The C64 Mini - Test, Hardware, Spielkultur

The C64 Mini
29.10.2018, Mathias Oertel

Test: The C64 Mini

Die Rückkehr des Brotkastens

Klar habe ich mich auf die Mini-Konsolen von Nintendo gefreut – auch und gerade weil ich seinerzeit bei der Konkurrenz von Sega zu Hause war. Doch als die Ankündigung des C64 Mini kam, konnte ich mich kaum bremsen und hatte vorbestellt, sobald dies möglich war. Dies war der Computer, mit dem ich aufgewachsen bin und der meine Leidenschaft für Spiele geweckt hat. Im Test erfahrt ihr, ob sich die Anschaffung des Retro-Systems lohnt und natürlich auch, wieso unsere Beurteilung so lang auf sich warten ließ.

Seit nunmehr fast 20 Jahren schreibe ich über Computer- und Videospiele. Doch meine Leidenschaft für das Medium begann natürlich schon viel früher. In der Theorie bereits zu Zeiten des Atari VCS 2600, das ein Kumpel aus der Grundschulzeit geschenkt bekam. Doch so richtig ist das Spielefieber bei mir mit dem ersten „richtigen“ eigenen Spielesystem ausgebrochen – dem C64, den ich meinen Eltern nach langem Quengeln aus dem Kreuz leiern konnte. Immerhin musste ich dabei nicht auf die fadenscheinige Ausrede zurückgreifen, dass man damit ja „auch Sachen für die Schule“ machen könne. Klar: Irgendwann habe ich darüber auch Referate usw. für die Schule geschrieben und ausgedruckt. Doch die Hauptzeit habe ich hier (natürlich) mit Spielen verbracht. Und in einem Anflug von Größenwahn habe ich sogar das Programmieren mit Basic angefangen und schließlich einen kleinen Fußball-Manager (sic!) geschrieben, der sich sogar immer wieder Daten von der Disk holte. Ach, die gute alte Zeit.

Abstecher in die Jugend

Die über 60 vorinstallierten Spiele werden in einem übersichtlichen Menü präsentiert.
Immerhin: Aus der stammen auch noch ein paar meiner Allzeit-Klassiker wie Wizball, Monty on the Run, Archon, The Bard’s Tale oder M.U.L.E. Und mit dem C64 Mini darf man diese 8-Bit-Ära mit ihren 64 Farben sowie grobpixeligen Auflösungen wieder aufleben lassen. Die von Retro Games produzierte Mini-Konsole ist in der Form des alten beige-brauen „Brotkastens“ im Maßstab 1: 2 gefertigt und verfügt an der rechten Seite neben einem Reset-Schalter über zwei USB-2.0-Eingänge sowie an der Rückseite über einen HDMI-Ausgang sowie einen Anschluss für eine Micro-USB-Kabel, über das das System mit dem nötigen Strom versorgt wird. Die Tasten wurden zwar schön ausgearbeitet, wobei die Verarbeitung einen soliden sowie wertigen Eindruck hinterlässt, sind aber nicht funktionsfähig. Es steht allerdings ein virtuelles Keyboard zur Verfügung, das über eine der vier neuen Sondertasten auf dem mitgelieferten Nachbau des kultigen Competition Pro Joysticks erreicht werden kann und das dann rechts auf dem Bildschirm eingeblendet wird.

Man kann jederzeit die virtuelle Tastatur einblenden. Natürlich kann man sich die Sache auch erleichtern und ein USB-Keyboard anschließen.
Dass wir den Test zum C64 Mini so spät anbieten (immerhin kam der Nachbau bereits Ende März in den deutschen Handel), liegt übrigens an der Firmwareupdate-Politik von Retro Games. Während es zwar von Anfang an möglich war, externe Programme per USB-Stick einzuladen, wurden Spiele, die seinerzeit auf mehreren Disks ausgeliefert wurden, vom C64 Mini nicht unterstützt. Überhaupt war das „Sideloading“ ein sehr umständliches Unterfangen: Es war nur möglich ein Spiel bzw. Programm auf dem USB-Stick unterzubringen. Ein. Einziges. Sprich: Wollte man ein anderes Programm nutzen, musste man entweder einen neuen USB-Stick verwenden (wobei anfangs auch einige Sticks partout nicht erkannt wurden) oder das Spiel austauschen. Beides Methoden, die sowohl umständlich als auch unpraktisch waren. Ein Update, das es ermöglichen sollte, mehrere Files auf einem externen Speichermedium unterzubringen, wurde bereits früh nach Release in Aussicht gestellt. Doch die Umsetzung und damit die vollständige Funktionalität der Mini-Konsole sollte auf sich warten lassen.

