The Sinking City - Test, Rollenspiel, XboxSeriesX, PlayStation4, Switch, PC, PlayStation5, XboxOne
...sollte man so entspannt erzählen, wie man eine Pfeife raucht. Das muss nicht für jedes Spiel der ideale Einstieg sein, aber H.P. Lovecraft (1890 - 1937) nahm sich für den Spannungsaufbau seiner Geschichten genug Zeit. Er ließ seine akademisch gebildeten Helden mit aller rationalen Skepsis ermitteln, ließ dem Unheimlichen oder dem Grotesken über Andeutungn zunächst Raum zur Entfaltung. Zwar ahnte man als Leser früh, dass irgendetwas in Innsmouth oder Arkham nicht stimmte, aber der Vorhang zum Undenkbaren öffnete sich langsam - manchmal auch erst im Finale mit einem gnadenlosen Ruck, der ein aussichtsloses Grauen offenbarte.
Eine gute Geschichte...
Frogwares hat sich leider dazu entschieden wie ein Kettenraucher zu erzählen, der hastig Kippen nachziehen muss und an
dessen gelben sowie zittrigen Fingern man sofort erkennt, wie es um ihn steht. Genauso zügig offenbart sich die offene Spielwelt von The Sinking City: Kaum schlüpft man in die Rolle von Charles Reed, begegnet man in Visionen riesigen Kreaturen mit Tentakeln, greift zur Waffe und sammelt Zutaten für Munition, sieht irre Kultisten am Hafen beten, ist von Octopus-Kadavern umgeben und hat es schon im ersten Auftrag als Fremder mit der mächtigsten Familie und einem Mord, mit Affengesichtern, Fischköppen und so genannten Wyldebiestern zu tun, die nicht mal ansatzweise an die verstörenden Kreaturen aus Silent Hill herankommen. Nicht weil sie so schlecht designt sind, sondern weil sie so plump auftauchen.Ursprünglich sollten die Sherlock-Holmes-Macher von Frogwares nicht dieses The Sinking City, sondern das Call of Cthulhu für Focus Home Interavtive entwickeln, das schon 2014 angekündigt wurde. Aber dann haben die Styx-Designer von Cyanide die Umsetzung des offiziellen Pen-&-Paper-Rollenspiels von Chaosium übernommen und Frogwares landete mit seinem Konzept bei Big Ben.lässt die angedeutete Skepsis von Charles Reed manchmal lächerlich erscheinen. Das ist schade, denn es gibt durchaus viele Gespräche, einige interessante Figuren, bekannte Motive aus dem Lovecraft-Mythos und die deutsche Sprachausgabe kann sich auch bei den Nebenfiguren hören lassen. Die Erkundung von Oakmont beginnt Reed mit Unterstützung von Johannes van der Berg, der ihn am Hafen abholt und als einheimischer Berater fungiert.
Schwacher Einstieg
Manchmal kann so ein hektischer Einstieg ja trügen, aber Frogwares zerstört auch in den folgenden Stunden jegliches Verwunderungspotenzial und
Diese archetpyische Gestalt kann zumindest kurz die Neugier sowie mit offensichtlichen Bezügen zum "König in Gelb" (eine Kurzgeschichte von Robert W. Chambers aus dem Jahr 1895, die auch H.P. Lovecraft inspirierte) die Hoffnung auf subtilere Entwicklungen und mehr Rätselhaftigkeit wecken, aber die Hoffnung schwindet bald. Schon in den ersten Stunden zeigt sich in den linearen Dialogen und den langweiligen bis absurden Fähigkeiten, dass das hier kein Rollenspiel mit rhetorischen Feinheiten oder interessanter Charakterentwicklung
wird, sondern eine Mischung aus schnöder Action, ständiger Sammelei und zumindest solider Detektivarbeit mit leichtem Horrorflair. Obwohl das fast zu viel ist: Denn nicht mal ansatzweise fühlt man sich beim Spielen derart vom kosmischen Horror beeindruckt wie bei der Lektüre von Lovecrafts Geschichten.Immerhin reagieren Bewohner ängstlich auf Waffen und die Polizei schreitet bei Schusswaffengebrauch ein - aber dazu gibt es keinerlei Anlass. Warum soll Charles das machen? Und wo sind mal Zwischenfälle abseits von Plünderern, die sich um Beute streiten? Wo verhalten sich denn Leute erkennbar gemäß ihrer sozialen Situation? Wo ist denn der Rassismus auf den Straßen, wenn alles friedlich miteinander herum spaziert? Zwar wird er in den Dialogen spürbar, wenn die affenähnlichen Throgmortons über die fischgesichtigen Innsmouther sprechen, die als Flüchtlinge verachtet werden, aber in der Spielwelt ist davon nichts zu sehen - eine Schwarze ist sogar Zeitungschefin. All das wirkt im Zeitalter von Red Dead Redemption 2 wie digitale Steinzeit.
