Blasphemous - Test, Action-Adventure, PlayStation4, PC, PS_Vita, Mac, Linux, XboxOne, Switch

Blasphemous
11.10.2019, Matthias Schmid

Test: Blasphemous

Zwischen Leid und Leid

Ein 2D gewordenes Dark Souls? Ein weiteres, austauschbares "Metroidvania"? Die verspätete Versoftung des Pontifikats Joseph Ratzingers? Jein. Nein. Mitnichten! Blasphemous (ab 5,59€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) baut eine düstere Pixelwelt von selten gesehener Intensität und voller Symbolik auf - in unserem Test erfahrt ihr, ob Spielablauf, Kampfsystem & Co. qualitativ mithalten können.

Schwere Bürde oder schöne Vorschusslorbeeren? Schon lange vor Release mit Dark Souls verglichen zu werden, den Stempel 2D-Dark-Souls aufgedrückt zu bekommen, kann beides sein. Dabei haben die Entwickler von Blasphemous nicht darum gebeten: In ihrer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne aus dem Jahr 2017 wird der große 3D-Bruder mit keinem Wort erwähnt! Und schlussendlich sind Dark Souls, Bloodborne oder Nioh auch nur ein paar der ähnlich gelagerten Spiele. Schätzt ihr die Castlevania-Serie oder die Thematik von Dante's Inferno, steht ihr auf schön gepixelte, actionreiche Action-Abenteuer à la Dead Cells oder The Messenger - auch dann dürfte dieses spanische Indiespiel nach Eurem Geschmack sein.

Big Brother

In jedem Fall solltet ihr leidensfähig sein, und zwar in doppelter Hinsicht: Denn zum einen ist Blasphemous angenehm anspruchsvoll - ihr sucht mitunter eine Weile nach dem richtigen Weg, müsst euch eine komplexe Levelstruktur einprägen, Sprungpassagen über tödliche Stacheln meistern und mit tückischen Standardfeinden plus ausgefeilt attackierenden Bossen ringen. Kurz gesagt: Ihr sterbt dutzendfach. Zum anderen ist das Motiv Leid - verknüpft mit Buße, Läuterung, Schmerz - das allgegenwärtige Grundthema des Titels. Ihr spielt den Büßer, einen stummen Ritter, der das wüste Land Cvstodia durchwandert - es geht auf windumtoste Gipfel und durch Bibliotheken voller Geistwesen, in finstere Kerker und mächtige Sakralbauten. Dabei ist die christliche Mystik nicht nur ein ständiger Begleiter, vielmehr sogar grundlegende Inspiration für die Orte und Geschöpfe dieser Welt.

Blasphemous wäre das wohl schönste SNES-Spiel der Welt. Der Pixel-Look erinnert an die 16-Bit-Ära - was in puncto Scrolling und Hintergründe abgeht, wäre aber damals nicht drin gewesen.
Ihr findet weinende Statuen und Brunnen voller Blut, steht neben den gigantischen Säulen einer Kathedrale und steigt in ein Ossarium (deutsch: Beinhaus) hinab, um dort in der Welt aufgelesene Knochen abzuliefern. Eure Aktionspalette ist dabei stets überschaubar: Ihr springt und schlagt mit jeweils einem Knopf, blockt oder weicht per Rutscher aus, nehmt Heiltränke oder startet eine magische Attacke. Bald nach Spielbeginn lernt der behelmte Streiter ein paar zusätzliche Manöver, die ihm erlauben, sich mit dem Schwert an hölzernen Wänden festzukrallen, im Sprung kraftvoll nach unten zu stoßen und - sehr wichtig - während des Ausfallschritts zuzustechen. Damit ist Euer Move-Repertoir dann aber auch beinahe komplett - dieses Rüstzeug wird euch in den nächsten 15 bis 25 Stunden begleiten.

