Defector - Test, Action, OculusRift, VirtualReality

Defector
19.07.2019, Jan Wöbbeking

Test: Defector

Agententhriller in VR

Sony hat Blood & Truth, Facebook kontert mit Defector: Das überdrehte Action-Adventure soll beweisen, wie intensiv ein Agenten-Thriller in VR sein kann. Wir haben uns die Oculus Rift S übergeschnallt und sind mit dem Sportwagen aus dem Frachtraum eines fliegenden Jets gerast, um mit einem stilechten Dropkick in der Maschine der Verschwörer zu landen. Alles für den Test!

Eine Verschwörung um ein geheimnisvolles Kästchen, gefährliche Technologien, Schießereien, Faustkämpfe mit Bewegungs-Controllern und jede Menge Gadgets: Twisted Pixels Action-Adventure aus der Ego-Sicht hat fast alles, was sich ein Fan von James Bond oder Mission Impossible für ein VR-Spiel wünschen kann – nur noch übertriebener! Bereits in der ersten Mission liefere ich mir im rüttelnden Flugzeug Schießereien mit einem zwielichtigen Waffenhändler, um an ein begehrtes technisches Artefakt zu gelangen. Die Shootouts gehen dank der Touch-Controller und des gelungenen Inside-out-Trackings der Rift S gut von der Hand. Für Headsets der Konkurrenz sind übrigens keine Umsetzungen geplant; auch fürs hauseigene Mobil-Headset Quest gibt es noch keine Ankündigung.

Übertrieben wild!

Im späteren Spielverlauf wird es dank der begrenzten Energie auch mal richtig spannend, so dass ich mich geschickt von Deckung zu Deckung vorarbeiten muss, statt ungestüm Rambo zu spielen. Manchmal hätte ich mir allerdings eine Waffe gewünscht, die besser zum Fernkampf passt, etwa bei einer Verfolgungsjagd über die Dächer. Sei‘s drum, denn immerhin handelt es sich bei den technischen Nahkampf-Spielereien um äußerst coole elektrische Kampfhandschuhe oder sogar einen abgerissene Roboterarm mit eingebauter Kanone! Außerdem dabei sind ein paar Pistolen, Sturmgewehre und Flinten.

Zeit für eine Geschütz-Sequenz!
Anders als bei Blood & Truth ist man hier nicht „auf Schienen“ unterwegs, sondern ganz klassisch wie in einem Ego-Shooter. Obwohl ich pausenlos renne, in einem Heli abstürze und anderweitig durch die Luft geschleudert werde, hat das meinen Magen bislang nicht im Geringsten beeindruckt. Und das, obwohl ich nicht einmal eine Vignette vor Augen hatte! Ich würde liebend gerne wissen, wie zum Henker die Entwickler dieses Kunststück fertiggebracht haben, denn normalerweise zähle ich eher zur Gruppe der zimperlichen VR-Spieler. Lediglich das ruckartige Drehen habe ich zum Schutz vor Übelkeit lieber aktiviert gelassen. Im Menü darf man übrigens einige Komfort-Optionen nach eigenen Vorlieben konfigurieren.

Erstaunlich komfortabel

Zwischendurch werden immer wieder ruhige Verhörsequenzen eingestreut, in denen ich mich gegenüber meinen Vorgesetzten für unorthodoxen Entscheidungen rechtfertigen darf. Ein schöner Weg, dem Spieler eine kleine Pause zu gönnen und die Erzählung aufzulockern (wie übrigens auch in Blood & Truth)! Während der Action haben die Entwickler ebenfalls ein Händchen für eine passende Mischung aus Krawall und Erholung: Bei Schießereien in Casinos, zwischen Hallen und Containern empfiehlt es sich, gelegentlich in die Knie zu gehen, um sich z.B. hinter Sofas und halbhohen Barrikaden in Deckung zu schlagen. Die Kniebeugen und Verrenkungen nehmen aber nie so stark Überhand wie beim notorischen Muskelkater-Spiel Raw Data. Schön, dass Widersacher wie fette Kampfroboter auch mal eine Reihe von Containern umrunden, um mich hinterrücks zu erschrecken. Die menschlichen Schergen wirken mit ihrem gescripteten Auftreten und ihren einfachen Animationen aber etwas zu schießbudenhaft.

Als Teil einer verdeckten Einheit begebe ich mich zunächst auf die Suche nach dem mysteriösen Kästchen und danach auf eine Reise um die Welt. Warum ich das Artefakt nicht sofort retourniert habe? Und worum handelt es sich beim mysteriösen "Ereignis" auf Liberty Island, von dem im Verhör ständig die Rede ist. Auf Fragen wie diese gibt es erst im späteren Verlauf Antworten, auch wenn meine Vorgesetzte sie gerne schon früher hören würde. Zudem verläuft die Geschichte je nach meinen Entscheidungen ein wenig anders. Jedes der fünf Kapitel hat eine Abzweigung zu bieten, welche zusammen mit ein paar coolen kleinen Zusatz-Herausforderungen viel Wiederspielwert schafft. Ich hatte eine Menge Spaß daran, auch die alternativen Handlungsstränge kennenzulernen, so dass sich die Standard-Spielzeit von rund drei auf etwa fünf Stunden erhöhte. Für schlanke 25,99 Euro also ein angemessenes Paket.

