Judgment - Test, Action-Adventure, PlayStation4, Stadia, PlayStation4Pro, XboxSeriesX, PlayStation5
Wer Yakuza kennt, der kennt Judgment. Wer nicht: Seit mehr als zehn Jahren entführt Segas Gangster-Epos in die japanische Unterwelt – und das penibel genau nachgestellte Vergnügungsviertel Kabukicho, in den Spielen Kamurocho genannt. Man bereist also nicht ganz Tokio, sondern stets nur diese eine (und gelegentlich weitere) Viertel, wo belebte Straßen und Gassen mit zahlreichen Läden, Restaurants, Bars und Casinos zum Verweilen einladen. Im Gegensatz zu fast allen anderen offenen Welten kann man die Faszination Kamurocho nicht in Quadratkilometern oder der Anzahl von Markierungen auf einer Karte messen. Man muss über Details pro Quadratmeter sprechen.
Die etwas andere Open World
Und so vertreibt man sich die Zeit beim Baseball-Schlagen, Darts-Werfen oder Flirten und tut etlichen Mitmenschen einen Gefallen, indem man ein paar Halunken kurz und klein schlägt. Immerhin ist Yakuza ein Prügelspiel und ein brutales noch dazu; wuchs der bisherige Frontmann Kazuma Kiryu doch in den Reihen der japanischen Mafia, der Yakuza auf. Kein Wunder also, dass er es zehn Jahre lang mit Seinesgleichen zu tun bekam, wenn sein Clan mal wieder in kriminelle Komplotte verstrickt wurde.
Doch um Kazuma geht es in Judgment nicht. Die Hauptrolle spielt vielmehr Takayuki Yagami: Privatdetektiv, single, Mitte 30. Ein ehemaliger Anwalt, der vor drei Jahren einen schwierigen Fall gewann – mit dem unglücklichen Haken, dass der dadurch Freigesprochene kurz darauf seine eigene Freundin ermordete. Eine tragische Vergangenheit prägt also auch den besonnenen Takayuki und genau wie im allerersten Yakuza wird das im Verlauf der Geschichte eine wichtige Rolle spielen.
Introducing: Takayuki Yagami
Genau wie Kazuma ist der neue Protagonist außerdem kein Unbescholtener. Auch der junge Takayuki fand in einem hochrangigen Yakuza-Mitglied nämlich eine Art Ziehvater und hat in den Straßen Kamurochos gelernt sich mit Händen und Füßen zu wehren. Und so ist Judgment eben genau das, was Yakuza stets war: ein episches Unterwelt-Drama, in dem man viel Zeit mit Minispielen und Nebenmissionen verbringt,
während man Dutzenden Bösewichten die Knöchel ins Gesicht drückt.Es braucht dabei eine ganze Weile, um in Gang zu kommen. Denn wer nicht durch die Story hetzt, ist schon mal 20 Stunden oder länger mit dem „Vorspiel“ beschäftigt, bevor sich Kamurocho wirklich öffnet. Logisch: Zum einen führt das nach der Hauptserie benannte Ryu Ga Gotoku Studio mit großer Sorgfalt (und gewohnt ausführlichen Filmszenen) einen neuen Protagonisten ein, zum anderen kommen mit ihm spielerische Besonderheiten hinzu, von denen die wenigsten wirklich neu sind, die in ihrer Gesamtheit aber einen durchaus frischen Eindruck hinterlassen.
Erst fragen, dann schlagen!
Immerhin stürmt Detektiv Takayuki nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern holt zunächst mal Informationen ein. Er befragt Informanten, beobachtet über seine ferngesteuerte Drohne, knipst Beweisaufnahmen, befragt Verdächtige, verkleidet sich und knackt Schlösser, um heimlich in fremde Gebäude einzudringen. Er teilt auch nicht ganz so hart aus wie Kazuma, weshalb er Prügeleien ganz gerne aus dem Weg geht.