Späte Vollfunktionalität

Erst mit dem Release in den USA am 9. Oktober wurde schnell das Update nachgeschoben, das nicht nur Multi-Disk-Spiele wie z.B. The Bard’s Tale, Test Drive 2, Dragon Wars oder auch Duck Tales ermöglicht, sondern auch mehrere Files auf dem USB-Stick erlaubt – bis zu 255 Ordner mit jeweils bis zu 255 Files – ausreichend Platz für Sicherungskopien oder mittlerweile als Freeware erhältliche Spiele für den Kultcomputer, der zwischen 1982 und 1994 geschätzt zwischen 12,5 und 30 Millionen Besitzer gefunden hat.

Doch es war nicht nur diese fehlende, aber sehr wichtige Funktionalität, die deutlich gemacht hat, dass die europäischen Enthusiasten als Test-Meerschweinchen missbraucht wurden. Zwar war es von Beginn an möglich, einen USB-Hub anzuschließen, um mehr USB-Eingänge zur Verfügung zu haben. Und man konnte darüber auch eine Tastatur verbinden, wobei es auf der Firmenwebsite eine vorbildliche Auflistung gibt, wie die Sondertasten des C64 auf einem modernen Keyboard erreicht werden können. Doch beim Anschluss von zusätzlichen Joysticks zickte das Gerät anfänglich rum. Das wiederum ist nötig, da die Qualität des mitgelieferten Nachbaus zu wünschen übrig lässt und den Anschaffungspreis als Ersatz oder zweiten Joystick wie Hohn erscheinen lässt: knapp 40 Euro kostet das „gute Stück“, das nicht einmal über Mikroschalter verfügt und dessen Joystick einen Hartplastikkern hat. In der Anfangsphase war es nicht möglich, einen aktuellen USB-Competition-Pro anzuschließen. Doch auch dies ist mittlerweile mit dem aktuellen Update möglich, das eine breite Palette an externer Peripherie zur Spielkontrolle unterstützt. Man kann u.a. das PS4-Gamepad nutzen oder einen kabelgebundenen One-Controller verwenden, wobei hier allerdings keine komplette Funktionalität aller Tasten sichergestellt wird – was spätestens dann zu einem Problem wird, wenn man das virtuelle Keyboard nicht erreichen kann. Überraschend gute Ergebnisse wurden allerdings von Anfang an mit dem sehr kostengünstigen iNnext-Game-Controller erzielt (liegt bei etwa acht bis zehn Euro), der sich optisch als Nachbau des SNES-Pads entpuppt, dessen Tasten aber komplett unterstützt werden.

Der mitgelieferte Joystick ist nicht so solide verarbeitet wie ein originaler Competition-Pro, dessen moderner USB-Nachbau sich nach einem fälligen Firmware-Upgrade endlich nutzen lässt. Im Test hat aber auch das günstige iNnext-Pad einen guten Eindruck als Alternative hinterlassen.
Hat man einen Controller gefunden, der voll kompatibel ist und den man neben dem mitgelieferten Stick nutzen kann, um bei Bedarf auch zu zweit in die Tasten hauen zu können, darf man mit über 60 vorinstallierten Titeln die Retroreise antreten. Auswahlkriterien sind traditionell streitbar, so auch hier. Dabei spielen aber vermutlich auch lizenzrechtliche Gründe eine Rolle, dass z.B. Titel einiger namhafter Publisher wie Activision, Electronic Arts, Accolade, Ubisoft etc. nicht mit von der Partie sind. So wird z.B. auf Klassiker wie Pitfall, Ghostbusters oder H.E.R.O. ebenso verzichtet wie auf Dragon Wars, Archon, Hard Hat Mack, M.U.L.E. oder Murder on the Zinderneuf. Selbstverständlich fehlen auch Spiele von Lucasarts wie Zak McCracken, Eidolon, die kultigen Textadventure wie Per Anhalter durch die Galaxis, Zork und einiges mehr. Das heißt allerdings nicht, dass sich unter den vorinstallierten Titeln nur B-Ware oder Schrott befindet. Von den Animationsspezialisten bei Epyx z.B. gibt es u.a. Impossible Mission, Pitstop 2, California Games oder Summer Games 2. Mit Speedball und der Fortsetzung Speedball 2 werden Spiele angeboten, die bis heute nachwirken. Dazu gibt es Action-Klassiker wie Who Dares Wins 2, Uridium von Andrew Braybrook (siehe auch unseren Klassiker zur Fortsetzung) oder die ebenfalls von ihm stammenden Paradroid (coole Taktik-Action) sowie Alleycat, ein futuristisches Rennspiel. Wer eher zu Geschicklichkeitsspielen tendiert, wird u.a. mit Boulder Dash, Gribbly’s Day Out, Monty Mole, dem Nachfolger Monty on the Run sowie Bounder fündig.