Den letzten Rest an Lebendigkeit zerstört nämlich das Figurenverhalten in Gebäuden: Obwohl man in Dialogen als Neuankömmling misstrauisch behandelt wird, darf man überall, auch hinter der Theke des Wirts oder in besetzten Büros
ungestraft an Kisten und Schränke, um sich mit Beute einzudecken. Das wiegt umso schwerer, weil die Bevölkerung laut Story unter Hunger & Co leidet. Aber das Spieldesign nötigt einem ja aufgrund fehlender Geschäfte oder Händler zur ständigen Sammelei, denn ohne die Materialien für das Crafting kann man weder Munition noch Heilmittel oder Fallen erstellen. Immerhin kann man die Beute nach erledigten Missionen über die Charakterentwicklung erhöhen. Apropos: Die ist auch ein Graus für alle, die auch nur etwas anspruchsvolles Rollenspiel erwartet haben!Sobald man aufsteigt, darf man Charles Reed hinsichtlich Kampf, Körper und Geist verbessern. Ersteres macht Pistolen, Revolver, Gewehre, Schrotflinten, Granaten etc. effektiver - also all das, was Lovecrafts Anti-Superhelden fast gar nicht benutzten. Beim Körper geht es darum, dass man mehr (!) Patronen, Heilpakte & Co tragen darf oder weniger Schaden nimmt. Beim Geist schwindet dann die letzte Hoffnung auf Rollenspiel, denn da darf man tatsächlich entweder mehr Crafting-Gegenstände tragen (!) oder prozentual mehr Erfahrung gewinnen bzw. weniger schnell dem Wahnsinn verfallen oder doppelt
so viel Beute einsacken. Hier ist die Charakterentwicklung nur noch Sklave des auf Sammeln, Crafting und Action getrimmten Spieldesigns!Charakter-Entwicklung ohne Tiefe
Nicht falsch verstehen: Natürlich soll Charles Reed als ehemaliger Taucher der US-Marine und Veteran des Ersten Weltkriegs auch kämpfen können! Aber muss es gleich so schnöde sein? Entweder haut man im Nahkampf ohne Zielfixierung zu, was eher für chaotische Klopperei sorgt, oder man ballert simpel aus der Distanz ohne Deckungs- oder Visierfunktionen, ohne hinterhältige Attacken oder Ausweichmöglichkeit. Ja, man kann geduckt gehen, aber hat dadurch nahezu keinerlei Vorteile, kann weder ausknocken noch direkt töten. Zwar sorgen Granaten gegen mehrere Feinde sowie Fallen für etwas Abwechslung und manche größere Kreaturen haben Schwachstellen, aber die Shootermechanik ist primitiv. Allerdings gibt es auch so einige peinliche Situationen, in denen sich Logik- und Technik-Bugs gute Nacht sagen: In der medizinischen Fakultät ist es dem Assistenten vollkommen egal, dass im Keller ein riesiges mutiertes Monster ohrenbetäubend brüllt, dem wiederum die Wände egal sind, durch die es mich angreift...
Die Fokussierung auf Traglast, Kampf & Co in der Charakterentwicklung ist mir unverständlich. Warum gibt es keinerlei rhetorische oder psychologische Talente? Warum gibt es kein Schloss knacken oder Ähnliches? Warum kann man nicht seine paranormalen oder detektivischen Fähigkeiten verbessern? Apropos: Türen werden plump eingerannt, Schlösser aufgeschossen. Es ist mir jedenfalls vollkommen schleierhaft, wie man dazu mit Pegasus ein Pen&Paper-Abenteuer namens "Schwarze Tiefen" aufsetzen kann! Aber Moment, wenn ich das hier in der Beschreibung lese...
..wird wieder einiges klar. Liebe Lovecraft-Interessierte, liebe Pen&Paper-Einsteiger: Es gibt seit 1981 ein bis heute aktualisiertes und richtig gutes Regelwerk von Sandy Petersen bei Chaosium. Das empfehle ich euch dringend. So, und jetzt
weiter zu The Sinking City, das sich zwar zu all den enttäuschenden Digitalisierungen von Lovecrafts Werk gesellt, aber das tatsächlich auch gute Seiten hat, die es vor einem Verriss retten."Schwarze Tiefen ist besonders für Neueinsteiger oder Spieler, die ein nicht allzu komplexes Regelwerk bevorzugen."