Nun klingt das auf dem Papier ganz hervorragend und tatsächlich hatte ich mich im Vorfeld riesig darauf gefreut, Kamurocho mal auf ganz andere Weise kennenzulernen – um in den ersten Stunden gewaltig enttäuscht zu werden. In Wirklichkeit ist es nämlich so: All diese Aufgaben und Herausforderungen, die Takayuki als neuen Helden definieren, sind nichts weiter als profane Mini-, nein: Mikrospiele. Von echter Detektivarbeit, wie sie die Erzählung nahelegt, kann überhaupt keine Rede sein! Von spielerischer Herausforderung während des Schnüffelns schon gar nicht.
Knopfdruck-Schnüffeln
Das Absuchen von Tatorten? Man fährt mit dem Cursor so lange umher, bis man einen Beweis anklicken kann. Das Erkunden per Drohne? Man fliegt so lange umher, bis man eine gesuchte Person anklicken kann. Das Aufnehmen von Fotos? Man drückt auf den Auslöser, sobald alle gesuchten Elemente im Bild sind. Die werden in einer Liste am Rand gut sichtbar abgehakt. Das Befragen von Informanten oder Verdächtigen? Man klickt so lange Dialogoptionen an, bis es weitergeht. Anschließend klickt man die restlichen Dialogoptionen durch. Ach, und Verkleidungen? Darf man ausschließlich an dafür vorgesehenen Stellen anlegen – gerne einen halben Meter vor den Personen, von denen man nicht erkannt werden darf.
Macht euch keine Illusionen: Dass Jugdment nicht mit dem Entwicklungsaufwand gestemmt wurde, der einem Assassin's Creed oder Grand Theft Auto entspricht, merkt man ihm genauso an wie sämtlichen Yakuza-Episoden. Das werfe ich ihm auch gar nicht vor. Aber es wirkt sich dennoch aufs Spielgefühl aus; diese altmodische Starrheit, die auf dynamisch ineinandergreifende Systeme weitgehend verzichtet und stattdessen ein Hingehen-und-Anklicken fordert – oft innerhalb eines eng abgesperrten Areals.
Und hatte ich geschrieben, dass Takayuki Schlägereien aus dem Weg geht? Er betont das häufig, ist genervt, wenn es nicht klappt oder froh darüber, dass ihm sein Partner Masaharu Kaito oder andere Begleiter häufig zur Seite stehen. Nur ist das lediglich eine Fassade, die in zahlreichen Filmszenen aufgebaut wird. Tatsächlich prügelt sich der Detektiv genau wie Mr. Kiryu durch praktisch jeden Konflikt. Extrem selten kann er durch die Auswahl der richtigen Dialogoption mal einen Kampf verhindern. Schon beim gemütlichen Flanieren wollen ihm dermaßen viele Ganoven an den Kragen, dass ich Judgment seine bemühte Eigenständigkeit nie abgenommen
Denkt euch ein paar technische Schwächen hinzu – auffallend spät erscheinende Objekte oder Detaildarstellungen sowie plötzlich verschwindende Personen oder Sammelgegenstände, wenn das Programm vom freien Spiel in eine Dialogszene bzw. zurück wechselt – und stellt euch vor, dass nicht alle Dialoge vertont wurden, Passanten Sprechblasen über den Köpfen tragen, man recht oft auf Ladebildschirme schaut, die Verabschiedung beim Verlassen eines Lokals oder Geschäfts als Dialog bestätigt werden muss sowie andere sperrige Reliquien, die Yakuza 6 längst ad acta gelegt und u.a. deshalb eine so vereinnahmende Welt erschaffen hatte. Beim gemütlichen Erleben stört nicht zuletzt, dass man durchgehend L2 gedrückt halten muss, damit die Kamera nicht extrem schnell in Takayukis Blickrichtung zurück schwenkt. Warum gibt es dafür keine Option in den Einstellungen mehr? Wenn mich eine Kulisse so fasziniert wie Kamurocho, schaue ich fast nie strikt geradeaus!
