Where the Water Tastes Like Wine - Test, Adventure, Linux, Mac, PlayStation4, Switch, XboxOne, PC

Where the Water Tastes Like Wine
29.03.2018, Benjamin Schmädig

Test: Where the Water Tastes Like Wine

Stille Post

Die Vereinigten Staaten Mitte der 30er Jahre: Die Golden Gate Bridge ist gerade im Entstehen, die Große Depression hat eine weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst, in den USA sind ein Viertel aller Menschen arbeitslos. Das ist die Bühne, auf der Johnnemann Nordhagen über die Mythen und Legenden erzählt, von denen ‘Merica getragen wurde. Where the Water Tastes Like Wine ist ein Spiel wie kein zweites – ob es ein gutes Spiel ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Endlich trifft der Begriff mal zu, denn in Where the Water Tastes Like Wine geht man tatsächlich auf Wanderschaft. Warum? Weil man zu hoch gepokert und verloren hat. Der Einsatz war ein Versprechen, das man dem Gewinner gab, einem Mann mit dem Gesicht eines Wolfs. Und der hat einen ungewöhnlichen Wunsch: Er will Geschichten hören, aber nicht irgendwelche. Wahre Geschichten sollen es sein, denn die meisten wären vom Hörensagen verfälscht.

Wander-Simulator

Und so wandert man über eine wie auf Leinwand gemalte Karte der USA, um in Städten sowie an Lagerfeuern, Farmen oder vereinzelten Häusern Erzählungen zu sammeln. Dafür steuert man einen markierten Ort an, verfolgt die mit Zeichnungen und

Die USA zur Zeit der Großen Depression sind Schauplatz der Geschichte/n.
Texten vorgetragenen Ereignisse und zieht weiter. Filmszenen gibt es nicht; alle Begebenheiten werden wie ein Hörbuch von dem Mann mit dem Wolfsgesicht vorgetragen, visualisiert nur von thematisch passenden, farbigen Skizzen.

Dieser Wolfsmann, gesprochen übrigens von Sting, ist dabei wegweisend, nicht nur als Auftraggeber, sondern auch als Symbol für die Mischung aus fiktiven, aber potentiell alltäglichen sowie übernatürlichen Erlebnissen, die wohl kaum der Realität entsprungen sein können... die sprechende Schlange etwa, die einen makaberen Glücksbringer bewacht, oder die unheimliche Kreatur, deren rote Augen durch den Regen in Detroit starren.

Romantik und Realismus

Johnnemann Nordhagen und 15 weitere Autoren zeichnen ein ebenso romantisches wie realistisches Bild des damaligen Amerika. Sie sprechen soziale, politische, wirtschaftliche und rassistische Themen an, ohne sie wie Lehren vorzutragen. Der Zeitgeist ist immer nur Hintergrund, vor dem man die Suche nach Arbeit, verheerende Unwetter oder einen Mord erlebt und einfach zuhört, wie Andere von ihrem Leben erzählen.

Johnnemann Nordhagen ist übrigens kein Unbekannter: Der Programmierer gehört zu dem Trio, das für die BioShock-Erweiterung Minerva's Den sowie Gone Home verantwortlich zeichnet.

Es sind außerdem die Geschichten selbst, oft nur wenige Zeilen lang, die hervorragend geschrieben sind und oft einfallsreiche Wendungen nehmen. Mit wenigen Worten lassen die Autoren plastische Umgebungen entstehen, sie regen zum Nachdenken an oder wecken Mitgefühl. Oft staunt und lächelt man noch, wenn das Alter Ego schon längst wieder über die Landkarte wandert.

Der Bann eines Hör-Spiels

Überhaupt ist es die Art und Weise, mit der das Erlebte beschrieben wird, die das Abenteuer auszeichnet. Denn von der vielseitigen, vereinnahmenden Stimme des Erzählers, der fast alle Texte spricht, geht eine magische Anziehungskraft aus.

Grundsätzlich läuft man dabei, wohin man will. Orte, an denen man Geschichten hört oder erlebt, sind nicht fest, sondern können an vielen dafür vorgesehenen Punkten auftauchen. Also wandert man, lauscht dem famosen Soundtrack mit seiner Mischung aus eigens erstellten Kompositionen für z.B. Banjo, Gitarre und Klavier sowie schwungvollen Country-Songs.

