Headhunter - Test, Action-Adventure, Dreamcast, PlayStation2

Headhunter
21.11.2001, Jörg Luibl

Test: Headhunter

Was haben PlayStation-Spieler, was Dreamcast-Spieler nicht haben? Na? Genau: Stealth-Action à la Metal Gear Solid. Und während sich PS2-Besitzer hierzulande noch bis zum nächsten Jahr gedulden müssen, um durch Teil 2 zu schleichen, haben die schwedischen Entwickler von Amuze allen Sega-Fans einen Herzenswunsch erfüllt: Mit Headhunter (ab 43,90€ bei kaufen) betritt Kopfgeldjäger Jack Wade die Konsolen-Bühne - er schleicht, er schießt, er rast und er heizt Solid Snake & Co ordentlich ein. Unser Test verrät Euch, ob das Action-Adventure in Hitregionen vorstoßen kann!

Im Jahr 2019 ticken die Uhren in Kalifornien anders: Die Regierung pfeift auf Pressefreiheit, übt eine absolute Medienkontrolle aus und bezahlt die Profi-Sherriffs von ACN (Anti-Crime-Network), um dem organisierten Verbrechen Herr zu werden. Nebenbei floriert der Organhandel - bevorzugt mit Frischware aus Krisengebieten. In diesem Szenario übernehmt Ihr die Rolle von Kopfgeldjäger Jack Wade, der in einem Krankenhaus aufwacht, sich erst allmählich an seine Vergangenheit erinnert und bestürzt feststellt, dass er seine Lizenz neu erwerben muss. Und weil sich gerade eine attraktive und vor allem zahlungskräftige Auftraggeberin für seine Fähigkeiten interessiert, nimmt Jack den Job an. Im Laufe des Spiels gerät der einsame Jäger nicht nur zwischen die Fronten, sondern lüftet Stück für Stück das Geheimnis seiner eigenen Vergangenheit...

Kopfgeldjäger mit Kopfweh

Bevor Ihr so richtig loslegen könnt und Euch in Schulterperspektive durch die weniger schönen Viertel Kaliforniens schleicht, müsst Ihr die erste Kopfgeldjäger-Lizenz erwerben: Sobald Ihr die vier virtuellen Übungen (Motorradrennen, Schleichen, Schusswaffeneinatz und Trainingslevel) bestanden habt, winken Lizenz C, erste Waffen und Zugang zum Datennetzwerk. Je höher die Lizenz, desto besser sind Ausrüstung und Verbrecher-Informationen - insgesamt gibt es fünf Lizenzen (C, B, A, AAA, *). Das Tutorial ist sehr gut gelungen und jedem Anfänger wärmstens zu empfehlen, um sich schon mal an den fordernden Schwierigkeitsgrad zu gewöhnen, der so manchen Einsteiger abschrecken wird. Nur wenn Ihr die Steuerung perfekt beherrscht, lässt sich das virtuell Headhunter-Leben in die Länge ziehen. Warum der Übungsteil allerdings den im späteren Spielverlauf wichtigen "Stealth Kill" nicht praktizieren lässt, bleibt ein Rätsel.

Üben, üben, üben

Weil die Steuerung von Jack Wade über Analog-Stick nicht nur absolut flüssig von der Hand geht, sondern auch zahlreiche Bewegungen möglich macht (ducken, abrollen, rennen, in Deckung gehen, aus der Deckung schießen, anschleichen), ist die Verbrecherjagd sehr abwechslungsreich. Die automatische Zielfunktion lässt während der Kämpfe nichts zu wünschen übrig; per Knopfdruck entscheidet Ihr in heiklen Situationen wen oder was Ihr aufs Korn nehmt. Die Locations bieten zudem zahlreiche zerstörbare und vor allem hoch explosive Ziele, die so manchen Gegneransturm mit einem Schuss in Asche verwandeln.

Jack Wade kann alles

Trotzdem entscheidet Ihr, ob Ihr Euch lieber à la Max Payne durch enge Korridore ballert, oder lieber unauffällig vorgeht und ab und zu den lautlosen Tod per "Stealth Kill" ansetzt. Die KI der Gegner ist übrigens sehr gut gelungen und basiert auf dem Sichtfeldradius, den Ihr immer per Minimap im Auge habt. Spätestens bei den Boss-Kämpfen kommt es auf die richtige Taktik und Köpfchen an - hier haben sich die Entwickler wirklich einiges einfallen lassen. Im direkten Vergleich zu Metal Gear Solid liegt der Fokus von Headhunter zwar deutlicher auf dynamischer Action und nicht so stark auf der lautlosen Tour, aber manche Levels sind nur lautlos und mit Betäubungspistole zu bewältigen. Und obwohl die Rätseleinlagen mit den diversen Gegenständen, verschiebbaren Kisten und Mini-Spielchen nicht an die Komplexität von Resident Evil: Code Veronica X heranreichen, sorgen sie für Abwechslung vom harten Jäger-Alltag und die nötige Adventure-Würze.

Auf die Payne- oder die Snake-Tour?

...eine Mischung aus vielen altbewährten Top-Titeln. Headhunter bedient sich zwar offensichtlich bei Metal Gear Solid (Kontakt zu Auftraggeberin per Bilduhr; charakteristische Endgegner; Sichtfeldradius der Gegner etc.) und Resident Evil (Perspektive, Rätsel, Datenbank), kann aber ein ganz eigenes Flair vermitteln. Jack Wade wird aufgrund der packenden Story als authentische Helden-Figur neben Solid Snake und Claire Redfield etabliert: Er ist cool, smart und fährt mit seinem Top-Gun-Moped wie ein Wahnsinniger durch den Sonnenstaat. Mancher PC-Spieler wird sich sogar an Max Payne erinnert fühlen, besonders wenn man sich schwer bewaffnet durch enge Gänge schießt - Jack Wade hat eben auch nichts zu verlieren.