Nur dem allerersten Yakuza ließ Sega einst eine englische Synchronisation und auch deutsche Untertitel - Judgment ist der erste Ableger, der auf die gleiche Weise lokalisiert wurde.
Mit den englischen Sprechern beweist Sega dabei ein gutes Gefühl: Sie fangen den Tonfall des Originals weitgehend überzeugend ein.
O-Ton-Fans müssen aber nicht verzichten, denn die japanische Sprachausgabe ist enthalten.habe.
So richtig modern, wirklich lebendig und spielerisch überraschend ist Judgment jedenfalls nicht. Und trotzdem holen die Entwickler unter Yakuza-Schöpfer Toshihiro Nagoshi viel Gutes aus ihrem sowohl technisch als auch inhaltlich beschränkten Fundament heraus. Und das liegt trotz des Ärgers über den überschaubaren Umfang des Detektivspiels auch an diesem selbst. Zum einen ist es
natürlich angenehm, dass die bekannte Schleife aus hingehen, Unterhaltung ansehen und prügeln durch andere Tätigkeiten aufgelockert bzw. erweitert wird. Zum anderen sind die Ermittlungen nicht durchgehend so geradlinig wie ich zuvor Extremfälle beschrieben habe. Immerhin gehört zumindest beim Knacken von Schlössern, also dem vorsichtigen Bewegen der Analogsticks, eine Portion Geschick dazu, die man unter Zeitdruck erst mal aufbringen muss.Multiple-Choice ohne Konsequenz?
In manchen Unterhaltungen sollte man zudem für den jeweiligen Fall relevante Namen oder Ereignisse parat haben, um wichtige Fragen zu stellen oder richtige Antworten zu geben. Überhaupt spielen Multiple-Choice-Gespräche eine relativ große Rolle, weil es nicht nur in Ermittlungen, sondern auch beim Flirten mit potentiellen Freundinnen sowie in anderen Situationen auf das Gesagte ankommt. Nun ist Judgment kein Witcher; meist gelangt man über das sture Anklicken aller Optionen ebenso zum Ziel. Manchmal führt genau das aber zum Game Over und fast immer gibt es für das frühe Anwählen relevanter Aussagen zusätzliche Erfahrungspunkte.
Verzweigte Handlungsfäden spinnt Jugdment nicht. Es gibt nur Einbahnstraßen mit Belohnungen und Straßensperren. Im Kleinen tut es aber tatsächlich gut, wenn man sich im entscheidenden Moment an einen ausschlaggebenden Hinweis erinnert, ohne dass das Spiel dabei hilft, oder in Befragungen noch einmal die Fakten durchgeht, um gleich beim ersten Mal eine gesuchte Antwort zu finden.
Sehr angetan bin ich weiterhin von der Art und Weise, mit der Nagoshi „sein“ Kamurocho (einen zweiten Schauplatz gibt es diesmal nicht) stärker zu einem glaubwürdigen Stadtviertel macht, als es das zuletzt gewesen ist. Auch dazu tragen verschiedene Ideen bei, von denen die vielleicht profanste ein Schlüsselbund ist, mit dem Takayuki seine Büro- und andere Türen öffnet. Denn das geschieht nicht automatisch; man muss den richtigen Schlüssel selbst anwählen. Obwohl das nicht bei jedem Betreten der entsprechenden Areale notwendig ist und obwohl es eine Fähigkeit gibt, die nach dem erstmaligen Benutzen den richtigen Schlüssel stets anzeigt, ist das ein ebenso feines wie wirkungsvolles Detail.
Freunde und Schlüssel
Eine weitere Kleinigkeit sind Freundschaften, die der Privatschnüffler durch das Erfüllen kleiner Gefallen schließt. Die entsprechenden Bekannten grüßen ihn anschließend nämlich auf der Straße, was seine Energie für besonders mächtige Angriffe steigert, oder zeigen sich anderweitig erkenntlich. Seine Vermieterin stellt ihm etwa Essen in den Kühlschrank, das seine Gesundheit wiederherstellt.
