We Happy Few - Test, Action-Adventure, PC, XboxOne, XboxOneX, PlayStation4, PlayStation4Pro
Lange sah es so aus, als ob We Happy Few versuchen würde, sich als weitgehend klassisches Survivalspiel inkl. Ressourcen-Management mit Spielen wie Ark, Conan Exiles, 7 Days to Die usw. messen zu wollen. Zumindest war dies der Eindruck, den die ersten Preview- bzw. Early-Access-Versionen auf Xbox One und Steam hinterließen. Dass zusätzlich ein herrlich absurdes Bild eines alternativen England gezeichnet wurde, in dem sich die Bevölkerung hinter „fröhlichen“ Masken versteckte und sich mit der staatlich verabreichten Droge „Joy“ eine eigene Realität schuf, der man als Spieler entkommen musste, fachte die Neugier zusätzlich an. Doch egal ob von langer Hand geplant, ob es ursprünglich so konzipiert war oder ob erst mit dem Einstieg von Gearbox die Entscheidung gefällt wurde: Im momentanen Zustand ist We Happy Few ein mehr oder weniger klassisches Action-Adventure aus Ego-Sicht, das um Überlebenselemente wie Hunger und Durst sowie ein Erfahrungs- bzw. Figurenaufstiegs-System ergänzt wurde.
Vom Survival-Abenteuer zum storylastigen Action-Adventure
Wo ist die Freude?
Das Schleichen in Egosicht z.B. ist in seiner Einfachheit gelungen. Geht man in die Hocke, kann man sich nicht nur hinter Kisten vor den neugierigen Blicken feindlich gesinnter Figuren schützen. Auch in Sonnenblumenfeldern ist man weitgehend sicher – es sei denn, die Gegner laufen bei ihren Patrouillen in einen hinein. Dem kann man jedoch entgehen, indem man ihre Laufwege beobachtet, wobei man in der Hocke auch durch Wände und andere Hindernisse hindurch ihre Spuren ähnlich wie bei Horizon: Zero Dawn verfolgen darf. Selbstverständlich darf man sie auch aus dem Hinterhalt ausschalten, wobei man tunlichst darauf achten sollte, die betäubten oder getöteten Opfer zu verstecken, da die Entdeckungs-KI durchaus aufmerksam ist. Doch abseits der Entdeckung reagiert die KI bei weitem nicht so überzeugend. Hat man ihre Wege einigermaßen ausbaldowert, kann man die Gegner meist einen nach dem anderen ausschalten. Und ihre Platzierung in den linearen Abschnitten der Hauptmission (z.B. in Laboratorien, Kasernen etc.) sorgt dafür, dass man tunlichst nicht an frontale Auseinandersetzungen denken sollte. Gegen einzelne Feinde hat man mit dem auf Ausdauer basierendes Kampfsystem mit Block und simplen Angriffen kein Problem. Muss man jedoch gegen drei, vier oder mehr antreten, hat man nahezu keine Chance mehr. Das wiederum vermittelt das Gefühl, dass mir die Entwickler quasi vorschreiben, wie ich mich zu verhalten habe. Für ein Spiel, das Individualität und Freiheit thematisiert, ist das eine bedauerliche Einschränkung.
Die Fassade bröckelt
Auch das Sammeln von Rohstoffen samt umfangreicher Crafting-Möglichkeiten für Waffen, Kleidung, Heil- oder sonstige Hilfsmittel wie Dietriche, Brechstangen, Störsender etc. wird irgendwann zu einem notwendigen Übel. Als dessen Folge läuft man irgendwann wie wild durch Räume oder Straßen und klickt alle Behältnisse im Schnellverfahren an, um evtl. dort
versteckte Rohstoffe zu sammeln, die einem gefährlich schnell das durch ein Maximalgewicht eingeschränktes Inventar verstopfen. Abhilfe schaffen die Lager, die man finden und gelegentlich von Umwelteinflüssen oder Gegnern räumen muss, bevor man sie auch als Schnellreisesystem nutzen darf. Hier findet sich eine Maschine mit unendlichem Platz. Und man kann bei der Gegenstandsherstellung von überall auf sein Lager zugreifen – eine gute Idee, die allerdings inkonsequent umgesetzt wurde. Denn für Missionen gilt dieser universelle Zugriff nicht. Einer Figur musste ich Nähzeug bringen. Ich wusste, dass ich welches verstaut hatte und konnte im Rahmen des Crafting-Systems auch darauf zugreifen. Aber ich durfte es nicht der Figur geben, die es benötigt. Also zurück ins Versteck und das Nähzeug manuell ins Inventar geschaufelt. Wieder zurück beim Auftraggeber wartet der nächste Schock: Dank eines massiven Bugs hatte er sich von seiner ursprünglichen Position entfernt und war mit einer anderen Aktion beschäftigt, die es mir nicht erlaubte, mit ihm zu sprechen, geschweige denn, etwas in die Hand zu drücken. Dies hätte im Rahmen der Hauptmission zu einem fatalen „Gamebreaker“ werden können, da mein letzter manueller Speicherpunkt sehr weit zurück lag, doch da dies nur eine