Lost Sphear - Test, Rollenspiel, Switch, PC, PlayStation4

Lost Sphear
01.02.2018, Marcel Kleffmann

Test: Lost Sphear

Rollenspiel japanischer Art

Nach I Am Setsuna versuchen sich Tokyo RPG Factory und Square Enix mit Lost Sphear (ab 14,89€ bei kaufen) an einem weiteren klassischen Rollenspiel japanischer Bauart. Hinter der Nostalgie, einer schönen Story-Idee und einem aufgebohrten Setsuna-ATB-Kampfsystem verbergen sich jedoch viele Schwächen, Ungereimtheiten und ungenutzte Möglichkeiten. Mehr dazu im Test.

Die Geschichte von Lost Sphear klingt interessant: In der Fantasywelt verschwinden auf einmal ganze Städte, Wälder, Ozeane, Personen und Truhen von der Bildfläche und zurück bleiben nur weiß schimmernde Flächen - und Erinnerungen. Während der Mond eine omnipräsente Rolle einnimmt, fällt auch auf, dass der Tag/Nacht-Wechsel irgendwie fehlt und Monster das Land unsicher machen - vielleicht hängt das ja alles irgendwie zusammen.

Das große Verschwinden

In dieser Welt folgt man Kanata und seinen Gefolgsleuten durch weitläufige leere Landschaften und darf mit seiner einzigartigen Fähigkeit anhand von Erinnerungen, die wiederum auf Gefühlen beruhen, die verschwundene Welt schrittweise wiederherstellen. Erinnerungen erhält Kanata z.B. durch gewonnene Kämpfe gegen Kreaturen,

Mit Erinnerungen kann die Welt wiederhergestellt werden. Hier wird ein Artefakt, eine Art Buff-Turm, errichtet. Danach wird der weiße Bereich der Karte gelüftet.
in Kisten oder in Gesprächen, in dem er Erinnerungskristalle aus bestimmten Schlüsselwörter formt, was wirklich arg simpel gestrickt ist, da  viele Erinnerungen lediglich schnöde Sammelgegenstände sind. Hat Kanata alle Erinnerungszutaten zusammen, können Landstriche wiederhergestellt, Personen zurückgeholt oder Artefakte (Gebäude, die Kampfboni einbringen) auf der Weltkarte materialisiert werden.

Wenn sich die Geschichte, die hauptsächlich auf kleinen Texttafeln mit maximal drei Zeilen fortgeführt wird (keine Sprachausgabe; aber deutsche Texte), wirklich um die Natur der Welt, die Erinnerungen und die Gefühle konzentriert, dann ist Lost Sphear interessant - gerade ab der zweiten Hälfte. So ist es zum Beispiel sehr gelungen, wenn man die Erinnerungen an eine verschwundene Person mit der Hilfe von anderen Menschen zusammenträgt und anhand ihrer Aussagen die Vermisste wieder herbringt.

Eine Geschichte zum Vergessen?

Nur leider wird das Potenzial der Geschichte und die Verstrickung mit einem garantiert nicht bösen Imperium durch viele aufgeblasene und unnötige Dialoge in die Länge gezogen - vieles erscheint als hohles "Blabla", das weder Story noch Charaktere voranbringt. Hinzukommen vorhersehbare Entwicklungen und peinliche bzw. witzig gemeinte Momente mit Fremdschämfaktor zum Kopfschütteln.

Seltene Veränderungen des Kamerawinkels verleihen der Welt zusätzliche Tiefe.
Manche Teile der Geschichte oder Charaktere hätte man einfach weglassen können, um dem weitgehend linearen Spielablauf zu straffen. Bis die interessante Geschichte an Fahrt aufnimmt, muss man gehörig die Zähne zusammenbeißen, denn gerade der Auftakt ist langwierig und mit teils ätzenden Dialogen ausstaffiert. Und trotz der vielen Texttafeln will es dem Spiel einfach nicht gelingen, Charaktere zu schaffen, die über die typischen Archetypen, die sich in einem Satz beschreiben lassen (wie der gutherzige Trottel, der Geschichtenopa, der mysteriöse Heißsporn), hinausgehen. Sogar die leichtgläubige Hauptfigur bleibt erschreckend blass - quasi ein Held zum Vergessen.  

Da sich aufgrund der limitierten Grafikmöglichkeiten nur schwer die Reaktionen der Charaktere darstellen lassen, erscheinen manchmal Ausrufe- oder Fragezeichen oder Tränchen über ihren Köpfen, um ihre Emotionen oder die Verwunderung zum Ausdruck zu bringen, was schon irgendwie niedlich wirkt. Animierte Zwischensequenzen oder comichafte Szenen zur Story-Fortführung, wie es zum Beispiel Battle Chasers: Nightwar vorgemacht hat, fehlen.

