Sea of Solitude - Test, Adventure, PC, Switch, XboxOne, PlayStation4

Sea of Solitude
05.07.2019, Jörg Luibl

Test: Sea of Solitude

Modernes Märchen

Bisher gab es drei über EA Originals veröffentlichte Independent-Spiele: Fe, A Way Out und Unravel. Jetzt ist mit Sea of Solitude das vierte und erste Spiel eines deutschen Studios für knapp 20 Euro erschienen. Cornelia Geppert und Jo-Mei aus Berlin inszenieren auf PC, PS4 und Xbox One ein stimmungsvolles Abenteuer, in dem sich ein Mädchen seinen Ängsten stellt.

Gerade schipperte das Mädchen noch entspannt durch eine pastellfarbene Stadt, während der Himmel strahlte und die Sonne lachte. Aber plötzlich wechselt das Wetter, das Wasser steigt, der Wind tost und aus dem freundlichen Licht wird bedrückende Dunkelheit. Hände greifen nach ihr und Monster lauern in der Tiefe. Wo soll sie hin? Sie kann eine Leuchtrakete abschießen, um den Weg zu finden.

Von der Idylle zum Alptraum

Was idyllisch aussieht...
Diese Stimmungswechsel von der Idylle zum Alptraum gehören zu den großen Stärken dieses Abenteuers. Manchmal teilt sich das Wasser auf beeindruckende Art, manchmal versinkt die Welt in Finsternis. Und so wird auf visueller Ebene genau das inszeniert, was auf psychologischer Ebene im Kopf des Mädchens vorgeht: Sie ist einsam, hat Angst, ist emotional zerrissen, sucht nach Antworten und sich selbst.

Man beginnt das Spiel ohne erkennbares Gesicht als schwarze Kreatur mit rot leuchtenden Augen, in einem Boot kauernd. Wie kann man sich wieder in einen Menschen verwandeln? Als Fremde erkundet man eine zunächst unbekannte Welt, zu Fuß oder über das Wasser schippernd in Schulterperspektive.

...kann sich schnell in eine Finsternis verwandeln.
Allerdings ist die Freiheit auf kleinere Areale begrenzt, denn es geht meist linear vorwärts.

Das einsame Monster

Nach der Begegnung mit einem strahlenden Mädchen, das wie ein hoffnungsvoller Wegweiser agiert, setzt langsam die Erinnerung ein, wirken die Stadt und manche Figuren seltsam vertraut. Aber selbst wenn man weiß, dass man Kay heißt und in einem surrealen Berlin seiner eigenen Vergangenheit unterwegs ist, bleibt vieles angenehm rätselhaft und symbolisch.

Auch wenn die über die Unity-Engine inszenierte Kulisse auf einen Zeichentrick-Stil ohne fotorealistische Details setzt, entstehen eindrucksvolle Momente. Man fühlt sich fast an Ghibli-Filme erinnert, wenn riesige Monster auftauchen, die mal ihren Hass unverholen hinaus brüllen oder verräterisch aus der Distanz flüstern, dass man doch näher kommen soll. Manche wirken auf den ersten Blick so majestätisch und friedlich, dass Kay sich an sie schmiegt, lassen aber dann ihre Maske fallen und zischen ihre Wut hinaus.

Manchmal wird Kay auch von kleineren Monstern verfolgt.
Apropos: Es gibt lediglich englische Sprachausgabe und deutsche Untertitel, was angesichts der Berliner Bezüge sehr schade ist. Manche Texte sind widersprüchlich ins Deutsche übersetzt worden: Aus "I want to change it, change me." wird z.B. "Das muss sich ändern. Verändere mich!", so dass man das Gefühl haben könnte, dass die Heldin jemanden um Hilfe bittet. Zumal die Sprecher ja hörbar ein Englisch mit deutschem Akzent sprechen - auch wenn das vielleicht ein kleines Zugeständnis sein soll, wirkt das letztlich doppelt inkonsequent. Natürlich ist meist der finanzielle Aufwand zusammen mit dem Ausblick auf internationale Käufer ein Grund dafür, dass man sich das Deutsche spart. Aber hätte ein französisches Studio mit Schauplatz Paris auch auf seine Muttersprache verzichtet?

