We. The Revolution - Test, Taktik & Strategie, Linux, Mac, Switch, XboxOne, PlayStation4, PC

We. The Revolution
05.04.2019, Benjamin Schmädig

Test: We. The Revolution

Eine berechnete Karriere

Alexis Fidèle steckt in einer Zwickmühle: Der Richter muss einen Mann zum Tode verurteilen, um seine eigene Haut zu retten. Denn sollte er ein mildes Urteil fällen, würde er selbst in einer dunkeln Gasse erschlagen werden. Was der Angeklagte verbrochen hat? Er hat Schachfiguren hergestellt, das ist alles. Im Test zu We. The Revolution (ab 3,39€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) habe ich gleich mehrere solcher Situationen erlebt – die mich oft seltsam kalt gelassen haben. Woran liegt das?

Paris zur Zeit der Französischen Revolution: Ludwig XVI. befindet sich am Ende seiner politischen Laufbahn, während sich das neue politische System gegen Kräfte wehrt, die die alte Ordnung wiederherstellen wollen. In diesem aufgeheizten Klima will Alexis Fidèle als Richter Karriere machen, wofür er nicht in seinem Beruf erfolgreich sein muss, sondern auch Intrigen durchleuchten, seinen politischen und gesellschaftlichen Einfluss erweitern und sich sogar um die Familie kümmern.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Im Mittelpunkt steht dabei seine Arbeit als Richter, denn fast jeden Tag urteilt Fidèle über einfache Leute oder hohe Tiere, die ganz unterschiedliche Delikte begangen haben sollen. Um fair zu sein, muss man dann zunächst herausfinden, ob sich die vermeintlichen Täter wirklich strafbar gemacht haben. Dazu stellt man ihnen Fragen, die Stück für Stück Licht in den Fall bringen. Oft entsteht durch die Antworten ein sehr vielschichtiges Bild, was die Frage nach Freispruch, Gefängnis oder Galgen zu einer schwierigen macht.

Der ehrenwerte Richter

Noch kniffliger wird es dadurch, dass man sich die Fragen erst erarbeiten muss, indem man zentrale Stichpunkte der Anklageschrift dem richtigen Thema zuordnet. Ist der betrunkene Zustand eines Angeklagten etwa ein mildernder Umstand, eine Facette seiner Persönlichkeit oder gehört das zum Tathergang? Wer bei dieser Vorbereitung zu oft danebenliegt, kann

Der wichtigste Bildschirm: der Blick vom Richterpult.
später nicht alle Fragen möglichen stellen.

Interessant ist auch, dass man den Prozess nicht gedankenlos herunterspulen sollte, da Fidèle außerdem Einzelheiten der Verhandlung wiedergeben muss. Das kann er aber nur dann zuverlässig tun, wenn man ihr aufmerksam folgt. Tut man das nicht, verliert man Ansehen bei verschiedenen Fraktionen…

… und nur darum dreht sich immerhin das ganze Spiel: Man benötigt Ansehen beim einfachen Volk, bei den revolutionären Kräften und auch der Aristokratie. Sinkt es gen Null, wird man nämlich des Amts enthoben oder gar ermordet – Game Over. Man ist also stehts darum bemüht, allen Parteien irgendwie gerecht zu werden, kann sich in Kurzprozessen aber bei jeweils einer Fraktion beliebt machen (auf Kosten mindestens einer anderen) und die Werte auch anheben, indem man die Familie im Auge behält.

Ansehen und Einfluss

Auch die Beziehung zur Ehefrau, zum ältesten Sohn, dem Großvater sowie dem jüngsten Spross ist schließlich mit je einem der vier Werte verbunden. Während es den Opa und die Bourgeoisie ärgert, wenn man sich um die Muse des an Kunst interessierten Nachwuchses kümmert, ist das dem Ansehen bei den Revolutionären jedenfalls zuträglich. An fast jedem Abend hat man mit einer Familienaktivität so die Möglichkeit, einen gefährlichen Verlust an Ansehen zu kompensieren. Schön auch, wenn man am Tag darauf den Zettel mit einer Zeichnung des kleinen Sohns im Tagebuch findet.

Überhaupt inszeniert Entwickler Polyslash das Richterspiel ausgesprochen stilvoll. Sowohl die Zeichnungen als auch die Menüs und die in Comic-Strips vorangetriebene Erzählung atmen der Geist vom Ende des 18. Jahrhunderts. We. The Revolution ist ja kein offenes Spiel mit freier Entwicklung. Es folgt einer stringenten Geschichte, deren Verlauf man im Detail allerdings stark beeinflusst.

Strategie im Großen

Immerhin muss man sich neben der täglichen Arbeit auch um das Erweitern des Einflussbereichs kümmern, wofür man wie auf einem Spielbrett Figuren verschiebt, die Stadtviertel einnehmen, hitzige Aufrührer beruhigen, gegnerische Agenten beseitigen und mehr. Das vergrößert den Einfluss – ein Wert, über den man am verschiedenen Stellen vorteilhafte Aktionen ausführen darf. Im Gerichtsaal erhält man darüber z.B. die Chance auf das Freischalten einer weiteren Frage.

Abgesehen davon kümmert man sich um Intrigen, die nicht mit einer einzelnen Handlung erledigt sind, sondern verschiedene Schritte über mehrere Tage verteilt erfordern. Stück für Stück schwächt man so die Opfer oder stellt sie bloß. Einige dafür notwendige Aktionen kann man etwa diplomatisch lösen oder mit Gewalt, für andere gewinnt man die Unterstützung anderer einflussreicher Pariser, indem man ihnen einen feuchtfröhlichen Abend spendiert oder eine lange Unterhaltung mit ihnen führt.