Virtueller Vatikan

Nicht nur die außerordentlich schön gepixelten Landschaften und Hintergründe, sondern auch ihre sehenswert animierten Bewohner sind voller religiöser Anspielungen, geradezu ein wandelndes kirchliches Gruselkabinett: Da gibt es den traurigen Ritter, der seinen eigenen Steinsarg auf dem Rücken schleppt, oder den aschfahlen Bischof, der auf einem Kirchenthron durchs Level schwebt. Ihr begegnet Flagellanten, die sich selbt den Rücken geißeln, und alten schlurfenden Weibern, die euch mit einem Gefäß den Schädel einschlagen wollen, aus dem der Arm eines Toten heraushängt. Auch beim Design der Levelwächter haben sich die Grafiker selbst übertroffen: „Unsere Dame mit dem verbrannten Antlitz“ entpuppt sich als entstellter Riesenschädel mit klaffender Stirnwunde, der exhumierte Erzbischof Helquiades wird von mehreren riesigen Armen durchs Level getragen und dem Riesenknaben Expósito, gehalten von Händen aus verknöchertem Holz, tropft Blut unter der Augenbinde heraus.

Kampf mit dem heiligen Stuhl - dieser schwebende Bischof ist nur ein Beispiel für die düsteren, einfallsreichen Standardgegner.
Kurzum: Die inszenatorische Vielfalt und auch die Qualität der düsteren Feindscharen sind ein Hauptgrund, sich lange und ausführlich mit Blasphemous zu befassen - und sie hätten ganz sicher auch dem niederländischen Maler Hieronymus Bosch gefallen! Obendrein kann der Büßer angeschlagene Feinde manchmal mit Finishing Moves erledigen: Dann rammt er seine Klinge besonders grob in ihre Eingeweide oder richtet sie makaber mit ihren eigenen Waffen hin. Mein Favorit war ein aus einem Bilderrahmen greifender Mann, den meine Spielfigur kurzerhand an den Haaren aus dem Rahmen zerrt, in zwei Hälften zerteilt und den Oberkörper anschließend zu Boden schleudert. Diese Manöver dürften der Hauptgrund für die USK-18-Einstufung des Titels sein.

Raue Sitten

Auch wenn Optik und Inszenierung vermutlich einen stattlichen Teil der Arbeitskraft von Entwickler The Game Kitchen in Beschlag nahmen, ist auch das Leveldesign klug und motivierend: Während ihr euch mühevoll Raum für Raum vorkämpft, tun sich immer mehr Abkürzungen, Geheimgänge (ruhig mal gegen scheinbar massive Mauern schlagen!) und Wege durch die 2D-Welt auf. Ihr nutzt Fahrstühle, aktiviert per Schalter bewegliche Leitern oder gewinnt nach ein paar Stunden die Fähigkeit, im Nichts schwebende Blutplattformen zu sehen, die Euch zu neuen Orte führen. Euer Fortschritt wird auf einer Karte vermerkt, so wisst ihr stets, ob ihr einen Raum schon besucht habt - allerdings lässt die kleine Map viel Komfort vermissen, gerne hätten wir gezoomt, dort alle wichtigen Punkte (Händler!) gefunden oder natürlich selbst Markierungen gesetzt. Aber gut, als Büßer muss man wohl leiden…

Blut, Plattformen und Blutplattformen

Wenn Dark Souls als Vorbild im Raum steht und Leiden das zentrale Thema eines Spiels ist, muss es neben anspruchsvollen Kämpfen (Check!) und Instant-Toden (Check!) natürlich ein weiteres bestrafendes Element geben. Hier waren die Macher aber vergleichsweise gnädig: Eure Erfahrungspunkte (Tränen der Versöhnung), die ihr für das Kaufen neuer Moves braucht, gehen nach eurem Ableben nicht verloren. Unser Ritter mit dem Spitzhut taucht am letzten besuchten Altar wieder auf, muss allerdings eine Schmälerung seiner Inbrunst in Kauf nehmen - das ist die magische Leiste von Blasphemous. Lest ihr seine Seele am Ort des Todes wieder auf, verschwindet dieser Malus. Zudem könnt ihr an einigen Statuen im Spiel für relativ kleines Geld auch die gesamte Inbrunst-Leiste reinigen und fortan durch besiegte Feinde wieder komplett füllen. Im Kampf nutzt Ihr die Inbrunst für einen (mäßig hilfreichen) Fernkampf-Angriff sowie diverse magische Attacken - diese reichen von der Schockwelle über ein Blitzgewitter bis hin zu einem Energieschild.