Die guten Seiten
Mir gefällt z.B., dass man aufgrund der überfluteten Straßen nicht alles zu Fuß, sondern teilweise nur mit dem Boot erreichen kann und dass man einige Questziele auf der Karte aktiv suchen muss, indem man Straßennamen durchstöbert. Das ist noch sehr leicht und hat man erstmal genug Schnellreise-Telefonzellen entdeckt nicht besonders gefährlich: Vorher muss man aber schonmal durch ein infiziertes Gebiet, das wie ein Ghetto abgeriegelt ist - da gibt es in Tonnen und Kisten viel Beute, aber aus dem Boden brechen schnell zig Monster, da hilft nur schnell durchlaufen.
Man kann die Gefahr bzw. den Anspruch verstärken, wenn man im Schwierigkeitsgrad nicht nur den Kampf in drei Stufen, sondern auch die Detektivarbeit anpasst; so bekommt man schon auf "normal" weniger optische Hilfsanzeigen und weniger
klare Hinweise auf das, was als Nächstes zu tun ist. Auch die fünf Zeichen an Türen, die für Bewohner, Beute, Gefahr etc. stehen sind eine nette Idee.Überhaupt hat die Recherche gute Ansätze, die etwas logisches Nachdenken erfordern: Hinweise aus Dialogen werden zunächst als separate Notizen abgelegt, die man aktiv miteinander kombinieren muss - wie etwa ein Motiv und einen Mordverdächtigen. Außerdem kann man aus diesen passenden Hinweisen mehrere Schlussfolgerungen ziehen, so dass man einen Täter am Ende eher entlastet oder klar beschuldigt. Je nachdem wie man sich hier entscheidet, gibt es kleinere Konsequenzen wie Belohnungen oder größere Folgen innerhalb der Story mit ihren mehreren Enden. Hier und an weiteren Stellen bemerkt man die Expertise der Sherlock-Holmes-Macher.
Hinweise kombinieren
Man kann im Krankenhaus, bei der Polizei oder Zeitung z.B. in Archiven stöbern, um bestimmte Personen zu finden. Dabei muss man drei Indizien aus vier möglichen Kategorien eingeben, darunter etwa der Zeitraum, der Bezirk oder die Art des Verbrechens, um ein Ergebnis zu bekommen. So fühlt man sich jedenfalls deutlich mehr als Privatdetektiv als etwa in Judgment, wo man gar nichts selbst recherchiert. Zwar ist das Sammeln von Hinweisen an Tatorten eher banal, weil man erst alle Monster erledigt und dann einfach alles anklickt, was irgendwo markiert ist. Trotzdem sorgt das Drehen von Gegenständen samt Erkenntnissen für aktives Untersuchungsflair à la The Room.
Für Abwechslung sorgt auch die paranormalen Recherche, denn Charles Reed verfügt über das innere Auge und kann z.B. über benutzte Objekte auch Tore in die Vergangenheit öffnen und zurückliegende Geschehnisse an einem Tatort sichtbar machen: Sobald er alle Hinweise gefunden hat, kann er sich drei oder mehr Ereignisse ansehen und muss diese dann in die richtige Reihenfolge bringen. Das ist aber letztlich nicht besonders schwer, zumal es sich über Trial&Error stupide lösen lässt - hier hätte man bei Fehlversuchen auch die geistige Gesundheit angreifen müssen.
Paranormale Recherche
Zu den besten atmosphärischen Ideen gehört nämlich, dass Realität und Wahnsinn ineinander übergehen: Sobald die geistige Gesundheit durch den Anblick von Mordopfern oder Monstern sinkt, schwankt auch Charles' Wahrnehmung, er sieht zunächst schemenhafte Visionen von Fratzen und hat es später mit geisterhaften Dämonen bzw. Monstern zu tun, die ihn töten können. Das wird richtig gut visualisiert, sorgt für Spannung, aber lässt sich mit einem Griff zur Spritze auch schnell wieder normalisieren. Unterm Strich steckte einiges an Potenzial in diesen Ideen, die aber innerhalb des gewöhnlichen Spieldesigns
Technik, Fehler und Zickereien
Auf dem Rechner läuft das von der Unreal Engine inszenierte Abenteuer deutlich besser, es gab keinerlei Tearing. Die Bildrate ist auf 60fps festgesetzt, aber komplett sauber sieht die Lovecraft-Welt am Rechner auch nicht aus. Schatten und Objekte
werden auch in höchster Performance bei maximaler Sichtweite manchmal zu spät eingeblendet und es gab kleinere Slowdowns. Ihr könnt die Maus- und Tastatur-Steuerung anpassen oder eine festgelegte Gamepad-Eingabe nutzen und es gibt Widescreen-Unterstützung.Hinzu kommen auf allen Systemen Clipping-Fehler und kleinere Bugs in der Steuerung: Da muss man manches Foto zwei oder dreimal schießen, weil die Motivabfrage so pingelig ist. Und obwohl Charles Reed auf Knopfdruck über hüfthohe Hindernisse klettern kann, wird auch das nicht immer akkurat ausgeführt. Dass man den Knopf zum Aufsammeln der Gegenstände in einer Kiste sowie für das Injizieren von Spritzen oder Konsumieren von Heilmitteln gedrückt halten muss, wird aber irgendwann zur Gewohneit.