Unangenehm wird es thematisch, denn Kay hat es nicht nur mit ihrer Angst vor diffusen Monstern, sondern mit ganz konkreten Erinnerungen zu tun, die all diese Furcht einflößenden Kreaturen symbolisieren. Sie muss sich ihrer Familie sowie ihren Beziehungen stellen, die psychologische Narben hinterlassen haben. Es geht um Ignoranz, Hass, Liebe, Lügen, Oberflächlichkeit, Egoismus, Mobbing, Gewalt und Depressionen.

Ernste Themen

All das wird in Dialogen und Konflikten sowie gespielten Szenen zwar sehr deutlich, aber es wahrt immer eine gewisse ethische Grenze, und bietet eine auflösbare Perspektive. Das passt natürlich zu einer visuellen Inszenierung, in der man die

Das Kreaturendesign ist überaus gelungen.
Finsternis wieder in eine Idylle verwandeln kann, hat dramaturgisch allerdings Vor- und Nachteile: Einerseits wird man als Erwachsener vielleicht nicht so ergriffen wie in einem The Cat Lady, das die Depression noch abgründiger bzw. grausamer darstellte. Und man wird nicht so schockiert oder verstört wie in einem Silent Hill oder Survival-Horror der extremen Art. Andererseits fühlt man sich wie in einem modernen Märchen mit einem Ausblick auf ein gutes Ende. Hier kann das Spiel mit seinen direkten Verwandlungen tatsächlich heilsam wirken. Trotzdem wirken einige Gespräche und Situationen auch deshalb etwas künstlich, weil man ahnt, dass sie Dinge bewusst weglassen.

Es gibt einige beeindruckende Effekte, wenn sich z.B. das Wasser teilt.
Sea of Solitude ist kein reines Erzählspiel wie z.B. Dear Esther. Es gibt wie in Papo & Yo, das sich ähnlich symbolhaft mit dem Alkoholismus beschäftigte, einige interaktive Elemente - man kann auch scheitern und sterben. Kay kann klettern, springen, schwimmen und Leitern benutzen, Flaschen mit Botschaften einsammeln oder Möwen verscheuchen, außerdem kommt es zu Jump&Run-Passagen sowie Flucht und kampfähnlichen Situationen, obwohl Kay selbst nicht zuschlagen kann.

Katz und Maus

Manchmal muss man schnell etwas an sich nehmen, wegrennen und irgendwo einsetzen oder kleinere Monster besiegen, indem man sie clever ins Licht lockt. Und immer wieder wird es überaus gruselig, wenn man sich langsam an Kreaturen im Dunkeln vorbei schleichen oder schnell mit gutem Timing über das Wasser springen muss, damit einen die schwimmende Kreatur nicht frisst, die einen stets verfolgt - gerade bei ihren Angriffen wird die Angst im Nacken spürbar.

Die lokale Dunkelheit besiegt man, indem man die Verderbnis eines Ortes findet und sie wie ein Ghostbuster in seinen Rucksack saugt - so wird die Welt wieder freundlicher. Was man zunächst noch ungestört machen kann, wird erst um Katz- und Mausjagden und dann zu mehrstufigen Bosskampfsituationen ausgeweitet.

Kann Kay ihre Einsamkeit und ihre Ängste überwinden?
Das ist gut für die Abwechslung, aber schwankt in der Qualität, und manchmal kommt es zu monotonen Wiederholungen. Auch das Leveldesign birgt einige Inkonsequenzen, was das Klettern oder unzugängliche Bereiche betrifft und ist meist auf eine lineare Lösung ausgelegt, so dass etwas Trial&Error entsteht. Außerdem hat man die Flaschen als erzählerisches Element nicht konsequent genutzt, da sie nur kleine Facetten hinzufügen und im letzten Dritteln kaum noch etwas zur Geschichte beitragen. Und die Möwen bieten zwar einen ansehnlichen Überblick aus der Vogelperspektive, aber für die Erkundung bringt das zu wenig Erkenntnis, etwa über mögliche Routen oder besondere Orte, so dass beide lediglich Sammelobjekte bleiben und ihre Potenziale als Verstärker für das Spielerlebnis nicht ausnutzen.

