Ancestors: The Humankind Odyssey - Test, Action-Adventure, XboxOne, PlayStation4, PC
Ja, ja, es war sicher beschwerlich vor zehn Millionen Jahren. Deutlich weniger Annehmlichkeiten damals, vom schlechten DSL-Ausbau ganz zu schweigen. Aber reicht es denn nicht, wenn sich diese Mühen auf den Kampf ums Überleben beschränken und nicht auf den Kampf mit dem Controller? Wenn ein Menschenaffe seinerzeit ein paar Palmwedel oder Kokosnüsse sortierte, dann artete das sicher nicht in ein derart chaotisches Gewurschtel aus wie im Spiel von Désilets neuem Studio Panache Digital. Oft ist es schlicht und einfach Glückssache, wen oder was man anvisiert. Vier, fünf mal die Blickrichtung korrigieren, ein paar Drehungen auf der Stelle – und schon hat man einen Speer auf dem dafür vorgesehenen Stapel abgelegt – sogar ganz ohne sich aus Versehen zu paaren oder einen Sprung von der Klippe zu starten! Sehr intuitiv!
Unnötig sperrig
Auch so profane Aktionen wie das Einsammeln Blut stillender Früchte oder das Schwingen durch die Baumwipfel benötigt mehr Übung als wir vermutet hätten. Zudem bleibt auch die digitale Anleitung viel zu vage, selbst wenn man sich vorm Start für die „Einsteiger-Variante“ mit vollem HUD und komplettem Tutorial entscheidet. „Viel Glück, wir werden dir nicht viel helfen“, warnt die Einleitung. No shit, Sherlock! Genau das wäre aber dringend notwendig gewesen, um erst einmal wichtige Einblicke in all die seltsamen Regeln zu erlangen. Sie lassen den Spieler oft sogar gegen die eigene Intuition handeln. Kinder z.B. brauchen keinerlei Nahrung – das weiß doch jeder! Außerdem ist es pädagogisch wertvoll, sie auch in gefährlichen Situationen immer im Huckepack herumzutragen – selbst wenn ein Säbelzahntiger zum Sprung ansetzt. Die Passagiere der mobilen Fell-Kita sollen ja alles lernen und mitbekommen, was in der Wildnis vor sich geht. Wir wollen schließlich an wertvolle Neuronen-Energie für den Rollenspiel-ähnlichen Entwicklungs-Baum des Gehirns gelangen.
Einzigartiges Spielgefühl
Schade, dass sich der eigentlich spannende Mix aus Action-Adventure und Überlebenskampf unter solch einem Wust sperriger Mechaniken, Steuerungs-Macken und Grafikfehlern versteckt (die Menschenaffen laufen z.B. komplett ohne Kollisionsabfrage in ihre Stammesgenossen hinein). Das grundlegende Thema des Spiels ist schließlich sehr motivierend: Wann hatte man schon einmal die Möglichkeit, die erste Phase der menschlichen Vorgeschichte so intensiv aus erster Hand zu erleben? Kein Wunder, dass Désilets für das ungewöhnliche Vorhaben ein neues, nicht all zu großes Studio gegründet hat.
Jeden Tag startet man immer mutigere Streifzügen durch den Wald, um neue Entdeckungen zu machen: Sobald das Hantieren mit beiden Armen erlernt wurde, lässt sich ein toter Ast zu einem praktischen Speer abschaben. Mit dem hebelt man danach schwere Steine aus dem Weg und entdeckt exotische Snacks wie Schnecken oder Pilze. Aber Vorsicht: Unverdauliche Schwammerl oder unreife Früchte können eine ordentliche Magenverstimmung und psychedelisches Bildwabern erzeugen - was sich mit ausgiebigem Trinken am Fluss wieder entgiften lässt. In diesem Spiel dreht sich alles darum, neue Dinge zu erlernen, Neuronen zu verbinden und zu festigen, um schließlich im Laufe mehrerer Generationen mit Mutationen die Evolution voranzutreiben. All das ist natürlich keine akkurate Simulation, orientiert sich aber an echten Abläufen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die Macht der Fortpflanzung
Eine wichtige Voraussetzung für fähige Führungskräfte künftiger Generationen ist die Fortpflanzung. Die Partnersuche gestaltet sich erstaunlich einfach: Eine Rückenmassage mit idiotensicherem Minispiel genügt – und schon ist die Angebetete bereit für eine Partnerschaft und die „Sexy Time“ mit verschämt nach oben schwenkender Kamera. Ein paar lustvolle Grunzer später darf man sogar schon zur Geburt vorspulen und hat ein weiteres Baby, um die kommende Generation des Stamms zu sichern.
Auch außerhalb des Betts aus Palmwedeln ist die Action simpel umgesetzt: Setzt ein rabiates Borstenvieh zur Rammattacke an, muss man für eine Ausweichrolle lediglich im passenden Moment das gedrückte Knöpfchen loslassen. Auch hier sorgt nur Unwissenheit für Herausforderung, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zu Beginn weiß man als unerfahrene Spieler selbst noch nicht so recht, wie man im bedrohlichen Moment auf eine gigantische Felsenpython oder einen Alligator reagieren soll. Daher riskiert man empfindliche Verletzungen, falls sich die eigene Affenbande nicht rechtzeitig in die Bäume zurückzieht.