Auf der Jagd nach dem Kästchen

Außerhalb der Verhöre wirken die Gespräche und Umgebungsrätsel aber nicht immer überzeugend. Vor allem der erstaunlich leere Schwarzmarkt-Level in Mumbai mit Wahrsagerin und Würfelspielchen durchbricht immer wieder die Illusion, sich wirklich in einem spielbaren Agenten-Thriller zu befinden. Schuld daran sind vor allem die platten Charaktere und ihre unglaubwürdigen Smalltalk-Dialoge. Davon abgesehen tragen die Unterhaltungen und kleinen Dialog-Rätsel aber viel zum Gefühl der Präsenz bei. Immer wieder nimmt Instrukteur Doran Kontakt zu mir auf - per Knopf im Ohr und AR-Bildschirm in der Kontaktlinse. Mit Hilfe meiner Hacker-Platine infiltriert er feindliche Netzwerke oder kommentiert süffisant meine opportunistischen Entscheidungen. Nachdem ich mich per Latexmaske als Gangsterboss Jimi Brodigan verkleidet habe, muss ich mich natürlich auch ums Tagesgeschäft kümmern, um nicht aufzufliegen. Ein kleiner Anschlag hier, eine harmlose Exekution dort - und Doran macht einfach die Augen zu: „Ich denke mal das Allgemeinwohl geht vor!“. So sehe ich das auch und drücke eigenhändig den roten Knopf. Rumms!

Ein Blick auf den faden Abstecher nach Mumbai.
Auch in Gesprächen muss ich natürlich besonders Jimi-artig auftreten, um nicht aufzufliegen. Es kann also nicht schaden, die Augen nach Charakterzügen offen zu halten. Die (leider nur englische) Vertonung der Wachen und der finstere Electro-Soundtrack klingen zwar lange nicht so professionell wie in Blood & Truth, sorgen aber allemal für eine passene Atmosphäre. Noch cooler ist die Sequenz, in der ich mich an das Opfer der Maskerade angeschlichen habe. Ich will nicht zu viel verraten, aber im Themenbereich verdeckter Ermittlungen und fieser Verhöre haben sich die Entwickler ein paar richtig lustige Ideen einfallen lassen, die in VR übrigens viel intensiver rüberkommen.

Echter als das Original?

Schade, dass sich dabei das Aktivieren der technischen Gadgets manchmal hakelig gestaltet. Eine Zeigenfinger-Geste etwa funktioniert in brenzligen Situationen nicht immer wie gewünscht. Auch in den stark choreografierten Boxkämpfen mit den eigenen Fäusten passierte es mitunter, dass ich nicht wusste, was die Entwickler überhaupt von mir wollten.

Text und Vertonung sind leider nur auf Englisch verfügbar - bei zwielichtigen Figuren wie Jimi auch mal mit viel Slang.
Andererseits sind die Schlägereien natürlich eine ähnlich coole Abwechslung wie die Kletter-Passagen im Stil von The Climb. Als ich nach den langsam abblätternden Rumpfplatten eines abgestürzten Flugzeugs griff, wurden schnell Erinnerungen an Uncharted wach. Dank der 3D-Kulisse in luftiger Höhe wackelten meine Knie hier allerdings noch stärker. Auch die technische Umsetzung sorgt für Immersion. Trotz leichter schwarzer Comic-Ränder bieten die abwechslungsreichen Kulissen ein überzeugendes Gesamtbild – auch wenn man offensichtlich noch weit von „klassischen“ Grafik-Highlights wie Assassin‘s Creed Odyssey entfernt ist. Schön auch, dass das Gebotene mit einer GeForce GTX 1070 in relativ hohen Einstellungen flüssig bleibt, trotz der gestiegenen Auflösung der Rift S.

Hübsch und flüssig

Fazit

Was für eine Überraschung – und was für ein mitreißender Virtual-Reality-Thriller! Defector schafft das, was ich mir von Blood & Truth gewünscht hätte! Endlich ein vollwertiges Action-Adventure, das den Spieler mit Hilfe einer sehr aktiven VR-Dramaturgie in die Rolle eines Bond-artigen Geheimagenten versetzt. Und zwar mit allem, was dazugehört: Volle Bewegungsfreiheit ohne Übelkeit, völlig überdrehte Stunts und Schießereien, coole Gadgets und Ideen, lustige Kommentare und ansehnliche Grafik. Schade, dass Entwickler Twisted Pixel nicht mehr Zeit ins Feintuning investiert hat, denn dann hätte Defector zum coolsten VR-Titel überhaupt werden können! Dafür wirken einige nervige Details aber einfach zu unausgegoren. Auf die Nerven gingen mir vor allem die faden Rätsel-Passagen in Mumbai, die halbgaren Boxkämpfe und die mitunter hakelige Gestensteuerung. Trotzdem empfehle ich jedem Besitzer von Rift oder Rift S (wir haben übrigens mit dem neuen Modell gespielt), sich in den überdrehten Agenten-Thriller zu stürzen – denn im VR-Bereich gibt es nichts Vergleichbares!

