strömungen und Winde für eine recht authentische Routenwahl sorgen.

Wer Nantucket spielt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er in diesem Strategiespiel in eine Zeit ohne Greenpeace und Tierschutz reist. Hier sind Meeresbewohner monströse Feinde. Man jagt explizit neugeborene, junge und alte Wale, Kraken und Haie, waidet sie aus, profitiert danach von Tran und Fleisch. All das geschieht allerdings nicht in aktiven Kämpfen, sondern rundenweise wie in einem taktischen Kartenspiel mit Spezialaktionen und Würfelglück. Bis zu drei Mann passen in ein Walfangboot, für jeden wird ein W6 geworfen, wobei selbst bei Erfolgen für alle nur einer seine Aktion ausführen darf.

Monotone Kämpfe

Das rundenbasierte Kampfsystem setzt auf Spezialaktionen und Würfelglück.
Und genau das wird in den ersten Stunden recht schnell langweilig, weil man es erstens für den wichtigen Profit ständig wiederholen muss und zweitens immer wieder gegen dieselben jungen Wale mit ihren paar Lebenspunkten antritt. Die attackieren zwar auch, aber haben eigentlich nie eine Chance, wenn man die Harpunen seines Schiffs etwas aufrüstet und seine Crew einigermaßen auf Waljagd hin entwickelt; auch Verletzungen & Co werden umgehend im Hafen geheilt, so dass man sich um sein Personal kaum sorgen muss - kein Vergleich zur taktischen Spannung in Darkest Dungeon oder FTL, auch ein Sunless Sea ist hier mit seinen simplen Echtzeitkonflikten sowie einmaligen Charakteren unterhaltsamer.

Zwar sorgen Regen, Wellengang & Co auch mal für Modifizierungen vor der Ermittlung von Schaden, außerdem gibt es

Auch an Bord wird gekämpft - dann allerdings gegen Piraten.
neben der reinen Attacke auch Ausweichmanöver oder schützende Aktionen, mit denen man Karten kontern kann. Doch meist zieht man den gewürfelten Schaden einfach per Drag&Drop auf den Feind und fertig. So werden die Gefechte schnell zur Routine und es mangelt ihnen gelegentlich an Balance, denn schon recht früh kann man bestimmte Zufallskämpfe gegen Piraten oder weiße Haie, die man acht Runden bei stetig neuen Angreifern aufhalten soll, nur mit sehr viel Glück meistern, weil einfach die Lebenspunkte der Crew nicht ausreichen.

Vorsicht, es gibt auch Piraten!

Immerhin lohnen sich die Spezialisierungen von Schiff und Crew auf lange Sicht, denn der Anspruch steigt: Man kann aus seinem Jäger quasi drei Subklassen entwickeln - "Harpooner", "Men-at-Arms" sowie "Survivor". Nur wer auch Matrosen mit Fähigkeiten im Nahkampf gegen Menschen dabei hat, wird auf Dauer erfolgreich sein - Waljagd ist also nicht alles. Und auch die Kreaturen der Meere gewinnen an Gefährlichkeit, denn die älteren Wale haben plötzlich Kampfnamen und ein Kraken ist nicht so schnell erlegt. Hinzu kommen Gefahren durch Unwetter, Strudel & Co - man kann auch recht schnell sterben. Im normalen Schwierigkeitsgrad darf man dann einen Spielstand laden, wer es härter mag, darf auch mit Permadeath und ohne Sicherung loslegen. Unrealistisch, aber sehr sinnvoll ist, dass alle technologischen Verbesserungen an Harpunen, Ausguck, Frachträumen, Quartieren etc. auch beim Kauf eines

Im Laufe des Spiels deckt man die Karte weiter auf. Routen lassen sich frei wählen.
neuen Schiffes aktiv bleiben. Da man alle vier bis sechs Wochen nur eine Entwicklung meistern kann, sollte man sich die Reihenfolge gut überlegen.

