My Time at Portia - Test, Simulation, PlayStation4, PC, PlayStation4Pro, iPhone, iPad, Switch, XboxOneX, XboxOne, Android

My Time at Portia
21.01.2019, Jan Wöbbeking

Test: My Time at Portia

Postapokalyptische Bauernhof-Idylle

Einfach mal Landwirt sein, fast wie im Bilderbuch - mit Farm, Hund, Hühnern, viel, viel Feldarbeit und am besten auch einer Liebsten, mit der man eine Familie gründet: All das konnte man schon in zahlreichen Harvest Moons und jüngst in Stardew Valley. Der Indie-Titel My Time at Portia (ab 15,65€ bei kaufen) setzt einen anderen Schwerpunkt: Hier bastelt man primär an den Maschinen, die das Landleben am Laufen halten. Im Test haben wir die Konstrukte näher unter die Lupe genommen.

Man mag es kaum glauben, aber My Time at Portia spielt tatsächlich in einer Postapokalypse. Der Stilmix wirkt richtig gelungen: Inmitten der farbenfrohen Natur-Idylle ragen hier und da überwucherte Wolkenkratzer und andere Relikte der zusammengebrochenen Industrie vergangener Zeiten aus der Vegetation. All das in einer ansehnlich umgesetzten Comic-Grafik, die hier und da ein wenig generisch wirken mag, aber hervorragend den entspannten Spielablauf widerspiegelt.

Abglanz der Hochkultur

Das Panorama kann sich sehen lassen!

Es herrscht eine euphorische Aufbruchstimmung – vor allem für den im Charakter-Editor erstellten Helden. Er (oder sie) kommt zu Beginn seines Abenteuers mit dem Boot in Portia an, um die verlassene Werkstatt seines Vaters zu übernehmen. Schade, dass Entwickler Pathea Games im Bereich der Story ähnlich vage bleibt wie Natsume. Die Hauptfigur wird wieder primär zur weißen Leinwand für die Aufbaufantasien des Spielers, trotz eingestreuter Konfliktsituationen wie dem Auftauchen falscher Schuldeneintreiber.

Das Wort Aufbau spielt hier eine größere Rolle als bei der Konkurrenz. Das anderswo mühsame Ackern auf dem Feld wird hier zur Nebensache, bei der man nur mal zwischendurch nach den Pflanzen sieht. Viel wichtiger ist die Konstruktion ihrer Pflanzkästen, einer besseren Axt, einer Spitzhacke für Trips in die Mine, einem Bronzeschwert gegen Monster im Dungeon, ein „Töfftöff“ für den Transport, usw. usf. Viele andere nützliche Gerätschaften zimmert man gegen Entlohnung auch für seine Nachbarn zusammen.

Bauen statt Bauern

Für ein "Töfftöff" sind auf der Montage-Station u.a. Gummireifen, ein Sitz, ein Motor und Faserstoff nötig.

Stilbewusstsein und Eitelkeiten spielen natürlich ebenfalls eine Rolle, wenn man an Kleidungsstücken, Möbeln fürs Eigenheim oder Schmuck wie Talismanen werkelt. Letztere lassen sich bei einem der zahlreichen Festivals als Gewinn spenden. Oder man verschenkt sie an sympathische Mitbewohner, falls man sich bei ihnen einschmeicheln will oder sogar romantische Ambitionen hegt (Stichwort: Familiengründung). Statt regelmäßig Unkraut zu jäten oder die Gießkanne zu schwingen, muss man lediglich beim Bau der Pflanzkästen ein wenig Dung und das passende Saatgut parat haben. Danach werden Kartoffeln, Baumwollpflanzen & Co. quasi automatisch bewässert. Wer möchte, hilft mit etwas Dünger nach.

In der Küstenstadt Portia gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich zu verwirklichen, doch der Fokus liegt klar auf der Konstruktion von allerlei Maschinen. Um sie Realität werden zu lassen, muss man das Wissen der zusammengebrochenen Hochkultur für sich nutzbar machen. Bevor es ans Bauen selbst geht, steht also oft ein Trip in eine Mine auf dem Programm. Mit dem Jetpack schwebt man durch die Höhle, um per Metall-Scanner glimmende Punkte aufzuspüren und dann die Spitzhacke zu schwingen – eine unterhaltsame Abwechslung! Dabei werden neben Edelsteinen und Baumaterial auch allerlei zerbrochene Gerätschaften und antike Datendiscs zu Tage gefördert, die sich im städtischen Labor für neue Baupläne erforschen lassen.   