Erinnerung auf Knopfdruck.
Ansonsten ist die Inszenierung karg, hölzern und bisweilen peinlich witzig - wenn zum Beispiel Figuren andere Figuren im Eiltempo mit nur wenigen Animationsstufen ungelenk umrennen. Bei diesem inszenatorischen Minimalismus ist es ungewöhnlich, dass die Geschichte an manchen Stellen überraschend an emotionaler Intensität zulegt und das ist einzig und allein dem Soundtrack von Miyoshi Tomoki zuzuschreiben, der zwar nicht immer, aber an vielen Stellen den passenden Ton zum Geschehen trifft.

Spärliche Inszenierung

Zwischen den Schauplätzen, deren Qualität zwischen arg leblos, stinklangweilig und überraschend gelungen schwankt, bewegt man sich auf der Weltkarte von Ort zu Ort (zu Fuß, mit dem Schiff oder in der Luft). Zufallskämpfe gibt es auf der Weltkarte nicht. Auf der Übersichtskarte dreht sich alles um Fortbewegung/Reise, Artefaktbau und Rohstoffsammlung - mit mäßig gelungener und eher zweckmäßiger als schöner Grafik, wobei sich die eigentlich wichtigen Interaktionsorte kaum vom Hintergrund abheben.

Weltkarte, Schauplätze und Kämpfe

Trifft man zwischen den Dialogen und dem Inventar-Management auf Gegner, darf gekämpft werden.

Bosskämpfe zählen zu den Highlights und zeigen die Stärken des Kampfsystems.
Als Grundlage dient ein ATB-System (Active Time Battle), das sich als erweiterte Variante der Kämpfe aus I Am Setsuna erweist. Ähnlich wie in Final Fantasy (ab Teil 4), Chrono Trigger und Co. kann man erst mit Waffen oder Magie angreifen bzw. heilen, wenn die Aktionsleiste der eigenen Charaktere gefüllt ist. Drückt man dann zum richtigen Moment eine weitere Taste, sofern eine Momentum-Aufladung vorhanden ist, wird die Attacke durch das Setsuna-System verstärkt (Dauerdrücken der Taste reicht übrigens).

Wie in anderen Japan-Rollenspielen unterteilt sich das Spielgeschehen in Lost Sphear also in drei Teile: Bewegung auf der Weltkarte, die Erforschung der Schauplätze und die Kämpfe auf Schlachtfeldern.

Erweiterte Setsuna-Kämpfe

Im Vergleich zu I Am Setsuna sind die Kämpfe nicht mehr ganz so einschläfernd und belanglos. So lassen sich die Positionen der Charaktere bei der Platzierung der Angriffe nun verändern und daher können mehrere Gegner bei geschickter Platzierung von Attacken getroffen werden. Dadurch sind die Kämpfe weniger statisch.

Die Positionen der Kämpfer lassen sich verändern. Flächenangriffe können so mehrere Gegner gleichzeitig treffen.
Hinzugesellen sich verbesserbare Waffen, weitreichend anpassungsfähige Fertigkeiten/Zauber und die "Vulcosuits". Letztere sind Kampfroboter/Mechs, in welche die vier aktiven Charaktere einsteigen können. In den "Vulcosuits" verfügen sie über neue Fähigkeiten und können mehr Schaden einstecken. Allerdings kosten die Vulcosuit-Aktionen bestimmte "Vulcosuitpunkte", die sich seltsamerweise nur im Gasthaus beim Schlafen auftanken lassen. Man muss sich also überlegen, wann und wo man diese Fertigkeiten einsetzen will.

Durch diese Neuerungen werden die taktischen Kämpfe etwas komplexer, nur sind die meisten gegen die putzig bis bescheuert aussehenden Standard-Kreaturen ohnehin zu einfach und erfordern nicht einmal komplexere Fähigkeitenreihen - zumal gestorbene Charaktere einfach (mit wenig Lebenspunkten) wiederbelebt werden. Durch die verbesserbaren Gegenstände und die Artefaktturmboni wird die Party zu schnell zu stark für die normalen Kämpfe (auf Schwierigkeitsgrad „Normal“). Erst bei längeren Bosskämpfen, sofern diese nicht mit fast unfairen Bombastflächenangriffen beginnen, muss man die Fertigkeiten der Charaktere besser aufeinander abstimmen. Manche Bosse verfügen zudem über Fertigkeiten, die Party-Mitglieder mit einem Angriff töten, was sicherlich nicht ideal gestaltet ist. Verbesserungsbedürftig sind gleichermaßen die verschachtelten Menüs, die oft zu spät erklärten Fähigkeiten/Systeme und die PC-Umsetzung im Allgemeinen.