Pro

  • cineastische Agenten-Atmosphäre
  • wahnwitzig inszenierte Stunts
  • bizarre Wendungen
  • lustige Ideen und coole Undercover-Aufgaben
  • intensive Präsenz dank viel Bewegungscontroller-Einsatz
  • später spannende Schießereien mit begrenzter Gesundheit
  • aufwändig designte Kulissen im räumlichen Comic-Look
  • viel Abwechslung
  • zahlreiche Abzweigungen schaffen Wiederspielwert
  • coole Technik-Spielereien, Prototypen-Waffen und Hacking
  • schön umgesetzte Dialog-Rätsel mit wichtigen Charakteren
  • aufpeitschender Electro-Soundtrack passt bestens
  • trotz wilder Action erstaunlich wenig Übelkeitspotenzial

Kontra

  • Faust
  • und Bosskämpfe manchmal nur schwer durchschaubar
  • ödes Schwarzmarkt-Level in Mumbai mit unglaubwürdigen Rätseln
  • stumpfe Dialoge mit hölzern agierenden Nebenfiguren
  • etwas hakelige Handhabung von Technik-Gadgets
  • Gegner in Schießereien nur schlicht animiert
  • Schusswaffen oft zu sehr auf Nahkampf ausgerichtet
  • manche Szenen wirken selbst im überdrehten Kontext lächerlich übertrieben
  • Text und Vertonung nur auf Englisch

Wertung

OculusRift

Wild, mitreißend und toll aufs Medium VR zugeschnitten: Trotz diverser Macken beim Feintuning ist der VR-Thriller Defector etwas ganz Besonderes!

VirtualReality

Wild, mitreißend und toll aufs Medium VR zugeschnitten: Trotz diverser Macken beim Feintuning ist der VR-Thriller Defector etwas ganz Besonderes!

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.
  • Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.
Kommentare
DonPromillo1984

Ich hab es heute mit der Vive Pro und den Index Controllern gespielt. (REVIVE) Das Spiel ist wirklich sehr gut.

vor 5 Jahren
kagrra83

Natürlich ist ein Railshooter wie Blood and Truth, spielerisch, gefühlt 20 Jahre alt. Das, was das Spiel so toll macht ist eben die VR Variante. Ich liebe dieses Spiel. Habe es in einem Zug durchgezockt.
Es ist ein Deckungsshooter auf Schienen. In 2D (bzw 3D, zocke nur mit 3D Vision ^^), wäre so ein Spiel eher ne 50. Sowas passt auch heute gar nicht. Es wäre ein Rückschritt. Pixel/Sprites altern nicht, deshalb sind pixelige Spiele auch heute noch toll. Aber ein Railshooter, glaube kaum, dass 2020 einer noch gute Ideen für einen haben könnte. Aber Dank VR, ist diese Methode aus Oppas Zeiten wieder ein, bzw mein Highlight. Die Bewegungseinschränkungen fallen mir praktisch nicht auf. Das Mittendringefühl überwiegt alles. Das Filmische, wie gesagt, gefällt mir bei Blood and Truth riiichtig gut. Die Geschichte ist auch sehr nett. Das, was das SPiel aber so toll macht, ist eben VR. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, kann ich gerade gar nicht wirklich bewerten. Denn ohne VR ists einfach ne 50. Ohne der netten Geschichte, sogar weniger. Aber VR sei Dank, ist es eines meiner Highlights bisher. (Vorhin Draugen beendeet in 3d ^^) gefällt mir auch richtig gut.

Jedenfalls, gefällt mir das Filmische. Ich liebe gute Cutscences. Die können nicht lang genug sein. Spiele gerade Judgement (kein VR). Meine Güte, was die da an Zwischensequenzen hervorbringen, ist wahnsinnig. UNd das tolle ist, mann kann sich alle bisher gezeigten Filmchen noch mal aus dem Menü heraus anschauen. Typisch Japanisch. Das Spiel steckt voller IDeen, die ich auch so umsetzen würde. Jedenfalls, sind die Filme richtig gut dosiert Gibt natürlich Leute, die wollen selbst Hand an legen. Verstehe nicht, wieso es viele gibt, die sowas nicht mögen. Ich will doch ne Geschichte erleben. Deshalb habe ich auch die Serie bei Quantum Break für so toll befunden.


Übrigens, auf Defector habe ich auch richtig Bock .
Danke für die Aufmerksamkeit.

vor 5 Jahren