Überhaupt spielt das Essen in Judgment neuerdings eine große Rolle, denn aus der Vergangenheit bekannte Heilmittel sind diesmal rar und teuer. Sandwiches und Sushi-Pakete nehmen jetzt deren Platz ein. Abgesehen davon drehen sich erstaunlich viele Gefallen und Aufträge in irgendeiner Form um die Nahrungsaufnahme, was bisweilen seltsam anmutet, das Abenteuer aber auch ein Stück weit in der realen Welt erdet.
Guten Appetit!
Und dann sind da noch vertraute Sammelpunkte wie Children‘s Park im Nordwesten sowie Raucherinseln, an denen Takayuki die dort stehenden oder sitzenden Menschen nach Informationen befragt oder sich selbst eine Zigarette anzündet, um Gespräche der „Mitraucher“ zu belauschen. Wie gesagt: Es ist nach wie vor das altbekannte Kamurocho. Keine einzige Person läuft in der offenen Welt an einen solchen Treffpunkt, um sich dort zu unterhalten und anschließend einkaufen zu gehen. Es gibt vielmehr strikt voneinander getrennte Zufallspassanten, die immer nur unterwegs sind, sowie Kettenraucher, die ihr gesamtes Spieleleben nichts anderes tun.
Weniger gelungen finde ich dagegen zahllose Sammelobjekte, die sich an allen Ecken und Enden häufen: Materialien, aus denen man Bauteile für schnellere Drohnen oder leistungssteigernde Tränke herstellt. Mir wäre es lieber, es gäbe sie nur bei Händlern, sodass nicht ständig leuchtende HUD-Säulen im Bild wären. (Eine wichtige Notiz übrigens für Serienkenner: Weil sie als Zutat dienen, haben Taschentücher doch tatsächlich endlich einen Nutzen!)
Woher nehmen und nicht prügeln?
Umso besser gefällt mir dafür das Geldverdienen – oder vielmehr das Nicht-Geldverdienen, da in den Schlägereien kaum noch ein Groschen abfällt. Stattdessen muss Takayuki arbeiten gehen, sprich Aufträge annehmen und erledigen. Das sind keinen anderen als die bisherigen, jetzt aber plausibel in Welt und Erzählung eingebettete Nebenmissionen. Der Detektiv wird auch kaum noch auf der Straße angesprochen, sondern nimmt an bestimmten Anlaufstellen Fälle an, trifft sich anschließend mit den Klienten und erledigt dann die erhaltenen Aufgaben.
Auch das trägt entscheidend dazu bei, dass Kamurocho ein kleines Stück mehr glaubhafte Welt ist als zuvor. Im Rahmen der vertrauten Beschränkungen erschafft Nagoshi eine überzeugende Umgebung. Auch wenn es die meisten Bausteine in der Yakuza-Serie schon gegeben hat, ist das aktuelle Vergnügungsviertel in seiner Gesamtheit damit stärker Takayukis „Hood“ als es je Kazumas Zuhause war.
Großen Anteil hat daran nicht zuletzt eine Erzählung, in der Takayukis Kollegen sowie später hinzukommende Kameraden eine Art Familie bilden. Nach zehn Jahren Einzelkämpfer-Mentalität fühle ich mich in diesem wärmeren Umfeld jedenfalls verdammt wohl. Die Autoren und Filmemacher bringen sogar einen sympathisch spitzfindigen Humor ins Spiel, der vor allem Takayuki und seinen Partner Masaharu als sympathisches Duo etabliert, und von einer erstaunlich wohldosierten Prise Slapstick flankiert wird.
Familie statt Clan
Viele Klischees sind aber immer noch zu beobachten: gelegentliches Schreien etwa oder das idiotische Verprügeln des besten Freundes. Im Gegenzug erzählt Judgment dafür einen Krimi, der einmal mehr etliche Umwege über Verschwörungen in Verschwörungen nimmt, insgesamt aber direkter zum Punkt kommt und sich auch unmittelbarer um den zentralen Charakter dreht. Er ist sogar auf eine Weise emotional, die an Yakuza 2 erinnert und das ist das größte Lob, was ich einer Yakuza-Geschichte aussprechen kann!