Taktieren im Kleinen

Diese Unterhaltungen – sowie auf gleiche Art inszenierte Ansprachen an das Volk – sind ebenfalls Minispiele, in denen man sich genau überlegen sollte, wie aggressiv oder manipulierend man die Gegenüber anspricht. Im schlimmsten Fall schadet das Gespräch sogar und man hätte es lieber unterlassen. Jede Aktion birgt hier ein Risiko, aber auch das Versprechen auf einen

Wichtige Gespräche führt man, indem man verschiedene Stichpunkten auf unterschiedliche Art anspricht.
wichtigen Vorteil. Und wer sich ausreichend gute Beziehungen erspielt, kann dann auch mal ein Urteil fällen, das das Volk in Rage versetzt.

So berechnend bin ich allerdings nicht an das Spiel herangegangen. Ich habe vielmehr mit dem Herzen gespielt, habe stets darauf geachtet allen Angeklagten einen fairen Prozess zu bieten und musste deshalb damit klarkommen, dass der Handwerker mit seinem Schachspiel den Kopf in der Guillotine verlor. Denn hätte ich ihn freigesprochen, hätte sich das Volk grausam an Fidèle gerächt – ich hab’s versucht und musste anschließend den Spielstand vom Prozessbeginn laden. Zum Glück speichert das Programm häufig und an vielen Stellen, was allzu großen Frust verhindert.

Kopf vs. Herz

Unterm Strich festigte sich spätestens an dieser Stelle aber auch die Einsicht, dass man es mit der Gerechtigkeit nicht allzu genau nehmen darf, um solche Sackgassen vermeiden. Und bis zu einem gewissen Grad ist das natürlich richtig so! Genau darum geht es ja: Welche Skrupel bleiben für die Karriere auf der Strecke?

Nicht nur das berufliche Tun bestimmt die Karriere. Eine große Rolle spielt auch die Familie.

Polyslash übertreibt es nur leider und rückt das Werteschieben so offensichtlich in den Vordergrund, dass die eigentlichen Gerichtsverhandlungen an Wert verlieren. Ich interessiere mich inzwischen jedenfalls kaum noch für die Fälle, sondern schaue als erstes in die möglichen Urteile und welche Auswirkungen auf mein Ansehen sie jeweils haben werden. Danach erst schalte ich die Fragen frei und stelle genau so viele der richtigen Art, bis die Jury das gewünschte Urteil fordert. Denn auch deren Ansehen braucht man und auch an dieser Stelle sieht man ganz genau, wie sich welche Fragen auswirken.

Eins, zwei oder drei?

Dieses mechanische Rechenwerk ist die größte Schwäche des Spiels, das in meinen Augen ein besseres wäre, wenn Auswirkungen und Werte erst im Nachhinein bzw. gar nicht sichtbar wären. Hätte ein Verlust an Ansehen Folgen, die z.B. erzählerisch wehtun oder mich spielerisch eine Zeitlang beeinträchtigen, ohne gleich das Aus zu bedeuten, dann wäre ich auch mit dem Herzen dabei – nicht nur mit dem Taschenrechner.

Fazit

We. The Revolution macht es mir nicht ganz leicht. Da ist ein stilvolles, thematisch reizvolles Spiel, das sich um gerechte Entscheidungen, moralische Fragen und den Einfluss auf das persönliche Umfeld dreht: Das Arbeiten am Richterpult ist vielschichtig sowie erzählerisch interessant, während das Entkommen aus Intrigen bzw. Spinnen eigener Komplotte ein spannendes Spiel mit Wahrscheinlichkeiten ist, bei dem sehr unterschiedliche Minispiele zum Einsatz kommen. Spätestens die Tatsache, dass man auf einer kleinen Karte im Stil einer Rundenstrategie Figuren verschiebt, sorgt dafür, dass die Karriere als Richter nie langweilig ist. Sie besteht aber an entscheidenden Stellen aus schon im Vorfeld ablesbaren Werteänderungen – man entscheidet sich nicht für Recht oder Unrecht, sondern für Variable eins, zwei oder drei. Alle die das ungewöhnliche Konzept reizt, dürften durchaus fündig werden! Ein großes Spiel ist das edle We. The Revolution aber leider nicht.

Pro

  • interessantes Szenario und spannende Geschichte u.a. um politische Intrigen
  • spannende Prozesse mit vielschichtigen Fällen
  • abwechslungsreiches Vereinen unterschiedlicher Spielmechanismen
  • edles Artdesign
  • häufiges automatisches Speichern verhindert großen Frust

Kontra

  • Werteveränderungen zu offensichtlich und oft im Voraus ablesbar
  • mitunter scheinen Musik oder Hintergrundgeräusche zu fehlen
  • keine deutsche Lokalisierung

Wertung

PC

Allzu durchschaubares Werteverschieben in einem interessanten Szenario und mit einer spielerisch vielschichtigen Karriere als Richter.

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Kommentare
Sevulon

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Habs heute auch direkt mal angespielt, weil ich die geschichtliche Epoche grundsätzlich interessant finde - teile aber das Urteil und die Kritik, das man eigentlich viel mehr darauf achtet wie man Wertemäßig gerade dasteht und dann entsprechend danach urteilt (und vorher noch die Jury entsprechend beeinflusst). Schon ein bisschen Schade, aber die ganzen Balken mit den angezeigten Auswirkungen fordern das echt heraus die eigene Meinung mehr oder weniger zu ignorieren.

vor 2 Jahren