Headhunter spielt sich wie...

Der Spielablauf ist trotz der abwechslungsreichen Aufträge weitestgehend linear und - leider - streng gegliedert: Lizenz aufwerten, aufs Motorrad schwingen, angezeigte Location anfahren, säubern und Endgegner besiegen. Ihr könnt diesen Zyklus nicht durchbrechen und seid nach erfolgreichem Bosskampf z.B. gezwungen, zunächst Eure Fahrerqualitäten zu verbessern: Möglichst ohne Unfälle gilt es durch die Stadt zu rasen, um bei Höchstgeschwindigkeit die begehrten Punkte zu ergattern; jeder Aufprall sorgt für Punktverlust. Weil man in der Stadt aber bei weitem nicht die Interaktionsmöglichkeiten hat wie bei GTA 3, weder Polizei noch Zivilisten begegnet und auch keine Wettrennen auf dem Programm stehen, wird dieses Racing-Element schnell eintönig - auch die versprochenen Online-Features fehlen.

Kann Schema F spannend sein?

Dennoch können die unerwarteten Storywendungen-Rollentausch inbegriffen- eine Spannungskurve aufbauen, die Euch motiviert zum nächsten Auftrag rasen lässt. Hinzu kommt der Reiz der neuen Ausrüstung, die nach jeder erfolgreichen Lizenzaufwertung auf den Kopfgeldjäger wartet: Neue oder verbesserte Waffen, ein Kampfgürtel für mehr Items und der Zugang zu noch nicht bekannten Top-Secret-Dateien sorgen trotz sich wiederholender Gameplay-Abläufe für Langzeitmotivation. Und schließlich ist da noch Hank Redwood, die Kopfgeldjäger-Arroganz in Person, die Euch mit miesen Sprüchen daran erinnert, dass Ihr nichts drauf habt - also ab ins Trainingslager, um seine Rekorde zu brechen!

Optisch präsentiert das Amuze-Team einen Leckerbissen, der es in vieler Hinsicht mit Shenmue aufnehmen kann - ruckelfrei versteht sich: Zwar sind die Städte weniger belebt -eigentlich fahren nur Autos durch die Gegend- und NPCs eher Mangelware, aber dafür sind die Ausmaße der Stadtbezirke überwältigend, die Innenräume und die Charaktere äußerst detailliert. Und Jack Wade bewegt sich besser animiert und ist feiner texturiert als sein Shenmue-Pendant Ryo. Hinzu kommen herrliche Echtzeit-Schatten, die es so bisher bei keinem Dreamcast-Helden zu sehen gab, und tolle Explosionseffekte: Scheiben zerbersten in tausend Stücke, Öllachen gehen in Flammen. Auch die computeranimierten Zwischensequenzen sind sehr gekonnt in Szene gesetzt, versprühen ein düster-ironisches Endzeit-Flair und erinnern angenehm an die hohe Qualität von Konami- oder Capcom-Produkten.

Kalifornien lebt!

Ein großes Lob hat sich auch der Soundtrack verdient, der an keiner Stelle stört und den einsamen Kopfgeldjäger mit einer heroisch anmutenden Rocky-Ballade bei Laune hält. Auch die Soundeffekte können sich hören lassen - egal ob Schritte, Explosionen oder Umgebungsgeräusche. Nur das Motorengejaule von Jacks High-Tech-Feuerstuhl hört sich bei hohen Drehzahlen ein wenig zu schrill an. Die englische Sprachausgabe ist dagegen sehr hörenswert.

Pro:

  • packende Story


  • sehr gute Grafik


  • toller Soundtrack


  • saubere Steuerung


  • jederzeit speicherbar


  • vielfältiges Gameplay


  • gelungenes Leveldesign


  • sehr gute Zwischenfilme


  • überzeugende Animationen


  • abwechslungsreiche Endkämpfe


  • Kontra:

  • unbelebte Städte


  • linearer Spielablauf


  • eintönige Motorrad-Action


  • versprochene Online-Modi fehlen


  • teilweise happiger Schwierigkeitsgrad


  • Vergleichbar mit:

    Metal Gear Solid; Operation Winback; Resident Evil-Reihe

    Fazit

    Kann es eine schönere Grabbeigabe für eine Konsole geben als ein Top-Spiel? Mit Headhunter können Dreamcast-Fans endlich auf cineastisch inszenierte Stealth-Action zugreifen, die sich nicht hinter Metal Gear Solid verstecken muss. Zwar sind die Anleihen beim PlayStation-Kultspiel nicht zu übersehen, aber durch den selbstironischen Touch, den betonteren Action-Teil und die herrlich inszenierte Story kann sich Headhunter voll und ganz als eigenständiges Spiel etablieren. Wer ein spielerisch abwechslungsreiches und optisch hervorragend designtes Action-Adventure sucht, wird um den Kopfgeldjäger nicht herumkommen. Nur der lineare Spielablauf, die eintönigen Motorrad-Sequenzen und die unbelebten Stadtviertel verwehren Headhunter den Platin-Award - knapp daneben, aber trotzdem absolut empfehlenswert!

    Wertung

    Dreamcast