FIFA 20 - Test, Sport, PlayStation4, XboxOne, PC
Ich bin Fußballfan. Ich habe früher sehr gerne in der Halle gespielt. Ich schätze technische Tricks und akrobatische Einlagen. Daher habe ich mich auf Volta gefreut, das das Spiel auf engem Raum im 3 gegen bis 5 gegen 5 inszeniert, all das mit kleineren Toren und dem Einsatz von Begrenzungen, so dass man den Ball auch mal clever über Bande spielen kann. Netzt man so ein, macht das Laune! Zudem geht es ruckzuck hin und her, außerdem fallen Treffer natürlich viel häufiger. Aber Volta hat mich trotz einiger cooler Hallen, Käfige und Außenanlagen ernüchtert.
Volta feiert Premiere
Es entwickelt gegenüber dem Original auf dem Rasen kaum eigenen Charakter als spektakuläre Alternative. Obwohl einige
gute Ideen enthalten sind, wie etwa das Abschirmen in der Defensive, um den Einschusswinkel zu verkürzen, nutzt die KI das so selten, dass das Tor kaum geschützt wird. Immerhin kann man wählen, ob man alle Spieler selbst bewegt oder sich auf seinen Charakter konzentriert, dann kann man das ausgleichen. Manche Tricks sehen zwar gut aus, aber der artistische Funke will angesichts vieler bekannter, teils schwammiger Bewegungen nicht überspringen - FIFA Street wirkte anno 2012 eigenständiger und interessanter, Volta wirkt wie eine kastrierte Variante des gewöhnlichen FIFA.Richtig enttäuschend wird es in der knapp sechsstündigen Karriere mit Story: Abgesehen davon, dass sie erzählerisch und dramaturgisch ohne Entscheidungen nicht mit "The Journey" rund um Alex Hunter mithalten kann, übertreibt es EA so sehr mit aufgesetzter Coolness, Jubel-Flikflaks und Klamotten-Freischaltung, dass man sich fast so fremdschämt wie in Need for Speed. Sicke Skills? Selfies nach Toren? Ernsthaft? Die Regie wirkt so, als hätte man Spike Lee gezwungen, ein Hip-Hop-Musical
für Soccer-Spießer zu schreiben. Was an Street Credibility, Trashtalk und Over-the-Top vielleicht zu Basketball & Co passt, wirkt hier wie eine künstlicher Fremdkörper."Sicke Skills"
Ja, es werden gewisse Beziehungen und Archetypen rund um den oder die Neue aufgebaut, es gibt auch dramatische Zwischenfälle wie die Verletzung des Teamgründers. Aber die Situationen wirken teilweise unglaubwürdig, die Dialoge peinlich. Und ich weiß wirklich nicht, warum ich mich über neue Ringelsocken oder ein Tanktop freuen soll. Immerhin geht es auch sportlich zur Sache, während man mit seinem Team auf Turnieren von Asien bis Afrika, von Europa bis Südamerika unterwegs ist und zwischendurch neue Mitspieler rekrutiert: Man wird in jedem Spiel für gute Aktionen wie Tacklings, Vorlagen und Tore belohnt, so dass sich am Ende eine Gesamtnote ergibt - aber auch hier orientiert man sich weitgehend am bekannten System aus der FIFA-Karriere, anstatt mal etwas Neues anzubieten. Außerdem kann man seine Fähigkeiten in drei Bereichen von der Offensive über die Athletik bis zur Defensive verbessern.
Wo sind Set-up-Touch und Composed Finishing?
Also: Das Spielgefühl wirkt arcadiger und spektakulärer, weil die Offensive gestärkt wurde, während man in der Defensive vor allem ein besseres automatisches Stellungsspiel der eigenen Leute und den effizienteren Zugriff im 1-gegen-1 vermisst. Hier
fehlt eindeutig die Balance. Aber wie lange hält das an? Letztes Jahr kam ja auch ein Patch, der das komplette Spielgefühl veränderte. Natürlich kann man taktisch gegenwirken, auf totales Pressing schalten, aber auf Kosten der Ausdauerverluste und Konter. Zudem fühlt sich FIFA 20 immer noch in vielen aufgelösten Bewegungen zu automatisiert an: Gerade im Zweikampf oder bei Pressschlägen zeigen sich die Defizite, denn häufig prallt der Ball nicht nachvollziehbar ab, sondern schlupft wie beim Tunneln des Gegenübers irgendwie durch, meist mit Vorteilen für den Stürmer.Zudem wirken die Standards hier deutlich gefährlicher und die Schiedsrichter beim Pfeifen balancierter als bei der Konkurrenz aus Japan. Hinzu kommen komfortabel bedien- und durchschaltbare Taktikvorlagen. Aber im Vergleich zum simulativeren eFootball PES 2020, bei dem das Mittelfeld nicht so leicht zu überbrücken ist und mehr Taktik im Aufbau gefragt ist, zieht man auf dem Platz den Kürzeren. Um es zu überspitzen: Man hat hier zu oft das Gefühl, mal wieder auf bekannten Schienen mit einem Softball durch die Räume zu surfen. Innerhalb der FIFA-Reihe hat der Spielaufbau über die Jahre zwar an Qualität gewonnen, aber im direkten Duell mit Konamis aktuellem Kick macht man erstens weniger Fortschritte und hat zweitens hinsichtlich Spielaufbau, Physik & Co mal wieder das Nachsehen.