Fazit

Sea of Solitude ist ein stimmungsvolles modernes Märchen. In seinen besten Momenten erinnert es mit seinen monströsen Kreaturen an Ghibli-Filme wie Chihiro, außerdem gefallen mir die souverän inszenierten Wechsel zwischen Idylle und Finsternis - so wird auf visueller Ebene auch die psychologische Zerrissenheit der Heldin gespiegelt. Allerdings erreicht man nicht ganz die erzählerische Klasse eines What Remains of Edith Finch und die spielerischen Elemente sorgen zwar für überraschend viel Interaktion, sogar für Bosskampf ähnliche Szenen, aber haben ähnlich wie die Sammelobjekte auch einige Defizite. Trotz der ernsten Themen wie Angst, Hass und Depressionen wird man als Erwachsener vielleicht nicht so ergriffen wie in einem The Cat Lady, das noch abgründiger und grausamer wirkte. Und man wird nicht so schockiert oder verstört wie in einem Silent Hill oder Survival-Horror der extremen Art. Andererseits findet Sea of Solitude über seine fünf Stunden eine gute emotionale Balance, wirkt überraschend unheimlich, aber in seinen situativen Auflösungen auch heilsam, so dass man der Heldin durch all ihre Konflikte gerne bis zum Ende folgt. Es gibt allerdings lediglich englische Sprachausgabe und deutsche Untertitel, was angesichts der Berliner Bezugs natürlich unheimlich schade ist.

Zum Video-Epilog: Das Spiel als Heiler
Zur Kolumne: Das Spiel, der große Heiler

Pro

  • interessante Story um reale Ängste
  • einige emotionale Momente, ohne Kitschalarm
  • guter Einsatz von Symbolen und Metaphern
  • stimmungsvolle Wechsel von Idylle und Bedrohlichkeit
  • tolle Wetter- und Wasserveränderungen
  • viel Interaktion und Spielmechanik für ein Erzählspiel
  • Hüpfeinlagen, Fluchtaction, Kämpfe und "Bosse"
  • ansehnliche architektonische Inszenierung
  • gelungenes Monster- und Figurendesign
  • englische Sprachausgabe und deutsche Untertitel
  • faires Speichersystem

Kontra

  • linearer Ablauf
  • weitgehend einfache Herausforderungen
  • einige redundante Phasen (Kämpfe etc.)
  • freie Erkundung nur in Ansätzen (künstliche Grenzen)
  • kleinere Inkonsequenzen (Klettern etc.)
  • Potenzial von Flaschen und Möwen nicht genutzt
  • kleinere Widersprüche im deutschen Text
  • keine deutsche Sprachausgabe, obwohl deutscher Schauplatz

Wertung

PC

Sea of Solitude ist ein stimmungsvolles modernes Märchen, das auf souveräne Art mit Ängsten, Konflikten und Depressionen umgeht.

XboxOne

Sea of Solitude ist ein stimmungsvolles modernes Märchen, das auf souveräne Art mit Ängsten, Konflikten und Depressionen umgeht.

PlayStation4

Sea of Solitude ist ein stimmungsvolles modernes Märchen, das auf souveräne Art mit Ängsten, Konflikten und Depressionen umgeht.

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Kommentare
Leon-x

Ist ja neben A Plague Tale gerade im EA Premiere Abo.

Finde es ein sehr stimmungsvolles und schönes Game. Steuerung geht auch am PC.
Erinnert mit teilweise an Rime nur ohne die Rätsel.

vor 5 Jahren
Usul

Aber eine 80% für ein faktisch schlechtes Spiel. Einfach nur lächerlich. Aber gut, egal. Bewertungen sind mir eh schnuppe
Sie sind dir schnuppe, aber dennoch findest du 80% lächerlich. Klingt das nicht etwas widersprüchlich?
Das fängt beim ultraschlechten Menü an (Klar, 99% des Durchschnittsmenschen geben auf Details eh nichts)
Ja, und 15677777% der Menschen übertreiben maßlos.
Nicht auch nur einmal ansatzeweise irgendein Gefühl empfunden, obwohl ich selbst introviertiert, depressiv bin, geschiedene Eltern habe, in der Schule gemobbt wurde, etc.
Ich glaube, eine Autobiographie ist nicht wirklich nötig, aber gerade Depression zeichnet sich doch nicht selten durch Schwierigkeiten bei der Emotionsempfindung aus.