Einen ganz bestimmten Aspekt der Erzählung finde ich allerdings fragwürdig und das ist nach wie vor die Repräsentation von Frauen bzw. der Geschlechterrollen. Nun bin ich beileibe kein Experte der japanischen Kultur und will Ryu Ga Gotoku Studio außerdem zugestehen, dass sie vor dem Hintergrund einer traditionell stärker sexualisierten Frauendarstellung eine durchaus fortschrittliche Botschaft vermitteln. Gleichzeitig fällt aber auf, dass in der hier erschaffenen Welt ausschließlich Männern Handelnde sind, während Frauen praktisch nur als Opfer oder Unterstützung dienen und natürlich beschützt, ja sogar von einem Mann eingekleidet und geschminkt werden müssen.
Andere Länder, andere Sitten?
Mal abgesehen davon, dass der 35-Jährige Takayuki im Rahmen eines Handlungsstrangs mehrmals mit einer 19-Jährigen ausgeht – was ich deshalb als extrem unangenehm empfand, weil man diese Geschichte selbst in den zahlreichen Multiple-Choice-Gesprächen nicht anders entwickeln darf außer sie als eine Art Minispiel gewinnen zu müssen, indem man sie mit Geschenken und “romantischen” Antworten umgarnt. Alternative Handlungsverläufe gibt es nicht; man könnte die Nebenmission lediglich unerledigt lassen.
Es darf gerne Unterhaltung für ein testosterongesteuertes Publikum geben! Und vielleicht erreicht ja gerade ein so inszeniertes Judgment dieses Publikum mit seinen kleinen Ermahnungen in Richtung Gleichbehandlung. Es gibt eine Szene, in der es mit einem überraschenden Perspektivwechsel vielleicht zum Nachdenken anregt. Aber sobald die Kamera mit Nachdruck auf die Oberweite junger Damen glotzt oder in aller Ruhe von den Hüften nach oben fährt, um dann nicht mal das Gesicht zu fokussieren,
fühle ich mich einfach unwohl.Der ungenierte Blick
Nichts gegen ein bisschen altmodisches Rittertum, doch im Großen und Ganzen untermauert Judgment sehr wohl die Einstellung, dass Frauen zunächst mal Spielzeuge sind und unterstellt seinen Spielern gleichzeitig, sie würden Freude daran empfinden – beides Dinge, auf die ich verzichten kann.
Und weil es gerade um Testosteron geht, will ich abschließend noch ein paar Worte den Schlägereien sowie den Minispielen widmen, bei denen alte Bekannte (Baseball, Poker, Shogi, Dart, Virtua Fighter Showdown u.m.) um ein paar neue ergänzt wurden. Am interessantesten sind hier die Drohnen-Wettrennen, bei denen man durch die Straßen Kamurochos rauscht, Beschleunigungsfelder durchfliegt, in immer schnelleren Turnieren irgendwann Champion wird und als nette Dreingabe mit den hochgeladenen Rekorden von Freunden oder fremden Spielern um die Wette rast. Den Umfang der taktischen Clan-Gefechte aus Yakuza 6 erreicht das nicht, aber eine unterhaltsame Abwechslung ist es allemal.
Ausgerechnet der Flipper...
An dieser Stelle eine nachträglich hinzugefügte Information zu den Downloadinhalten (DLC), die uns Sega vor der Veröffentlichung des Spiels auch auf Nachfrage nicht hat zukommen lassen. Dass entsprechende Inhalte auf Takayukis Handy, also dem zentralen Menü, angezeigt werden, ist dabei verschmerzlich, da sich das Icon an dieser Stelle nahtlos in die Spielwelt einfügt. Zudem erhält man mit einem der drei momentan käuflich erhältlichen DLC-Pakete Gegenstände, mit denen man das Büro des Detektivs schmücken kann. Auch das bereitet keine Kopfschmerzen.