Dafür punktet FIFA 20 mit seinen traditionellen Stärken im Bereich der Lizenzen und Spielmodi, wobei viele alte Bekannte von Pro-Club über Ligen bis Koop-Partien dabei sind. Auch wenn man auf Juventus Turin oder die Allianz Arena verzichten muss und Konami mehr Club-Realismus aus Südamerika zu bieten hat, kann EA das weitaus größere Portfolio inklusive der
Bundesliga und Champions League ins Rennen schicken. Wo man aber genauso enttäuscht wie PES: die Kommentatoren. Und wo man sogar mehr Potenzial liegen lässt: bei den Derbys. Die fühlen sich immer noch nicht hitzig und besonders genug an. Zudem verwundert es, dass der Marktführer grafisch, vor allem bei der Darstellung der Gesichter keine besonderen Fortschritte macht, so dass auch manch prominenter Profi seltsam zombiesk hinsichtlich der Augenpartien aussieht oder gar nicht zu erkennen ist.Lizenzen und Spielmodi
Auch ohne The Journey wirkt aber sowohl die Karriere als Manager als auch Spieler deutlich moderner und reaktiver als in PES. Zwar werden Serienkenner auch hier große Sprünge vermissen, aber sowohl bei der Clubführung einer Mannschaft als auch in der Karriere gibt es kleine Zusätze wie etwa die überarbeitete Spieler- und Team-Moral oder interaktive Pressekonferenzen auf dem Weg zur Champions League. Man bekommt als junger Profi klarere Anweisungen, dazu fußballtaktisches Feedback und kann sich individueller entwickeln.
Außerdem bietet EA die interessanteren Fußballübungen, stagniert jedoch im freien Training ohne Komfort wie einblendbare Manöver. Hinzu kommen dafür interessante neue Duell-Bedingungen von Best-of-Serien bis Hin- und Rückspiel oder gar modifizierte Fußballregeln, in denen nur Volley-Tore zählen, so dass man mit einem Kumpel deutlich mehr Auswahl für ein paar Matches hat.Warum sage ich nichts zu Ultimate Team? Zum einen wurden alle neuen Features in dieser News zusammengefasst. Zum anderen befinde ich mich nach dem Test von NBA 2K20 in Glücksspiel-Therapie und kann nur jedem empfehlen, vor allem Eltern und ihren Kindern, keinen Cent zusätzlich in diesen Spielmodus zu investieren: Je mehr echtes Geld man investiert, desto erfolgreicher wird man hier - und der Druck wächst natürlich, je mehr Leute das zusammen spielen. Welche Ausmaße das annimmt und wie viel E-Sportler ausgeben, haben sie gerade in einem Interview mit der Welt erläutert, wie etwa Cihan Yasarlar, Profi bei RB Leipzig: "Ich investiere in den ersten Tagen und Wochen mehrere Tausend Euro." Wie weit ist hier der "sportliche" Charakter eigentlich noch spürbar? Obwohl EA ein Update zum Vollpreis anbietet, denn nichts anderes ist FIFA 20 seit Jahren genauso wie eFootball PES 2020, zieht man den Leuten mit Ultimate Team jedes Jahr noch mehr Geld aus den Taschen. Schon 2018 hat EA in nur drei Monaten rund 162 Millionen Dollar mit dem Verkauf von FIFA und Madden Points umgesetzt. Ultimate Team sorgt in allen Sportspielen zusammen für 28% (!!!) des Jahresumsatzes von EA - Tendenz steigend, für 2019 rechnet man sogar mit 4,93 Milliarden Dollar.