Mit Piff!

Wer es eilig hat, pfeift seine eigene Melodie über eine Art Rhythmus-Minispiel, um schneller zu laufen. Streckt man an einem Highway den Daumen nach oben, hält vielleicht ein Auto an. Wer Geld hat, fährt sogar mit dem Zug, wer keins hat, steigt illegal ein – auf die Gefahr hin erwischt zu werden.

Mit dem Zug kommt man am schnellsten voran, da man unmittelbar nach dem Einsteigen am Ziel aussteigt.

Dieses Unterwegssein fängt Where the Water Tastes Like Wine hervorragend ein! Dass alle Autos einer Straße nur in eine Richtung fahren, ist zwar ärgerlich, und auch das ständige kurze Stocken, vermutlich weil neue Inhalte geladen werden, hätte Nordhagen, der auch Programmierer ist, vermeiden sollen. Das stilvolle Umherziehen macht aber einen großen Reiz aus.

In Städten muss man sogar Geld verdienen, um eine Fahrkarte oder etwas ein Essen zu kaufen, denn nach allzu langer Hungerszeit segnet man das Zeitliche. Mit dem Anspruch eines Survival-Abenteuers ist das Wandern natürlich in keiner Weise vergleichbar: Nach einem kurzen Gespräch mit dem Wolfsmann steigt man am letzten Checkpunkt wieder ein – kein Beinbruch also. Sowohl das Geldverdienen als auch das Erkunden der Stadt gehören vielmehr zu den Geschichten, die man erlebt, auch wenn sich manche Begebenheit wiederholt.

Sandwich oder Ticket?

Mehr als 200 dieser Erzählungen gibt es übrigens und es geht gar nicht darum, sie alle kennenzulernen. Der Clou ist vielmehr, dass sie sich verändern. Beobachtet man etwa ein gewaltiges Unwetter, hört man später, wie eine fremde Person von einem riesigen Vogel erzählt, der den Sturm ausgelöst haben soll.

Beim Laufen lauscht man dem tollen Soundtrack oder pfeifft mit einer Art Minispiel eine eigene Melodie.

An dieser stillen Post ist der Mann mit dem Wolfsgesicht aber gar nicht interessiert. Ihn interessieren die wahren Erzählungen – und die erhält man ausschließlich von 16 Charakteren, die man an im ganzen Land verstreuten Lagerfeuern trifft. Und freiwillig rücken die ihre Geschichten selbstverständlich nicht raus! Vielmehr wollen sie mal lustige, mal traurige, mal aufmunternde Dinge hören, bevor sie von ihrem eigenen Leben erzählen. Also wühlt man im Inventar alles bisher Erlebten, um genau das zu erreichen.

Where the Water Tastes Like Wine ist nicht nur eine Geschichte mit Mythen und Legenden. Es ist die Geschichte davon, wie diese überhaupt entstehen; wie sie wandern, sich verändern und wie in jedem Flaks vielleicht ein Fünkchen Wahrheit steckt.

Nur die Wahrheit zählt

Zwei geschickte Kniffe unterstreichen dabei das Thema des Spiels auf clevere Art. Zum einen werden die Geschichten im Inventar zwar unter ihrem ausführlichen Titel abgelegt, komplett nachlesen kann man sie aber nicht. Zum anderen sind sie in Kategorien unterteilt, die recht wenig mit der emotionalen Wirkung zu tun haben, die sich ein Gesprächspartner am Lagerfeuer erhofft. An Einzelheiten muss man sich daher selbst erinnern.

Manche Geschichten bleiben hängen...


Vergissmeinnicht

Man kennt das: Manche davon bleiben besser im Gedächtnis als andere, einige verschwinden sogar – was spätestens dann interessant wird, wenn der Titel längst ein anderer ist, weil sich die Geschichte im Laufe der Zeit ja verändert hat. Oder... hieß diese hier nicht schon immer so?