Spaßbremse gegen Bares
Ganz anders sieht es jedoch mit zwei weiteren Paketen aus, über die man jeweils zehn Tickets erhält, welche das Spielen des erwähnten Dice & Cube ermöglichen. Verschiedene Kurse des Minispiels kosten dabei unterschiedlich viele Tickets (der erste bereits drei) und selbstverständlich erhält man Tickets auch während des normalen Spielens. Deren Anzahl ist allerdings begrenzt - und zwar so stark, dass man spürbar zum Kauf der Downloadinhalte gedrängt wird. Es gibt zwar ein Ticket, welches unbegrenzten Zugang ermöglicht, das muss man sich allerdings über sechs Gutscheine erst erspielen. Und das dauert eine lange Zeit, verlangt das Meistern sehr anspruchsvoller Herausforderungen sowie zunächst das Aufspüren derselben, denn
man weiß vorher nicht, um welche es sich handelt. Mit anderen Worten: Sega stellt den unbegrenzten Zugang eines wichtigen Spielinhalts über einen Großteil des Spiels nur Käufern von In-App-Purchases zur Verfügung. Für uns ist das ein Grund, Judgment nachträglich abzuwerten. Denn obwohl man Dice & Cube nicht spielen muss, um der Geschichte zu folgen, so sind die Minispiele doch ein unverzichtbares Element des Open-World-Abenteuers.Zusätzlich enthält eins der Ticket-Pakete außerdem Rahmen zum Verbessern der Drohnen. Inwiefern diese sich von anderen im Spiel erhältlichen Rahmen unterscheiden, konnten wir nicht ausführlich testen, doch auch hier handelt es sich um Inhalte, die verschiedene Vorgänge abkürzen und damit ins Spieldesign eingreifen. Abgesehen davon dienen die auf besondere Art gestalteten Rahmen dieses Pakets aber hauptsächlich dem Individualisieren der Drohne, was für sich genommen ein vertretbares Eingreifen ist.
Das zum Vergnügen, so weit man in Sachen Minispiele davon sprechen kann. Der bittere Ernst erwartet Takayuki selbstverständlich auf den Straßen, wo er sich ständig gegen angriffslustige Ganoven zur Wehr setzen muss. Wie gesagt: Der ganz große Kämpfer ist er nicht. Er bewegt sich anfangs recht langsam und richtet wenig Schaden an – er soll schwächer sein als Kazuma, was dadurch unterstrichen wird, dass ihm beim Kämpfen im Rahmen der Handlung häufig Begleiter zur Seite stehen. Anders als sein Vorgänger trägt er außerdem "tödliche" Wunden davon, wenn er von einer Kugel oder von Messern getroffen wird. Diese Wunden verkürzen seinen Lebensbalken dauerhaft, was nur ein Besuch beim Arzt oder der Einsatz eines teuren Erste-Hilfe-Pakets rückgängig machen kann, und dort knifflig wird, wo man während einer längeren Mission plötzlich kein Paket mehr parat hat.
Nimm die Beine in die Hand!
Für zusätzlichen Druck sorgt nicht zuletzt die Polizei, denn lässt man sich in den Zufallskämpfen auf Kamurochos Straßen zu viel Zeit, kommt jetzt eine Patrouille angefahren. Ist der Staatsgewalt nach zehn Jahren Yakuza-Schlägereien
Eine witzige Form des Freischaltens ist das sogenannte Quickstarter, bei dem Takayuki Geld in Projekte investiert, die ihm sinnvoll erscheinen. Das fertige "Produkt" erhält er umso schneller, je mehr er dafür ausgibt.also endlich aufgefallen, dass es in Kamurocho ein Problem gibt... Will man nicht im Gefängnis landen, sollte man dann jedenfalls die Beine in die Hand nehmen und weglaufen. Das ist ebenfalls eine gelungene kleine Ergänzung.