Ultimativer digitaler Bandit
Fazit
Es ist lobenswert, dass FIFA 20 mit Volta für frische Impulse sorgen will. Aber erstens kann der Straßenfußball auf engem Raum nur kurzfristig unterhalten und zweitens übertreibt es die Story derart mit aufgesetzter Coolness, Jubel-Flikflaks und Klamotten-Freischaltung, dass ich mich wie bei H&M meets Spike Lee fühlte. Unterm Strich wirken die anderen Spielmodi vom Training bis zum Management zwar moderner und reaktiver als jene in eFootball PES 2020, die Schiris pfeifen besser und die Standards sind spannender, aber dafür zieht man auf dem Platz den Kürzeren. FIFA spielt sich auf seine Art unterhaltsam, aber wirkt nicht ausgereift: Das allgemeine Tempo im Aufbau wurde zwar gedrosselt, aber angesichts der Dribbling- und vor allem Tempovorteile auf den Außenbahnen wirkt es gleichzeitig arcadiger. Das Mittelfeld wird ratzfatz überbrückt, zumal weder das defensive KI-Verhalten noch die Ballphysik entscheidende Fortschritte gemacht haben. Auch bei den Kommentatoren oder den teilweise schwachen Profi-Gesichtern hat sich nichts getan, die neuen Manöver, die teilweise cool sind, werden nicht mal vorgestellt. Alles fühlt sich mal wieder an wie ein Update zum Vollpreis - und vielleicht wird das Spiel ja wieder mit einem Patch anders balanciert? Dank der dominanten Marktführung kann sich EA diese wankelmütige qualitative Stagnation leisten. Aber dem Erlebnis einer authentischen Fußballsimulation ist man seit Jahren nicht näher gekommen, weil man nicht in die Grundlagen investiert. Warum soll man auch, wenn so viele Leute das viel einfacher zu entwickelnde Sammel- und Glücksspiel in Ultimate Team on top bezahlen?
Pro
- neuer Volta-Modus mit Straßenfussball...
- etwas verlangsamter Spielaufbau...
- effizientere 1-gegen-1-Dribblings...
- neue Dribbel- und Schussmechaniken...
- Champions League mit Pressekonferenzen
- neue Freistoß-Techniken mit Drall etc.
- neue Versus-Gewinn-Ziele und Best-of-Serien
- ansehnlicher Fußball mit Spektakel
- Flanken über R2 sind effizienter
- tolle Fanreaktionen mit Jubel am Zaun
- dritte Liga und DFB-Pokal
- Trainer wie Klopp, Mourinho & Co sichtbar
- normaler Karrieremodus als Spieler oder Manager
- erweiterter Ultimate-Team-Modus
- deutsche Kommentare, englische wählbar
- sehr gute Torwart-KI, tolle Glanzparaden
- Schiedsrichter im Ganzen solide
- Platzabnutzung, Freistoßspray, Torlinientechnik
- Skill-Spiele mit Freunde-Vergleich
- MatchDay mit vereinsbezogenen Fußballnews
- klasse Stadien-Inszenierung & Auswahl
- eigenen Club gründen, 11 gegen 11 spielen
- sehr gute Online-Technik/Modi, auch kooperativ
- virtuelle Bundesliga, aktuelle Werte und News
- zig offizielle Lizenzen, über 700 Teams in 30 Ligen
Kontra
- ...nutzt Potenziale nicht, bietet schwache Karriere
- ...wird durch turboschnelle Außen konterkariert
- ...man vermisst besseren defenisven Zugriff
- ...werden nicht erklärt oder trainiert
- grafisch kaum Fortschritte
- Volta: Klon-Mitspieler beim Gegner
- Volta: komplett nerviges Klamotten-Freischalten
- Volta: schlechte Regie, unglaubwürdige Figuren
- Ballphysik weiter mit Defiziten
- Defensiv-KI zu schwach
- Derbys fühlen sich nicht besonders genug an
- abseits der Premier League viele unrealistische Gesichter in anderen Ligen
- Karriere-Modus (Spieler/Trainer) steht fast still
- kein Kombo-/Dribbelanzeige in der Arena möglich
- No-Touch-Finten nicht in Ruhe situativ trainierbar
- wenig neue Fangesänge, keine Ultras/Vorsänger
- schwache Ballakustik beim Vollspann
- magerer Editor, kein Mod-Support
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt Käufe für Fähigkeiten, Karten, Figuren, Waffen, Geld, XP oder Spielmodi.
- Man kann die Spielzeit über Käufe verkürzen, Pay-to-Shortcut.
- Man kann sich Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, Pay-to-win.
- Käufe können durch Zufallsfaktoren zum Glücksspiel werden.
- Käufe wirken sich nur in speziellen Spielmodi wie Ultimate Team oder GTA Online aus.