The Dark Pictures Anthology: Man of Medan - Test, Action-Adventure, PC, PlayStation4, XboxOne
Irgendetwas ist faul an Bord der Medan, einem US-Kriegsschiff aus dem Zweiten Weltkrieg. Überall liegen Leichen, in deren erstarrten Gesichtern sich immer noch die Angst des Todes widerspiegelt. Was ist hier passiert? Das fragen sich auch die beiden Soldaten Joe und Charlie, die beim Landgang etwas zu viel über den Durst getrunken haben und zur Strafe in einer Arrestzelle bzw. der Krankenstation des Schiffs gelandet sind. Was die beiden trotz ihres Besuchs beim Wahrsager noch nicht wissen: Sie wird im Prolog nach ersten Erkundungen, Halluzinationen und Anzeichen von Wahnsinn das gleiche grausame Schicksal ereilen wie ihre Kameraden!
Horror an Bord
Jahrzehnte später kann eine Gruppe aus jungen Erwachsenen noch nicht erahnen, dass ihr eigenes Schicksal mit den Ereignissen von damals verknüpft wird. Denn eigentlich wollen der schüchterne Brad, sein sportlicher Bruder Alex zusammen mit dessen Freundin Julia und ihrem arroganten Bruder Conrad nur zu einem Ausflug aufbrechen, um unerlaubt zu einem unentdeckten Flugzeug-Wrack im Pazifik zu tauchen. Ihre Kapitänin Fliss ist davon zwar nicht sonderlich begeistert und warnt sogar davor, benötigt aber das Geld und lässt die Truppe daher gewähren. Zwar handelt es sich hier im Prinzip um eine Ansammlung von Stereotypen und die
Charakterentwicklung hält sich in Grenzen, aber trotzdem fiebert man mit jeder Figur mit.Wie bei Until Dawn übernimmt man abwechselnd die Rollen der fünf Protagonisten und kann die meist kleinen Schauplätze nach Hinweisen wie Dokumenten absuchen oder an vorgesehen Stellen mit der Umgebung interagieren, um z.B. ein Funkgerät zu bedienen, Schränke zu öffnen oder Objekte zu untersuchen. In den Dialogen hat man zudem wieder die Möglichkeit, mit drei Antwort-Optionen den Verlauf der Geschichte und gleichzeitig auch die Beziehung der Charaktere untereinander zu formen. Wer z.B. überwiegend schnippisch oder abfällig reagiert, sammelt bei seinem Gegenüber keine Sympathiepunkte. Viele Entscheidungen wirken zumindest auf den ersten Blick recht banal und führen lediglich zu minimalen Veränderungen. Andere wiederum haben größeren Einfluss auf die Handlung und werden im Pause-Menü unter dem Begriff „Kursrichtung“ dokumentiert. Ein Beispiel: Am Ende des Tauchgangs hat man die Wahl, ob man ohne Dekompression zum Boot zurückkehrt und die Taucherkrankheit als mögliche Nebenwirkung riskiert. Auch kurze Zeit später hat man die Wahl, durch das Trinken von Alkohol noch weiter mit dem Feuer zu spielen oder lieber darauf zu verzichten. Je nachdem, wie man sich bei solch zentralen Aktionen entscheidet, wird man die Auswirkungen mehr oder weniger deutlich spüren. Wie bei Until Dawn stößt man auch hier wieder auf Vorahnungen, die beim Betrachten bestimmter Bilder eine mögliche Zukunfts-Vision zeigen, die eintreten kann, aber nicht muss.