Und so liest man nicht nur davon, dass sich Erlebnisse beim Hörensagen verändern. Man spürt auch, warum das geschieht. Man trägt selbst dazu bei, dass sich eine alltägliche Begebenheit zum verschwommenen Zerrbild verändert und versteht, wie sie zum Mythos werden kann. Klasse, dass Nordhagen diese Veränderung so überzeugend vor Augen führt!

Genau deshalb ist es allerdings auch schade, dass die Unterhaltungen mit den 16 Figuren am Lagerfeuer nicht wie glaubwürdige Unterhaltungen ablaufen, sondern im Wesentlichen daraus bestehen, eine richtige Geschichte nach der anderen anzuklicken. Erschwerend kommt hinzu, dass man nicht alle Erzählungen bei jedem Plausch verwenden darf, sondern nur eine begrenzte Auswahl aktuell aktiver. Bevor man sich an ein Feuer setzt, muss man also anhalten, um zu überlegen, welche Geschichten die dort sitzende Person schon kennt und welche Art von Erzählungen sie gerne hört – was ein

... andere vergisst man. Spielerisch wichtig sind die Geschichten am Lagerfeuer.
ebenso spaßfreier wie langwieriger Vorgang ist.

Nicht jede Geschichte zählt

Dummerweise wird man dadurch ausgerechnet beim Komplettieren der 16 zentralen Geschichten zu einem lustlosen Abarbeiten motiviert. Denn wer merkt sich schon, welcher NPC was bereits gehört hat – und wozu sollte man sich die Mühe machen, wenn es einfacher geht? "Besser" läuft man nämlich zum Lagerfeuer, an dem sich ein Gesprächspartner als nächstes angekündigt hat, wechselt die aktiven Geschichten, feuert sie ab und wiederholt das Ganze, bis man alles aus der jeweiligen Person herausgeholt hat. Dieses Vorgehen dürfte nicht im Sinne des Erfinders sein.

Glück im Unglück: Man muss das nicht tun. Zumal man es leichter hat, wenn man bald ausreichend viele der 16 Hauptfiguren getroffen hat. Denn deren Geschichten haben immer den von einem Gesprächspartner gewünschten Effekt. Trotzdem hätte es dem Abenteuer gutgetan, wenn Nordhagen nicht auf diese Weise zum Abklappern des roten Fadens animiert hätte.

Fazit

Where the Water Tastes Like Wine ist ein Abenteuer wie kein zweites: Kein anderes Spiel fängt das freie Wandern so stimmungsvoll und auch inhaltlich überzeugend ein. Inhaltlich vor allem deshalb, weil man beim Zuhören der vielen hervorragend geschriebenen und fesselnd vorgetragenen Geschichten in eine atmosphärisch dichte Welt gesogen wird. Während man – am besten ganz ohne Ziel – umherläuft, lässt man sich vom famosen Soundtrack tragen oder trällert sein eigenes Lied. Man muss schmunzeln, lernt traurige Schicksale kennen, trifft auf gefährliche Gestalten und wird immer wieder von cleveren Wendungen überrascht. Es ist bedauerlich, dass man ausgerechnet das Zusammentragen der 16 zentralen Geschichten wie dröge Sammelquests abspulen kann. Weil man aber Zeuge wird, wie sich sogar das selbst Erlebte verändert, wie aus gewöhnlichen Ereignissen Mythen werden – auch weil man selbst Teil dieser stillen Post ist –, hat Johnnemann Nordhagen ein einzigartiges und außergewöhnlich gutes Erlebnis erschaffen.

Pro

  • einzigartiges Beschreiben der Eigenheiten von Erzählungen und Mythen
  • einfallsreiche, hervorragend geschriebene Geschichten, vorgetragen von vereinnahmender Erzählstimme
  • Trampen, Zugfahren, Campen und mehr erzeugen ein stimmiges Gefühl unterwegs zu sein
  • kleine Entscheidungen beeinflussen Verlauf der Kurzgeschichten
  • hervorragender, abwechslungsreicher Soundtrack

Kontra

  • Gespräche mit zentralen Figuren sind zu deutlich als Abgabesysteme für Sammelquests erkennbar
  • häufiges, sehr kurzes Stocken beim Wandern

Wertung

PC

Stimmungsvolles Abenteuer über ein Land und seine Mythen.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.