Nebenaufgabe war, habe ich es stillschweigend geschluckt.Das Für und Wider bzw. die sich zwischen Bugs, Redundanz sowie Story-Faszination wie eine Sinuskurve auf die Motivation legende Bereitschaft, weiterspielen zu wollen, zieht sich durch fast alle Bereiche. Die von Unreal angetriebene Kulisse ist abseits der Klone ansehnlich und schafft es trotz der Zufälligkeit in der Levelgenerierung mit stimmungsvollen Umgebungen zu punkten. Orte, die an Städte wie Stratford erinnern, sind ebenso zu finden wie Straßenzüge, die von London inspiriert scheinen. Doch auf keinem System ist man vor Fehlern gefeit. Hier ploppen simple Passanten, aber auch Figuren, mit denen man gerade noch gesprochen hat, aus dem Bild raus oder wieder rein. Dort geht aus unerfindlichen Gründen die Bildrate spürbar nach unten, nur um sich kurz darauf wieder zu fangen. Selbstverständlich gibt es auch das eine oder andere Clipping oder weitere Probelem mit Kollisionsabfragen zu sehen. Figuren, die auf der Suche nach dem Hauptcharakter kontinuierlich gegen die Wand laufen oder ständig drei Meter von rechts nach links laufen, bis der Alarm abgeklungen ist, gehören zwar nicht direkt in den Engine-Bereich, nerven aber ebenso wie Ruckler oder die überhöht wirkenden PC-Anforderungen.
Gute Ideen, biedere Umsetzung
Fazit
We Happy Few möchte viel. Es leiht sich Elemente des Survival-Abenteuers in einer offen Welt und vermengt sie mit klassischen Mechaniken des Action-Adventures wie Kämpfen und Schleichen. Es erzählt eine interessante Geschichte in einem faszinierenden dystopischen England der 60er Jahre, in dem die Bevölkerung durch staatlich sanktionierte Drogen kontrolliert wird. Und es bietet ein fantasievolles Artdesign, das sich einerseits offen bei BioShock, No One Lives Forever oder Dishonored zu bedienen scheint, aber andererseits einen ganz eigenen Charme entwickelt. Doch We Happy Few schafft es nicht, dies alles zu einem homogenen Ganzen zu führen. Nicht, weil einen die sporadischen technischen Probleme oder Bugs, die man auf PC und Xbox One in unterschiedlicher Ausprägung, aber gleichsam störend beobachten kann, aus der Spielwelt reißen. Sondern vielmehr, weil nur die ebenso geheimnisvolle wie bedrückende Geschichte und das Artdesign keinen Bruch zeigen. Doch abseits des Storytellings fehlt das gewisse Etwas – und das nicht nur, weil der Sandbox-Modus erst nachgereicht wird oder der Entdecker-Drang durch größtenteils schwache Belohungen eingedämmt wird. Crafting, Kampf, Schleichen, Kleidungseinfluss, Umgebungsrätsel: All das funktioniert, bleibt aber oberflächlich. Dass mir von den Entwicklern zudem durch Levelaufbau und Gegner-Platzierung quasi vorgegeben wird, wie ich dieses oder jenes Problem zu lösen habe, stört zusätzlich. Und das bei einem Spiel, das sich Freiheit und Individualität auf die thematische Fahne geschrieben hat. Das Gesellschaftsbild, das über drei Akte mit jeweils eigenem Protagonisten erzählt wird, hat mich immer wieder in die Welt gezogen und allen Schwächen zum Trotz dafür gesorgt, dass ich mich bis zum Ende durchgebissen habe.
(Die PS4-Fassung stand zum Test nicht zur Verfügung. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Testupdate nachgereicht wird. Anm. d. Red.)
Pro
- faszinierendes dystopisches England der 60er Jahre
- offene Welt mit zufällig aneinandergereihten festen Levelstrukturen
- grandioses Artdesign
- reife, spannend erzählte Geschichte
- einfaches Crafting-System mit zahlreichen, zumeist sinnvollen Rezepten
- Kleidung hat Auswirkung auf NPC-Reaktionen
- simple, aber effektive Schleichmechanik
- auf Ausdauer basierender Nahkampf
- Schnellreisesystem
Kontra
- technische Probleme (Bildrate, Clipping, Kollisionsabfrage)
- Bugs, die sich auch auf Nebenmissionen auswirken können
- die simplen Mechaniken bleiben oberflächlich und lassen sich dann gezielt ausnutzen
- ermüdende Rohstoffsammelei
- häufig durch Leveldesign vorgegebene Problemlösung
- schwache KI lässt sich reihenweise durch Schleich-Meucheln ausschalten
- redundante sowie zumeist banale Nebenmissionen
- Entdecker-Drang wird schnell eingedämmt, da sinnvolle Belohnungen eher spärlich ausfallen
- Sandbox-Modus wird nachgereicht
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Season Pass mit drei neuen Geschichten
- Season Pass, dessen Inhalte keine bzw. nur minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.