Das bekannte Muster
Eine erste kritische Situation erlebt die Gruppe, als sich in der Nacht eine Gruppe von Piraten auf das Schiff schleicht, die Großmaul Conrad ein paar Stunden zuvor bei einer ersten Begegnung aufgemischt hatte. Zwar gibt es bei diesem Überfall schon ein paar kritische Situationen zu meistern und man muss im schlimmsten Fall schon das erste Opfer beklagen, aber so richtig nehmen Story und Horror erst Fahrt auf, als das US-Kriegsschiff
aus dem Zweiten Weltkrieg plötzlich auftaucht und die Piraten beschließen, zusammen mit ihren Geiseln an Bord zu gehen.Ungebetene Besucher
Viel mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zwar kommen Horror und Grusel erst langsam in Fahrt, doch ist man erst mal zurück an Bord des verrottenden Kahns, wird man mit einer beklemmenden Atmosphäre, gefährlichen Bedrohungen und billigen, aber durchaus effektiven Schockeffekten entschädigt. Supermassive Games gelingt eine gute Mischung aus Erkundung, dramatischen Reaktionstests bei Flucht- und Kampfsequenzen sowie einem aufregenden Versteckspiel, bei dem man durch rhythmischen Tastendruck seinen Puls kontrollieren muss. Dabei sind die Herausforderungen teilweise recht knackig und man muss sowohl über gute Reflexe als auch ein Gespür bei den Entscheidungen verfügen, damit alle Hauptfiguren diesen spannenden Horrortrip auf hoher See überleben. Eine besondere und interessante Rolle ist der Kurator, der ähnlich wie der Psychiater in Until Dawn die Entscheidungen des Spielers kommentiert und spätestens bei den Dialogoptionen endgültig die Vierte Wand aufbricht. Er dürfte zudem das einzige Bindeglied sein, das sich über alle zukünftigen Episoden erstreckt.
Leider vermisst man gerade auf der PS4 einige Features, die man bei Until Dawn noch vorgefunden hat. Da Man of Medan für mehrere Plattformen erscheint und sich überall identisch anfühlen soll, gibt es weder Mechaniken mit Bewegungssteuerung noch die witzige Einbindung der PlayStation-Kamera oder Momente, in denen man den Controller ganz ruhig halten muss. Schade drum, aber der Schritt erscheint verständlich, wenn man bewusst keine Plattform bevorzugen möchte.
Interessanter Mehrspieler-Ansatz
Im Vorfeld hätte vermutlich niemand damit gerechnet, aber die knapp fünf Stunden lange Kampagne darf man nicht nur alleine, sondern auch gemeinsam in Angriff nehmen. Das Mehrspieler-Angebot erstreckt sich dabei über zwei Varianten: Während man beim lokalen Filmabend-Modus den Controller zwischen den bis zu fünf anwesenden Spielern bei Figurenwechseln weiterreicht, stürzt man sich online zu zweit in das Horror-Abenteuer und erlebt stellenweise sogar völlig unterschiedliche Dinge. So begibt sich im Koop z.B. nur einer der beiden Spieler zum Tauchgang, während der andere an Deck verweilt und dort zum ersten Mal den Piraten begegnet. Keine Sorge: Spielt man alleine, bekommt man alle Szenen zu sehen. Im Prinzip ist die Mehrspieler-Komponente eine tolle Sache und funktioniert erstaunlich gut. Störend ist lediglich das Warten, wenn der andere Spieler in den Dialogen eine Entscheidung treffen muss. Zwar ist die Antwortzeit begrenzt, aber es raubt den Szenen die Dynamik und reißt einen raus. Spielt man alleine und trifft selbst die Entscheidungen, fällt das nicht auf. Muss man dagegen auf den Partner warten, empfindet man einen Bruch im Spielfluss.