Allerdings: So richtig schwach ist Takayuki unterm Strich eben doch nicht. Hat man erst mal einige seiner Fähigkeiten entwickelt, hat er ja vor allem akrobatisch eine Menge auf dem Kasten. Er springt dann von Wänden ab oder über Feinde hinweg, führt noch im Sprung mächtige Finisher aus u.v.m. Weil die Kämpfe eine so große Rolle spielen, mag das spielerisch notwendig sein. Es wird über Takayukis Yakuza-Vergangenheit auch gerade noch plausibel erklärt. So richtig passen seine übermäßig artistischen Manöver aber nie zur Figur.
Dennoch: Unabhängig vom logischen Zusammenhalt habe ich mit dem ebenso vertrauten wie spektakulären Kampfsystem viel Spaß! Immerhin drischt man lieber nicht blind drauflos, sondern muss leichte und schwere Angriffe sinnvoll variieren sowie ankommende Attacken rechtzeitig abwehren oder ihnen ausweichen. Wichtig ist außerdem das Aufladen der EX-Ladung durch Wirkungstreffer. Die benötigt Takayuki nämlich –
Serienkenner nicken wissend – zum Ausführen der Finisher oder dem allgemeinen Verstärken aller Aktionen.Alte Stärke, neue Schwäche
Alte Schwächen übernimmt Judgment aber ebenfalls, denn relativ träge Bewegungen sorgen erneut dafür, dass man manche Aktionen nicht genau genug ausführen kann. Gerade das coole Wandlaufen funktioniert nicht zuverlässig. Finisher werden zudem wie separate Filme nicht unbedingt dort inszeniert, wo sie tatsächlich stattfinden, weshalb man sich im Anschluss oft neu orientieren muss, was im Zusammenspiel mit einer ohnehin mangelhaften Übersicht frustrierend sein kann. Spätestens wenn Takayuki Begleiter zur Seite stehen, geht der Überblick gern flöten, in Innenräumen sowieso. Umso seltsamer scheint mir die Entscheidung, eine Vielzahl der wichtigen Prügeleien in ausgesprochen engen Bereichen zu platzieren.
Ein zweischneidiges Schwert sind schließlich die starken Tränke, welche man herstellen und jederzeit einnehmen darf. In dem Zusammenhang ist es natürlich praktisch, dass man bis zu drei Inventargegenstände auf das Steuerkreuz legt, um sie schnell zu aktivieren. Weniger durchdacht ist allerdings, dass Takayuki sowohl durch die Tränke als auch das Einnehmen von Alkohol ausgesprochen mächtig wird. Selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad sind manche Kämpfe dann geradezu banal – wer sich auch nur halbwegs Zeit zum Erledigen optionaler Aufträge nimmt, hat ja weder Geld- noch Ressourcen-Sorgen. Hinzu kommen Bosskämpfe, die man durch das Aneinanderreihen ganz bestimmter Aktionen spielend leicht gewinnt. Die Balance stimmt hier einfach nicht.
Fazit
Update vom 26.06.2019: Aufgrund der erst zum Verkaufsstart veröffentlichten Downloadinhalte haben wir uns für ein nachträgliches Abwerten des Spiels entschieden. Wir verändern die Wertung von ursprünglich 77% auf 74%, da die Inhalte der DLC-Pakete, wie auf Seite 5 des Tests ausführlich beschrieben, in das zentrale Spieldesign eingreifen. Gleichwertige, direkt im Spiel erhältliche Inhalte sind zudem so stark begrenzt, dass man sich leicht zum Kauf der DLC-Pakete gedrängt fühlt.
