Return of the Obra Dinn - Test, Adventure, PC, XboxOne, Switch, PlayStation4, Mac

Return of the Obra Dinn
24.10.2018, Benjamin Schmädig

Test: Return of the Obra Dinn

Alle tot?

Fünf Jahre lang galt die Obra Dinn als spurlos verschwunden: Nachdem das Handelsschiff der Ostindien-Kompanie 1802 von London aus in See stach, verlor sich seine Spur. Sein Ziel war der Orient, doch es erreichte nicht einmal das Kap der guten Hoffnung. Erst im Oktober 1807 wird es plötzlich an der britischen Küste angespült. Was ist ihm und seiner Besatzung widerfahren? Als Ermittler der zuständigen Versicherung geht man an Bord und schaut genau hin: Nur wer die richtigen Beweise sinnvoll kombiniert, kann die Todesursachen von mehr als 50 Crewmitgliedern und Passagieren rekonstruieren. Dieses clevere Detektivspiel wäre uns im Test gut und gerne einen Award wert...

Es braucht sicher keiner Erwähnung, dass Return of the Obra Dinn schon auf den ersten Blick heraussticht. Der Zeichenstil erinnert an den grafischen Minimalismus früherer Computer und tatsächlich kann man sich bei der dualen Farbgebung zwischen der alter Macintosh- oder IBM-PCs sowie anderer Rechner entscheiden. Der Rest ist modern; das gilt sowohl für die Steuerung der Ego-Perspektive mit Gamepad oder Maus und Tastatur als auch für die von Alleinentwickler Lucas Pope selbst geschriebene Musik. Sein Soundtrack fängt die frische Brise der früheren Seefahrt ebenso treffsicher ein wie Grafik und Ton – beides ebenfalls aus seiner Feder.

Style, Please

Was geschau auf der Obra Dinn? Die Taschenuhr öffnet den Blick in die Vergangenheit.

Lucas Pope? Wer bei dem Namen hellhörig wird, hat vermutlich Papers, Please im Kopf, mit dem Pope vor fünf Jahren schon Preise einheimste. Und tatsächlich sticht sein aktueller Titel erneut heraus, denn ganz ähnlich wie Papers, Please hat er es spielerisch in sich!

Grundsätzlich ist Return of Obra Dinn ein einfaches Spiel: Man bewegt sich frei auf dem gesamten Schiff, erkennt die Orte, an denen Mitglieder der Besatzung gestorben sind und hält dort eine Art magische Taschenuhr über die Leiche. Aktiviert man die Uhr, sieht man eine dreidimensionale Momentaufnahme vom Zeitpunkt des Todes einschließlich aller Anwesenden der nahen Umgebung. So beobachtet man, kombiniert das Gesehene und trägt in einem großen Buch schließlich den Namen und die Todesursache jeder Leiche ein. Denn das sind die Daten, die die Versicherung benötigt.

Schnappschüsse der Vergangenheit

Das scheinbar simple Mordkomplott entpuppt sich dabei schnell als viel mehr, doch das will ich nicht vorwegnehmen. Die eigentlichen Schicksale einzelner Charaktere spielen hier zwar keine große Rolle, die Episoden, an deren Ende sie dem Tod ins Auge sehen, sind für sich genommen aber clever konstruiert.

Oft muss man genau hinschauen: Viele Hinweise sind gut versteckt oder befinden sich woanders, als man sie erwartet. Leider zählt stets nur das, was man in der Umgebung ansieht. Interaktive Objekte gibt es nicht.

Der Teufel steckt selbstverständlich im Detail. Denn während man im Tutorial noch deutlich erkennt, wie der Kapitän den ersten Offizier erschießt, sieht man andere Personen vielleicht sterben, kann die Ursache aber nicht erkennen. Dann könnte man in der Momentaufnahme eines anderen Todes suchen: Geschieht hinter einer Wand womöglich etwas, das auf den ersten Blick verborgen ist? Oder kann man den Aufzeichnungen der kurzen Unterhaltungen wichtige Informationen entnehmen? Was bedeutet eine auffällige Zahl? Wie hängen verschiedene Ereignisse zusammen? Bald schaut man nicht nur genau hin, sondern muss ganz unterschiedliche Hinweise auch logisch zusammenführen.

Kombiniere, Watson...

Und genau das gelingt Pope so hervorragend: Er zeigt nicht auf die Lösung und selbst wenn man einen Fakt richtig kombiniert, ist das lediglich ein theoretisches Konstrukt, weil nach dem Eintragen der entsprechenden Daten kein Achievement klingelt, das den Erfolg bestätigt. Nur wenn man jeweils drei Tode endgültig aufgeklärt hat, werden diese Fälle quasi abgeschlossen und entsprechend markiert, sodass man sich auf lange Sicht nicht ziellos verläuft.

In einem großen Buch sind die Kapitel der Reise dabei im Detail aufgeführt. Zu jedem Tod, manchmal auch zu zwei gleichzeitigen Toden steht dort eine Doppelseite mit Informationen zu den Opfern, den Gesprächen zum entsprechenden Zeitpunkt sowie der Position der Leichen. Alle in der Nähe befindlichen Personen werden außerdem auf Skizzen hervorgehoben. Schade ist nur, dass man keine eigenen Notizen eintragen oder Lesezeichen setzen darf, um mögliche Verbindungen, die man noch nicht vervollständigen kann, dauerhaft festzuhalten.