Unabhängig vom Solo- oder Koop-Erlebnis gibt die Technik Anlass zur Kritik: Zwar sehen die Kulissen teilweise fabelhaft aus und bringen vor allem an Bord der Medan die schaurige Atmosphäre in Kombination mit gut gewählten Kameraeinstellungen klasse rüber. Aber die Darstellung leidet hin und wieder auf beiden Konsolen an einem derben Schluckauf mit Ruckeleinlagen sowie asychronen Lippenbewegungen der Akteure. Hinzu kommt, dass die Figurenmodell zwar besser und authentischer aussehen als bei Until Dawn, aber vor allem hinsichtlich Mimik und Animationen stellenweise unnatürlich wirken und daher die Tendenz zum Uncanny Valley nicht abschütteln können. Das gewählte Letterbox-Format mag zwar den cineastischen Ansatz unterstreichen, doch
dürften die schwarzen Balken am oberen und unteren Bildrand trotzdem nicht jedem gefallen.Technikmacken
Der Sound kann mit düsteren Klängen, gut abgemischten Effekten sowie hoher Dynamik überzeugen und trägt wie bei fast allen Horror-Erlebnissen einen wesentlichen Teil zur Atmosphäre bei. Hinsichtlich der deutschen Lokalisierung hat Bandai Namco ebenfalls ein glückliches Händchen bewiesen und professionelle Sprecher engagiert, die insgesamt einen ähnlich guten Job abliefern wie die Kollegen im englischen Original. Nur die Lautstärke-Abmischung ist in manchen Momenten bei zu leisen Stimmen nicht ideal. Als nettes Extra kann man nach dem Abspann (und einer Post-Credit-Scene!) gleich wieder in Szenen seines Story-Pfads einsteigen und deren Verlauf verändern. Zudem warten beim Bonusmaterial lohnenswerte Blicke hinter die Kulissen.
Fazit
Als Fan von Until Dawn habe ich mich bei Man of Medan und damit dem Auftakt der Dark Pictures Anthology gleich wohl gefühlt. Sowohl die filmische Inszenierung als auch die Mechaniken mit ihren Entscheidungen und Reaktionstests wirken vertraut, auch wenn ich an der PS4 die Extras wie Bewegungssteuerung und Kameraeinbindung zunächst vermisst habe. Zwar dauert es nach dem Prolog eine Weile, bis die beklemmende Atmosphäre und der Horror endlich richtig Fahrt aufnehmen, doch warten an Bord des „Geisterschiffs“ einige spannende Momente und gut platzierte Schocker. Die Story mag keine Oscar-Qualitäten besitzen und die Figuren triefen vor Stereotypen. Trotzdem fiebert man mit jeder von ihnen bis zum Ende mit, das aufgrund kniffliger Situationen und unbedachter Entscheidungen schneller mit tödlicher Wucht herbei kommt, als einem lieb sein kann. Leider wird das Horror-Erlebnis auf PS4 und Xbox One trotz der gelungenen Inszenierung immer wieder von Darstellungsproblemen geplagt. Im Koop sind außerdem die Zwangspausen bei der Entscheidungsfindung nicht förderlich für den Spielfluss. Trotzdem gibt es von mir den Daumen nach oben, weil Supermassive Games es geschafft hat, seinem knapp fünfstündigen Horror-Snack eine unterhaltsame Mehrspielerkomponente zu spendieren und mit der Fülle an Entscheidungen samt möglicher Konsequenzen den Wiederspielwert zu erhöhen. Ich bin schon gespannt, was der mysteriöse Kurator mit der zweiten Episode für mich in petto haben wird...
Pro
- cineastische Inszenierung
- dichte Atmosphäre
- unterhaltsame Story
- Entscheidungen formen den Verlauf der Geschichte
- mitunter dramatische Reaktionstests und spannende Situationen
- professionelle und meist überzeugende Sprecher (deutsch & englisch)
- stimmungsvoller Soundtrack
- detailliert gestaltete Schauplätze
- mysteriöser Kurator bricht vierte Wand auf
- ein paar gut platzierte Schockeffekte
- interessante Mehrspieler-Einbindung (Koop, Filmabend)
- nettes Bonusmaterial
Kontra
- Darstellung nicht immer flüssig
- Letterbox-Format sorgt für schwarze Bildränder
- z.T. hakelige Animationen
- Wartezeiten stören Immersion im Koop-Modus
- manche Entscheidungen haben nur sehr geringe Auswirkungen
- Figuren zeigen Tendenzen zum Uncanny Valley
- Horror kommt erst langsam in Fahrt
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt keine Käufe.