Fazit
Wann gibt es endlich ein digitales Abenteuer, das dem einzigartigen Horror von H.P. Lovecraft gerecht wird? Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth gelang das 2006 (!) zumindest im ersten Drittel, bevor es in plumper Ballerei versank. Aber The Sinking City scheitert schon im Einstieg. Und Frogwares hat sich trotz einiger guter Ideen vollkommen in der offenen Welt übernommen. Schon die ersten Stunden enttäuschen, weil man als Spieler nicht langsam an das Unheimliche und Groteske herangeführt, sondern direkt hineingeworfen wird - vieles wirkt einfach nur plump. Im Zeitalter von Red Dead Redemption 2 fühlt man sich in diesem statischen Oakmont wie in einer digitalen Steinzeit mit robotischen Bewohnern. Zudem enttäuscht die "Charakterentwicklung" mit ihrem Fokus auf Traglast, Schaden & Co ebenso wie das aufgezwungene Sammeln von Zutaten samt Crafting sowie der letztlich öde Kampf. Dass das kein kompletter Verriss wird, liegt neben der guten deutschen Sprachausgabe und einer zumindest im Ansatz interessanten Story samt möglicher Entscheidungen an zwei positiven Aspekten: Zum einen gefallen mir die fließenden Übergänge zwischen Realität und Wahnsinn. Zum anderen können die Sherlock-Holmes-Macher im Bereich der Recherche besser unterhalten, wenn man in Archiven suchen, Hinweise kombinieren und Entscheidungen treffen muss. Aber all diese stimmungsvollen Ansätze werden von einem gewöhnlichen Spieldesign, unglaubwürdigem Figurenverhalten, fehlender Interaktion, plumpen Gefechten, schwacher Technik und einigen Bugs immer wieder konterkariert. Unterm Strich bleibt ein ernüchterndes Erlebnis, das diesem außergewöhnlichen Mythos mal wieder nicht gerecht wird.
Pro
- interessante Ausgangssituation mit überfluteter Stadt
- Hintergundgeschichte macht neugierig
- Hinweise kombinieren und Schlüsse ziehen
- viele Motive aus Lovecrafts Mythos erkennbar
- einige Entscheidungen mit Konsequenzen
- gute detektivische Recherchen (Archiv etc.)
- schöne Übergänge von Realität und Wahnsinn
- zumindest kleinere Rätsel und Überraschungen
- stimmungsvolle Abstecher in die Tiefsee
- Wetterwechsel
- Schnellreise und manuelles Speichern
- komplett auf Deutsch lokalisiert; gute Sprecher
- drei Schwierigkeitsgrade für Kampf und Recherche
Kontra
- überhasteter, wenig stimmungsvoller Einstieg
- kaum Verwunderungs
- oder Überraschungspotenzial
- schrecklich statische offene Welt ohne Interaktionen
- enttäuschende Charakterentwicklung
- unglaubwürdiges Figurenverhalten
- plumpes Auftauchen von Monstern
- chaotische Nahkämpfe ohne Zielfixierung
- nur sehr simple, unpräzise Shooter-Mechanik
- aufgezwungene Sammelei und Crafting
- meist lineare Dialoge, keine rhetorischen Fähigkeiten
- Rassismus nur in Dialogen spürbar, nicht in Spielwelt
- plumpes Türen einrennen und Schlösser aufschießen
- Mimik, Gestik, Animationen,Texturen mager bis solide
- Steuerungszicken beim Fotografieren, Klettern
- Pop-ups, Fade-ins, Clippings etc.
- Bildratenprobleme, viele Ladezeiten
- einige peinliche Bugs in Missionen
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.