Ich hatte gar nicht vor, Judgment als Teil der Yakuza-Serie zu beschreiben. Immerhin ist es der allererste Ableger, der das Ryu Ga Gotoku nicht im Namen trägt, dem Sega aber eine aufwändige Lokalisierung spendiert. Die Zeichen stehen also ganz klar auf Neuanfang – nur ist es spielerisch gar keiner. Denn so sehr mir die Idee gefällt, einen smarten Detektiv zu spielen, der nicht mit dem Kopf durch die Wand rennt, so sehr ist Takayuki Yagami eben doch ein Abziehbild seines auf Krawall gebürsteten geistigen Vorgängers. Dabei sind das Schlösserknacken, Verkleiden und Suchen nach Beweisen durchaus unterhaltsam – aber auch weitgehend belanglose Mikrospiele, die ausschließlich an dafür vorgesehen Punkten stattfinden. Den eigentlichen Ermittlungen schaut man nur in Filmszenen zu; selbst führt man sie fast nie aus. Gelungen sind immerhin Multiple-Choice-Dialoge, die erzählerisch zwar nicht verzweigen, in denen man für richtige Antworten aber belohnt wird. Gelungen ist auch ein leicht verändertes Kamurocho, das aufgrund technischer Altlasten eine noch immer recht starre Kulisse ist, durch sinnvolle Neuerungen aber ein Stück Glaubwürdigkeit gewinnt. Ebenfalls gelungen ist außerdem die Charakterzeichnung des Protagonisten, die über eine emotionale Geschichte und eine Prise wohl dosierten Humors eine neue “Familie” etabliert. Tatsächlich würde ich gerne mehr davon sehen und hoffe deshalb, dass Sega diesen Ableger zu einer eigenständigen Serie mit einer stärkeren spielerischen Identität ausbaut. Nur eines muss dann unbedingt besser werden: Das grundsätzlich unterhaltsame Kämpfen ist streckenweise absurd einfach, leidet gleichzeitig aber unter mangelhafter Übersicht, einer frustrierend unpräzisen Steuerung und passt noch dazu denkbar schlecht zur Person des frisch etablierten Protagonisten. Neben der fehlenden Eigenständigkeit ist also ausgerechnet das zentrale Spielelement das größte Ärgernis – und damit auch der Grund, aus dem Judgment den Sprung auf eine etwas höhere Wertung verpasst.
Pro
- neue sympathische Charaktere in emotionaler und spannender Geschichte...
- nach wie vor einmalig intime, detailliert ausgearbeitete Kulisse...
- Geldverdienen findet fast ausschließlich über Aufträge statt
- Takayuki schließt über erledigte Aufgaben Freundschaften, die ihm daraufhin ständig aktiv helfen
- Passanten kommentieren aktuelles Geschehen oder geben Hinweise
- relativ viele Unterhaltungen mit mehreren Antwortmöglichkeiten, für die man nachdenken oder sich richtig erinnern muss
- erweitertes Aktionsspektrum wie Verfolgungen, Fliegen einer Drohne und Schlösser knacken
- unterhaltsame neue sowie viele bekannte Minispiele
- unterschiedliche Tätigkeiten sind sinnvoll miteinander verknüpft
- umfangreiche Charakterentwicklung nicht nur über Erfahrungspunkte
- praktisch: sehr leichter Schwierigkeitsgrad für Story-Genießer
Kontra
- ... mit im hiesigen Kontext reaktionärem Geschlechterbild und einigen ermüdenden Yakuza-Klischees
- ... die technisch nicht ganz sauber ist: u.a. verschwinden Gegenstände oder Figuren plötzlich und einige Details tauchen sehr spät auf
- Umgebung wirkt durch relativ viele Ladeunterbrechungen, Sprechblasen statt gesprochener Texte, starre Kamerasteuerung u.m. altbacken
- häufiger Verlust an Übersicht in Kämpfen, besonders bei Story-Missionen
- relativ träge Bewegungen sorgen gegen schnelle Feinde für unzureichende Präzision im Kampf
- Beweise und Informationen dienen dafür nur dem Nachlesen, man muss sie nie eingehend studieren
- Detektivarbeit beschränkt sich auf profane Suchaufgaben usw.
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- In mehreren DLC-Paketen bietet Sega Tickets an, die zum Spielen eines der Minispiele berechtigen.
- Man kann die Spielzeit über Käufe verkürzen, Pay-to-Shortcut.
- Käufe wirken sich nur in speziellen Spielmodi wie Ultimate Team oder GTA Online aus.