Alle Einstellungsmöglichkeiten der PC-Version auf einen Blick. Mehr gibt es nicht.

Die getestete PC-Version bietet nur ein Minimum an Grafik-Optionen (Vollbild/Fenster und vier Auflösungen). Maus-Unterstützung fehlt gänzlich. Bei der Steuerung der Kämpfe und beim Inventarsystem wäre eine Maus hilfreich gewesen. Anpassbare Tastenbelegungen gibt es nicht. Die Standard-Tastenbelegung ist schon etwas seltsam (zurück im Menü ist zum Beispiel K). Generell ist die Steuerung auf Gamepad/Controller ausgelegt. Zwischendurch waren gelegentlich kleine Ruckler zu beobachten, die bei solch einer Grafikkulisse eigentlich nicht passieren dürften.

PC-Umsetzung

Fazit

Nach I Am Setsuna ist Tokyo RPG Factory und Square Enix auch mit Lost Sphear nicht der große Wurf gelungen. Die Entwickler haben zwar das Kampfsystem aufgewertet und deutlich vertieft, dabei aber irgendwie vergessen, die Gefechte gegen normale Gegner interessanter, fordernder oder gar überraschend zu gestalten - sie sind zu einfach und zu schnell vorbei. Erst wenn die Roboteranzüge zum Einsatz kommen, wird es etwas unterhaltsamer, sofern Bosskämpfe nicht mit ungeschickten Soforttod-Mechaniken nerven. Ansonsten kümmert man sich in dem Rollenspiel nach klassischer japanischer Bauart um die Wiederherstellung einer verschwindenden Welt anhand von Erinnerungen. Daraus machen die Entwickler zu wenig, weil der Held diese meist schnöde einsammelt und Entscheidungen oder Wahlmöglichkeiten fehlen. Es gibt nur wenige emotionale Höhepunkte in den mäßig inszenierten Gesprächen in schnöder Textform, zumal viele Dialoge zu lang, zu unfokussiert oder zu peinlich sind - gerade der Auftakt ist hochgradig langweilig. Zudem wollen die Charaktere und vor allem der Hauptcharakter nicht wirklich in Erinnerung bleiben. Es sind die interessante und weitläufige Spielwelt, die zahlreichen Aufwertungsmöglichkeiten, die längeren Kämpfe und die meist gelungene Musikkulisse, die zum Weitermachen motivieren. Wenn man sich Zeit lässt, beträgt die Spieldauer ungefähr 20 Stunden, wobei der Vollpreis (50 Euro) bei der schnöden Grafik und der lieblosen PC-Umsetzung unverständlich ist. Und mit dem Remake von Secret of Mana vor Augen sowie dem anstehenden Project Octopath Traveler wird Lost Sphear schnell in Vergessenheit geraten.

Pro

  • interessante Story-Prämisse
  • weitreichend anpassbare Fähigkeiten/Zauber
  • ordentlich erweitertes Kampfsystem gegenüber I Am Setsuna
  • meist gute Musikuntermalung
  • nett eingesetzte Kamerawinkeländerungen
  • größtenteils gute deutsche Übersetzung
  • drei Schwierigkeitsgrade, nettes Hilfesystem

Kontra

  • Balance-Macken: Standard-Gegner zu leicht; Boss-Stärke schwankend
  • einfach gestrickte Charaktere; Erinnerungssystem ist viel zu simpel
  • sehr sparsame und hölzerne Inszenierung
  • stark schwankende Dialogqualität
  • unglücklicher und holpriger Einstieg
  • Sublimierungen sind zu stark
  • weitgehend linear; kaum Nebenaufgaben
  • Geschichte mit unnötig viel Leerlauf und Ballast
  • detailarme und oft karge Spielwelt
  • verschachteltes Menüsystem
  • lieblose PC-Umsetzung (Steuerung, Grafik-Optionen, Ruckler; keine Maus)

Wertung

PC

Die PC-Umsetzung des Japan-Rollenspiels wirkt lieblos und geizt mit Optionen und Einstellungsmöglichkeiten.

PlayStation4

Lost Sphear enttäuscht trotz guter Story-Ansätze und einem besseren Kampfsystem als in I Am Setsuna, da es zu langatmig, zu dröge und zu unfokussiert ist.

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