Und so überraschend einfach man im Allgemeinen durch die vielen Seiten des Buches blättert, so sehr erschweren einige Hürden die eigentlich hervorragende Detektivarbeit. So ermöglicht das Buch zwar die Anzeige aller Orte, an denen sich eine beliebige Person wann aufhielt, man darf allerdings nicht einfach von einem Ort zum nächsten wechseln. Befindet sich eine kurz zuvor gestorbene Person noch in der aktuellen Momentaufnahme, kann man zwar über deren Leiche direkt in den früheren Schnappschuss wechseln – man kommt aber z.B. nicht ohne weiteres direkt zurück, da die später gestorbene Person einige Augenblicke zuvor ja noch am Leben ist.

Ich laufe, laufe, laufe

Stattdessen, und das ist leider eine grundsätzliche Schwäche, muss man jeden Schnappschuss über eine Tür verlassen, die sich irgendwo am Rand befindet. Weder aktiviert man also eine beliebige Szene direkt vom Buch aus noch beendet man sie einfach. Man läuft daher ständig von einer Aufnahme zur nächsten und in dieser dann mehrmals hin und her. Das ist nicht nur ermüdend, das verkompliziert auch das gedankliche Zusammenfügen von Informationen. Aus technischer Sicht dürfte das nur schwer anders machbar sein. Aber es fällt nun mal auf, wie viel eleganter Tacoma eine ganz ähnliche Detektivarbeit inszenierte, wie viel immersiver das Vor- und das

Viele Tode sind übrigens nicht von ohne. Glimpflich ging es auf der Obra Dinn nicht zu!
Zurückspulen der holografischen Videoaufnahmen dort und wie viel plausibler die Handlungsfolgen damit waren.

Am schwersten wiegt aber eine besonders merkwürdige Design-Entscheidung: Aktiviert man eine Momentaufnahme zum ersten Mal, darf man den Augenblick zwar beobachten – aber erst nach einer geschlagenen Minute auch endlich die notwendigen Notizen festhalten. Vorher gibt es den Eintrag im Buch schlicht noch gar nicht. Zu allem Überfluss wird man beim Entdecken bestimmter Toter zunächst von einer Leiche zur nächsten geführt, immer einschließlich des jeweils einminütigem Leerlaufs, sodass man in den ersten Stunden stellenweise zehn Minuten Leerlauf in einem ohnehin ereignislosen Spiel hat.

Bedauerlich ist nicht zuletzt, dass man keine Gegenstände in die Hand nimmt, nicht in herumliegenden Aufzeichnungen oder anderweitig recherchiert, sondern ausschließlich umherläuft und die Umgebung anschaut. Auch das wirkt auf Dauer ermüdend.

Guck mal! Oder auch nicht.

Ich hatte mich deshalb irgendwann immer so lange mit WhatsApp, Facebook und später sogar einem anderen Spiel beschäftigt, bis die spielerisch und auch inhaltlich sinnlosen Einführungen vorüberwaren. Hätte Pope die Szenen beim ersten Kennenlernen animiert, könnten die nicht interaktiven Rückblicke wohl interessant sein. Stattdessen sieht man beim Nichtstun genau dasselbe, was man später ohnehin minutenlang beobachtet. Wie gesagt: eine ausgesprochen seltsame Entscheidung, die dem Spielfluss schadet.

Fazit

Return of the Obra Dinn ist ein stilsicheres, pixelschönes Abenteuer, das sich in einem ganz wichtigen Punkt von anderen Knobeleien unterscheidet: Es führt nicht auf den Weg zur Lösung, sondern verlangt das logische Kombinieren von Hinweisen. Aus einer Vielzahl an Informationen muss man die richtigen filtern und so zusammenfügen, dass die daraus erstellte Ereigniskette plausibel ist. Tatsächlich gelingt Spielemacher Lucas Pope dieses Detektivspiel so gut, dass er damit praktisch alleine dasteht – weshalb es auch so ärgerlich ist, dass das Hin- und Herlaufen auf der Obra Dinn umständlich und der lange Einstieg mit seinen langen spielerischen Pausen so zäh sein kann. Und so clever das Beobachten und Zusammenfügen der Hinweise auch ist; besser wäre es mit interaktiven Objekten. Unterm Strich ist Return of the Obra Dinn ein ebenso einzigartiges wie verdammt gutes Detektivspiel! In Anbetracht dessen, was es hätte sein können, sind die spielerischen Schwächen allerdings ausgesprochen ärgerlich.

Pro

  • forderndes und motivierendes Beobachten und Kombinieren ohne künstliche Führung
  • umfangreiches und zugängliches Recherchieren in unterschiedlichen Aufzeichnungen und Vermerken...
  • interessante Schicksale und unterhaltsame Geschichte
  • einzigartiger Stil (mit verschiedenen Farbschemen)

Kontra

  • umständliches Aktivieren und Verlassen von und kein schnelles Umherspringen zwischen Erinnerungen erschwert das Erstellen wichtiger Verknüpfungen
  • ... aber kein Erstellen eigener Notizen und Verknüpfungen
  • spielerisch sinnloses Umherstehen oder -laufen nach jedem neu entdeckten Toten, bevor man wieder eingreifen kann

Wertung

PC

Lucas Pope inszeniert ein cleveres Detektivspiel mit freiem Aufspüren und Zusammenfügen von Hinweisen - verliert seine Spieler mitunter aber beim zu umständlichen Erkunden und Ermitteln.

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