vor 5 Jahren
Grimwood

Holy fuck, es ist ja allgemein bekannt, dass 4Players absichtlich kontrovers bewertet, aber hatte damit nie was zu tun, und war meist auf "deren" Seite, wenn irgendein gehyptes Spiel hier weniger bekam. Aber nun ist es leider mal andersrum.
What the literal fuck.
Ja, ich hab auf das Spiel Jahre gewaret (War in meinen Top 5 Most Wanted für mehrere Jahre) und ein neues Journey o.ä. erhofft. Aber eine 80% für ein faktisch schlechtes Spiel. Einfach nur lächerlich. Aber gut, egal. Bewertungen sind mir eh schnuppe (und haben keinerlei Aussage oder Bedeutung - was mich aufregt, sind nicht unbedingt die sogenannten "Kritiker", sondern die Menschen, die sowas hinterherlaufen und darauf irgendwas geben, aber ich schweife ab).

Für mich persönlich auf jeden Fall die größte Enttäuschung seit langem.
Vor allem, weil es qualitativ einfach so unglaublich schlecht ist.
Das fängt beim ultraschlechten Menü an (Klar, 99% des Durchschnittsmenschen geben auf Details eh nichts) und hört bei den schlechten Credits (Standbild!) auf. Was hätte man allein da schon machen können.
Und für was ist da so ein langer Abspann? Teams von 1 oder 2 Personen schaffen da mehr.

Dialoge sind manchmal zu laut, manchmal zu leise gemischt. Musik hakt plötzlich ab. Das Acting ist grottenschlecht (nicht der Akzent, sondern, wie es gesprochen/delivered wird). Die Dialoge scheinen wie von einem 5 Jährigen geschrieben.
Nicht auch nur ein Hauch von Subtilität. Nichts zum interpretieren, was sonst großartige Kunst ausmacht (Journey, Kentucky Route Zero, Team Ico Spiele etc), alles für den Dümmsten ausgesprochen.

Nicht auch nur einmal ansatzeweise irgendein Gefühl empfunden, obwohl ich selbst introviertiert, depressiv bin, geschiedene Eltern habe, in der Schule gemobbt wurde, etc.

Die einzelnen Teile sind toll - Artdesign grandios (Das man sowas aus Deutschland sieht!), toller Score, wichtiger Inhalt. Aber nichts davon kommt "zusammen zu einem großen Ganzen / Kunstwerk", da einfach jeder Polish fehlt (Es fühlt sich wie ein Billigindietitel an).

Mich kotzt jetzt schon der zukünftige "Preishype" um dieses Spiel an. Es wird jeden Award einheimsen, eben weil "Der Inhalt so wichtig ist", "Es kommt aus Deutschland".
Und ja, genau so eine Art will ich haben, aber bitte IN GUT.
Auch Vane war mit einem viel kleineren Team so viel besser GEMACHT.

Ich bin ja normalerweise der große Verfechter von "Alles ist subjektiv, jede Kritik ist eh absoluter Bullshit, da nur persönliche Meinung" etc, aber es macht einen einfach dann doch immer wieder mal so richtig fertig, wenn sowas offensichtlich schlechtes so bewertet wird. Und eben nicht als der 0815 Hardcore Gamer, der sowas eh als "Wuääh, das ist doch kein Spiel, kein Gameplay etc" abtut, sondern als jemand, der genau nur solche Erlebnisse als Spiele haben will (Edith Finch, Journey, Brothers, Gris, etc.).

vor 5 Jahren
NomDeGuerre

Wie erkennt man Deutsche im Ausland? Sie sagen am Tresen "Two beer, please!"
Ach, was sagen nicht deutsche denn so stattdessen? Immer schön solche Klischees mal zu erfahren.
Jesses, Witze bedienen nun mal Klischees und um diese geht´s hier ja auch irgendwie.
Übrigens bedienst du mit dem post auch eines: nämlich das des humorbefreiten Deutschen.
Wie viele Deutsche braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?
?
Show
Einen. Wir sind effizient und haben keinen Humor!

vor 5 Jahren
MrLetiso

I believe my pig whistles
This whole conversation goes on no cow skin.

Ich finde das Spiel ziemlich ansprechend, sowohl was Erzählweise als auch Artdesign angeht.

vor 5 Jahren