Rundes Paket mit Lücken

Paradroid: Einer der zahlreichen Klassiker in der streitbaren Auswahl der installierten Titel.
Dennoch werden neben den oben bereits erwähnten Titeln oder Publishern noch weitere Defizite deutlich, die teils ganze Genre betreffen. Adventure, gleichgültig on in Textform oder grafisch aufbereitet wie Maniac Mansion, Guild of Thieves oder Murder on the Mississippi fehlen – teilweise wohl auch wegen der Beschränkung, die man sich zum Start durch den fehlenden Diskwechsel sebst auferlegt hat. Auch klassische Rollenspiele sucht man vergeblich. Es fehlt neben den Geisterjägern die volle Breitseite an Lizenzspielen, angefangen von Domarks 007-Action bis hin zu dem abgefahrenen Abenteuer, das auf dem C64 zu Zurück in die Zukunft erschien. Rambo First Blood Part 2, Airwolf, Miami Vice, Beverly Hills Cop – alles nicht dabei. Auch einige essenzielle Arcade-Klassikern wie Gauntlet usw. sind nicht mit von der Partie. Den Retro-Fans werden noch haufenweise andere Titel einfallen (Zaxxon, Commandos, Beach Head, Barbarian – okay, ich höre ja schon auf). Doch diese können aber wenigstens über Sideloading-Umwege mittlerweile gespielt werden.

Wer will, kann sich auch als C64-Programmierer versuchen.
Man darf sogar in einen reinen Eingabemodus schalten und dort dann wie früher Basic-Zeilen in das System hacken sowie abspeichern. Wer also noch irgendwo im Keller oder Dachboden Zeitschriften wie die 64er findet, die immer wieder Anwendungen oder Spiele zum Abtippen anboten, kann sich erneut daran setzen und bei einem Spielabbruch (bzw. wenn es gar nicht erst startet) nach dem verantwortlichen Tippfehler suchen. Die Bildschirmauflösung liegt über den HDMI-Ausgang bei 720p, wobei man zahlreiche Bildformate aussuchen und sich optional auch Scanlinien anzeigen lassen kann, um die alten Röhrenbildschirme zu emulieren. Nichts auszusetzen gibt es an der Soundausgabe. Schon damals mit dem SID-Chip ganz vorne mit dabei, wenn es um Klangdarstellung ging (insofern ein fähiger Komponist/Programmierer mit von der Partie war), machen die Chip-Tunes aus dem C64 Mini ebenfalls einiges her. Obwohl nur relativ wenige Spiele vorinstalliert sind, die das Wunderwerk der damaligen Technik präsentieren können wie z.B. Monty on the Run. Doch wer die Gelegenheit hat, sollte unbedingt nach Titeln mit Musiken von Rob Hubbard, Martin Galway und natürlich Chris Hülsbeck suchen.

Technisch sauber

Fazit

Wer zur ursprünglichen Veröffentlichung des C64 Mini gewartet hat, hat alles richtig gemacht. Denn erst jetzt, nach dem US-Release sowie den danach erschienenen Firmware-Updates, hat die Mini-Variante des ersten richtigen Kultcomputers einen Status erreicht, der einen Kauf für Retro-Fans rechtfertigen dürfte. Zwar war die Verarbeitung schon im März ebenso wertig wie stabil, insofern man von dem Joystick absieht, der zu keinem Zeitpunkt die Qualität eines originalen Competition Pro erreicht. Doch erst jetzt lässt sich zum einen eine breite Auswahl an alternativen Steuerungsgeräten anschließen. Und noch viel wichtiger: Erst jetzt kann man problemlos auch von einem USB-Speichermedium Spiele verwenden – selbst wenn sie seinerzeit auf mehreren Disks Platz gefunden haben. Die vorinstallierte Spielauswahl mit über 60 Titeln ist zweifellos streitbar und lässt nicht nur Genre wie Adventure, sondern auch wichtige Publisher mit ihren Titel wie Activision (H.E.R.O., Ghostbusters, Pitfall), LucasArts (Maniac Mansion, The Eidolon, Zak McCracken) oder Electronic Arts (Archon, Murder on the Zinderneuf) komplett außen vor. Doch unter dem Strich sind noch genug namhafte Titel dabei, um zu demonstrieren, wieso sich der liebevoll als „Brotkasten“ bezeichnete Heim-Computer von Commodore seinen Ruf als Spielemaschine redlich verdient hat und bei vielen älteren Zockern das Fundament für ihre Leidenschaft war. Mit den aktuellen Updates ein richtig gutes Gerät, das sich auch visuell gut inmitten der anderen Mini-Konsolen einsortiert.

Wertung

Spielkultur

Erst mit der Oktober-Firmware und der integrierten Unterstützung von Multidisk-Spielen sowie optimiertem "Sideloading" ist die Neuauflage des Brotkastens endlich eine gute. Die mittelmäßige Qualität des Joysticks ist allerdings bedenklich.