Eliza - Test, Adventure, Switch, PC
Weil vielleicht nicht alle an Zachtronics interessierten Spieler damit vertraut sind: Visual Novel bedeutet vor allem zuschauen. Im Gegensatz zu anderen Spielen löst man ja nahezu keine Rätsel und ist schon gar nicht als aktiv handelnder Avatar Mittelpunkt des Geschehens. Vielmehr fließt eine Textzeile nach der nächsten über den Bildschirm, während starre Bilder die Situation illustrieren. Im Mittelpunkt steht nicht das eigene Tun, sondern das Verfolgen der Geschichte.
Lesen statt lösen
Und die ist Matthew Seiji Burns ausnehmend gut gelungen! In den Mittelpunkt stellt der Autor, Regisseur und Komponist Evelyn Ishino-Aubrey, deren Vergangenheit er zunächst im Dunkeln lässt – nicht, weil sie faktisch ein Geheimnis ist, aber um das Interesse seiner Spieler zu wecken. Und weil ihm das mit diesem und anderen erzählerischen Mitteln überzeugend gelingt, werde ich nichts vorwegnehmen, sondern lediglich im Groben Eckpunkte und Motive anreißen.
Evelyn wird als „Proxy“ angelernt; eine Art Schnittstelle zwischen der KI Eliza und Klienten, die psychologische Hilfe suchen, sich eine klassische Beratung aber nicht leisten können. Sie vereinbaren damit einen Termin in einer Eliza-Filiale, wo sie sich mit ihrem Proxy in einem Besprechungszimmer treffen. Der menschliche Kontakt soll die Beratung erleichtern...
Die Repräsentantin
Es geht natürlich um die Frage, ob diese Art der Beratung hilfreich ist, aber auch um den zugrundeliegenden psychologischen Ansatz, die Herangehensweise derer, welche die KI erschaffen haben, und mehr. Immerhin trifft Evelyn bald schon Schlüsselfiguren, die auf sehr verschiedene Weise mit Eliza in Verbindung stehen, wobei Burns jedem Charakter eine ebenso menschliche Perspektive wie faktisch fundierte Argumente verleiht. Das hat die Geschichte spätestens dann interessant gemacht, als ich nach dem gewählten Ende noch einen anderen Ausgang probiert und als überraschend nachvollziehbar empfunden habe.
Multiple-choice auf rotem Faden
Eine optionale Touchscreen-Steuerung gibt es leider nicht - dafür eignet sich das fast von Beginn verfügbare Solitaire-Minispiel hervorragend als mobiler Zeitvertreib!Nun ist Eliza kein Detroit: Become Human. Burns spinnt einen geradlinigen roten Faden, dessen Verlauf man nur zum Schluss maßgeblich lenkt. Er arbeitet seine Figuren aber so sorgfältig aus, dass ihre Argumente sowohl emotional als auch rational stets glaubwürdig sind. Man macht sich selbst ein Bild, fühlt für Personen, die zunächst unnahbar wirken, und hinterfragt Manches, das als selbstverständlich gilt. Man beeinflusst die Unterhaltungen zwar nie entscheidend, bringt mit kleinen Multiple-choice-Entscheidungen aber immer den eigenen bzw. Evelyns Standpunkt ein. So wenig das im Großen ändert, so sehr erleichtert das den emotionalen Zugang.
Dazu trägt außerdem bei, dass nicht nur die intellektuelle Diskussion, sondern auch die Figuren selbst im Mittelpunkt stehen. Burns konzentriert sich zwar auf die großen Argumente, räumt den Auswirkungen des Wirkens der künstlichen Intelligenz und was es bedeutet an ihr zu arbeiten aber so viel Raum ein, dass man versteht, was die technologischen Veränderungen für einzelne Menschen bedeuten.
Hör-Spiel
Nicht zuletzt wurden die Gespräche von durchgehend erstklassigen Sprechern vertont. In der Tat setzt sich Eliza dadurch vom Großteil der Visual Novels ab: Anstatt Textwüsten zu lesen, habe ich mich zurückgelehnt und die Erzählung wie ein hochwertiges Hörspiel genossen. Es tut richtig gut, Aily Key in der Rolle von Evelyn und vielen Anderen zuzuhören! Zumal auch die stilvollen Zeichnungen sowie das hervorragende Sounddesign viel dazu beitragen, dass das Spiel einen edlen Eindruck hinterlässt.
Geschickt verhindert Burns außerdem ermüdend lange Dialoge. Gelegentlich unterbricht sogar ein Anruf die Unterhaltung oder man kann auf eine Chat-Nachricht antworten, E-Mails lesen und mehr. Clever auch, dass die Arbeit als Proxy der Interaktion einer Visual Novel sehr ähnlich ist, denn das sorgt ebenfalls dafür, dass man sich hier eher mit dem Durchklicken anfreundet als in ähnlichen Spielen. Und schließlich bietet Zachtronics einmal mehr Solitaire als größeres Minispiel an. Die hier vorhandene Variante wird mit Kabufuda-Karten gespielt ist besonders knifflig – ein angenehmer Kontrapunkt zum eigentlichen Spiel, auf den dort kurz sogar Bezug genommen wird.
Fazit
Nun reißt eine geradlinig erzählte Visual Novel im interaktiven Medium naturgemäß keine Bäume aus, trotzdem bestätigt mir Eliza einmal mehr, dass ich Spiele von Zachtronics quasi blind kaufen kann. Sie strahlen eine sanfte Eleganz aus, die in der Vergangenheit von cleveren kognitiven Herausforderungen getragen wurde und sich hier auf eine interessante Geschichte stützt. Was Zach Barth sonst an komplexen Systemen konstruiert, hat Autor, Regisseur und Komponist Matthew Seiji Burns diesmal in eine Erzählung gesteckt, die sich nicht nur argumentativ, sondern auch emotional überzeugend einem großen Thema nähert. Er erschafft Charaktere mit glaubwürdigen Motiven, spinnt einen spannenden Plot um Vergangenheit und Zukunft und beweist Gespür für einen spielerischen Rhythmus, dank dem auch das Lesen langer Texte nicht ermüdend ist. Gebt dieser KI eine Chance, wenn ihr auch nur das geringste Interesse daran hegt!
Pro
- viele kleine Entscheidungen sorgen für Gefühl der Einflussnahme...
- spannende, vielschichtige Geschichte mit interessanten Charakteren
- sehr gute Sprecher in durchgehend vertonten Unterhaltungen
- abwechslungsreicher Spielfluss mit kurzen Dialogen, E-Mails, Chats, einem Minispiel und mehr
- hochwertiges Artdesign, stimmungsvoller Soundtrack und guter Ton erschaffen sehr ansprechende Atmosphäre
- gelungene Abwechslung mit anspruchsvoller Solitaire-Variante
- Fortschritt wird an jedem Interaktionspunkt festgehalten
Kontra
- ... im Wesentlichen verläuft Geschichte bis auf abschließende Entscheidungen aber stets gleich
- ausschließlich englische Sprache und Texte
Echtgeldtransaktionen
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