Bosskampf: Beim Duell mit „Unsere Dame mit dem Verbrannten Antlitz“ sind vor allem Ausweichreflexe gefragt - flieht vor ihrer Kugelflut!
Praktisch: Wer in einer Notsituation unbedingt einen Hauch Magie benötigt, kann per Knopfdruck eigenes Blut in Inbrunst umwandeln, natürlich nagt das an euer Lebensenergie. Es wird euch vermutlich nicht überraschen, dass nach einem Respawn am letzten Speicherpunkt alle Feinde wieder durch die Gänge wandeln. Das ist übrigens auch beim Speichern selbst der Fall: Wer an einem Altar sein Schwert in den Boden rammt, aktiviert diesen zwar als Wiedereinstiegspunkt, belebt dadurch aber auch alle erledigten Standardgegner wieder. Das ist schlecht fürs flinke Durchrennen, gut zum Farmen von Erfahrungspunkten...

Voller Inbrunst

Blasphemous verwöhnt euch mit stimmungsvollen, meist ruhig-bedrohlichen Klängen und einer englischen Sprachausgabe, die hervorragend zur erhabenen Atmosphäre und archaischen Gewalt des Spiels passen - die deutschen Texte sind gelungen, lassen bisweilen aber etwas von der Dramatik der englischen Stimmen vermissen. Seine interessante Geschichte serviert euch das Spiel nicht auf dem Silbertablet, hier tritt die Nähe zu den Souls-Titeln am deutlichsten zu Tage: Ihr müsst euch die tragische Story des Büßers sowie des Landes Cvstodia selbst erlesen, wann immer ihr ein neues Item oder einen alten Knochen findet.

So geht es los: Euer Büßer liegt auf einem Leichenberg. Der morbid-schwermütige Grundton zieht sich durch das gesamte Spiel. Blasphemous bietet nur wenige Zwischensequenzen, doch deren Standbilder sind allesamt sehr stimmig und voller sakraler Wucht.
Zudem klingen die Worte zwar bedeutungsschwanger und kraftvoll, die Erzählungen bleiben aber stets kryptisch und unkonkret. Der generelle Rollenspiel-Anteil ist überschaubar: Ihr findet Gegenstände, rüstet sie je nach Bedarf aus (zum Beispiel die eiserne Lunge im von Giftschwaden geplagten Kerker) und verbessert Werte sowie Aktionspalette - den größten Teil des Spiels verbringt ihr aber mit Laufen, Springen, Suchen und Kämpfen. Wer alle Bereiche erkundet, sämtliche wichtigen Gegenstände findet und ein paar besonders knackige Bonusräume überlebt, freut sich über ein alternatives Ende - aber auch ohne Komplettierungswut verbringen normale Büßer locker zwanzig spannende Stunden in der Welt von Cvstodia.

Nichts genaues weiß man nicht

Fazit

Den Urteilsspruch Grafikblender verdient Blasphemous nicht. Doch ist nicht von der Hand zu weisen, dass opulente Pixel-Inszenierung und düstere Bildsprache ein Hauptgrund dafür sind, lange am Ball zu bleiben. Ihr leidet beträchtlich und ärgert euch schon mal über unfaire Stellen, doch stets obsiegt die Neugier, wie der nächste Raum aussieht und welch grausige Feinde dort warten. Die 2D-Welt mit ihren Aufzügen, Verzweigungen und dem rudimentären Schnellreisesystem ist kompetent gebaut - dieser Aspekt ragt im Gegensatz zur Inszenierung jedoch nicht aus Genre-Konkurrenz heraus. Auch das block- und ausweichlastige Kampfsystem funktioniert klasse, entwickelt sich im Spielverlauf aber nicht so sehr weiter, dass ihr aus der Evolution des Kämpfens eure Hauptmotivation ziehen könntet. Auch finde ich nicht optimal, dass es mehrere Ausrüst-Menüs gibt (Rosenkranzkette hier, Mea-Culpa-Herzen da) und ich meine Move-Palette nur an wenigen Orten aufpeppen kann - das empfand ich nicht als zusätzliche Herausforderung, sondern als notwendiges Gehe-nochmal-zurück-Übel. Trotzdem ist Blasphemous ein richtig gutes Spiel, auch weil Geschichte, Musik und Sprecher eine große Sogwirkung ausüben. Obgleich die Settings kaum unterschiedlicher sein könnten, reiht es sich in puncto Spielspaß nahtlos ein neben Owlboy und The Messenger, zwei ebenfalls sehr hübschen Pixelabenteuern ähnlicher Bauart.