Erfahrung ist alles
Außerdem müssen auch die Primaten selbst erst einmal im Kampf Erfahrungen sammeln, neue Neuronen freischalten und dann mit geschickteren Taktiken in den gefährlichen Wald zurückkehren. Effektiveres Verjagen durch Gebrüll, sich selbstständig verteidigende Stammesgenossen oder auch eine koordinierte Jagd lassen sich so im Laufe der Zeit bewerkstelligen. Das Erlernen solcher Grundlagen ist also durchaus unterhaltsam umgesetzt, der schlichte Kampf mit Knöpfchendrücken und wirrer Regie weniger.
Verwirrende Regeln
Auch bei den Konsequenzen bleiben die Entwickler inkonsequent: Schon auf der allerersten Rettungsmission wird einem eingebläut, ja nie ein Kind in der Wildnis allein zu lassen. Als wir uns später nach einem Kampf auf die Suche nach verlorenen Sprösslingen begaben, spielte die Regel aber seltsamerweise keine Rolle mehr. Laut der kryptischen Stammes-Anzeige waren unsere armen Schützlinge noch irgendwo in der Wildnis verschollen. Nach einer stundenlangen, erfolglosen Suche erschienen sie aber einfach wieder im Lager. Wie bitte? Zudem kommuniziert das Spiel nicht einmal deutlich, wann es abspeichert. Als Neuling solltet ihr ab und zu ins Neuronal-Menü wechseln: Wenn ihr es wieder schließt, ist euer aktueller Fortschritt sicher. Bei manchen wichtigen Ereignissen wie der ersten Begegnung mit einer Raubkatze speichert das Spiel allerdings von alleine ab – ob ihr wollt oder nicht.
Das Ziel ist es, den Stamm durch die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu einer höher entwickelten Spezies aufsteigen lassen. Der Spieler beeinflusst also, ob sein Klan sich mit seinem Erbgut durchsetzt oder ob er als ausgestorbene Art untergeht. In diversen Bereichen des Alltags entwickelt man sich an mannigfaltigen Nervenverbindungen weiter. Intelligenz, Motorik, aufrechter Gang, Kommunikation durch Laut-Befehle und Körpersprache: All das lässt sich mit der vom Nachwuchs gelernten neuronalen Energie nach eigenen Vorlieben entwickeln. Wahrnehmung wie Riechen oder Lauschen gehören ebenfalls dazu: Sie besitzen sogar eigene Menüs, mit denen man im Freien allerlei neue Pflanzen, Gesteinsarten oder Tiere identifiziert.
Eingeschränkte Hilfsmittel
Auf Knopfdruck kann man sich an erkannten Objekten in der Umgebung orientieren oder an einem davon einen Wegpunkt setzen. Eine bewegliche Minimap oder ähnlich moderne Hilfsmittel gibt es glücklicherweise nicht. Manchmal ist es ratsam, einfach frei zwischen den Stammesmitgliedern zu wechseln. Oder man wirbt in Not geratene Menschenaffen an, indem man ihnen z.B. mit dringend benötigten Ressourcen weiterhilft. Später ist man auch fit genug für Ausflüge in entlegenere Vegetationszonen und darf ein neues Lager errichten. Das dichte Pflanzendickicht und stimmungsvolle Wettereffekte vermitteln eine überzeugende Vorzeitstimmung, zumal es mit einer GeForce GTX 1070 auf hohen Einstellungen fast immer flüssig bleibt.
Das Getrommel und der Singsang des Tribal-Soundtracks untermalen das Thema ebenfalls passend. Weniger überzeugen können die etwas hölzernen Animationen der Primaten und vor allem anderer Tiere. Wer möchte, kann alternativ mit Maus und Tastatur steuern, was sich aber auch nicht besser anfühlt als die von den Entwicklern empfohlene Controller-Steuerung. Auf dem PC wird das Spiel erst nach seinem Exklusiv-Jahr im Epic Games Store in anderen Download-Stores angeboten. Umsetzungen für PlayStation 4 und Xbox One folgen schon im Dezember 2019.
Fazit
Schade, dass sich das eigentlich spannende Grundprinzip von Ancestors: The Humankind Odyssey hinter so vielen verwirrenden, schlecht erklärten Mechaniken versteckt. Mit einer derart hakligen Steuerung und Technik-Macken wie ineinander stehenden Menschenaffen drängt sich zudem der Verdacht auf, dass das Spiel zu früh veröffentlicht wurde. Mit mehr Feinschliff und einem klaren Fokus hätte der Überlebenskampf im hübsch überwucherten Urwald das Zeug zu einem einzigartigen Action-Adventure gehabt! So aber starb irgendwann meine Hoffnung, dass der Spaß an der Erkundung und der Weiterentwicklung all die massiven Probleme übertünchen kann, die letztendlich dafür sorgten, dass ich mich nur noch widerwillig durch den Alltag im neogenen Afrika schleppte.
Pro
- spannende Weiterentwicklung der eigenen Spezies
- viele interessante Neuronen-Verbindungen und erlernte Fähigkeiten
- frisches Spielgefühl beim Klettern durch die Bäume
- stimmungsvolle Wetter-Effekte
Kontra
- hakelige Steuerung, vor allem beim Sammeln, Sortieren und Bauen
- Regeln und Aufgaben oft unklar; Anleitung zu knapp
- öde Geschicklichkeitstest bei Jagd und Werkzeugbau
- keinerlei Kollisionsabfrage unter den Menschenaffen
- teils verwirrende Regie
- hölzerne Animationen bei anderen Tieren
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- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.