Dass man sich dem Abenteuer trotz der monotonen Abläufe stellt, liegt vor allem an der Story sowie einigen interessanten Zufällen sowie Aufträgen. Immerhin scheint es Moby Dick nach Ahab jetzt auf Ishmael abgesehen zu haben, so dass durchaus das Gefühl des Gejagten entstehen kann. Außerdem gibt es neben der schnöden Jagd auch eine private Story, dazu mal kleine Schatzsuchen oder Erkundungstrips mit ungewissen Ausgang - leider hält sich die Anzahl der Aufträge zu lange in Grenzen, so dass man doch wieder im bekannten Walfangareal auf die Jagd geht. Wobei sich Entscheidungen innerhalb der Dialoge auch im Kleinen auswirken: Wer seine Crew mit Alkohol feiern lässt, kann das Merkmal "Social" bekommen, das wiederum die Moral im Schnitt um zwei erhöht. Schließlich gilt es bei jeder Fahrt genug Vorräte für die Crew dabei zu haben, vor allem Grog, denn sonst sinkt die Moral und es droht eine Meuterei. Je weiter einen die Aufträge führen, desto wichtiger wird die frei wählbare Route, also das Segeln im Wind, zumal es nicht sehr viele Häfen zur Vorratsaufstockung gibt -  es kann sich lohnen, selbst Trockendocks anzulegen, wofür man wiederum Holz und Fähigkeiten benötigt. Auf der Fahrt selbst kann man jederzeit pausieren, um Befehle zu geben oder Leute aufsteigen zu lassen.

Fazit

Moby Dick gehört zu meinen Lieblingsromanen. Aber so sehr ich das literarische Thema von Nantucket mag, werde ich mit dem Strategiespiel auf lange Sicht nicht warm. Während ich in FTL, Darkest Dungeon oder dem am ehesten vergleichbaren Sunless Sea dutzende Stunden verbracht habe, langweilt mich die Routine des Walfangs hier zu schnell. Vor allem die monotonen Rundenkämpfe, die mich zum taktisch wenig anspruchsvollen Grind für Profit verdonnern, haben genervt. Immerhin sorgen einige interessante Aufträge, die Entscheidungen mit Konsequenzen sowie die direkte erzählerische Anknüpfung an den Roman von Herman Melville für genug Neugier. Außerdem lohnt es sich, seine Crew und sein Schiff zu spezialisieren, denn der Anspruch steigt. Aber obwohl das italienische Team der Picaresque Studios das Flair der Zeit mit seinem gediegenen Artdesign sowie Seemannsliedern durchaus einfängt, vermisst man auch visuell mehr Abwechslung und Dynamik - man landet ständig in identisch designten Häfen, sieht die immer gleichen Portraits, kann auf der Weltkarte nicht zoomen. Kein spektakulärer Fang für die Ewigkeit, aber für verregnete Januarnachmittage mit Pharisäer durchaus geeignet.

Pro

  • Strategiespiel mit Moby-Dick-Thematik
  • Charaktere und Schiff entwickeln
  • Zufallsereignisse und Quests
  • Entscheidungen mit Konsequenzen
  • An- und Verkauf von Waren
  • freie Routenwahl auf allen Weltmeeren
  • Strömungen/Winde und Vorräte beachten
  • authentische Nachrichten der Zeit
  • stimmungsvolle Seemannsgesänge
  • zwei Schwierigkeitsgrade
  • manuelles Speichern

Kontra

  • monotone Abläufe
  • recht ödes Würfel-Kampfsystem
  • zu wenig Aufträge
  • wenig interessante Crewauswahl
  • Probleme in der Balance
  • Häfen und Figuren sehen alle gleich aus
  • kein Zoom auf der Karte
  • keine deutschen Texte

Wertung

PC

Monotone Spielabläufe, interessante Story. Kein spektakulärer Fang für die Ewigkeit, aber für verregnete Januarnachmittage mit Pharisäer durchaus geeignet.

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