Pro

  • interessante Story-Fetzen und Legenden-Schnipsel...
  • sehenswert inszenierte Bosskämpfe...
  • anspruchsvolle, taktische Kämpfe...
  • fantastisch aussehende Landschaften, Kirchen & Co
  • elegante 2D-Animationen (Spielfigur & Gegner)
  • starke englische Sprecher
  • voller Anspielungen und Symbole aus dem Christentum
  • Tod wird bestraft, allerdings nicht zu streng
  • motivierend aufgebaute Spielwelt
  • Kampfsystem mit Ausweichen und Blocken funktioniert gut

Kontra

  • ...die man aber mühsam zusammentragen muss
  • ...die aber anfangs zu leicht, später recht fies sind
  • ...jedoch auch unfaire Stellen mit Teleport-Feinden
  • Micro-Ladepause bei jedem Bildschirmwechsel
  • Karte unübersichtlich und nicht zoombar
  • unnötig: mehrere Upgrade
  • und Ausrüst-Systeme

Wertung

PlayStation4

Bildgewaltiges, anspruchsvolles 2D-Action-Abenteuer mit weitläufiger Spielwelt - die vielen Tode lohnen sich!

PC

Bildgewaltiges, anspruchsvolles 2D-Action-Abenteuer mit weitläufiger Spielwelt - die vielen Tode lohnen sich!

XboxOne

Bildgewaltiges, anspruchsvolles 2D-Action-Abenteuer mit weitläufiger Spielwelt - die vielen Tode lohnen sich!

Switch

Bildgewaltiges, anspruchsvolles 2D-Action-Abenteuer mit weitläufiger Spielwelt - die vielen Tode lohnen sich!

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Kommentare
Sir Richfield

aber das gameplay bietet durchaus ansprechende Castlevania-Kost und die Atmosphäre ist gelungen.
Da haben wir einmal einen seltenen Metroid Vertreter (incl -vania Elementen) und dann schraubt das Jemand auf Castlevania runter. Die Castlevanias sind (mit Ausnahmen) streng lineare 2D Sidescroller mit einer IN LEVELN UNTERTEILTEN Welt, die man auch nicht wieder aufsuchen kann. (Über Simon's Quest streiten wir anderswo).

Ansonsten fand ich gerade klasse, dass es nicht Hollow Knight (Übertreibung von Bullshit-Bossen) oder Ori (Übertreibung von "Fluchtsequenzen") ist.
Artstyle und Story ist natürlich Geschmackssache, nicht jedem liegt der Spanische Katholizismus.

vor 3 Jahren
nawarI

Ich hab bei Hollow Knight vorgestern den Weißen Palast beendet und jetzt schon Angst davor die letzten großen Geheimnisse des Königreichs bald zu lüften. Hollow Knight: 10/10. Jo!
Dafür die Wartezeit zu überbrücken bis Silksong auf der PS4 rauskommt, könnten ein paar der hier genannten Spiele reichen, aber an Hollow Knight wird in nächster Zeit nix rankommen

vor 5 Jahren
Sir Richfield

Hatte ich mir wesentlich(!) mehr von versprochen, für mich war das eine ganz ganz knappe 7/10
Ich hatte Schlimmeres befürchtet und war über genau diese 7/10 entsprechend froh.

vor 5 Jahren
Spiritflare82

Ich fand die Grafik war noch das Beste an dem Spiel, erinnert es doch ein wenig an den alten Psygnosis Look aus Amiga Zeiten....für Metroidvania nicht genug Momente von "hier brauch ich irgendwas um weiterzukommen", nur die Map selbst ist im Grunde Metroidvania mäßig gehalten, selbst das Leveldesign ist viel zu linear, Jondo war der einzige Bereich der ein bissel Flair hat aufkommen lassen.

Dazu kamen einfach billige Sprungpassagen mit den One Hit Kill Stacheln und abgeschmatzt langweilige Endgegner. Charakterentwicklung auch viel zu linear weil vorgegeben.

Das Kämpfen selbst ist auch nicht so prickelnd, einfach zu einfältig.

Hatte ich mir wesentlich(!) mehr von versprochen, für mich war das eine ganz ganz knappe 7/10

vor 5 Jahren