Vielfältiges Angebot

Bis man solch einen Maschinenfuhrpark sein Eigen nennt, geht einige Zeit ins Land.

Zurück in der Werkstatt hantiert man dann mit allerlei Werkbänken, Schmelzöfen und selbst gebastelten Maschinen, um Holz zurechtzuschneiden, Metallbarren zu schmieden und schließlich einen Wassertank oder eine einfache Batterie für den Stromgenerator zu konstruieren. Bei den Handgriffen macht sich leider bemerkbar, dass das Spiel seinen Anfang im Early-Access nahm. Vor allem mit dem Game-Controller gestaltet sich das Gebastel oft umständlich, weil unnötig viele Knopfkombinationen zum Einsatz kommen; gelegentlich läuft die Figur sogar automatisch los. Manche Menüs lassen sich zudem nur mit Maus und Tastatur bedienen. Schade: Gerade bei einem derart entspannten Spielkonzept hätten wir uns lieber gemütlich zurückgelehnt. Für die im Frühjahr geplanten Umsetzungen für PS4, Xbox One und Switch müssen die Entwickler die Funktionen schließlich ohnehin integrieren. Hat man sich erst einmal in die etwas sperrigen Abläufe und Handbücher hineingefuchst, lässt es sich aber recht ordentlich damit leben.

Schnell geht man völlig im täglichen Mix aus Handwerker-Arbeiten und ausgiebigen Erkundungen auf, während man von der entspannten Musikuntermalung eingelullt wird. Wenn man über grüne Wiesen streift oder neue Gebiete wie die verfallenen Ruinen erkundet, entfaltet sich eine herrlich relaxte Abenteuer-Stimmung! Überall trifft man auf seltsame neue Wesen, die oft leider viel zu niedlich sind, um sie für Ressourcen niederzudreschen.

Werkeln vorm Abendrot

Die simplen Boss-Attacken sind schnell durchschaut.

Lust auf eine alberne Batman-Maske? Dafür muss leider eine putzige kleine Pandermaus dran glauben, die am Rande einiger Büsche durch die Luft flattert. Mehr Gegenwehr gibt es bei den Biestern, die euch in Dungeons erwarten: Von giftgrünen Chemie-Zombies mit zwickenden Zangen bis hin zum Boss der Ratten-Banditen sorgen diese Zeitgenossen für eine schöne Herausforderung in den Kämpfen. Packt vor dem Abstieg also am besten - wie von anderen Bewohnern empfohlen – genügend Heil- und Ausdauer-Gegenstände ein! Auch kurzfristig aufputschende Buffs und ein Fähigkeitenbaum sind enthalten. Schwachpunkte der Gefechte sind allerdings die stumpfe KI und die simpel inszenierten Angriffsmuster, die das Zermürben der Monstren etwas monoton werden lassen.

Wer es harmonischer mag, darf bei einem größeren Bauunternehmen diverse Ställe in Auftrag geben. Erwartet aber nicht, schon zu Beginn von Küken, Enten oder Pferden umgeben zu sein. Es dauert viele, viele Stunden, bis ihr genügend Bares und die nötigen Baustoffe für den ersten Stall parat habt. Bis dahin könnt ihr aber auch bei der netten Bäuerin nebenan die Tiere auf der Weide ärgern. Oder ihr helft im Rahmen einer Quest dabei, die entlaufenden Küken einzufangen. Auf ihrem Hof und in zahlreichen Shops gelangt ihr an Saatgut, Werkzeug-Upgrades oder ihr verkauft massenhaft eigene Waren. Schön, dass die Einwohner je nach Kalendertag unterschiedlichen Aufgaben nachgehen und man sie für Aufträge oft unterwegs erwischen muss.

Nicht so voreilig!

Zeit für ein winterliches Festival! Je nach Jahreszeit lassen sich übrigens unterschiedliche Feldfrüchte anbauen.

Abends treffen sich sogar Grüppchen zur Gymnastik auf dem Dorfplatz oder zum geselligen Abendessen in der Kneipe. Die Welt wirkt nicht nur lebendig, sondern auch glaubwürdiger als in anderen vorindustriellen Bauernhof-Abenteuern. In der Postapokalypse nimmt man es den Menschen eher ab, dass sie sich das Wissen und die Technik erst wieder aneignen müssen.

Wer der alten Welt skeptisch gegenübersteht, kann Artefakte wie die Discs übrigens auch bei der Kirche abliefern. Ähnlich wie in Horizon: Zero Dawn gibt es auch hier einen Kult, der das technische Unheil der Vergangenheit lieber ruhen lassen würde. Wer alle Geheimnisse der Welt aufdecken will, kann laut Publisher Team 17 über 90 Stunden in der Welt verbringen. Nach der Fertigung einer Angelrute oder eines Spieltischs für den Park kann man sich zudem an diversen Minispielen versuchen. Eine nette kleine Abwechslung mit Nebenverdienst: Vor allem Fische und Fischgerichte helfen dabei, die hohen Summen für die Hof-Erweiterung zusammenzusparen. Eine leichte Tendenz zur Fleißarbeit ist also spürbar, sie nimmt aber nicht überhand.

Religion oder Wissenschaft?

Eine Rangliste im Rathaus gibt jederzeit Auskunft darüber, wo man im Vergleich zu konkurrierenden KI-Baumeistern steht – eine dezente aber willkommene Ergänzung für kompetitive Spieler. Im Laufe der vorbildlich organisierten Early-Access-Phase hatten die Entwickler erst einmal das technische Grundgerüst fertiggestellt, um später immer wieder üppige Inhalte wie neue Gebiete und Mechaniken hinzuzufügen. Ab und zu zeigen sich noch kleine Macken wie lange Ladezeiten, ein unsichtbarer Bürgermeister oder eine fehlende deutsche Übersetzung. Davon abgesehen wirkt die Umsetzung aber rund. Die gelegentliche Vertonung steht übrigens grundsätzlich nur auf Englisch und Chinesisch zur Verfügung.

Noch nicht wirklich fertig?

Mmmmuuh!

Fazit

My Time at Portia ist wie ein gigantischer Abenteuerurlaub: In den Grundzügen orientiert sich das Spiel stark bei Vorbildern wie Harvest Moon. Der Fokus auf Konstruktionen und das beschauliche postapokalyptische Szenario sorgen aber für genügend frischen Wind, um ähnlich stark zu fesseln wie Stardew Valley. Besonders gefreut hat mich, dass ich mich durch weniger monotone Arbeit auf dem Feld quälen musste – und daher mehr Zeit zur Erkundung der Welt und ihrer Ruinen hatte. Hier und da erinnern technische Macken wie der mühsame Einstieg, schlichte Kämpfe oder die holprige Controller-Steuerung an die Early-Access-Vergangenheit - trotzdem hatte ich eine Menge Spaß daran, mich in der wundersamen Idylle zu verlieren!

Pro

  • erhebende Entdecker-Stimmung
  • unterhaltsamer Fokus auf Konstruktionen
  • riesige Welt mit vielen Möglichkeiten
  • hübsche Bilderbuch-Kulissen und Ruinen
  • putzige Biester
  • meist gut ausbalancierter Schwierigkeitsgrad
  • relaxte Musik
  • lebendig wirkende Stadt mit variierendem Tagesablauf der Bewohner

Kontra

  • umständliche Konstruktions-Steuerung
  • einige kleine technische Macken
  • mühsamer Einstieg leitet den Spieler zu wenig an
  • etwas zu langsamer Fortschritt
  • simple Gegner-KI und Bosskämpfe
  • kein Multiplayer oder Online-Funktionen

Wertung

PC

My Time At Portia bereichert das mittlerweile ausgelutschte Harvest-Moon-Prinzip mit einem unterhaltsamen Fokus auf Konstruktionen und Erkundung.

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